Wie berechtigt ist die Angst vor dem „Double Dip?“

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Wie berechtigt ist die Angst vor dem „Double Dip?“

 
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Die Angst vor dem „Double Dip“ geht um an der Wall Street. Analysten, Händler und Journalisten – alle fürchten, dass die US-Konjunktur erneut in eine Rezession tauchen könnte, nachdem sie sich erst langsam von der letzten erholt. Das Phänomen ist bekannt: Anfang der 80er Jahre wies die Wirtschaftsentwicklung gleich zweimal die höckerförmige Kurve auf.


Nun könnte die Konjunktur sich auf dem Weg in die zweite Senke befinden. Dies meint zumindest Dauerpessimist Stephen Roach. Der Chefvolkswirt von Morgan Stanley, beziffert das Risiko auf 60 bis 65 %. Die Spekulationsblase sei zwar geplatzt, aber die Schockwirkung noch längst nicht abgeklungen. Roach hat folgendes Rezessions-Alarm-Modell entwickelt: Zunächst verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum fast bis zum Stillstand. Dann erlebt die Wirtschaft einen Schock. Die Folge: Die Konjunktur bricht ein. Laut Roach hat es sich genau nach diesem Drehbuch abgespielt. Der Schock, der die nur noch langsam wachsende Wirtschaft traf, war das Platzen der Internetblase.

Nur 6000 neue Stellen

Sein Kollege Barton Biggs sieht nicht ganz so schwarz. Aber auch er kann die negativen Wirtschaftsdaten der vergangenen Wochen nicht verneinen. So fiel das Verbrauchervertrauen im Juli auf den niedrigsten Stand seit dem „Enron-Tief“ im Februar. Auch das Bruttoinlandsprodukt lag deutlich unter dem, was die Analysten vorhergesagt hatten. Das Wachstum belief sich im zweiten Quartal lediglich auf 1,1 %. Ursprünglich hatten die Volkswirte ein Wachstum von 2,3 % angepeilt. Und die negative Liste kann noch weiter fortgesetzt werden: Die Angaben zum verarbeitenden Gewerbe enttäuschten und auch der Arbeitsmarktbericht brachte keine Wachstumskunde. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen war verschwindend gering – im Juli waren es gerade mal 6000.

„W-förmige Erholung“?

Angesichts dieser Daten hat sich auch David Wyss, Chef-Ökonom bei Standard & Poor`s, eher bei den Pessimisten eingereiht. Er sagt statt„Double Dip“ lieber „W-förmige Erholung“, meint aber im Grunde dasselbe. Immerhin sieht er positive Signale: „Das Beige-Book hat Ermutigendes enthalten.“ In diesen von den regionalen Notenbanken gesammelten Berichten zur Wirtschaftslage fand Wyss mehr Stärken als Schwächen.

Hundert Volkswirte - tausend Meinungen

Trotz der enttäuschenden Daten sieht Bruce Steinberg „keinen Kurzschluss“ der Erholung. Der Chefökonom von Merrill Lynch zieht seine Zuversicht aus der Tatsache, dass im Juli mehr Autos verkauft wurden. Für Steinberg ein Indiz dafür, dass die Verbraucherausgaben um 3,5 % im dritten Quartal steigen werden. Zwar sieht der Experte auch, dass die „Schwankungen des Aktienmarkts dem Konsumenten einiges abverlangt“. Schließlich sind die US-Bürger stark im Aktienmarkt investiert und ein Einbruch dort wirkt sich auf die Haushaltskasse aus. Jedoch glaubt Steinberg, dass das Wirtschaftswachstum in der zweiten Jahreshälfte um 3,5 % und 2003 sogar um 4 % wachsen wird.

Lagerbestände als Gegenindikator

Für den Chefstrategen von Victory Capital Management, Richard Nash, stellen die mäßigen Wirtschaftsdaten keinen Grund zur Besorgnis dar. Nash glaubt nicht an eine erneute Rezession, da die Hauptzutaten für einen „Double Dip“ fehlen. Dazu zählt der Experte einen Nachfragerückgang, der mit einer Steigerung der Produktion und der Lagerbestände einhergeht. „Fakt ist, dass die Lagerbestände seit 18 Monaten abnehmen. Deswegen halte ich eine erneute Rezession für eher unwahrscheinlich“, hält Nash dagegen.

Zinsspritze als Heilmittel

Die Volkswirte bei Goldman Sachs sehen gegen den drohenden Rückfall nur ein Gegenmittel: Alan Greenspan soll es richten. „Die US-Notenbank wird im nächsten Quartal die Leitzinsen um 50 bis 100 Basispunkte senken.“ Sinn der Übung: Unternehmen sollen durch den „Nullzins“ förmlich genötigt werden, mehr zu investieren und zu produzieren. Sparen wird für die Verbraucher unattraktiv. Geld fließt, die Krise ist überwunden.

Abschreckendes Beispiel Japan

Die Prophezeiung hat an der Wall Street heftigen Wirbel ausgelöst. Viele fürchten, dass damit ein schlechtes Beispiel Schule machen könnte. Mit Hilfe einer Zinsspritze den Patienten zu kurieren, dieses Heilmittel hat Japan Anfang der 90er Jahre versucht. Auch damals sollten die Nachwirkungen einer Spekulationsblase abgefedert werden. Mit bescheidenen Resultaten.

Das Gespenst von 1929

Steven Wieting, Ökonom bei Salomon Smith Barney, hat in den Archiven geblättert. Er ist überzeugt, dass der momentane Bärenmarkt dem fatalen Muster des Crashs von 1929 folgt. Seine These: Der Markt werde sich auch bei der Erholung an dieses Muster halten. Erst 1954 erreichten die Kurse wieder die Höhen, die sie vor dem Großen Crash hatten. Seiner Berechnung nach wird es noch weitere 23 Jahre dauern, bis der S&P 500 Index den Stand des Jahres 2000 wieder erreicht. Dann rennen die Bullen wieder – im Jahr 2025.

Quelle: Wall Street Correspondents, Inc.


HANDELSBLATT, Dienstag, 06. August 2002, 20:56 Uhr



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