Eine rund 100 Millionen Mark teure Werbekampagne und trotzdem leere Shops. Der Mobilfunker Quam hat bei seinem Start fast alles falsch gemacht.
Die Hamburger Innenstadt ist in der Vorweihnachtszeit eine Menschenhölle. Stress, Geschiebe, Geschenkepanik. Da sehnt sich die Seele nach einem Ort der Beschaulichkeit, nach einer Oase, wo der Konsumterror Pause macht. Die gibt es tatsächlich: den Quam-Shop.
Kaum betritt der Kunde den Laden von Deutschlands jüngstem Mobilfunkbetreiber, überkommt ihn eine Ruhe, die sich mit der in tibetanischen Betstuben messen kann. Er ist allein in einer hellen, holzgetäfelten Halle, groß wie ein Volleyballplatz. Nein, da ist noch ein Verkäufer. "Darf ich Ihnen einen Cappuccino anbieten?", fragt er. Der Cappuccino ist lecker, die Atmosphäre so unaufdringlich, dass man Lust bekommt, etwas zu kaufen. Aber das ist das Einzige, was im Quam-Shop nicht so ohne weiteres erlaubt ist.
"Wir haben den aktiven Verkauf eingestellt", sagt Quam-Chef Ernst Folgmann. Nur wer unbedingt will, bekommt einen Vertrag und ein Handy. Also spielt sich dieser Tage eine Art Weihnachtsmärchen ab in den 15 deutschen Verkaufsstellen, alle in Top-Lagen mit Monats-Kaltmieten von schätzungsweise bis zu 75.000 DM. In München logiert Quam am Marienplatz, in Hamburg in der Spitaler Straße, in Berlin auf dem Kurfürstendamm. Dort führen entspannte Verkäufer vor, wie man etwa mit dem Quam Twinset1 mobil im Internet surfen könnte, wenn man es kaufen könnte. Und wenn der Server "ausgerechnet heute" nicht streiken würde. An den Wänden erzählen Plakate über Quam: "Der ideale Geschäftspartner", "Konzentration auf das wesentliche: Funktionalität", "Handys, die die Zukunft bringen".
Unprofitabler Cappuccinobar-Betreiber
Alles falsch? Das Gemeinschaftsunternehmen der spanischen Telefónica und der finnischen Sonera war geplant als ein ernst zu nehmender Player auf dem Mobilfunkmarkt. Die Konkurrenz wartete mit gelassener Spannung auf den Neuling. Was machen die anders, was machen die besser, fragte sich die Branche. Ein Hoffnungswert eben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Herausgekommen ist der derzeit wohl unprofitabelste Cappuccinobar-Betreiber der Welt.
Der Verkaufsstreik des neuen Mobilfunkers soll offiziell als "Signal" gegen die Konkurrenten D1 und D2 verstanden werden. Bislang ist die Quam-Vorwahl 0150 von deren Netz aus noch nicht anwählbar. Dass die Rivalen von der Weigerung ihres Mitbewerbers, Kunden zu gewinnen, geschockt sind, ist nicht anzunehmen. Die Stimmung bei Quam jedoch ist auf dem Nullpunkt.
Der Tag, der bei Quam in die Geschichte eingehen wird, ist der 11. Dezember. Ein ganz normaler Dienstag. Am Abend ruft Folgmann eiligst seine Mitarbeiter in der Münchner Zentrale zusammen. Vor 500 Beschäftigten, einem Mix aus Deutschen, Spaniern, Finnen und anderen Nationen, verkündet der Chef im so genannten Atrium: "Wir haben entschieden, den aktiven Verkauf unsere Produkte und Dienste zu stoppen." Er sagt es auf Deutsch, dann auf Englisch. Das sitzt. "Die spanischen Kollegen haben bei der Mitarbeiterversammlung kalte Füße bekommen", erzählt ein Teilnehmer.
Seit dem Markteintritt am 22. November kämpft Quam mit Problemen. Um ein Mobilfunkunternehmen erfolgreich zu starten, ist vor allem eines wichtig: Kunden müssen telefonieren und angerufen werden können. Dafür muss eine Reihe komplizierter Vereinbarungen mit der Konkurrenz getroffen werden. Mobilfunkgespräche werden nicht nur per Funk übertragen. Ein Großteil des Weges legt ein Telefonat durchs Festnetz zurück. Bereits im Juli hat Quam einen Vertrag mit der Deutschen Telekom abgeschlossen, damit deren Kunden aus dem Ortsnetz Quam-Telefonierer erreichen können. Auch die Mobilfunkanbieter Viag Interkom, E-Plus, T-Mobile und Vodafone müssen ihre Netze auf die 0150-Vorwahl einrichten. Dies dauert Technikern zufolge einige Wochen.
Offenbar hat Quam aber erst kurz vor dem Marktstart bei Vodafone und T-Mobile darauf hingewiesen, dass sie umstellen müssen. Ein schwerer Fehler: Nun sind Quam-Kunden von T-Mobile- und Vodafone-Nutzern kaum erreichbar. Immerhin handelt es sich dabei um mehr als 80 Prozent der deutschen Handybesitzer. Und auch aus den Netzen der alternativen Ortsnetzbetreiber ist kein Anschluss unter dieser Nummer möglich. "Es haben noch nicht alle Unternehmen umgestellt", gibt ein Quam-Sprecher zu. Bis die Probleme gelöst sind, darf beim Zukunftsanbieter Quam telefoniert werden wie zur Jahrhundertwende. Wer vom D1-Netz anruft, muss sich bei einer Servicenummer melden und die Zielnummer angeben. Dann wird er weitervermittelt.
Das steht im krassen Gegensatz zu den Aussagen der schätzungsweise 100 Mio. DM teuren TV-Werbekampagne "Ich habe einen Traum": In einem Spot empfängt eine Dame in einem Internet-Café eine Liebes-Mail und ist genervt, weil ihr Tischnachbar mitlesen kann ("Ich habe einen Traum: E-Mails empfangen, wo immer ich will"). Indiskrete Quam-Realität: Der D1- oder D2-Nutzer, der seiner neuen Flamme eine heiße Liebes-SMS schreiben will, muss sie vorerst der Vermittlungs-Fachkraft diktieren. Dieser Service klappt zwar problemlos, aber auch das ist nicht dem Quam-Know-how zu danken: Die Servicenummer wird von Viag Interkom betrieben. Mittlerweile ist die Quam-Vorwahl zumindest stellenweise vom D1-Netz aus erreichbar, etwa im Kreis Bamberg und in Oberfranken.
Folgmann in Schwierigkeiten
Die ganzen Schwierigkeiten waren bereits vor dem Start bekannt. "Als das verkündet wurde, haben alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", sagt ein Insider. "Alle der rund 100 im Unternehmen versammelten Berater haben gesagt: "Ihr müsst den Marktstart verschieben" Doch Quam legte los. Ein Start, der Folgmann den Posten kosten könnte. Natürlich hat der Chef auf der Mitarbeiterversammlung versucht, so zu wirken, als ob er nun alle Hebel in Bewegung setzen wolle. Er habe freundlich gewirkt, motivierend, berichten Teilnehmer. Entspannt wie immer, eben.
Doch der Eindruck trügt. Im Unternehmen wird bereits über Folgmanns Ablösung spekuliert: "Er hat die Zügel nicht mehr in der Hand", sagt einer. Bei Telefónica sei ihm eine Bewährungschance bis Ende des Jahres eingeräumt worden. Noch denkt in Madrid offiziell niemand über einen Nachfolger für Folgmann nach: "Folgmann steht nicht zur Debatte." Die Spanier, so ein Insider, beobachten allerdings genau, wie er die Probleme mit D1 und D2 löst. Sollte er da scheitern, müsse er um seinen Job bangen. In der Branche wird jedenfalls schon kräftig über einen Nachfolger spekuliert: Immer wieder fällt der Name des ehemaligen Viag-Interkom-Managers Hans-Burghardt Ziermann; auch Joachim Preisig, zuletzt Marketingchef von Viag Interkom, wird gehandelt.
Folgmanns Kampf erinnert an den eines Fußballtrainers: Quam tritt auswärts an, im Stadion von T-Mobile und Vodafone. Die Arena ist voller Fans dieser beiden Unternehmen. Quam hat Anstoß und gerät in Rückstand: "Die ersten 45 Minuten sind rum und Quam liegt 0:5 hinten", sagt der Telekomunikationsanalyst der BHF-Bank, Werner Stäblein. "Die Chance, bis zur 90. Minute auch nur auszugleichen, ist verschwindend gering." Der Schiedsrichter, der Präsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Matthias Kurth, lässt das Spiel laufen. Er hat auch keinen Grund, zur Pfeife zu greifen. "Kein Foul", heißt es in der Behörde.
Viele Analysten können den vorübergehenden Vertriebsstopp nicht begreifen: "Es macht keinen Sinn, den Verkauf einzustellen. Die Läden sind auf, die Werbekampagne läuft. Wenn ein Kunde ein Handy kaufen will und auf die Probleme aufmerksam gemacht wird, dann ist es doch gut", findet Frank Wellendorf von WestLB Panmure. Er vermutet ein Manöver dahinter: Quam hat seit dem Marktstart deutlich weniger Kunden gewonnen als geplant. Aus Unternehmenskreisen sickert eine Zahl von deutlich weniger als 20.000 Kunden durch. Zum Vergleich: T-Mobile gewinnt derzeit schätzungsweise rund 20.000 Kunden - täglich. Was liegt in einer solcher Lage näher, als der Konkurrenz den schwarzen Peter zuzuschieben?
Dabei ist Quam als Angreifer gestartet: Folgmann plante, mit bis zu sieben Millionen Kunden 2006 ein positives Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) zu erreichen. "Das ist der ehrgeizige Plan", tönte er Ende August. "Das Geschäftsszenario unserer Gesellschafter gibt uns mehr Zeit." Ein Himmelfahrtskommando. Bisher bestimmen die beiden Marktführer T-Mobile und Vodafone den deutschen Markt. T-Mobile zählt rund 23 Millionen Kunden, Vodafone rund 22 Millionen. "Wo sollen die Kunden also herkommen?", fragt Stäblein.
Denkbar schlechter Zeitpunkt
"Quam ist zum brutalst-schlechtesten Zeitpunkt in den Markt eingestiegen", urteilt ein Branchenexperte. Das deutsche Kundenpotenzial ist mit einer Penetrationsrate von mehr als 60 Prozent weitgehend abgeschöpft, wer neue will, muss sie anderen wegnehmen. Nur hat Quam nichts, mit dem es locken könnte. Zwar gibt die Firma an, besonders einfache Tarife anzubieten. In Wahrheit muss der Kunde zwischen 21 Tarifmöglichkeiten wählen. Und die sind nicht einmal sonderlich preiswert. Der für Vieltelefonierer günstigste Preis bei E-Plus ist pro Minute fünf Pfennig billiger als der vergleichbare Quam-Tarif - obwohl Quam das E-Plus-Netz nutzt.
Wie schwer es mittlerweile ist, Marktanteile zu erobern, zeigt das Beispiel des Konkurrenten Viag Interkom. Als das Unternehmen 1998 an den Start ging, hatte es allerlei Innovationen zu bieten: die günstigsten Tarife, ein eigenes Netz in den Ballungsgebieten, das noch dazu eine bessere Sprachqualität als das der überlasteten Konkurrenten hatte. Viag hatte einen Ortstarif im Angebot und wenig später "Genion", das es ermöglicht, von zu Hause per Handy zu Festnetzpreisen zu telefonieren. Und trotzdem bringt es Viag Interkom auf lediglich 3,4 Mio. Kunden.
Quam ist zum Erfolg verdammt. Die beiden Anteilseigner Telefónica und Sonera haben im August vergangenen Jahres 8,5 Mrd. Euro für die UMTS-Lizenz von Quam bezahlt. Würde Telefónica jetzt aussteigen, würden die Spanier zugeben, "dass ihre paneuropäische Strategie nicht aufgegangen ist", sagt Stäblein.
Quam glaubt auch nach dem Missgeschick weiter an seine Chance: "Wir halten an unseren Geschäftsplänen fest", beteuert ein Sprecher. Das Unternehmen agiert getreu dem Sprichwort: "Wer 1:0 führt, der stets verliert." Die Frage ist nur, ob es nicht längst 5:0 steht.