Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf...
Lucas Zeise: Sinnlose Lohndrückerei Financial Times Deutschland 15.5.07
Der Telekom-Vorstand handelt mit seinen Sparmaßnahmen nicht einmal im Interesse der Aktionäre. René Obermann ist keinesfalls zur Stellen-Auslagerung gezwungen.
Es scheint unabwendbares Schicksal: René Obermann, den Schicksalsmächte vor ein paar Monaten zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom machten, sieht sich gezwungen, 50.000 Beschäftigte aus dem Unternehmen zu entfernen und sie in formal unabhängigen Tochtergesellschaften für weniger Geld länger arbeiten zu lassen.
In Wirklichkeit kann von Zwangsläufigkeit keine Rede sein. Der Ausgliederungsplan ist ein schlichter Versuch, durch Senkung der Personalkosten ein wenig mehr Gewinn herauszuholen. Der Hinweis, dass die Konkurrenten des Unternehmens ihre Angestellten bei schlechteren Arbeitsbedingungen oft schlechter entlohnen, trifft zwar zu. Es trifft auch zu, dass die Telekom laufend Festnetzkunden verliert. Bloß taugen diese Fakten nicht, um die Sparmaßnahmen zu begründen. Dass die Telekom Kunden verlieren sollte, war ein Ziel der Deregulierung des Sektors. Die Politik wollte kein Monopol mehr. Ein Teil der Kundschaft verabschiedet sich zudem überhaupt vom Festnetzanschluss - und da die Telekom auch im Mobilfunk in Deutschland Marktführer ist, greift sie dabei den größeren Teil der Gebühren aus der steigenden Mobiltelefoniererei selbst ab.
Grauenhaft schlechter Service
Manche Kunden wenden sich ab, weil der Service der Telekom so grauenhaft schlecht ist. Da leuchtet es schon gar nicht ein, warum das besser werden soll, wenn man dort Beschäftigte ausgliedert, demütigt und schlechter bezahlt.
Obermann argumentiert, die Konkurrenz könne ihm dank niedrigerer Löhne mit billigen Angeboten Kunden abjagen. Tatsächlich spielt diese Kostendifferenz nur eine Nebenrolle. Auch wenn sie ihre Angestellten besser bezahlen müssten, würden diese Unternehmen versuchen, durch Lockangebote Markteinteile zu erobern. Die Telekom wiederum ist nicht durch hohe Kosten daran gehindert, voll in den Preiswettbewerb zu gehen, sondern durch die Regulierungsbehörde: Der Marktführer darf aus Wettbewerbsgründen nicht mit Kampfpreisen die kleineren Anbieter kaputt konkurrieren.
Um welche Größenordnung geht es bei den geplanten Maßnahmen überhaupt? Ausgegliedert werden sollen 50.000 der im Inland Beschäftigten. Sie sollen im Schnitt zwei Stunden in der Woche länger arbeiten und neun Prozent weniger Lohn erhalten. Pro Beschäftigten könnte der Konzern, wenn alles glatt geht, damit im Jahr 10.000 Euro sparen. Das ergäbe in der Summe 500 Mio. Euro im Jahr. Das ist ein hübsches Sümmchen.
Für ein Unternehmen, das mehr als das Sechsfache dieses Betrags jährlich ausschüttet, ist die Behauptung allerdings kühn, diese Sparmaßnahmen seien zwingend. Die Telekom schüttet ohne Not mit 3,1 Mrd. Euro einen außergewöhnlich hohen Betrag aus. Sie preist diese Tatsache und die hohe Dividendenrendite der Aktie von über fünf Prozent in der Tat als besonders attraktiv an. Die Ausschüttung ist auch gemessen am Geschäftsvolumen sehr hoch. Sie macht fünf Prozent des Konzernumsatzes aus. Es besteht kein Zwang, ein so außergewöhnlich hohes Ausschüttungsniveau beizubehalten. Es dient offensichtlich der Befriedung der Aktionäre, die vom Aktienkurs enttäuscht sind.
Ist diese Logik an sich schon pervers, so kommt in diesem Fall noch dazu, dass sie in sich nicht stimmig ist. Der Aktienkurs wird auch durch die Aussicht auf eine im nächsten Jahr um 500 Mio. Euro erhöhte Dividendenzahlung nicht in die Gänge kommen. Die gern wiederholte These von der unterbewerteten Telekom ist ohnehin nicht haltbar. Das Papier ist mit dem aktuellen Kurs von wenig unter 13 Euro fast mit dem 16-Fachen der in diesem Jahr erwarteten Gewinne bezahlt. Für ein Unternehmen, das in einem reifen Markt tätig ist und über kein nennenswertes Wachstumspotenzial verfügt, ist diese Bewertung sensationell hoch.
Anleger, die aufgrund der werblichen Anstrengungen verschiedener Bundesregierungen noch Telekom-Aktien im Depot haben, erinnern sich mit Wehmut an die Periode um die Jahrtausendwende. In dieser merkwürdigen Zeit wurden Telekomwerte mit mehr als dem hundertfachen Gewinn bezahlt. Das aber war schlicht kollektiver Wahnsinn, der bei Telekommunikations- und Internettiteln besonders absurde Blüten trieb.
Ende des Kurshöhenflugs
Es besteht heute kein Grund zur Annahme, die Telekom-Aktie könnte die Kurshöhenflüge von damals wiederholen. Auch durch die jetzt betriebene fantasielose Lohndrückerei wird der Aktienkurs nicht in Fahrt kommen.
Es liegt damit auch im Interesse der Aktionäre, dass der Vorstand der Telekom die sinnlose Lohndrückerei bald aufgibt. Den Beschäftigten, die jetzt streiken, und ihrer Gewerkschaft Verdi sollte die Allgemeinheit viel Erfolg wünschen. Denn es ist bekanntlich nicht die Telekom allein, die für immer schlechtere Arbeitsbedingungen bei immer mehr Arbeitnehmern steht. Ihre Taktik der Ausgliederung ist seit Jahren beliebt. Auf diesem Wege werden effizient alte Tarifverträge umgangen, werden die Gewerkschaften entmachtet und die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte ausgehebelt.
Wenn die Maßnahme des Vorstands bei der Telekom gelingt, begibt sich die gesamte Branche auf den Weg in die prekäre Beschäftigung. Immerhin ist bei diesem Post-Nachfolgeunternehmen die Gewerkschaft noch relativ stark, der Organisationsgrad noch hoch. In anderen Betrieben sieht es schlechter aus. Die Entwicklung zu weiter sinkenden Löhnen ist keineswegs vorgezeichnet. Sie lässt sich verhindern.
Die Bundesregierung zum Beispiel kann eigentlich kein Interesse an einem weiter sinkenden Lohnniveau in diesem Lande haben. Sie könnte entsprechend handeln. Einen Mindestlohn flächendeckend einzuführen wäre ein erster richtiger Schritt. Ein zweiter wäre, im Personalüberlassungsgesetz festzulegen, dass Zeitarbeiter den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten müssen. Schließlich könnte Staatssekretär Thomas Mirow als Vertreter des Großaktionärs Bund den Herrn Obermann sanft am Arm fassen und ihm den guten Rat geben, sich in puncto Lohndrückerei zu mäßigen.
Aus der FTD vom 15.05.2007
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Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.