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Gretel
BIOTECHNOLOGIE - Aufstieg am flachen Land (EurAmS)
In den USA klettern die Kurse der Biotechs längst. Jetzt geht es auch in Deutschland wieder los. Welche Aktien bei der Aufholjagd dabei sind
von Julia Groß, Euro am Sonntag 06/04
Rechts der Obi-Baumarkt, links der Teppichbodenspezialist Tebo - die Straße ins "bayerische Bio-Valley" ist alles andere als spektakulär. Nichts ist’s mit alpenländischer Idylle, hier ist flaches Land, und zwar in der trostlosen Ausführung - wir sind im Gewerbegebiet von Martinsried bei München, Sitz dreier börsennotierter und einiger Dutzend anderer deutscher Biotech-Firmen.
Trostlos ist auch der Eindruck, den die Branche selbst in den vergangenen Monaten machte. Wechselnde Geschäftsmodelle, zur Neige gehende Barmittel, fehlende Umsätze - positive Meldungen waren Mangelware. Entsprechend mau auch die Stimmung an der Börse. Während Biotech-Aktien in den USA von einem Hoch zum nächsten kletterten - der Nasdaq-Biotech-Index legte in den vergangenen 52 Wochen um mehr als 70 Prozent zu - rührte sich bei den Kursen der Biotechs hier zu Lande lange Zeit recht wenig.
Erst Ende 2003 kam Bewegung in die Branche: Morphosys schloss eine Kooperation mit Pfizer. Medigene erhielt nach langem Warten die erste Produktzulassung und präsentierte mit Yamanouchi einen Vermarktungspartner. Und bezüglich GPC scheint sich die Meinung durchzusetzen, dass die Firma zu niedrig bewertet ist. Gute Nachrichten, die für so manchen Kandidaten mehr als überfällig waren.
Beispiel Morphosys: Der Strategiewechsel vom Technologiezulieferer zum Medikamenten-Entwickler und die neuerliche Kehrtwende kam bei den Aktionären gar nicht gut an. Als die ambitionierte Neuausrichtung aus Geldmangel größtenteils zurückgenommen werden musste, hieß es, alte Kontakte aufzuwärmen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Schließlich und endlich klappte es doch, und dann gleich mit dem weltgrößten Pharmakonzern, Pfizer. Dieser nutzt die Antikörper-Bibliothek der Deutschen, um neue Medikamente zu entwickeln, und vermarktet diese dann. Bis zu 50 Millionen Dollar könnte die auf fünf Jahre angelegte Kooperation für Morphosys abwerfen.
Zunächst zählt aber erst mal das "Upfront Payment" - das Geld, dass Morphosys sofort bar auf die Hand bekommen hat. Denn das dürfte die angeschlagene Cash-Position wieder aufbessern, um wie viel, wird sich bei Vorlage der Jahreszahlen am 26. Februar zeigen.
Das Interesse von Big Pharma an einer Zusammenarbeit hat zugenommen, so zumindest der Eindruck der Martinsrieder. "Speziell, seitdem wir unsere Patentstreitigkeiten geklärt haben", sagt Morphosys-Sprecherin Claudia Gutjahr-Löser. Und es besteht berechtigte Hoffnung, dass bei weiteren guten Nachrichten - etwa der Lizenzvergabe für die beiden Produktkandidaten MOR 101 und 102, die bis Mitte des Jahres fertig sein sollen - auch der Aktienkurs positiv reagiert.
Für Anleger ist dennoch Vorsicht geboten. Zwar hat Morphosys noch einmal die Kurve gekriegt, aber so richtig über den Berg ist die Firma damit noch nicht. Das Geld ist weiter knapp, und man ist dringend auf neue Deals angewiesen, um wie geplant voranzukommen. Ob die Martinsrieder die selbst gesetzten Fristen in ihren Projekten einhalten können, steht in den Sternen.
Der Nachbar Medigene könnte ein Lied davon singen. Monatelang wartete das Unternehmen auf den deutschen Zulassungsbescheid für sein Prostatakrebs-Medikament Eligard, monatelang versprach man, bald einen Vermarktungspartner zu präsentieren. "Wir sind wirklich erleichtert, dass jetzt endlich was vorwärts geht", sagt Medigene-Boss Peter Heinrich. Die Länge der Verhandlen mit Yamanouchi versetzte ihn wohl selbst in Staunen: "Es ist schier unglaublich, wie viele Einzelheiten bei so einer Vermarktungspartnerschaft festgelegt werden müssen." Die Entscheidungswege bei dem japanischen Pharma-Unternehmen kosteten zusätzliche Zeit. Nun können erste Umsätze mit Eligard fließen, was etwas Druck von der angespannten Finanzlage nimmt.
Doch auch Medigene braucht weitere Partner: etwa für Polyphenon, das in der klinischen Erprobung (Phase 3) befindliche Mittel gegen Genitalwarzen, oder für seine Antitumor-Viren. "Zur Polyphenon-Studie werden wir demnächst Interims-Daten veröffentlichen, Ende des Jahres kommen dann die endgültigen Ergebnisse", sagt Pressesprecherin Julia Hofmann. Weitere - potenziell den Aktienkurs beflügelnden - Nachrichten sind bei Medigene nicht absehbar. Die Investmentbank Goldman Sachs stufte das Papier deshalb auf Verkaufen herab.
Dafür erleben Aktien von Zulieferern der Biotech- und Pharma-Industrie gerade eine Art Renaissance. So hat sich das Papier des Hamburger Forschungs- und Entwicklungsdienstleisters Evotec OAI im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht. Evotec hatte angekündigt, 2003 ein positives Ergebnis nach Steuern und Abschreibungen zu erzielen. Die gute Nachricht scheint mittlerweile im Aktienkurs eingepreist, die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg halten das Unternehmen bereits für überbewertet. Sie glauben, dass Evotec die ehrgeizigen mittelfristigen Wachstumsziele wegen ungünstiger Wechselkurse und der Zurückhaltung der Pharmakunden nicht erfüllen kann.
Ein Comeback auch bei der niederländischen Qiagen: Nach dem Gewinneinbruch von 2002 scheint der Marktführer bei Produkten und Technologien zur Isolierung und Reinigung von Nukleinsäuren - wichtig für die Behandlung von Diabetes, Arteriosklerose und Krebs - zu alter Stärke zurückzufinden. Für 2004 peilt der frisch gebackene Vorstandsvorsitzende Peer Schatz zweistellige Wachstumsraten bei Gewinn und Umsatz an. Er will vor allem die Aktivitäten in der molekularen Diagnostik ausbauen. Vorteil: Das teure und langwierige Zulassungsverfahren ist hier nicht erforderlich.
Die Qiagen-Aktie ist zuletzt gut gelaufen. Doch spielt der Konzern in puncto Marktposition und Größe in einer anderen Liga als der Rest der deutschen Biotechs. Viele Experten gestehen Qiagen darum eine Prämie zu.
Dennoch - die meisten institutionellen Anleger schwören nach wie vor auf die Medikamentenhersteller. Hier hat sich GPC Biotech in jüngster Zeit zum Liebling der Experten entwickelt. Die Bayern entpuppen sich immer mehr als wahre Musterknaben: GPC hat nicht nur reichlich Geld auf der hohen Kante (97,5 Millionen Euro Ende September 2003), sondern mit Satraplatin auch ein Phase-3-Produkt mit einem Marktpotenzial von über 500 Millionen Dollar.
Die Zulassung dieses Krebsmittels gilt als vergleichsweise sicher, was auch ein Verdienst des GPC-Managements ist. Man erkannte das Potenzial des Chemotherapeutikums und nutzte die schwache Verhandlungsposition der nahezu bankrotten Erfinder Spectrum Pharmaceuticals aus, um günstig an die Lizenz zu kommen. Es gelang GPC auch, in Zulassungsfragen erfahrene Ex-Pharma-Manager von Bristol-Myers Squibb ins Team zu locken. Was sich bereits ausgezahlt hat: Clever angelegte klinische Studien bescherten Satraplatin ein beschleunigtes Zulassungsverfahren bei der US-Behörde FDA.
Nun sind auch Investoren in den USA aufmerksam geworden. Da dort vergleichbare Firmen mit einem Phase-3-Produkt einen Aufschlag erhalten, gilt GPC als unterbewertet. Kein Wunder, dass Vorstands-Chef Bernd Seizinger über kurz oder lang eine Listung an der Nasdaq ins Auge fasst.
Ein potenzieller Kurstreiber ist auch die Produkt-Pipeline der Martinsrieder. Denkbar sind Kooperationsverträge mit Pharma-Unternehmen für Satraplatin oder den demnächst in die Klinik gehenden Tumor-Antikörper, aber auch Zukäufe neuer Produkte. "Wir könnten schon in kurzer Zeit über eine wesentlich breitere, diversifizierte Pipeline verfügen", gibt GPC-Sprecher Martin Brändle zu bedenken. Für Goldman Sachs reichte die Fülle der Impulse, um die Aktie ungeachtet des jüngsten Kursanstiegs auf Kaufen hochzustufen.
Für Anleger gibt es also in der deutschen Biotech-Szene durchaus einige Lichtblicke. Und davon könnte es noch mehr geben, falls sich das eine oder andere Unternehmen zum Gang an die Börse entschließt (siehe Kasten). Die USA haben auch hier eine Steilvorlage geliefert: Ende Januar erzielte Eyetech Pharmaceuticals an der Nasdaq einen Ausgabepreis von 21 Dollar - und damit über der erwarteten Preisspanne von 18 bis 20 Dollar. Am ersten Handelstag schoss der Kurs zudem um 54 Prozent in die Höhe. Kein schlechter Start. «
Die BB-Taktik
Mit einer im TecDAX notierten Aktie an der Entwicklung erfolgreicher (meist amerikanischer) Biotech-Unternehmen partizipieren - das ist die Idee, die hinter BB Biotech steckt. Im vergangenen Jahr enttäuschte die Performance allerdings, unter anderem wegen der Kursverluste durch den starken Euro und die zeitweise immer größer werdende Spanne zwischen dem BB-Biotech-Kurs und dem "inneren Wert" der Beteiligungen. Um die Aktionäre für diesen Discount zu entschädigen, wird BB Biotech (ebenso die Schwestergesellschaft BB Medtech) künftig eine jährliche Dividende ausschütten, die sich an dem jeweiligen Abschlag orientiert. Für 2003 sind das 1,60 Euro pro Aktie. Diese Maßnahme sowie eine dynamischere Portfolio-Mischung dürfte die Attraktivität der BB-Biotech-Aktie deutlich erhöhen.
Die Branche in DeutschlandMittlerweile gibt es in Deutschland über 550 Biotech-Unternehmen. Das sind, auch im europäischen Vergleich, recht viele. Doch der Branche mangelt es immer noch an Reife - mit Medigene hat erst jetzt ein deutsches Unternehmen das erste Medikament auf den Markt gebracht. Der Abstand zur amerikanischen Konkurrenz, wo die Anzahl von profitablen oder kurz vor dem Break-even stehenden Firmen einfach viel größer ist, hat sich kaum verkürzt. Weniger als 20 deutsche Unternehmen sind börsennotiert, das oft zitierte "geschlossene IPO-Fenster" hat vielen Gesellschaften einen Strich durch den Börsengang gemacht. Für Anleger hat das jedoch durchaus Vorteile: Die Biotech-Firmen, die in den kommenden Monaten und Jahren an die Börse gehen möchten, haben zum Teil deutlich mehr zu bieten als der vergangene "IPO-Jahrgang".
Wertpapiere des Artikels:
QIAGEN N.V.
GPC BIOTECH AG
MEDIGENE AG
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