Wütende Anleger verklagen Banken

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Wütende Anleger verklagen Banken

 
22.08.01 08:09
Prozesswelle greift von USA auf Deutschland über


Wütende Anleger verklagen Banken


Von Tobias Moerschen und Elisabeth Zach


Kaum zwei Wochen ist es her, dass Anleger in den USA rechtlich gegen zwei Top-Analysten vorgingen. Henry Blodgets Arbeitgeber Merrill Lynch beugte sich einem Vergleich, Mary Meeker von Morgan Stanley steht bald vor dem Richter. In Deutschland hat nun seit einigen Tagen die Deutsche Bank zwei Betrugsanzeigen am Hals. Grund ist ein Anlageurteil ihres Analysten Stuart J. Birdt.


DÜSSELDORF/FRANKFURT/M. Birdt hatte seine Kaufempfehlung für die T-Aktie – wenngleich mit gesenktem Kursziel – vor gut zwei Wochen bekräftigt. Kurz darauf verkaufte die Deutsche Bank 44 Mill. Telekom- Aktien im Kundenauftrag. Der Kurs stürzte ab. Ein Privatanleger aus Südbayern schrieb der Frankfurter Staatsanwaltschaft, er fühle sich „auf eklatante und betrügerische Weise missbraucht.“ Auch Anwalt Hans-Joachim Wiebe erstatte Betrugsanzeige für einen Mandanten. Der Verdacht: Die Bank habe mit dem Kaufurteil den Telekom-Kurs nach oben getrieben, um das Aktienpaket leichter zu platzieren.

Allerdings stehen die Kläger mit ihrer Sicht allein. Die Deutsche Bank betont, Anlageempfehlung und Blockverkauf seien völlig getrennt abgelaufen. Auch der Münchener Anwalt und Anlegerrechtsexperte Martin Arendts glaubt nicht an eine gezielte Aktion: „Das wäre viel zu offensichtlich“. Anwalt Wiebe gibt seiner Anzeige selbst kaum Chancen. „Mein Mandant und ich sind sehr realistisch“, sagt er.

Dennoch zeigt das Beispiel: Empörte Anleger ziehen immer öfter vor Gericht. Dabei geraten verstärkt Banken und auch die Börse in die Schusslinie. So wollen enttäuschte Gigabell-Aktionäre nach Angaben ihrer Anwälte die Deutsche Börse verklagen. Sie hätte Gigabell nie an den Neuen Markt lassen dürfen, so der Vorwurf. Die Anwälte erwarten, dass die Börse mögliche Schadenersatzforderungen an die Konsortialbanken von Gigabell weiterreicht. Bislang trafen Anlegerklagen eher Unternehmen: So reichten gestern, kurz vor Auslaufen der Verjährungsfrist, mehrere Anwälte weitere Prospekthaftungsklagen gegen die Telekom ein.

Der New Yorker Anwalt Jacob Zamansky, der mit Erfolg gegen Merrill Lynch vorging, plant bereits neue Verfahren. „Ich bekomme viele Anfragen aus Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden“, erzählt Zamansky. Deutsche Kunden von Banken, die Mitglied der New Yorker Börse (Nyse) seien, könnten vermutlich die dortigen Schiedsstellen anrufen, sagt Zamansky. Die Nyse prüfe dies derzeit. Die amerikanischen Börsen-Schiedsstellen versuchen, Streitfälle zu schlichten, bevor ordentliche US-Gerichte entscheiden. „Meiner Ansicht nach kommen auf deutsche Wertpapierhäuser viele Klagen zu“, sagt der US-Anwalt.

Deutsche Banken, die in den USA aktiv sind, können dort verklagt werden. Außerdem bietet auch das hiesige Rechtssystem Ansätze, um Banker haftbar zu machen. So hätte der Blodget- Fall hier zu Lande durchaus Erfolgsaussichten, meint Rechtsprofessor Hans- Peter Schwintowski von der Berliner Humboldt-Universität. Der Ansatzpunkt läge in der Beratungshaftung, die in der deutschen Rechtsprechung seit vielen Jahren etabliert ist. Im Kern geht es darum, dass Bankberater gegenüber ihren Kunden bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllen müssen. Der enttäuschte Merrill-Kunde hatte dem Rat seines Aktienhändlers vertraut – und der wiederum hatte sich blind auf Staranalyst Blodget (siehe auch Kasten) verlassen. „Die Beraterhaftung setzt voraus, dass ein Beratungsvertrag zwischen Kunde und Bankberater besteht“, sagt Rechtsprofessor. Zudem müsse der Anleger nachweisen, dass sein Schaden auf einer Pflichtverletzung der Bank beruht.

Kaum Chancen hätte dagegen die US-Klage gegen Internet-Analystin Mary Meeker von Morgan Stanley. Meeker habe aus Eigennutz übertrieben positive Urteile veröffentlicht, lautet der Vorwurf. Damit betreten die Kläger übrigens auch in den USA juristisches Neuland. US-Rechtsprofessor John Coffee von der Columbia-Universität hält die Aussichten für unsicher. „Man müsste jede einzelne Standarddoktrin des US-Aktienrechts dehnen, um Morgan Stanley haftbar zu machen“, sagte Coffee dem Wall Street Journal.

Ein Verhalten, wie es Meeker unterstellt wird, wäre auch in Deutschland verboten, sagt Professor Schwintowski. „Aber Begründung und Beweisführung wären sehr schwierig“, fügt er hinzu. In den USA können Kläger in einem Vorverfahren (pre-trial-discovery) Dokumente des Prozessgegners anfordern. Dabei taucht oft Belastungsmaterial auf. Nach der deutschem Zivilprozessrecht muss der Kläger dagegen alle Beweise selbst vorlegen. Kann er seinen Anspruch nicht schlüssig begründen, wird die Klage abgewiesen.

Viele US-Verfahren basieren zudem auf Sammelklagen. Dabei ziehen Anleger gemeinsam vor Gericht. Die Kosten trägt ein Anwaltsbüro, das sich bei Erfolg aus der Schadensumme bedient. In Deutschland muss dagegen grundsätzlich jeder Anleger im Alleingang klagen. Die Verfahrenskosten trägt in Zivilverfahren der Verlierer. „Anleger fürchten daher oft zu Recht, ihre Verluste mit Klagen nur zu vergrößern“, sagt Anwalt Wiebe.


HANDELSBLATT, Dienstag, 21. August 2001



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