Nanotechnologie, die Entwicklung mikroskopisch kleiner Bauteile, hat sich zum neuesten Geheimtipp an der US-Börse entwickelt. Nano-Firmen erlebten in den vergangenen zwölf Monaten einen stillen Boom. Experten warnen vor einer neuen Aktien-Blase.New York - Sie nennen ihn den "Midas der Startups". Und tatsächlich wird bisher alles, was der Biotech-Forscher Howard Birndorf aus San Diego anfasst, zu Gold. 1978 gründete er mit einem Freund die Krebsmedizin-Firma Hybritech und verkaufte sie acht Jahre später für 400 Millionen Dollar an den Großkonzern Eli Lilly. Gen-Probe, Idec und Ligand, drei weitere seiner "Babys", wie er sie nennt, sind heute Milliarden wert. Und sein jüngstes Ziehkind Nanogen, dessen CEO er ist, mausert sich trotz roter Zahlen zum heimlichen Börsenstar: In zwölf Monaten schwoll der Kurs von 1,16 auf 7,25 Dollar - ein Anstieg um 525 Prozent.
Birndorfs Geheimnis: Nanotechnologie. Die Entwicklung mikroskopisch kleiner Bauteile ist längst kein obskures Hobby der Forscher mehr. Sie entwickelt sich, wenn auch noch vorsichtig, zum Riesengeschäft. Die Spezialfirma Nanogen etwa nutzt die winzigen Bauteile in Geräten, die Defekte im Erbmaterial aufspüren sollen.
Nanotechnologie
"Nanos" kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Zwerg". Ein Nanometer ist ein milliardstel Meter - also zehntausendfach kleiner als ein Millimeter. Das ist etwa so viel wie sieben Goldatome nebeneinander oder ein Haar, in 50.000 Stücke zerteilt.
Die Nanotechnologie beschäftigt sich mit der Analyse und Bearbeitung von Kleinstmaterialien und basiert auf komplizierten chemischen Prozessen.
Wie einst die Raumfahrt die Teflon-Pfanne gebar, profitieren heute immer mehr Industrien von der Kunst, mit Materialien umzugehen, die nicht größer sind als ein Hunderttausendstel eines Haares: Computer, Medizin, Energie, Haushalt, Medien, sogar die Modebranche, die ihre Stoffe nano-verfeinert. Mit der Zugabe von Nano-Teilchen sollen etwa T-Shirts keinen Schweiß mehr annehmen.
"Auf dem Radarschirm des Mainstreams"
Es dauerte nicht lange, bis auch erste Börsenkenner auf den Zug aufsprangen. Nanogen, Nanophase, Nanometrics: "Nano" im Namen zu tragen gilt inzwischen als neuester Insider-Fahrschein zum Erfolg an der Wall Street - ähnlich wie früher "Silicon". "Wir glauben, dass die Nanotechnologie die nächste große Wachstums-Innovation sein wird", sagt John Roy, ein Analyst bei Merrill Lynch.
Allein in 2003 flossen über 400 Millionen Dollar in Nano-Startups. Die ersten großen Nano-IPOs werden nächstes Jahr erwartet. Bis 2015, so schätzt Credit Suisse First Boston, dürfte der Nano-Markt einen Wert von einer Billion Dollar erreichen. "Jeder will Nano", schreibt der "Boston Globe", in dessen Heimatstadt sich dieser Tage 2000 Experten zur bisher größten Nanotechnologie-Konferenz versammelten.
Seit zwei Wochen bietet das Fondshaus First Trust Portfolios einen Nanotech-Investmentfonds namens NATE1 an - auf dass alle Anleger "die Chance haben, an der potenziellen Wertentwicklung dieser aufkeimenden Technologie zu profitieren". Für den Investment-Newsletter "Motley Fool" ist dies ein klares Zeichen, "dass Nano langsam auf den Radarschirm des Mainstreams kommt".
Die 25 Firmen dieses ersten Nanotech-Portfeuilles sind kleine Startups, aber auch Industriekonzerne mit eigenen Nano-Abteilungen wie General Electric, ExxonMobil, Hewlett-Packard, Motorola und IBM. Sie alle stellen die Keimzelle des erhofften neuen Börsenbooms dar.
Howard Birndorf in San Diego zum Beispiel gründete Nanogen bereits 1993. Sein erster Großkunde war das Pentagon, das ihm mehr als zehn Millionen Dollar zur Entwicklung tragbarer Testsysteme für biologische Waffen zur Verfügung stellte. Heute dient der von Birndorf und seinen Kollegen entwickelte Nano-Chip der Verbesserung und Verkleinerung medizinischer Diagnosegeräte. Große Maschinen, die sich einst nur Krankenhäuser leisten konnten, wurden durch den Einbau von wesentlich kleineren Computern so umgebaut, dass sie demnächst auch in Arztpraxen stehen können. Dazu zählt etwa ein Gerät zur Diagnose vererbbarer Taubheit bei Neugeborenen.
Ein weiterer boomender Nano-Wert ist SkyePharma. Das Unternehmen mit Hauptsitz in London nutzt die Technologie, um Medikamente zu verbessern. So zeigte sich eine von SkyePharma optimierte Version des Anti-Depressivums Paxil effektiver als die Originalrezeptur. Mit Hilfe von eingebauten Chips lässt sich das Mittel jetzt genau dosieren und gezielt am Wirkort freisetzen. Seit März 2003 stieg der SkyePharma-Kurs an der Techbörse Nasdaq um 72 Prozent, von 6,76 auf 11,60 Dollar.
Unternehmen ähneln denen des Dotcom-Booms
Das relativ junge Nano-Unternehmen Triton BioSystems, das noch nicht an der Börse gelistet ist, begann ursprünglich als Forschungslabor der US-Armee. Für sie erfand Triton neue Schweißtechniken zur Reparatur von Panzerfahrzeugen und Untergrund-Tanks. Jetzt soll die selbe Technologie, dank 18 Millionen Dollar Venture-Kapitals, in der Medizin zum Einsatz kommen.
Nano-Business
Nanotech-Unternehmen stellen winzig kleine Maschinen und Computer her, deren Größe sich im Nano-Bereich bewegt. Das besondere an Nano-System ist, dass sie Eigenschaften wie biologische Systeme besitzen sollen: Wie Zellen sollen sie sich selbst organisieren, vermehren und an ihre Umgebung anpassen. Anwendungsbereiche der Nanotechnologie sind vor allem die Computerindustrie, Umwelttechnik, Landwirtschaft, Biotechnologie und Medizin.
Ein Ergebnis der Nanotechnologie ist zum Beispiel Autolack, der durch eine Schicht, die nur wenige Atome dünn ist, nicht zerkratzt werden kann. Weitere Errungenschaften sind Küchenoberflächen, auf denen kein Schmutz haftet, Druckertinte, die durch Lichteinstrahlung ihre Farbe verändert oder Glasfenster, deren Lichtdurchlässigkeit elektrisch zu regeln ist. Die Industrie träumt für die Zukunft von Supercomputern, die unter einem Mikroskop kaum noch zu erkennen sind. Sie könnten etwa durch den Körper sausen, um Viren und Bakterien zu vernichten.
So richtig Geld verdienen diese Firmen allerdings (noch) nicht - ähnlich ihren Vorgängern des letzten Dotcom-Booms. Nanogen fuhr im vorigen Jahr, bei gerade mal 6,7 Millionen Dollar Umsatz, dank seiner hohen Produktions- und Patentkosten satte 30,6 Millionen Dollar Verlust ein. Auch das britische SkyePharma erwartet für 2003 - die Jahresbilanz kommt Ende März heraus - mehrstellige Millionenverluste. Die Investoren stört das wenig.
Spätestens in ein paar Jahren, glaubt Merrill-Lynch-Analyst Roy, werde die Nano-Branche Gewinne machen. Andere Experten warnen dagegen vor einem ähnlichen Blasen-Effekt wie bei der Internet-Manie. Noch gebe es in der Sparte enorme "Schwankungen einzelner Firmenwerte", weiß Josh Wolfe, der Herausgeber des Branchenbriefs "Nanotech Report". Dies liege vor allem an der Abhängigkeit der Technologie von Patent- und Urheberrechten, die immer komplizierter und teurer würden. Auch liefen Investoren Gefahr, übers Ohr gehauen zu werden, indem Firmen einfach das Lockwort "Nano" im Namen trügen, ohne sich ernsthaft in der Nano-Forschung zu engagieren.
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