Wie die amerikanische Einlagensicherung FDIC die Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman geordnet abgewickelt hätte. Ein Fall aus dem Lehrbuch für Finanzaufseher.
Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, im September 2008, hing die Rettung der Investmentbank Lehman Brothers an einem seidenen Faden. Die britische Barclays Bank zeigte auf Einladung des amerikanischen Finanzministers Henry "Hank" Paulson Interesse, Lehman zu übernehmen. Barclays hatte aber in den Büchern von Lehman etwa 52 Milliarden Dollar an faulen, überbewerteten Wertpapieren - vor allem Immobilienpapiere - gefunden, die sie nicht kaufen wollte. Paulson lehnte Finanzhilfen der Regierung ab.
Das Geschäft scheiterte letztlich nicht an diesem Konflikt, sondern an der britischen Finanzaufsicht. Sie beharrte darauf, dass die Barclays-Aktionäre der riskanten Übernahme zustimmen müssten. Dafür fehlte die Zeit. Am 15. September 2008 stellte Lehman Brothers sich unter Gläubigerschutz und meldete Insolvenz an. Die amerikanischen Finanzreformer glauben, dass diese Entwicklung hätte vermieden werden können, wäre nur schon das neue Regelwerk der Dodd-Frank-Finanzmarktreform in Kraft gewesen. Die Föderale Einlagensicherung (FDIC) gibt sich nach einer jetzt veröffentlichten Analyse überzeugt, sie hätte die notwendige Zustimmung der britischen Aufsichtsbehörde "erleichtern" können.
Die Analyse legt offen, wie die FDIC Lehman Brothers nach den neuen Regeln geordnet abgewickelt hätte. Im Kern hätte die Einlagensicherung dabei die Finanzrisiken übernommen, die Barclays monierte und die die britische Finanzaufsicht von der Zustimmung abhielt. Entweder hätte die FDIC Lehman komplett an Barclays verkauft und sich die Risiken mit der Bank geteilt. Oder aber Barclays hätte die gesunden Teile von Lehman gekauft, während die FDIC notleidende Teile unter Konkursverwaltung gestellt oder auch nach regulärem Konkursrecht direkt abgewickelt hätte.
Eine solche Risikoübernahme habe sich in früheren Fällen oft als hilfreich erwiesen, heißt es in der Studie, um den Erlös aus einer Bankenabwicklung zu maximieren. Die FDIC hat viel Erfahrung damit, kleinere Regionalbanken zu verkaufen oder aufzulösen. Die Einlagensicherung schildert die hypothetische geordnete Auflösung Lehmans wie einen Fall aus dem Lehrbuch für Finanzaufseher. Nach dem Notverkauf von Bear Stearns an JP Morgan Chase im Frühjahr 2008, der die Wall Street alarmierte, hätte die FDIC zusammen mit der Wertpapieraufsicht SEC und der Zentralbank Federal Reserve von März bis Juli Lehmans Bücher geprüft. Der Abwicklungsplan ("Testament"), den Lehman nach der Finanzmarktreform regelmäßig hätte vorlegen müssen, wären kontrolliert und aktualisiert worden.
Die FDIC hätte ihre eigenen Vorbereitungen für den Notfall getroffen. Möglicherweise hätte man der Investmentbank bis Juli eine Frist gesetzt, eigenständig Kapital aufzunehmen oder sich selbst oder Teile an andere zu verkaufen, heißt es. Die Einlagensicherung glaubt, dass all diese Aktivitäten hätten geheim bleiben können und keine Panik an der Wall Street hervorgerufen hätten. Denn in diesem Frühjahr 2008 hätte sie auch andere Finanzhäuser der vorbereitenden Prüfung eines Untergangs unterzogen, wären die Dodd-Frank-Regeln schon in Kraft gewesen.
Im August 2008 hätte die FDIC dann begonnen, Lehman nichtöffentlich zum Kauf anzubieten, zu "vermarkten", wie es in der Analyse heißt. Die Entscheidung darüber hätte letztlich der Finanzminister treffen müssen. Lehman hätte Beschwerde einlegen können, über die ein Konkursgericht innerhalb von 24 Stunden hätte entscheiden müssen. Anfang September hätte das Geschäft besiegelt und öffentlich gemacht werden können, schreibt die FDIC. Barclays wäre in bestehende Verträge von Lehman eingestiegen, was die Unruhe an den Finanzmärkten zumindest gedämpft hätte.
Für Lehman hätte sich so ein besserer Preis erzielen lassen. Die Einlagensicherung glaubt sogar, sie hätte bei einer geordneten Abwicklung unter ihrer Anleitung mehrere starke Angebote möglicher Käufer erhalten. Der geringere Wertverlust der Aktiva Lehmans hätte nach der Analyse die Finanzrisiken gedeckt, welche die FDIC eingegangen wäre. Eventuell doch mögliche Verluste aus der geordneten Abwicklung hätten, so sieht es die Finanzmarktreform vor, die Großbanken an der Wall Street in Gemeinschaftshaftung tragen müssen.
Die Geschichte endete anders als in dieser harmonischen Beschreibung einer geordneten Abwicklung von Lehman Brothers. Die Investmentbank ging unter, die Finanzkrise eskalierte und entwickelte sich zur Weltwirtschaftskrise, an deren Folgen viele Länder noch heute leiden. Wenige Tage nach dem Insolvenzantrag kauften Barclays und das japanische Wertpapierhaus Nomura die Filetstücke von Lehman Brothers für einen günstigen Preis auf. Der Präsident von Nomura, Kenichi Watanabe, sprach von einer Gelegenheit, die sich nur einmal im Leben biete.
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