Goldene Zeiten
Im Film «Elizabeth» leitet die Niederlage der Armada den Niedergang des spanischen Imperiums ein. Droht den USA und dem Westen im 21. Jahrhundert das gleiche Schicksal?
Philipp Löpfe, Kolumnist der «SonntagsZeitung», schreibt exklusiv für Tages-Anzeiger Online über Themen aus der Wirtschaft.
Dekadente Regimes wie das des spanischen Kaisers Philipp II. sind dem Untergang geweiht. Tugendhafte Nationen wie das England von Königin Elizabeth I. setzen sich durch, auch wenn sie militärisch scheinbar hoffnungslos unterlegen sind. Das ist die Lektion, die uns der Regisseur von «Elizabeth – The Golden Age» vermitteln will. Dabei geht es um mehr als Spektakel mit historischem Hintergrund. Die Anspielungen auf das 21. Jahrhundert sind offensichtlich: Der Westen und vor allem die USA sind im Begriff, gegen die Herausforderer aus dem Osten zu verlieren. Wie weit kann sich Hollywood bei dieser Moralpredigt auf historische Tatsachen stützen?
Dank dem Gold aus Übersee und seiner militärischen Überlegenheit wurde Spanien um Lauf des 16. Jahrhunderts die europäische Supermacht. Zwischen 1540 und 1660 kamen via Spanien rund 17'000 Tonnen Silber und 180 Tonnen Gold nach Europa. Das ermöglichte es der spanischen Oberschicht, den Lebensstil von «Rentiers» zu führen, d.h., Mitglieder des Blut- und Geldadels verprassten ein Einkommen, das sie nicht verdienen mussten. Spanien war zu dieser Zeit auf den ersten Blick zwar scheinbar reich und mächtig, wirtschaftlich gesehen jedoch war es ein Koloss auf tönernen Füssen. Es produzierte nicht selbst, es liess produzieren. Der Politologe Kevin Phillips zitiert in seinem Buch «American Theocracy» einen spanischen Adligen dieser Zeit wie folgt: «Lasst London die schönen Kleider herstellen ... Mailand die Blusen und Indien und Flandern das Tuch ... so lange unser Kapital diese Güter geniessen kann. Das beweist, dass alle Nationen Händler nach Madrid schicken. Madrid ist die Königin: Die ganze Welt dient ihr, und sie dient keinem.»
Auf der britischen Insel waren die Verhältnisse entschieden karger. Elizabeth konnte nicht wie der spanische Monarch absolut regieren, sie musste auf das Parlament Rücksicht nehmen. Sie konnte vor allem ohne Zustimmung der Abgeordneten keine neuen Steuern erheben. Der Historiker und Elizabeth-Biograf J.E. Neale hat ermittelt, dass die Königin in den ersten zwölf Jahren ihrer Herrschaft durchschnittlich gerade mal 200'000 Pfund pro Jahr zur Verfügung hatte. Auch damals war dies eine «lächerlich kleine Summe und nichts im Vergleich zu ihren Rivalen in Frankreich und Spanien», wie Neale schreibt. Die englische Königin konnte zudem keine Schulden machen. Die Bank of England wurde erst 1694 gegründet, fast 100 Jahre nach ihrem Tod. Es gab kein Staatsdefizit. Wenn das Geld nicht reichte, musste sich das Königshaus bei den Bankiers von Antwerpen verschulden. Daran war nicht zu denken. «Sie war eine Frau», schreibt Neale. «Sie hatte keine Lust auf Ruhm auf Kosten ihres eigenen Ruins, auf Kosten von kommerzieller und industrieller Stagnation und sozialem Leid.»
Elizabeth I. war eine äusserst kluge Politikerin, das anerkannten selbst ihre ärgsten Feinde. «Sie ist wahrhaftig eine grosse Königin», soll Papst Sixtus V. ausgerufen haben, «wäre sie bloss katholisch, dann würden wir sie alle verehren.» Dank ihrer Intelligenz und ihrer Vorsicht gelang es ihr, tief zerstrittenes und gewalttätiges Volk zu einigen. Sie schuf damit die Basis für den Aufstieg eines gesunden Mittelstandes. Dieser Mittelstand wurde zur treibenden Kraft der industriellen Revolution und damit auch zur Grundlage des britischen Empire. Umgekehrt hat der Gold- und Silberregen, der nach der Entdeckung Amerikas auf Spanien niederprasselte, der breiten Bevölkerung nichts gebracht. Auf der iberischen Halbinsel entstand kein gesunder Mittelstand, sondern eine schmarotzende «Rentier»-Oberschicht. Die Folge war der langsame, aber stetige Niedergang des spanischen Reiches.
Sind auch die «goldenen Zeiten» des Westens bald vorbei? Parallelen zur Zeit von Philipp II. und Königin Elizabeth gibt es tatsächlich: Wie am spanischen Kaiserhof machen sich auch bei uns «Rentiers» breit. Der Finanzsektor bläht sich auf. Immer komplexer werden die Finanzinstrumente, immer fetter die Boni der Banker. Gleichzeitig wandern immer grössere Teile unserer realen Wirtschaft nach Asien ab, gehen Arbeitsplätze und Knowhow verloren. Auch der moderne Westen lässt produzieren, China wird zur Werkstatt der Welt. Die aktuelle Krise an den Finanzmärkten zeigt aber auch die Grenzen dieser Entwicklung auf, die Möglichkeit, Schulden zu machen, stösst an Grenzen. Treffend hat dies Paul Krugman, Ökonomieprofessor und «New York Times»-Kolumnist, formuliert: «Langfristig können wir nicht davon leben, dass wir uns gegenseitig Häuser abkaufen – mit Geld, das wir uns von den Chinesen leihen.»
Quelle: tagesanzeiger.ch
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