Die Telekommunikationsindustrie hat Sand im Getriebe / Mit
Applikationen und Dienstleistungen der Krise trotzen
München (ots).
* Fundamentale Strukturprobleme belasten die Branche
* Anwendungs- und Kundenpotenziale müssen ausgeschöpft werden
* Geschäftsprozessoptimierung für die Kunden rückt in den
Mittelpunkt
Die Telekommunikationsindustrie, weltweiter Wachstumsmotor der
vergangenen Jahre, befindet sich in einer fundamentalen Krise. Der
konjunkturelle Abschwung der Weltwirtschaft ist lediglich ein
Auslöser. Entscheidender sind die strukturellen Probleme einer
Branche, die ihre Erfolge lange Zeit in regulierten Märkten erzielt
hat und weitgehend uneingeschränkt wuchs. Strategien und Fähigkeiten,
um sich im freien Wettbewerb und in margenschwachen Märkten zu
behaupten, sind der Telekommunikationsindustrie noch fremd, künftig
aber das Gebot der Stunde. Nach Ansicht von Mercer Management
Consulting führt der Weg aus der Krise nur über die Entwicklung neuer
Geschäftsmodelle und Lösungsansätze sowie über das gezielte
Miteinander von Telekommunikations-unternehmen, Service Providern und
Equipment-Herstellern.
Die Nachfrage nach Telekommunikationsdienstleistungen ist mit
1.070 Mrd. US Dollar im Jahr 2001 international ungebrochen (970 Mrd.
US Dollar im Jahr 2000). Dennoch sind seit Anfang 2001 weltweit 30
bedeutende Netzbetreiber in Konkurs gegangen. Der Grund: Die
Kapazitäten im Festnetz sind in den vergangenen Jahren signifikant
gestiegen. Dazu erklärt Klaus von den Hoff, Partner der
Unternehmensberatung Mercer Management Consulting: "Zwischen 1997 und
2000 haben sich die jährlichen Investitionen der Betreiber im Bereich
der Infrastruktur von 68 Mrd. Euro auf 185 Mrd. Euro fast
verdreifacht. Dies zog einen extensiven Ausbau der Netze nach sich.
Hierdurch sind enorme Überkapazitäten entstanden. Gemessen an der
Kapazitätsauslastung vor wenigen Jahren liegt diese heute nur noch
bei einem Drittel. In der Folge sind die Preise für die Nutzung von
Infrastrukturen dramatisch gefallen."
Gleichzeitig kämpfen große Carrier wie Deutsche Telekom oder
France Telecom mit erheblichen Kursverlusten, miserablen Ergebnissen
sowie Schuldenbergen, die sich durch die enormen Ausgaben für den
Ausbau ihrer Festnetze, den Mobilfunksektor und das Auslandsgeschäft
in den vergangenen Jahren angehäuft haben. Seit Monaten sind ihre
Investitionen rückläufig, teilweise eingefroren. Auch die
Mobilfunkbetreiber scheuen Ausgaben. Die enormen Investitionen zum
Erwerb der UMTS-Lizenzen (allein 50 Mrd. Euro in Deutschland) fordern
ihren Tribut. Der Großteil der Einnahmen fließt zur Schuldentilgung
an die Banken. Investitionsstopps oder zumindest drastische Kürzungen
verzögern den Start der dritten Mobilfunkgeneration weiter. Ein
Return on Investment ist kurzfristig nicht in Sicht.
Die Investitionsstopps aller Netzbetreiber haben auch die
Infrastrukturausrüster in Bedrängnis gebracht. Im Jahr 2001 brach der
Weltmarkt für Netzausstattung gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent ein.
Für das laufende Jahr rechnen Marktforscher gar mit einem Rückgang
von 10 Prozent. Unternehmen wie Lucent, Nortel, Siemens ICN oder
Ericsson befinden sich im freien Fall, zum Teil sind die Aktienkurse
im Jahr 2002 weit unter die Marke von 1997 abgerutscht. Die massiven
Auftragseinbrüche führen zu hohen Verlusten - Massenentlassungen und
Konzernumbau sind die Folge. Ein zusätzliches Manko laut von den
Hoff: "Viele Netzausrüster haben zu lange auf klassische
Netzwerktechnologie fokussiert und den Aufbau von Kompetenz in
Richtung Datenkommunikation vernachlässigt."
Technik rückt in den Hintergrund
An den Überkapazitäten im Festnetz wird sich längerfristig nichts
ändern. Für die Infrastrukturausrüster bleibt das Marktumfeld trotz
der absehbaren leichten gesamtwirtschaftlichen Erholung im Jahr 2003
schwierig. Die Mobilfunkbetreiber werden mit zunehmenden
Sättigungstendenzen und dünner werdenden Margen konfrontiert. Allein
in Deutschland gibt es derzeit knapp 60 Millionen Handy-Nutzer. Dies
bedeutet eine Marktdurchdringung von mehr als 70 Prozent. In anderen
Ländern ist die Situation ähnlich. Die Folge: Erstmals in der
Geschichte der Mobilfunkindustrie ist im Jahr 2001 die Anzahl der
verkauften Handys weltweit gesunken. Knapp 400 Millionen Geräte
wurden abgesetzt. Dies entspricht einem Minus von 3,2 Prozent
gegenüber dem Vorjahr.
Darüber hinaus werden die Telekommunikationsmärkte der Zukunft in
mehrfacher Hinsicht einen nachhaltigen Wandel erfahren: "Erstens
liegt für den Kunden der Wert künftig nicht mehr im Netz sondern in
der Lösung. Damit steht nicht mehr die technologische Umsetzung im
Vordergrund, sondern vielmehr die Ausschöpfung der Anwendungs- und
Kundenpotenziale", so von den Hoff. "Zweitens wandelt sich der Markt
von speziellen Entwicklungen für Großunternehmen rasant in einen
stark standardisierten Produktmarkt für den Mittelstand, das bedeutet
Lösungspakete mit relativ wenig kundenspezifischer Anpassung."
Lösungen stehen im Vordergrund
Dies stellt Festnetz- und Mobilfunkbetreiber wie auch die
Equipment-Hersteller vor die Herausforderung, ihre
Vertriebsstrategien zu optimieren und mit neuen Business-Designs
bestehenden und potenziellen Kunden einen Mehrwert durch Anwendungen
zu verschaffen. "Die meisten Netzbetreiber verkaufen noch immer
primär Connectivity (Telefonanschlüsse) und Voice", konstatiert von
den Hoff. "In Zukunft gilt es für alle, Komplettlösungen zur
Optimierung der Geschäftsprozesse ihrer Kunden zu entwickeln." Die
Möglichkeiten dafür sind vielfältig: spezielle Kundennetze mit
attraktiver Preisgestaltung, mobile Lösungen für den Außendienst zur
Einbindung in die Geschäftsprozesse des Stammhauses, Customer
Relationship Management-Lösungen für die Konsumgüterindustrie,
Virtual Private Networks zur Integration von Mobilfunk und Festnetz,
Machine to Machine-Kommunikation, ausgewählte Applikations- und
Servicemodelle.
Dies setzt fachkundige Beratungskräfte voraus, die sich vor Ort
beim Kunden in die Geschäftsprozesse einarbeiten. "Gerade die
Mobilfunkbetreiber werden - vor allem mit Blick auf UMTS und das
Aufkommen der komplexen neuen Datendienste - nicht um einen
drastischen Wandel ihrer bislang weitgehend auf den Verkauf von
Mobilfunkverträgen ausgerichteten Personalstruktur umhin kommen", ist
von den Hoff überzeugt. Zudem braucht die wachstumsverwöhnte Branche
heute für das Kerngeschäft Voice neue Vertriebs- und Tarifmodelle. Es
gilt, die Kundennähe zu intensivieren und Preiselastizitäten sowie
Bedarfsunterschiede in einzelnen Kundensegmenten optimal anzusteuern.
Bei den Infrastrukturausrüstern wird das Projekt- und
Beratungsgeschäft in Zukunft ebenfalls zum zentralen Thema. "Der
bislang rein auf Hardwareverkauf fokussierte Vertrieb muss sich in
Richtung Consultative Selling (Beratungsangebote) entwickeln", betont
von den Hoff. "Künftig heißt es, mit Komplettangeboten von der
Konzepterstellung über die Systemintegration bis hin zum
anschließenden Service zu operieren. Denkbar wäre sogar die Übernahme
des Betriebs der verkauften und implementierten Produkte, in
Anlehnung an das Outsourcing-Modell der IT-Industrie."
Partnerschaften tun Not
Kooperation wird für alle Marktbeteiligten zur Pflicht. Anders als
in der Vergangenheit müssen die Netzbetreiber und -ausstatter fortan
gemeinsam Produkte und Anwendungen identifizieren, die für den
Endkunden attraktiv sind. Der Aufbau von Consulting-Kompetenz ist
langwierig und kostspielig. "Investitionen tun derzeit sämtlichen
Unternehmen weh", konstatiert von den Hoff. "Daher werden sie in
Zukunft verstärkt den Schulterschluss mit kompetenten
Systemintegratoren suchen, um die Projekte beim Kunden realisieren zu
können."
Sieben Thesen zur weiteren Entwicklung des
Telekommunikationsmarktes
1. Die Überkapazitäten im Festnetz werden sich längerfristig nicht
ändern. Investitionen der Netzbetreiber in die Infrastruktur bleiben
gering. Die leichte konjunkturelle Erholung bringt angeschlagenen
Infrastrukturausrüstern kaum Erleichterung.
2. Die wachstumsverwöhnten Mobilfunkbetreiber sehen Marktsättigung
und dünnen Margen entgegen. Die kostspieligen UMTS-Lizenzen bringen
kurzfristig keinen Return on Investment. Die Etablierung von UMTS als
Massenmarkt zögert sich weiter hinaus.
3. Die Telekommunikationsmärkte wandeln sich. An die Stelle des
Verkäufermarktes tritt in Zukunft ein durch das Verhalten des Käufers
geprägter Markt. Die Technik rückt in den Hintergrund. Für den Kunden
liegt der Wert künftig nicht mehr im Netz sondern in der Anwendung.
Für alle Markt-Player steht damit die Ausschöpfung der Anwendungs-
und Kundenpotenziale im Vordergrund.
4. Die Nachfrage verschiebt sich von proprietären Lösungen für
Großunternehmen rasant zu stark standardisierten Produktangeboten für
den Mittelstand. Daraus ergeben sich völlig neue Anforderungen an den
Vertrieb. Dienstebetreiber können sich entlang der
Wertschöpfungskette neu positionieren.
5. Festnetz- und Mobilfunkbetreiber müssen das Kundenverständnis
erhöhen, die Kundenansprache zielgruppenspezifischer ausrichten,
Preiselastizitäten und Bedarfsunterschiede in einzelnen
Kundensegmenten optimal ansteuern. Gleichwohl gilt es, die
Kerngeschäfte Connectivity und Voice durch das Angebot von
Komplettlösungen zu erweitern, um die Geschäftsprozesse der Kunden zu
optimieren.
6. Bei den Infrastrukturausrüstern rückt das Projektgeschäft in
den Mittelpunkt. Sie müssen sich weg vom reinen Hardwareverkauf hin
zum "Consultative Selling" entwickeln. Neben der Realisierung von
Komplettlösungen sind auch Outsourcing-Modelle denkbar.
7. Für alle Markt-Player wird Beratung zum zentralen Thema. Der
Aufbau entsprechender Fähigkeiten ist kostspielig und schwierig.
Verstärkte Kooperationen mit oder Übernahmen von Systemintegratoren
sind absehbar.