Katastrophe am Golf: Seit dem 20. April, dem Tag der Explosion der dann später auch gesunkenen Ölplattform "Deepwater Horizon", strömt Öl nahezu ungehindert ins Meer und gelangt an die Küsten der Anrainerstaaten. Mittlerweile sind alle US-Bundesstaaten von der Ölpest betroffen. Bislang hat BP mehr als drei Milliarden Dollar zu Bewältigung der Katastrophe aufgebracht.
Die Ölpest kann BP bis zu 60 Milliarden Dollar kosten, rechnen Analysten vor. Kein Wunder, dass Gerüchte über eine Zerschlagung oder feindliche Übernahme die Runde machen. Doch die Experten stimmen in den Abgesang nicht ein. Im Gegenteil: Mit Glück könnte BP die Krise sogar aus eigener Kraft bewältigen.
Hamburg - Der Riese BP schwankt seit Monaten, aber er stürzt nicht. Und so mancher Beobachter zweifelt gar, ob es überhaupt jemals dazu kommt - allen düsteren Szenarien zuletzt zum Trotz. Doch die Stimmung ist schlecht: Der Aktienkurs halbiert und ein Ende der Ölpest im Golf von Mexiko nicht in Sicht. Auf derlei Boden sprießen Spekualtionen. Zum Beispiel über astronomische Kosten, die BP strangulieren werden. Über Wettbewerber, die BP feindlich übernehmen. Über den Ausverkauf und die Zerschlagung des einstigen britischen Aushängeschilds. Experten jedoch wollen in den Abgesang nicht einstimmen. "BP wird am Ende dieses langen Prozesses vielleicht ein anderes Unternehmen sein. BP wird die Krise aber überleben", sagt Rainer Wiek, Chefredakteur des Energie Informationsdienst (EID) und spricht damit auch für die meisten Analysten.
Die Zukunft von BP wird nüchtern betrachtet in erheblichem Maße von seinem künftigen Kapitalbedarf abhängen. Wie hoch dieser Bedarf ist, wird wiederum stark vom Verhältnis der Kosten für das Ölsdesaster im Golf und den liquiden Mitteln und Vermögenswerten bestimmt.
Niemand kann derzeit garantieren, dass sich über die geplanten Ersatzbohrungen das Leck in 1600 Meter Tiefe in wenigen Wochen mit Beton tatsächlich schließen lässt. Selbst wenn dies gelänge, weiß auch niemand genau, welche Forderungen auf BP noch zurollen werden. Das lässt sich nur schätzen, und auch immer nur auf Basis halbwegs aktueller Informationen, wie Analysten betonen.
Analysten schätzen Kosten der Ölpest auf bis zu 60 Milliarden Dollar
Vorsichtig optimistisch argumentierende Experten wie Achim Wittmann von der LBBW gehen derzeit davon aus, dass sich das Loch im August schließen lässt. Damit würden für BP geschätzte Kosten und Schadenersatzforderungen zwischen 50 und 60 Milliarden Dollar entstehen. Pessimisten taxieren die Summe auf bis zu 100 Milliarden Dollar. Müsste der Konzern das Geld sofort und auf einen Schlag berappen, hätte er ein existentielles Problem.
Doch so rechnen die Experten nicht - und vermutlich auch BP nicht. Denn den Kosten und kalkulierten Forderungen stehen auf der anderen Seite mögliche Erlöse von zehn Milliarden Dollar durch den geplanten Verkauf von Randaktivitäten gegenüber. Versilbern könnte BP seinen 60-Prozent-Anteil am argentinischen Ölförderer Pan American Energy. Aber auch Gasaktivitäten auf dem US-Markt könnte der Konzern zur Disposition stellen und ebenso Lizenzen, sagen Analysten im Gespräch mit manager magazin. Dass BP womöglich Tankstellennetze - zum Beispiel Aral in Deutschland - auf den Markt werfen wird, daran glaubt niemand so recht. "Das ist zu lukrativ und definitiv kein Randgeschäft", sagt der Analyst einer anderen großen Landesbank.
An Liquidität fehlt es BP nicht
Zudem will BP für das laufende Jahr keine Dividende zahlen, womit weitere neun Milliarden Dollar in der Konzernkasse blieben, rechnet Wittmann von der LBBW vor. Und selbst in der Krise verdient BP gutes Geld, wie auch andere Experten betonen. Sie schätzen BPs operativen Cashflow beim aktuellen Ölpreisniveau in diesem Jahr auf gut 30 Milliarden Dollar. An Liquidität dürfte es BP also nicht fehlen. Ganz zu schweigen von den bestätigten Ölreserven, deren Wert die Experten der Société Générale konservativ gerechnet mit 20 Milliarden Dollar veranschlagen.
2. Teil: Keine Kapitalerhöhung - Staatsfonds als Ankerinvestor?
Aus gegenwärtiger Sicht könne BP den Schaden tragen, sagen daher LBBW-Analyst Wittmann und sein Kollege von der anderen großen Landesbank. Zumal sich die geschätzten Kosten von 60 Milliarden Dollar über eine ganze eine Reihe von Jahren verteilen dürften. Der Verweis auf die Geschichte wirkt zynisch. Aber der Fall "Exxon Valdez", die im Jahr 1989 bislang schwerste Ölkatastrophe nach einer Havarie, ging für den Konzern Exxon Mobil vergleichsweise glimpflich aus: Nach jahrelangen Prozessen musste Exxon nur noch einen Bruchteil der einst geschätzten Kosten begleichen.
So oder ähnlich wird derzeit vermutlich auch BP kalkulieren, es offiziell aber nie einräumen. "Das Unternehmen sieht sich derzeit jedenfalls in der Lage, die finanziellen Lasten der Katastrophe am Golf ohne neue Aktien stemmen zu können", kommentiert Wiek Aussagen des BP-Managements vom Dienstag, eine Kapitalerhöhung sei definitiv nicht geplant.
Gleichwohl bemüht sich der Konzern allem Anschein nach um einen strategischen Investor im Mittleren Osten. Dortige Zeitungen und auch britische Blätter bringen vor allem die Staatsfonds von Abu Dhabi, Katar und Kuwait ins Gespräch, die angeblich einen Einstieg bei BP prüften oder ihren Anteil ausbauen wollten. Selbst der Staatsfonds Libyens, der Libyan Investment Authority (LIA), vom ehemals verhassten politischen Gegner Muammar el Gaddafi Gaddafi sei angeblich mit von der Partie.
"BP aus strategischer Sicht für einen arabischen Staatsfonds interessant"
Im Gegensatz zu den ebenfalls kolportierten Übernahmegerüchten durch einen Wettbewerber räumen die meisten Analysten dieser Variante noch die größte Wahrscheinlichkeit ein. "Ein langfristig orientierter, strategischer Partner aus dem Mittleren Osten könnte Ruhe in das Unternehmen bringen. Eine feindliche Übernahme werden dagegen weder die Aktionäre von BP noch die britische Regierung zulassen", sagt stellvertretend Stipo Bralo von der SEB.
"Es ist bekannt, dass diese Staatsfonds über ausreichend Geld verfügen und in Europa nach solchen Unternehmen suchen", erklärt Christoph Schalast, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. Aus strategischer Sicht sei BP für Staatsfonds aus dem Mittleren Osten interessant, auch wegen der Nähe zur eigenen Ölindustrie, meint der Spezialist für Unternehmensübernahmen und Staatsfonds.
3. Teil: "BP muss eine Übernahme nicht fürchten"
Es wäre indes kein Novum, wenn sich ein arabischer Großinvestor an einem europäischen Energiekonzern beteiligte. So hält die International Petroleum Investment Company (IPIC) aus Abu Dhabi rund 47 Prozent am spanischen Ölkonzern Cepsa und 20 Prozent am österreichischen Ölkonzern OMV. Zudem war die Kuwait Investment Authority (KIA) bereits Ende der 80er Jahre nach einer Teilprivatisierung von BP mit rund 22 Prozent an dem britischen Ölkonzern beteiligt. Gut zehn Jahre später verkaufte KIA einen Großteil seiner Beteiligung und hält jetzt noch knapp 2 Prozent an BP.
Staatsfonds aus dem arabischen Raum gelten laut Schalast als langfristig orientierte Investoren, die sich wohlwollend gegenüber dem jeweiligen Management verhielten. Für einen Konzern in einer Krisensituation gebe es von daher eigentlich nichts Besseres, als sich einen dieser Staatsfonds an Bord zu holen. "Er wird relativ wenig Einfluss nehmen und eher ein passiver Investor sein."
Die These, dass einer dieser Staatsfonds für BP den "weißen Ritter" spiele, um den Konzern vor einer Übernahme durch einen Wettbewerber zu schützen, teilt indes auch Schalast nicht. "Ich glaube nicht, dass BP derzeit Angst vor einer Übernahme haben muss und deshalb einen weißen Ritter braucht." Zum einen verfüge BP derzeit noch über ausreichend Kapital. Und zum anderen würde ein Wettbewerber die mit der Ölkatastrophe verbundenen Risiken derzeit nicht übernehmen wollen, glaubt der M&A-Experte.
Wenn gar nichts mehr geht, hilft London
Aber auch ein arabischer Staatsfondmanager werde die möglichen Risiken seines BP-Investments zuvor sehr kritisch prüfen, ist Schalast überzeugt. Denn dafür hätten diese Fonds, als sie zu Beginn der Finanzkrise mehrfach strauchelnden Banken in Europa und den USA zur Hilfe eilten, "einfach zu viel Lehrgeld gezahlt".
Bleibt nicht zuletzt der britische Staat, der ein hohes Interesse daran haben dürfte, dass BP nicht im Golf von Mexiko absäuft. Wenn wirklich gar nichts mehr geht, werde die Regierung wie einst den Banken mit Staatsbürgschaften und Notkrediten unter die Arme greifen, glauben viele Beobachter in London. Dies indes weniger aus der Erkenntnis, dass mit BP der letzte britische Großkonzern mit Weltgeltung von der Bildfläche verschwände. Nein, so weit reicht der Patriotismus des ansonsten deregulierungsfreudigen und in Übernahmefragen höchst liberalen Großbritannien nicht. Es sind vielmehr die Ersparnisse von Millionen Bürgern und Rentnern, die London schützen wolle, heißt es. Britische Pensionsfonds und Versicherer zählen mit zu den größten Investoren bei BP.
Fundamentaldaten hin oder her - vielleicht ist dies ja insgeheim der entscheidende Grund, warum die meisten Analysten in dieser spekulativen Gemengelage die Aktie zum Kauf empfehlen.
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