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Die deutschen Biotechfirmen werden zukünftig von öffentlichen Instituten in der Forschung unterstützt. Foto: AP |
FRANKFURT. Öffentliche Forschungseinrichtungen drängen in den Kernbereich der Biotechnologie-Firmen und wollen selbst neue Medikamente entwickeln. Ziel ist es, Finanzierungsengpässe in der frühen Pharmaforschung zu überwinden, die durch den teilweisen Rückzug von Risikokapitalgebern aus der Biotechbranche entstanden sind.
So hat jetzt die führende deutsche Einrichtung der Grundlagenforschung, die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), in Dortmund ein neues Zentrum eingerichtet. Das "Lead Discovery Center" nimmt in wenigen Tagen den Betrieb auf und soll Substanzen als Grundlage erfolgreicher Medikamente erforschen. Die MPG betritt damit erstmals ein Feld, das bisher kleinen Biotechfirmen oder Pharmakonzernen überlassen war.
Dahinter steckt ein sehr deutsches Phänomen: Hiesige Forscher haben viele wichtige Technologien entwickelt, die daraus resultierenden Produkte - etwa MP3- Player - haben dagegen Firmen aus anderen Ländern gebaut. Dies gilt vergleichbar auch in der Biotechbranche. Innovative Unternehmer haben es hier immer schwerer, Risikokapital für Gründungen zu bekommen.
"Die biomedizinische Grundlagenforschung in Deutschland ist Weltklasse. Aber die Umsetzung der Resultate in kommerziell und medizinisch sinnvolle Produkte bleibt weit hinter ihrem Potenzial zurück", sagt Projektleiter Matthias Stein-Gerlach von der MPG.
Die Probleme resultieren vor allem daraus, dass Pharmakonzerne und Finanzinvestoren ihre Strategien verändert haben. Während sie bis Anfang des Jahrzehnts neue Ideen aus der Biotechforschung noch überschwänglich finanzierten, haben sie seither ihr Engagement bei frühen Forschungsprojekten deutlich verringert.
Besonders betroffen ist der Grundlagenbereich ("translational research"). Hier wird auf molekularer Ebene nach Zellfunktionen gesucht, die bei Krankheiten eine Rolle spielen oder sich als Angriffspunkte für neue Medikamente eignen. Daraus entwickeln die Forscher erste Wirkstoff-Kandidaten ("Leads"). Zentrales Problem: Solche Analysen dauern bis zu fünf Jahre und sind mit vielen Unwägbarkeiten verbunden.
"Diese Forschung gilt heute als zu riskant und langwierig, um privates Risikokapital anzuziehen", sagt der amerikanische Ökonom und Biotechfachmann Gary Pisano in einer kritischen Studie zur Struktur der Biotechbranche. So ist in Deutschland die Zahl der Biotech-Neugründungen im vorigen Jahr auf das bisher niedrigste Niveau gesunken (siehe Grafik). "Das ist sehr bedenklich, da kein Nachschub mehr an neuen Ideen und Unternehmen erfolgt", warnen Fachleute von Ernst & Young in ihrem jüngsten Biotech-Branchenreport. Für einen hochinnovativen Sektor wie die Biotechnologie sei ein solcher Nachschub essenziell.
Aus dieser Zwickmühle sucht die Max-Planck-Gesellschaft nun einen Ausweg, indem sie die Lücke zwischen Grundlagenforschung und industrieller Produktentwicklung in eigener Regie überbrückt. "Das ist eine logische Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen. Wir wollen das Risiko mindern, dass Innovationen verlorengehen", sagte Axel Ullrich, der erfolgreichste deutsche Molekularbiologe und Direktor am Max- Planck-Institut für Biochemie.
Das neue Forschungszentrum LCD GmbH in Dortmund soll aus Mitteln der MPG, öffentlichen Fördermitteln und Spenden finanziert werden. Auch eine Beteiligung von Industrieunternehmen und Venture-Capital-Firmen strebt die MPG an. Die Höhe der Investitionen werde von der Zahl der Projekte abhängen. Langfristig will man den Mitteleinsatz durch Lizenzeinnahmen aus der Pharmabranche refinanzieren.
Die Max-Planck-Gesellschaft, vor 60 Jahren als Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet, gilt heute als führende Institution für die Grundlagenforschung in Deutschland. Ihr Etat von zuletzt rund 1,4 Mrd. Euro wird zu mehr als 80 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Mit dem Einstieg in die Medikamentenentwicklung folgt sie einem internationalen Trend. So engagieren sich in anderen Ländern staatliche oder gemeinnützige Institutionen verstärkt im frühen Entwicklungsstadium. Als Vorreiter gilt das amerikanische National Institute of Health (NIH), das hier seit etwa vier Jahren investiert. In Europa ist das schwedische Karolinska Institutet einer der Trendsetter. Die führende Medizin-Universität in Skandinavien hat in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Mill. Euro für junge Unternehmen ausgegeben. Andere Beispiele sind Einrichtungen wie das britische Cancer-Research-Institute oder die belgische Universität Leuven.
Vertreter von Risikokapitalgebern begrüßen die Initiative. "Es gibt damit eine neue Kraft, die Dinge in Richtung Kommerzialisierung zu treiben", sagt Andreas Wicki, Manager der Schweizer HBM Bioventures, die zu den größten Investoren im europäischen Biotechsektor zählt.