Warnzeichen für Chemikalien (Symbolbild).
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Nicolas Fuchs Nicolas Fuchs
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Nicolas ist seit 2016 Redakteur bei ARIVA.DE. Seine Expertise in der technischen Analyse und sein Engagement für genaue Prognosen machen ihn zu einer wertvollen Ressource für die Community, die auf aussagekräftige News angewiesen ist.

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Durch Billigimporte aus China: Europäische Chemieindustrie warnt jetzt vor „industriellem Selbstmord“

Chinesische Billigimporte überschwemmen den europäischen Markt – die Folgen für die heimische Chemieindustrie sind verheerend. Werksschließungen, Preisverfall und politische Hilferufe häufen sich. Parallel dazu erhöht die Weltbank die Wachstumsprognose für China.
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Chinas Exportoffensive bringt Europas Chemiebranche ins Wanken

Die europäische Chemieindustrie steht vor der größten Belastungsprobe seit Jahrzehnten. Infolge drastisch gestiegener Importe chinesischer Basischemieprodukte drohen Produktionsstopps, Standortschließungen und eine nachhaltige Erosion der Wettbewerbsfähigkeit. Eine Datenanalyse des Handelsblatts auf Basis von Eurostat-Zahlen zeigt: Allein im ersten Halbjahr 2025 stiegen die Einfuhren chemischer Produkte und Kunststoffe aus China in die EU um rund 40 % im Vergleich zum Vorjahr auf ein Volumen von knapp 30 Milliarden Euro.

Die Ursachen liegen in einer Kombination aus schwacher Inlandsnachfrage in China, Überkapazitäten sowie der Umleitung von Warenströmen infolge hoher US-Zölle. Denn: Seit die Vereinigten Staaten ab Frühjahr 2025 Strafzölle von bis zu 57,6 % auf chinesische Importe erheben, hat sich Europa zum neuen Zielmarkt entwickelt. Dies hat teils dramatischen Folgen für die hiesige Industrie.

Überangebot, Preisverfall und niedrige Auslastung

Die deutsche Chemieproduktion ist bereits seit Monaten rückläufig. Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) sank die Produktion im zweiten Quartal 2025 um 5 % im Vergleich zum Vorjahr. Noch alarmierender ist die Anlagenauslastung, die derzeit bei nur 71 % liegt, was weit unter der Rentabilitätsschwelle von etwa 82 % ist. 

Die Folge: Ein Preisverfall bei Standardprodukten wie Polyethylen und Polypropylen um durchschnittlich 10 % gegenüber dem Vorjahr. Diese Massenkunststoffe sind besonders betroffen, da sie einfach transportiert und global gehandelt werden können. Die daraus resultierenden Margenverluste gefährden zunehmend die wirtschaftliche Tragfähigkeit vieler Standorte in Europa.

Unternehmensreaktionen: Werksschließungen und Prognosesenkungen

Zahlreiche Hersteller ziehen bereits Konsequenzen. Der britische Konzern Ineos kündigte Anfang Oktober die Schließung zweier Werke im nordrhein-westfälischen Rheinberg an. Dow hatte im Juli zwei Produktionsstätten in Sachsen-Anhalt aufgegeben. Insgesamt stehen allein in Deutschland durch Werksschließungen rund 2.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Die großen deutschen Player BASF, Covestro, Evonik und Lanxess haben ihre Gewinnerwartungen für 2025 deutlich nach unten korrigiert. BASF-Chef Markus Kamieth erklärte auf dem Kapitalmarkttag: „Die Margen in der Basischemie stehen unter anhaltendem Druck – eine kurzfristige Entspannung ist nicht in Sicht.“

Druck auch aus den USA: Wegfall von EU-Zöllen auf US-Chemieprodukte

Zusätzlich zur Importflut aus China droht diesmal aus den Vereinigten Staaten eine neue Welle günstiger Chemieimporte. Ein zwischen der EU-Kommission und dem Weißen Haus vereinbartes Abkommen sieht den Wegfall von Einfuhrzöllen auf Industrieprodukte vor, darunter auch Standardkunststoffe wie Polypropylen.

Die bisherigen EU-Zölle von 6,5 % auf US-Chemieprodukte boten bislang einen gewissen Schutz. Nun könnten auch amerikanische Produzenten ihre Waren verstärkt in den europäischen Markt drücken, der ohnehin mit Überkapazitäten kämpft. Die Marktbeobachter von ICIS warnen vor „erheblichen Verwerfungen“ in den globalen Handelsströmen.

Branchenstimmen fordern EU-Schutzmaßnahmen

Vor diesem Hintergrund mehren sich die Stimmen aus der Industrie, die wirksamere handelspolitische Schutzmaßnahmen fordern. So appelliert der europäische Branchenverband Cefic an die EU-Kommission, Anti-Dumpingverfahren schneller und konsequenter einzuleiten.

Allein im Jahr 2024 entfielen fast 50 % der neuen EU-Antidumpingverfahren auf chemische Produkte. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf systematische Marktverzerrungen durch Dumpingpreise. „Der europäische Industriestandort muss dringend gestärkt werden“, fordert Covestro. Es brauche faire Wettbewerbsbedingungen, insbesondere bei Energiepreisen und regulatorischen Rahmenbedingungen.

EU-Industriekommissar Stéphane Séjourné stellte zuletzt protektionistische Markteingriffe zumindest im Stahlsegment in Aussicht. Im Chemiesektor setzt Brüssel bislang auf ein Monitoring der Warenströme, aus dem neue Verfahren entstehen könnten.

China: Überkapazitäten und schwaches Binnenwachstum als Treiber

Der massive Exportdruck aus China ist nicht allein durch Zölle erklärbar. Vielmehr zeigen sich strukturelle Überkapazitäten: Seit rund einem Jahrzehnt baut die Volksrepublik ihre Produktionskapazitäten in der Chemie systematisch aus, um die heimische Industrie unabhängiger von Importen zu machen.

Doch das zugrunde liegende Wirtschaftswachstum hat sich nach der Pandemie deutlich abgeschwächt. Die Industrieproduktion in China schrumpfte im September 2025 den sechsten Monat in Folge, während die Einzelhandelsumsätze nur um 3,4 % im Jahresvergleich stiegen, was deutlich unter den Erwartungen liegt.

Trotzdem hält Peking an seiner industriellen Expansionspolitik fest. Der Exportüberschuss wird durch gezielte staatliche Maßnahmen wie etwa Verbraucherprämien und Subventionen gestützt. Diese Strategie hat bislang Wirkung gezeigt: Die chinesischen Exporte in Richtung Europa und Südostasien steigen, auch als Reaktion auf den drastischen Rückgang der US-Nachfrage.

Weltbank: Wachstumsprognose für China steigt, doch Risiken bleiben

In ihrem aktuellen Ostasienbericht hat die Weltbank parallel zu den aktuellen Ereignissen ihre Wachstumsprognose für China 2025 von 4,0 % auf 4,8 % angehoben. Die Erhöhung basiert vor allem auf kurzfristigen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen wie etwa Steuererleichterungen und Infrastrukturprogrammen, die jedoch 2026 wieder auslaufen sollen.

Für das Jahr 2026 rechnet die Weltbank bereits mit einem Rückgang des chinesischen Wachstums auf 4,2 %, nicht zuletzt wegen eines abflauenden Exportbooms und einer strukturell angeschlagenen Binnennachfrage.

Fazit: Europas Chemie im strukturellen Umbruch

Die europäische Chemieindustrie steht an einem kritischen Punkt. Die Kombination aus chinesischer Exportoffensive, steigenden US-Importen und anhaltend hohen Energie- und Regulierungskosten stellt die Wettbewerbsfähigkeit massiv infrage. Werksschließungen, Jobverluste und Investitionszurückhaltung sind die Folge, mit weitreichenden Folgen für die deutsche Industrie insgesamt, zumal die Chemie zu den zentralen Zulieferindustrien für Automobilbau, Maschinenbau und Elektronik zählt.

Während in den USA und China der Staat massiv in die Industriepolitik eingreift, kämpft Europa mit einem liberalisierten Binnenmarkt, aber ohne ausreichenden Schutz vor marktverzerrenden Importen. Industriekommissar Séjourné bringt es auf den Punkt: Europa muss ein neues Gleichgewicht finden, sonst droht der schleichende Verlust eines Schlüsselindustriezweigs.


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