FRANKFURT, 1. Juni. Haben sich die Anleger zu früh gefreut? Die Kurserholung scheint beendet zu sein, bevor sie richtig angefangen hat. Seit April haben sich zwar die Aktienmärkte vor allem bei den Technologiewerten deutlich von ihren Tiefständen entfernt. Doch in dieser Woche fand der Aufschwung zunächst ein Ende, die Anleger werden wieder nervös. Die Warnungen des wichtigen amerikanischen Computer- und Softwarekonzerns Sun Microsystems und des französischen Mobilfunkausrüsters Alcatel vor einem Gewinneinbruch haben die Märkte wieder darin erinnert, daß die Zeit der Ergebnisrevisionen noch nicht vorbei ist.
Die kommenden Wochen an den Aktienmärkten werden von Analysten eher skeptisch gesehen. Die Ertragssorgen bei den Unternehmen kommen wieder auf die Tagesordnung. Weitere Gewinnrevisionen sind angesichts des noch trüben Wirtschaftsumfeldes wahrscheinlich und dürften die Märkte belasten. Die Konjunktursorgen nehmen vor allem in Europa zu, was die gesunkenen Auftragseingänge sowie die Verschlechterung des Geschäftsklimas in Deutschland und in dieser Woche auch in Frankreich anzeigten. Die Akteure in den Vereinigten Staaten schließlich dürften bald merken, daß die den Kursen zugrundeliegende Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung übertrieben ist. Noch halten sich negative und positive Wirtschaftsdaten in Übersee die Waage. Eine Verbesserung der Wirtschaftslage in Amerika erwarten viele Beobachter jetzt frühestens im vierten Quartal. Die hohe Inflationsrate im Euro-Raum hat zudem die Aussichten auf rasche weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank zunichte gemacht. Die technische Situation weist ebenfalls nicht auf einen ungebremsten Kursaufschwung hin. Wichtige Widerstandslinien konnten nicht überwunden werden, Gewinnmitnahmen setzten ein.
Vor diesem Hintergrund sind weitere Kursgewinne in den kommenden Wochen keineswegs sicher. Der Deutsche Aktienindex könnte unter die Marke von 6000 Punkten fallen und alte Jahrestiefstände testen. Der Dow Jones, der seinen Aufschwung knapp unter seinem alten Höchststand vom März 2000 unterbrochen hat, dürfte ebenfalls unter Druck stehen. Mittelfristig hellen sich die Perspektiven für den Aktienmarkt jedoch wieder auf. In einigen Monaten könnten die Zinssenkungen in Amerika allmählich Wirkung entfalten, zur Stützung der Wirtschaft beitragen und die Zahl weiterer Gewinnrevisionen der Unternehmen reduzieren. In Europa könnte die Zinssenkungsphantasie mit zurückgehenden Inflationserwartungen wieder angeregt werden. Analysten gehen davon aus, daß die Teuerungsraten durch nachlassende Sondereinflüsse wie hohe Benzin- und steigende Nahrungsmittelpreise infolge der Maul- und Klauenseuche sinken werden.
Vor diesem Hintergrund raten Beobachter, sich zunächst mit Engagements in Aktien zurückzuhalten und erst die erwarteten Kursrückschläge zum Einstieg zu nutzen. Jetzt Gewinne zu realisieren, um später billiger nachzukaufen, dürfte für die meisten Standardwerte zu riskant sein, denn die erwartete Korrektur dürfte für diese Titel nicht groß genug ausfallen. Das Risiko, zu spät wieder einzusteigen, ist dabei zu groß. Allenfalls in Titeln des Neuen Marktes oder einigen Standardwerten aus dem Technologiesektor könnte diese Strategie erfolgreich sein.
Empfohlen wird, derzeit noch in defensive Branchen zu investieren und später, wenn sich wirtschaftliche Besserungserscheinungen zeigen, in konjunkturabhängige Aktien umzuschichten. Auf einigen Empfehlungslisten stehen zum Beispiel die Deutsche Post oder der Touristikkonzern Preussag. Pharmaaktien, klassische defensive Werte, haben sich in den vergangenen Monaten bereits gut entwickelt und sind für viele schon zu teuer. Bei hohem Risiko seien auch einige Technologiewerte interessant. Finanzwerte könnten davon profitieren, daß sich die Kapitalmärkte mittelfristig wieder stabilisieren dürften. Auch die Verstärkung des Altersvorsorgegeschäfts werde ihnen zugute kommen. Die Zinssenkungsphantasie dürfte die Finanzwerte ebenfalls stützen. Von Engagements in Großchemie oder Stahlunternehmen wie Thyssen-Krupp wird noch abgeraten. Insgesamt sollte die Aktienquote jetzt nicht mehr reduziert werden. Denn zum einen sind die mittelfristigen Aussichten für die Aktienmärkte gut, zum anderen die Perspektiven am Rentenmarkt wenig lukrativ. Experten erwarten kaum Kursbewegung bei langfristigen Anleihen und geringes Potential im kurz- und mittleren Laufzeitenbereich.
DYRK SCHERFF
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2001, Nr. 127 / Seite 25
Die kommenden Wochen an den Aktienmärkten werden von Analysten eher skeptisch gesehen. Die Ertragssorgen bei den Unternehmen kommen wieder auf die Tagesordnung. Weitere Gewinnrevisionen sind angesichts des noch trüben Wirtschaftsumfeldes wahrscheinlich und dürften die Märkte belasten. Die Konjunktursorgen nehmen vor allem in Europa zu, was die gesunkenen Auftragseingänge sowie die Verschlechterung des Geschäftsklimas in Deutschland und in dieser Woche auch in Frankreich anzeigten. Die Akteure in den Vereinigten Staaten schließlich dürften bald merken, daß die den Kursen zugrundeliegende Hoffnung auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung übertrieben ist. Noch halten sich negative und positive Wirtschaftsdaten in Übersee die Waage. Eine Verbesserung der Wirtschaftslage in Amerika erwarten viele Beobachter jetzt frühestens im vierten Quartal. Die hohe Inflationsrate im Euro-Raum hat zudem die Aussichten auf rasche weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank zunichte gemacht. Die technische Situation weist ebenfalls nicht auf einen ungebremsten Kursaufschwung hin. Wichtige Widerstandslinien konnten nicht überwunden werden, Gewinnmitnahmen setzten ein.
Vor diesem Hintergrund sind weitere Kursgewinne in den kommenden Wochen keineswegs sicher. Der Deutsche Aktienindex könnte unter die Marke von 6000 Punkten fallen und alte Jahrestiefstände testen. Der Dow Jones, der seinen Aufschwung knapp unter seinem alten Höchststand vom März 2000 unterbrochen hat, dürfte ebenfalls unter Druck stehen. Mittelfristig hellen sich die Perspektiven für den Aktienmarkt jedoch wieder auf. In einigen Monaten könnten die Zinssenkungen in Amerika allmählich Wirkung entfalten, zur Stützung der Wirtschaft beitragen und die Zahl weiterer Gewinnrevisionen der Unternehmen reduzieren. In Europa könnte die Zinssenkungsphantasie mit zurückgehenden Inflationserwartungen wieder angeregt werden. Analysten gehen davon aus, daß die Teuerungsraten durch nachlassende Sondereinflüsse wie hohe Benzin- und steigende Nahrungsmittelpreise infolge der Maul- und Klauenseuche sinken werden.
Vor diesem Hintergrund raten Beobachter, sich zunächst mit Engagements in Aktien zurückzuhalten und erst die erwarteten Kursrückschläge zum Einstieg zu nutzen. Jetzt Gewinne zu realisieren, um später billiger nachzukaufen, dürfte für die meisten Standardwerte zu riskant sein, denn die erwartete Korrektur dürfte für diese Titel nicht groß genug ausfallen. Das Risiko, zu spät wieder einzusteigen, ist dabei zu groß. Allenfalls in Titeln des Neuen Marktes oder einigen Standardwerten aus dem Technologiesektor könnte diese Strategie erfolgreich sein.
Empfohlen wird, derzeit noch in defensive Branchen zu investieren und später, wenn sich wirtschaftliche Besserungserscheinungen zeigen, in konjunkturabhängige Aktien umzuschichten. Auf einigen Empfehlungslisten stehen zum Beispiel die Deutsche Post oder der Touristikkonzern Preussag. Pharmaaktien, klassische defensive Werte, haben sich in den vergangenen Monaten bereits gut entwickelt und sind für viele schon zu teuer. Bei hohem Risiko seien auch einige Technologiewerte interessant. Finanzwerte könnten davon profitieren, daß sich die Kapitalmärkte mittelfristig wieder stabilisieren dürften. Auch die Verstärkung des Altersvorsorgegeschäfts werde ihnen zugute kommen. Die Zinssenkungsphantasie dürfte die Finanzwerte ebenfalls stützen. Von Engagements in Großchemie oder Stahlunternehmen wie Thyssen-Krupp wird noch abgeraten. Insgesamt sollte die Aktienquote jetzt nicht mehr reduziert werden. Denn zum einen sind die mittelfristigen Aussichten für die Aktienmärkte gut, zum anderen die Perspektiven am Rentenmarkt wenig lukrativ. Experten erwarten kaum Kursbewegung bei langfristigen Anleihen und geringes Potential im kurz- und mittleren Laufzeitenbereich.
DYRK SCHERFF
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2001, Nr. 127 / Seite 25