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Inflation in Deutschland als Preis für die Euro-Rettung
Der Bundesrepublik steht die höchste Teuerungsrate Europas ins Haus. Die Gehälter werden steigen, weshalb die Lohnstückkosten sich angleichen. Eine hohe Inflation hierzulande ist also wahrscheinlich das, was für den langfristigen Zusammenhalt in der Eurozone in Kauf genommen werden muss.
Kommentar - Der Bundesrepublik steht die höchste Teuerungsrate Europas ins Haus. Die Gehälter werden steigen, weshalb die Lohnstückkosten sich angleichen. Eine hohe Inflation hierzulande ist also wahrscheinlich das, was für den langfristigen Zusammenhalt in der Eurozone in Kauf genommen werden muss. von Raphael A. Auer, Zürich
Raphael A. Auer ist stellvertretender Leiter der Abteilung Internationaler Handel und Kapitalverkehr der Schweizerischen Nationalbank sowie LISD Research Associate an der Universität Princeton. Die in diesem Artikel geäußerte Meinung entspricht der persönlichen Sicht des Autors und nicht zwangsläufig der Ansicht der Schweizerischen Nationalbank.
Die Diskussionen im EZB-Rat, dessen nächste Sitzung für Donnerstag anberaumt ist, werden wohl hitzig geraten. Aufgrund der Gefahr, dass eine steigende Inflation in den Schwellenländern Asiens [die von der Fed kommt - A.L.] auf Europa übergreifen könnte, werden die Inflationsfalken in der Zentralbank denjenigen gegenüberstehen, die eine schnellstmögliche Rückkehr zur Vollbeschäftigung sicherstellen möchten. Da die Inflationsraten innerhalb der Eurozone unterschiedlich hoch sind, könnte allerdings ein neuerlicher Konflikt nationaler Interessen zu noch erheblicheren Meinungsverschiedenheiten führen.
Der Grund für diese divergierenden Inflationsraten besteht darin, dass Importe aus China und anderen ostasiatischen Ökonomien in Deutschland und Belgien eine viel größere Rolle spielen als in den Ländern Südeuropas. So beliefen sich beispielsweise Deutschlands Importe aus China im Jahr 2009 auf rund 63 Mrd. Dollar und entsprachen somit in ihrem Umfang nahezu den gesamten Importen aus Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Spanien zusammen. Außerdem ist Chinas Bedeutung für den Handel - als Anteil am BIP - in Deutschland doppelt so hoch wie in jedem anderen der genannten Länder.
Zusätzlich zu diesen Unterschieden hinsichtlich des relativen Ausmaßes der Importe ist der positive Preiseffekt durch billige Importkonkurrenz in Deutschlands wettbewerbsfähiger Einzelhandelslandschaft viel größer als in den traditionelleren und nicht wettbewerbsfähigen Einzelhandelssystemen in Italien oder Griechenland.
Insgesamt haben diese strukturellen wirtschaftlichen Ungleichheiten zu enormen Unterschieden in der Art und Weise geführt, wie die billigen Asien-Importe den Mitgliedern der Eurozone in den letzten 15 Jahren zugute kamen. Nun, da sich diese Ära billiger Importe dem Ende zuneigt, kehrt sich der Effekt auf die Preise um und diejenigen, die in der Vergangenheit am meisten profitierten, könnten nun am stärksten unter der asiatischen Inflation leiden.
Übergreifen der Inflation von China nach Europa
Dieses Übergreifen der Inflation von China nach Europa könnte den Aufwärtsdruck auf die Preise in Deutschland erklären. Stellt man die Inflationsrate in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 der relativen Bedeutung von Importen aus China gegenüber, zeigt sich, dass ein großer Einfuhranteil aus China bei zahlreichen Ländern klar mit einer viel höheren Inflationsrate gekoppelt ist. In den nächsten Monaten wird die Inflation in den Schwellenländern Asiens möglicherweise zu einer ausgeprägten Divergenz der Inflationsraten in der Eurozone führen.
Eine derartige Divergenz impliziert in nächster Zeit natürlich großes Potenzial für Unstimmigkeiten innerhalb der EZB. Allerdings wird sich damit auch die Lösung für das wichtigste Strukturproblem der Eurozone beschleunigen: nämlich für die internen Ungleichgewichte hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit. Diese sind auf Lohnwachstumstrends seit der Einführung des Euro zurückzuführen, die Deutschlands Handelsbilanzüberschuss gegenüber dem Rest der Eurozone untermauerten.
Jetzt ist es also - ausnahmsweise - die deutsche Ökonomie, der eine höhere Inflation ins Haus steht als dem Rest Europas. Und es besteht kein Zweifel, dass sich höhere Preise auch in Lohnwachstum niederschlagen. Schon jetzt, kaum ein Jahr nach Einsetzen der Erholung im Gefolge der schlimmsten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg, befindet sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf dem niedrigsten Stand nach der Wiedervereinigung. Die Wirtschaft wird wahrscheinlich substanziell wachsen, nachdem sich die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Firmen aufgrund steigender Löhne verschlechtert. Daher fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die deutschen Gewerkschaften keine saftigen Erhöhungen der Reallöhne fordern werden.
Aber jeder Anstieg des Lohnwachstums in Deutschland wird einen unbeabsichtigten Nutzen mit sich bringen: die höchst notwendige langfristige Konvergenz der Lohnstückkosten in der Eurozone. Obwohl das den Traditionalisten unter den Zentralbankern schwer im Magen liegen könnte, scheint es wahrscheinlich, dass eine hohe Inflation in Deutschland der Preis für den langfristigen Zusammenhalt in der Eurozone sein wird.
www.ftd.de/politik/konjunktur/...ie-euro-rettung/60033498.html