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Es gibt zwei Sichtweisen auf den Prothesenhersteller Ottobock aus Duderstadt, der seit Montag (29. September) seine Aktien zur Zeichnung anbietet und am 9. Oktober damit in den Börsenhandel starten will.
Die erste Sicht präsentieren die Analysten des Co-Konsortialführers Deutsch Bank: «Globaler Leader bei Prothesen und Orthesen, der Patienten die Bewegung ermöglicht», so die Überschrift ihrer Studie.
Ottobock-Eigentümer Hans Georg Näder
Ottobock-Eigentümer Hans Georg Näder
ZVG
Die zweite Sicht zeigt ein Familienunternehmen, das vom für seinen luxuriösen Lebensstil bekannten Patriarchen Hans Georg Näder als Aufsichtsratsvorsitzender und Eigentümer beherrscht wird. Zu ihm heisst es auf Seite 225 des Wertpapierprospekts: «Prof. Hans Georg Näder ist derzeit das Ziel strafrechtlicher Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Vorwurfs schwerer Steuerhinterziehung von deutscher Mehrwertsteuer.» Die Ermittlungen betreffen den Kauf von zwei Schiffen durch Jacht- und Werftbesitzer Näder («Baltic Yachts»). Laut Beratern des Ottobock-Eigentümers habe dieser im Einklang mit dem deutschen Recht gehandelt. Näder verteidige sich weiterhin gegen die Vorwürfe, heisst es im Prospekt weiter.
Zwei Sprecher von Ottobock wollten die Informationen nicht kommentieren und verwiesen auf den Prospekt sowie auf das Näder Family Office. Bei Letzterem war bis Redaktionsschluss niemand zu erreichen.
Die Staatsanwaltschaft bestätigt die Ermittlungen. «Bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig sind Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Erwerb zweier Schiffe gegen Herrn Prof. Näder geführt worden», teilt Oberstaatsanwalt Christian Wolters The Market mit. Weitere Auskünfte könnten aufgrund des Steuergeheimnisses nicht erteilt werden.
Ausserdem geht aus dem Börsenprospekt hervor, dass Ottobock im Geschäftsjahr 2024 mehr als 25 Mio. € an Unternehmen der Familie Näder gezahlt hat. Die Summe liegt nicht weit unter dem Jahresüberschuss von 28 Mio. € für 2024 (Periodenergebnis, laut Prospekt). Gemessen am «Underlying Ebitda» von 326 Mio. € sind es immer noch 7,8%.
Das Gebaren von Eigentümer Näder hat auch Vorteile für Investoren beim anstehenden Börsengang. Denn der Patron ist erheblich verschuldet, so dass er grosses Interesse am Gelingen der Emission haben dürfte, auch wenn er dafür im ersten Schritt Zugeständnisse bei Preis und Bewertung machen muss.
Der Hintergrund: Im März 2024 kaufte die Näder Upside Vermögensverwaltungs GmbH 20% der Ottobock-Aktien zurück, die sie einst an die Private-Equity-Gesellschaft EQT veräussert hatte. Der Kredit dafür und alle bis dahin auflaufenden Zinsen müssen bis zum 31. März 2030 zurückgezahlt werden. Selbst wenn alle von der Familie Näder beim IPO angebotenen Aktien zu 64 € je Titel platziert würden, bleibe eine Verpflichtung aus dem Kredit von 1,02 Mrd. €, heisst es im Prospekt.
«Das ist ein Notverkauf, weil Näder den Rückkauf refinanzieren muss, und das weiss jeder am Markt», sagt ein Fondsmanager. Die Bewertung von Ottobock zur Preisspanne sei günstig, auch im Vergleich zur Nummer zwei bei Prothesen, dem isländischen Hersteller Embla.
Gewinnprognosen und Bewertung der Deutschen Bank
Bei einem Börsenwert des Eigenkapitals von 4 Mrd. € ist Ottobock mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20,5 bewertet, schätzen die Deutsche-Bank-Analysten (KGV, Gewinn geschätzt für 2026). Zum für 2025 prognostizierten Gewinn beträgt das KGV 26. Die Nettofinanzverbindlichkeiten betrugen Ende Juni 1,1 Mrd. €.
Ottobock wird zur Preisspanne also bewertet wie der Rivale Embla, obwohl das deutsche Unternehmen die klare Nummer eins nach Marktanteilen ist und zudem eine deutlich höhere Marge erzielt (gemessen am bereinigten Ebitda, geschätzt für 2025).
Die Deutsche-Bank-Analysten trauen dem Unternehmen zu, dass der Umsatz 2025 um 11,9% wächst, also zweistellig wie in den beiden Vorjahren. Auch 2028 und 2029 soll er um mehr als 8% zulegen.
Das Deutsche-Bank-Analystenteam Falko Friedrichs, Jan Koch, Fynn Scherzler und Sachin Gadilingappa erwartet, dass der Gewinn auf Stufe des bereinigten Ebitda bis 2028 jährlich mit zweistelligen Prozentraten steigt.
Das Unternehmen hat die Zusage eines prominenten Investors vorliegen: Die Kühne Holding des Multimilliardärs Klaus-Michael Kühne (Kühne + Nagel) wird für bis zu 125 Mio. € Aktien ordern. Auch ein Small-Cap-Fonds des US-Fondsanbieters Capital Group hat sich zum Investment von maximal 115 Mio. € verpflichtet.
Das Börsendebüt ist eine Kaufchance für Mutige
Ottobock ist ein wachstumsstarker, profitabler Marktführer. Die Bewertung ist moderat. Das grösste Risiko für Investoren ist die kaum begrenzte Macht des Haupteigentümers und Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Georg Näder.
Für den Kauf der Aktie spricht, dass Näder aufgrund des Milliardenkredits grosses Interesse am Gelingen des Börsengangs haben dürfte. Die Bewertung zur Preisspanne legt nahe, dass er dafür auf einen Bewertungsaufschlag zum kleineren Rivalen Embla verzichtet. Dabei sollte Ottobock durchaus höher bewertet sein als der Wettbewerber, aufgrund des grösseren Marktanteils und der höheren Marge.
Ottobock wird nicht nur relativ zu den Vergleichswerten eher günstig angeboten: Noch dazu wird die europäische Gesundheitsbranche derzeit so tief bewertet wie nie, so dass die Gelegenheit zum Einstieg günstig ist. Das Börsendebüt des Prothesenherstellers ist daher eine Kaufchance für Mutige, die mit dem Haupteigentümer verbundene Risiken in Kauf nehmen wollen.