Murphys Technische Analyse ist Gesetz“ (EuramS)
Er gilt als der bekannteste Technische Analyst weltweit: John J. Murphy. €uro am Sonntag sprach mit ihm über seinen Intermarket-Ansatz, die aktuelle Situation an den Aktienmärkten und über die Aussichten für 2008
von Karen Szola
Wenn es um die Technische und die Intermarket-Analyse geht, führt kein Weg an ihm vorbei: John J. Murphy. Obwohl der US-Amerikaner in den vergangenen Jahren öffentlich weniger in Erscheinung trat, bleiben vor allem seine Bücher Rüstzeug eines jeden Charttechnikers. So ist sein Werk, die "Technische Analyse der Finanzmärkte", bis heute ein Bestseller, welcher auch ehrfürchtig als die Bibel der Technischen Analyse bezeichnet wird. Die Originalversion wurde 1985 unter dem Namen "Technical Analysis of the Futures Markets" veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung folgte 1999. Daneben finden sich weitere Bücher wie die "Visuelle Aktien-Analyse" und die "Neue Intermarket-Analyse".
Murphys wegweisende Arbeit ist nicht nur die Vorlage für das Prüfungsprogramm der Market Technicians Associates (MTA), der Technischen Analystenvereinigung Amerikas, auch die amerikanische Notenbank zitierte sie in einigen Studien, die den technischen Ansatz bestätigten.
Seine Karriere startete Murphy Ende der 60er-Jahre als Aktienanalyst. Später, ab den 70ern, handelte er an den Terminmärkten und erwarb sich im Laufe der Zeit einen Namen durch seine Auftritte bei Bloomberg TV, CNBC und CNN. Die Bezeichnung Technischer Analyst hört er nicht gern. Marktanalyst treffe die Sache eher.
Dass die internationalen Finanzmärkte in einem engen Zusammenhang stehen, ist spätestens seit der Globalisierungsdebatte offenkundig. Die immer intensivere Verzahnung der Märkte für Güter und Dienstleistungen wird begleitet von einer immer intensiver werdenden gegenseitigen Beeinflussung der globalen Finanzmärkte. So zeigt das Beispiel der Carrytrades, wie sich die große Zinsdifferenz zwischen Japan und dem Rest der Welt auf die Rohstoffpreise, Futures und die Aktienpreise weltweit auswirkte.
Gegenseitige Abhängigkeiten von Finanzmärkten, Korrelationen und die typischen Reaktionsmuster sind Murphys Thema. Eine besondere Rolle spielen für ihn die Terminbörsen. Frühwarnsignale etwa zu Inflations- und Zinstrends werden üblicherweise zuerst dort zu sehen sein. Chartmuster sind Murphys Instrument, um in seinem Intermarket-Ansatz das Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten zwischen den Märkten zu entdecken und darzustellen. Dieses Zusammenspiel zu verstehen ist für Murphy Voraussetzung für eine erfolgreiche Investitionsentscheidung. Demnach stellt die Technische Intermarket-Analyse die Brücke zwischen der Fundamentalen und der Technischen Analyse dar.
€uro am Sonntag: Wie hat sich Ihr Verständnis von der gegenseitigen Beeinflussung aller Märkte entwickelt?
John J. Murphy: Die Erkenntnis kam während meiner Tätigkeit an den Terminmärkten. Dort handelten wir nicht nur mit Futures auf Aktien oder Rohstoffe, sondern ebenso auf Währungen und Anleihen. Wir waren übrigens die Einzigen zu dieser Zeit, die alle Future-Märkte abdeckten. Dabei fiel mir beispielsweise die Korrelation von Aktien und Anleihen auf: Stiegen die Aktien, so entwickelten sich die Bonds gegenläufig und umgekehrt. Auch entdeckte ich die Abhängigkeit zwischen den Rohstoffpreisen und den Anleihen, die sich im Einklang bewegen. Und das ist auch sinnvoll: Ansteigende Rohstoffpreise sind inflationär, die unter normalen Umständen einen Anstieg der Zinsrate nach sich ziehen. Doch steigende Zinsen sind Gift für den Aktienmarkt. So realisierte ich, dass Rohstoffe der führende Einflussfaktor für Anleihen und Aktien sind. Später fand ich außerdem heraus, dass die Währung fällt, wenn Rohstoffe steigen.
€uro am Sonntag: Funktioniert der von Ihnen vor 23 Jahren beschriebene Intermarket- Ansatz noch heute?
Murphy: An den Verflechtungen und dem Zusammenwirken der Märkte untereinander hat sich nichts geändert. So sind die Wirkungen von Inflation auf Gold und US-Dollar, steigende Zinsen auf die Anleihekurse nach wie vor gegeben. Nur die Vorlaufzeiten haben sich etwas geändert.
€uro am Sonntag: Stimmen Sie der These von der Entkopplung der amerikanischen von den europäischen Aktienmärkten zu?
Murphy: Nein, völliger Unfug. Hat nicht gerade die Krise an den Aktienmärkten gezeigt, dass das Schicksal der Weltwirtschaft noch immer am US-Markt hängt?
€uro am Sonntag: Wie beurteilen Sie den alten und neuen Chef der amerikanischen Federal Reserve Bank (Fed)?
Murphy: Alan Greenspan ist ein "Marketwatcher", einer, der sich die Märkte ganz genau ansieht. Ben Bernanke würde ich eher in seiner Funktion als Akademiker bezeichnen ...
€uro am Sonntag: Gibt es Indikatoren oder Methoden, die Ihnen kontinuierlich zuverlässige Ergebnisse liefern?
Murphy: Mein Grundsatz, an dem sich im Laufe der Jahre überhaupt nichts geändert hat, lautet: Die einfachen Dinge sind die besten und wirkungsvollsten. Gern arbeite ich bei meinen Analysen mit Trendfolgern wie einfachen gleitenden Durchschnitten. In unsteten Marktperioden, wenn die Kurse über Wochen oder Monate seitwärts laufen, bilden Oszillatoren, wie etwa der MACD, die Kursbewegungen sehr genau ab. Zudem benutze ich den Relative- Stärke-Index sowie die Fibonacci Retracements. Außerdem bevorzuge ich für eine eingehende Analyse immer auch eine langfristige Sichtweise, die die Charts auf Monatsbasis darstellt.
€uro am Sonntag: Wie schätzen Sie die aktuelle Marktlage ein?
Murphy: Die neuerliche Zinssenkung der US-Notenbank auf nunmehr drei Prozent sollte die Märkte langsam zur Ruhe kommen lassen. Würde die Europäische Zentralbank nachziehen, hätte ich dennoch ein weitaus besseres Gefühl.
€uro am Sonntag: Was raten Sie den Anlegern in der momentanen Situation?
Murphy: Vor Monaten bereits haben wir unserer Klientel geraten, in defensive Branchen wie Nahrungsmittel, Telekommunikation und Gesundheit zu investieren. Versorger und Chemiekonzerne gehören teilweise ebenso dazu. Auch den Gold-Aktien bleiben wir gewogen. Außerdem sollte der Fokus verstärkt auf Anleihen liegen. Schon seit einigen Jahren befindet sich der Rohstoffsektor im Aufwind. Gerade bei Agrarrohstoffen wie Mais, Weizen oder Baumwolle sollte dieser Trend weiter anhalten. Des Weiteren könnten spekulativ ausgerichtete Investoren, vorausgesetzt der Boden ist erreicht, erste Positionen in Finanzpapieren wagen.
€uro am Sonntag: Haben wir denn den Boden bereits gesehen?
Murphy: Da bin ich mir nicht so sicher. Die Technik deutet mittelfristig darauf hin, dass weitere Abwärtswellen folgen werden. Insgesamt befinden wir uns in einem Bärenmarkt.
€uro am Sonntag: Wie schätzen Sie die Aussichten für 2008 ein?
Murphy: Derzeit erleben wir eine große Sektorenrotation. Die Portfolios werden nun sicherheitsorientiert ausgerichtet. So werden jene Titel verkauft, die in irgendeiner Weise am Wirtschaftszyklus hängen. Mit der Verschlechterung der Konjunkturaussichten trüben sich auch die Gewinnerwartungen dieser Konzerne ein, die von einem guten Investitionsklima abhängig sind. Für das letzte Quartal wird für die US-Wirtschaft nurmehr mit einem realen Wachstum von knapp über null Prozent gerechnet. In einer Rezession stehen zyklische Aktien nicht auf dem Einkaufszettel der Investoren.
€uro am Sonntag: Sind wir denn schon in einer Rezession?
Murphy: Ich denke, wir sind schon mittendrin, was sich ja auch an den Aktienmärkten gezeigt hat. Konjunktursensible Aktien wie der Maschinenbau gingen in die Knie, während die Versorger oder die Chemie- und Pharmaunternehmen seit Jahresbeginn sogar zulegen konnten. In Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs gibt es immense Performance-Unterschiede zwischen konjunkturabhängigen und -unabhängigen Titeln. Daher ist Stockpicking für die Anleger derzeit so wichtig.
€uro am Sonntag: Sind Sie heute noch in den Märkten aktiv?
Murphy: An der Wall Street bin ich nicht mehr aktiv. Aber als Teilhaber des Internetportals www.stockcharts.com, das vom führenden Magazin "Technical Analysis Stocks & Commodities" seit 2002 regelmäßig von seinen Lesern zur besten Homepage der Technischen Analyse gewählt wird, gebe ich unseren Kunden nach wie vor Markteinschätzungen und Anlageempfehlungen. Obwohl wir dort auch einen kostenpflichtigen Dienst anbieten, steht ein Großteil der Analysetools den Nutzern kostenfrei zur Verfügung
Gruss Ice
Börsengewinne sind Schmerzengeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld...(A.K.)