Kanthers Schwarzgelder, Sayn-Wittgensteins jüdische Vermächtnisse – alles nicht strafbar?
Die mittelalterlichen Osterspiele waren geistliche Dramen, bei denen Ernst und Komik sich vermischten. Im Lauf der Zeit nahmen aber die Schwänke überhand, wurden Prügelszenen wichtiger als die Passion, wurde aus einem würdigen Ereignis ein Gaudium – Fastnachtstheater. An diese Tradition knüpfen die Staatsgewalten in diesem Jahr an.
Die Politik macht, wie jüngst im Bundesrat zu besichtigen, aus dem Gesetzgebungsverfahren eine Posse. Nun schließt sich, bei der Gesetzesauslegung, die Justiz an: Der Beschluss, mit dem das Landgericht Wiesbaden die Eröffnung des Strafverfahrens gegen Kanther & Co. abgelehnt hat, ist ein Narrenspiel im juristischen Gewand. Der gewaltige hessische Schwarzgeldskandal soll strafrechtlich ohne Folgen bleiben. Die hessischen Richter haben die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zerrissen – und führen nun auf 16 Seiten aus, warum der Skandal, der die CDU und die Republik erschüttert hat, zwar möglicherweise ein Skandal war, aber strafrechtlich irrelevant sei. Zur Erinnerung: Im Januar 2000 war aufgeflogen, dass die hessische CDU viele Millionen Mark, aus dubiosen Quellen stammend, vor den Finanzbehörden und dem Parteiengesetz versteckt, in die Schweiz transferiert und dort Gewinn bringend angelegt hat, sodann die anrüchigen Gelder in vierzig Geldkoffern zurückverbrachte – unter anderem zur Finanzierung des Wahlkampfes des heutigen Ministerpräsidenten Koch. Offiziell wurden die Gelder getarnt als Vermächtnisse, die jüdische Bürger im Ausland der CDU zugedacht hatten. Verantwortlich für die Machenschaften waren: Manfred Kanther, Ex- Bundesinnenminister und CDU-Landesvorsitzender in Hessen; Prinz zu Sayn- Wittgenstein, früherer CDU-Schatzmeister, und Horst Weyrauch, ehemaliger CDU- Finanzberater.
Die hessischen Richter haben die Eröffnung des Strafverfahrens gegen alle drei abgelehnt. Man muss ihnen gratulieren: Die Richter haben eine handwerkliche Glanzleistung vollbracht und aus allen Sachverhaltsvarianten und juristischen Bewertungen, die möglich waren, mit viel Geschick stets die für die Beschuldigten günstigsten herausgearbeitet. Sie haben den Satz „im Zweifel für den Angeklagten“ auf wundersame Weise verfeinert; er gilt üblicherweise nach abgeschlossener Beweiswürdigung: Der Angeklagte muss freigesprochen werden, wenn das Gericht in der Verhandlung keine volle Überzeugung von der Täterschaft gewinnt. In Hessen ist das anders: Da werden, bei Kanther & Co., vom Gericht alle Zweifel schon im Frühstadium gesucht, addiert und zur frühzeitigen Verfahrenseinstellung verdichtet; da kommt nur Entlastendes ins Töpfchen und alles Belastende ins Kröpfchen. Daher liest sich der Beschluss so: 1) Die angeklagten Punkte waren nicht strafbar. 2) Möglicherweise gibt es strafbares Tun, aber das war nicht mit angeklagt. 3) Und wenn, dann wäre ohnehin alles verjährt.
Es handelt sich um eine Justizfarce. Das einst gottselige Vertrauen der Bürger in die Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Parteifinanzskandale ist aber ohnehin längst dahin.
Quelle:Süddeutsche Zeitung