GESUNDHEITSREFORM
Wer zum Arzt will, soll Eintritt zahlen
Bei den Verhandlungen über die Gesundheitsreform steht eine Einigung offenbar kurz bevor. Gesundheitsministerin Schmidt zählt bereits die Stunden. Ein Ergebnis der Unterhändler soll einem Zeitungsbericht zufolge sein, dass Patienten beim Arzt künftig "Eintritt" zahlen müssen.
Berlin - Die "Frankfurter Rundschau" berichtet unter Berufung auf Verhandlungskreise, dass künftig eine Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal fällig werde. Für diese Regelung zeichne sich in der Verhandlungsrunde eine überparteiliche Mehrheit ab. Das Gesundheitsministerium wollte den Bericht weder dementieren noch bestätigen. DPA Geben sich zuversichtlich: Unterhändler Schmidt und Seehofer
Die Praxisgebühr solle unabhängig davon fällig werden, ob der Patient einen Haus- oder Facharzt konsultiert, berichtet das Blatt. Auf diese Weise könnten nach internen Berechnungen des Gesundheitsministeriums rund vier Milliarden Euro eingenommen werden. Kinder sollten von der Gebühr befreit werden. Für chronisch Kranke solle eine Obergrenze eingeführt werden.
Ursprünglich hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt für eine Praxisgebühr nur beim Gang zum Spezialisten plädiert. Die SPD-Politikerin wollte damit die Lenkungsfunktion des Hausarztes hervorheben.
Doch sicher ist noch lange nichts. Täglich kursieren derzeit in Berlin neue Enthüllungen "aus Teilnehmerkreisen", die zwar plausibel sind, aber von niemandem bestätigt werden. "Immer mit einem Schmunzeln", habe er diese Berichte aufgenommen, erklärt Unionsverhandlungsführer Horst Seehofer vielsagend.
Seit zwei Wochen ringen Regierung und Opposition hinter verschlossenen Türen um einen Kompromiss bei der Gesundheitsreform. Jetzt gehen die Verhandlungen nach Angaben von Schmidt in die Schlussphase und stehen kurz vor einer Einigung. "Die Schlussfolgerung, dass das Ende der Verhandlungen in Stunden zu zählen ist, ist richtig", sagte Schmidt heute in Berlin. Zu Details wollte sie sich nicht äußern. Diese würden am Montag den jeweiligen Partei- und Fraktionsgremien vorgelegt. Deren Entscheidungen würden dann am Dienstag ausgewertet.
Dazu wurden trotz Sommerpause Sondersitzungen bei den Koalitionsparteien einberufen. Das SPD-Gremium tagt unter Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der dafür seinen wenige Tage zuvor begonnenen Urlaub unterbricht.
Gemeinsam sollen Wege gefunden werden, wie 20 Milliarden Euro im System gespart und der Kassenbeitrag so auf 13 Prozent gedrückt werden kann. Alle Verhandler haben sich zum Stillschweigen verpflichtet, "um des Erfolges willen", wie es heißt.
Beim Spekulieren über den Inhalt der künftige Reform hilft jedoch, dass Rot-Grün und die Union bei vielen ihrer Vorschlägen gar nicht so weit auseinander liegen. SPD und Grüne wollen das Krankengeld künftig allein den Arbeitnehmern aufbürden. Die Union will die Kosten für Zahnersatz privat versichern lassen. Möglich erscheint, dass die Versicherten bei Krankengeld und Zahnersatz bald ohne das Geld der Arbeitgeber leben müssen, die bisher die Hälfte dazugaben.
Schon warnen Kassen und Verbände, die Kosten der Gesundheitsreform nicht allein auf die Versicherten abzuwälzen. Doch Rot-Grün sucht auch deshalb den raschen Konsens mit den anderen Parteien, weil die Reform durch die unionsdominierte Länderkammer muss. Damit ist der Weg für eine Weichspüler-Reform vorgezeichnet. Denn jede der Parteien muss Rücksichten auf die eigene Klientel nehmen. Die Union will Apothekern, Ärzten und der Pharmaindustrie nicht wehtun. Die SPD pflegt die AOK und die Ersatzkassen. Mit drastischen Sparauflagen ist hier kaum zu rechnen.
Kassenpatienten ohne große Lobby
Bleiben die 72 Millionen Kassenpatienten, die keine große Lobby haben. Sie werden wohl künftig mehr Geld für weniger Leistungen zahlen und immer größere Teile der Gesundheitskosten schultern, damit die Unternehmen im Gegenzug entlastet werden und die Lohnnebenkosten sinken. Außer Unmut bleibt den gesetzlich Versicherten wenig: Ein Wechsel zu den Privatkassen kommt nur für die so genannten besser Verdienenden in Frage.
Wenn die Verhandlungsrunde ihr Schweigen bricht und ihre Vorschläge präsentiert, ist daher wohl wenig Sensationelles zu erwarten. Neu gemischt werden könnten die Karten allerdings bei den anschließenden Verhandlungen im Bundesrat. Als Querdenker könnte sich ähnlich wie bei der Steuerreform wieder der hessische Ministerpräsident Roland Koch präsentieren. Der CDU-Landeschef ist an der Konsensrunde nicht beteiligt und hält sich damit die Option offen, sich in der Union gegen die gemeinsame Reform mit der Regierung zu stellen. Durch seine Sozialministerin hat der CDU-Politiker jedenfalls schon wissen lassen, dass sein Land nur unter ganz bestimmten Bedingungen sein Placet für die Allparteienreform im Gesundheitswesen gibt.
MfG, ZiZo