EXPEDIA
Mit leichtem Gepäck
Von Michael Machatschke
Internetportale wie der US-Touristikanbieter Expedia verdienen glänzend mit minimalem Kapitalaufwand. Saison für Saison jagen sie den Reisekonzernen mehr Kunden ab - Tui und Thomas Cook sind alarmiert.
Und vor so einem zittert nun eine ganze Branche. Er blickt aus warmen braunen Augen, kleidet sich am liebsten lässig in Strickpulli und Jeans; formuliert - trotz junger Jahre - wohlgesetzt mit leicht knarrender Stimme wie ein Politiker beim Seniorennachmittag.
Immer beliebter: Online-Reiseportale wie Expedia schnappen den Reiseriesen Tui, Thomas Cook & Co. die Kunden weg
Aus seinen Absichten allerdings macht er kein Hehl: Dara Khosrowshahi (37) - ein Amerikaner mit iranischen Wurzeln - strebt nach der Krone. "Wir wollen", proklamiert der Chef des Internetportals Expedia , "der größte und profitabelste Reiseanbieter der Welt werden."
Der Mann ist ernst zu nehmen. Mit einem Bruttoumsatz von 15,6 Milliarden Dollar zählt Expedia schon heute zu den stärksten Kräften des Marktes. An der Börse ist der Konzern rund 4,3 Milliarden Euro wert, annähernd so viel wie der europäische Champion Tui .
Beim operativen Gewinn lagen die Amerikaner im vergangenen Jahr zwar noch rund 14 Prozent hinter den Deutschen. Doch an der Effizienz gemessen, führen sie mit weitem Vorsprung. Jeder Mitarbeiter von Expedia erwirtschaftet im Mittel einen Vorsteuergewinn von 48.000 Euro - fast siebenmal so viel wie eine Durchschnittskraft bei der Tui-Touristik. Der Schrecken nimmt Gestalt an.
Expedia steht an der Spitze einer Revolution, eines geradezu epochalen Umbruchs der Reisebranche.
Noch vor ein paar Sommern schien es, als gehöre die Zukunft den Schwergewichten: den klassischen Reisekonzernen wie Tui oder Thomas Cook. Jetzt aber triumphieren die Internettouristiker. Sie verzichten auf nahezu alles, was für Anbieter von Rang als essenziell galt. Sie arbeiten
ohne eigene Hotels, Flugzeuge oder Ankunftsagenturen,
ohne Kataloge,
ohne langfristig kalkulierte Preise,
ohne Abhängigkeit von Reisebüros.
Ihre Ware kaufen sie frei am Markt und reichen sie mit einem Aufschlag weiter, meist via Internet, gelegentlich auch per Callcenter. Ein Geschäft mit überschaubarem Aufwand. Und unübersehbarem Erfolg.
Die Reiseriesen sind alarmiert. Es vergeht kaum noch eine Vorstandssitzung, ohne dass der Name Expedia fällt. Konzernarchitekten wie Tui-Chef Michael Frenzel (59) müssen sich fragen lassen, ob sie womöglich auf das falsche Modell gesetzt haben. Und plagen sich selbst mit der Frage, wie sie auf die Zeitenwende reagieren können, ohne ihre Konzerne de facto aufzugeben.
Kampf der System: Expedia gegen Tui, Thomas Cook & Co.
Expedia-Chef Khosrowshahi, ein ehemaliger Investmentbanker, verbreitet Siegesgewissheit: Die beweglichen, unbeschwerten Internetportale würden den Markt schon in wenigen Jahren beherrschen, "das Asset-light-Modell gewinnt". Der Schrecken, so scheint es, geht jetzt erst richtig los.
Überlegenes System: Expedia im Vergleich mit klassischen Reisekonzernen (2005)
Tui * Thomas Cook Expedia
Umsatz
in Milliarden Euro 14,1 7,7 12,2 **
Mitarbeiter 50.500 23.300 6500
operativer Gewinn
(Ebit) in Mio. Euo 365 179 312
operativer Gewinn
je Mitarbeiter (Ebit)in Euro 7200 7700 48.000
* Nur Touristiksparte; ** Bruttoumsatz = bewegtes Reisevolumen.
Die Revolution hat einen prominenten Ahnherren: Microsoft-Boss Bill Gates (51). Der rief Mitte der 90er Jahre, wie über Nacht erleuchtet, das Internet als Medium der Zukunft aus. Und gründete flugs ein paar Portale. Eine Handelsplattform für Neuwagen war dabei - und der Reisedienst Expedia. 1996 ging Expedia online, 1999 erstmals an die Börse.
Heute gehört das Unternehmen vor allem US-Investmentfonds und seinem Chairman, dem Medien-Hansdampf Barry Diller (64). Der Konzern umfasst gleich mehrere Touristikportale, etwa den Zimmervermittler Hotels.com und den Reiseführer Tripadvisor. Der Star der Gruppe aber heißt wie die Firma: Expedia.
Das Portal war ursprünglich als Informationsbörse und Suchmaschine konzipiert, die beim Preisvergleich helfen sollte. Kühl und schematisch sah die Seite aus - zu kühl für den deutschen Markt. Das hiesige Publikum jedenfalls ließ sich anfänglich nicht erwärmen, die erhofften Buchungen blieben aus.
Das hat sich gründlich geändert. Expedia ist heute in Deutschland das bedeutendste universelle Reiseportal; nur die Homepage der Bahn wird häufiger angeklickt, allerdings weniger wegen allgemeiner touristischer Angebote, sondern wegen Fahrplanauskünften und Zugtickets.
Ins Geschäft kam Expedia mit einer Totalretusche im Jahr 2000. Heute wirkt die Seite, als wogte dort eine endlose Fiesta. Auf bunten Buttons, die an Luftballons erinnern, prangen allerlei Sonderangebote; Fernsehkomiker und Werbeträger Mirco Nontschew grüßt im Smoking.
"Die Kunden wollen in Urlaubsstimmung versetzt werden", erläutert Jens Uwe Parkitny (41), Geschäftsführer von Expedia Deutschland. Die hiesige Klientel verlange zudem auch im Netz, was sie aus dem Reisebüro kenne: Pauschalreisen. In Deutschland erzielt Expedia daher mehr als die Hälfte des Umsatzes mit dem Weiterverkauf von Pauschalangeboten nahezu aller bekannten Marken; nur Tui bleibt außen vor.
Den Wiederverkäufer Expedia müssen die Veranstalter nicht fürchten, sie kassieren schließlich mit. Gefährlich wird ihnen hingegen das wachsende Eigengeschäft des Internetpioniers. Die Kunden können sich im Netz eine Pauschalreise zusammenstellen, ohne dass irgendein klassischer Veranstalter daran mitwirkt.
Die Kunden bedienen sich dabei aus dem Angebot in Form eines Baukastensystems. Mit ein paar Mausklicks und Dateneingaben kombinieren sie Flug, Hotel und Zusatzleistungen wie Transfers, Ausflüge oder Mietwagen.
Das Bausteinsortiment beschafft Expedia zu einem großen Teil selbst. Rund 350 Einkäufer handeln weltweit Konditionen mit Hotels, Fluglinien, Autoverleihern oder Musicaltheatern aus.
Hat der Kunde seine Auswahl getroffen, gibt Expedia obendrauf noch die üblichen Beigaben einer Pakettour: einen Sicherungsschein, Umbuchungszusagen bei Krisen in den Feriengebieten und einen persönlichen Service via Callcenter. Damit mutiert die Suchmaschine von einst zum vollwertigen Reiseveranstalter - ganz ohne Konzernbombast.
Das Baukastenprinzip stellt die alte Logik der Reiseveranstalter auf den Kopf. Die beschäftigen Kohorten von Produktmanagern, die vorausahnen sollen, wonach der Klientel in der kommenden Saison der Sinn steht. Dann blocken sie große Hotel- und Flugkontingente, drucken Kataloge und hoffen auf Buchungen. Virtuelle Veranstalter wie Expedia produzieren nur die Reisen, die tatsächlich verlangt werden; der Kunde ist sein eigener Produktmanager.
Ein Geschäftsmodell mit Potenzial. Sogar Tui-Chef Michael Frenzel erwartet, dass die Bausteinreisen bis 2010 in Europa mit den herkömmlichen Pauschaltouren fast gleichziehen werden. Eine Tui-Hochrechnung sagt den Mix-Anbietern in diesem Jahrzehnt eine Verfünffachung ihres Marktanteils voraus, von 6 auf 30 Prozent. Das Wachstum gehe in erster Linie zulasten der Pauschalreise, die von 45 auf 35 Prozent Marktanteil zurückfallen werde.
Die Attackierten wehren sich. Praktisch alle etablierten Veranstalter haben ihre Internetseiten aufgepeppt. Bei den meisten sind die Reisen inzwischen auch online buchbar. Die Granden Tui und Thomas Cook bieten mittlerweile eigene Baukästen auf, Thomas Cook geht noch weiter und verkauft auf der Firmen-Homepage seit Kurzem auch Konkurrenzprodukte.
Ein echter Konter allerdings fällt den Klassikern schwer. Sie sind tief in der alten Welt verwurzelt. Im mittleren Management geben oft noch ehemalige Reiseleiter den Ton an, die von den Glanzzeiten der Pauschalreise in den 80er und 90er Jahren zehren.
Eine beherzte Kehrtwende stößt in Deutschland an handfeste Grenzen. Die konventionellen Touristikhäuser sind von Tausenden freien Reisebüros abhängig. Die Kontore mit forscher Eigenvermarktung zu verprellen, womöglich gar mit Rabatten im Internet, wäre selbstmörderisch - und illegal.
Das deutsche Handelsvertretergesetz verbietet den Veranstaltern Unterschiede zwischen Katalog- und Netzpreisen. So bleibt der Vorteil des Online-Buchens für die Kunden überschaubar. Die meisten gehen denn auch lieber weiter ins warme Reisebüro - und lassen buchen.
In Großbritannien, wo andere Regeln gelten, erreichen Tui und Thomas Cook zwar durchaus ansehnliche Online-Quoten. In der Heimat aber bleiben sie fußlahm.
Da nutzen auch Rechenkunststücke nicht. 8 Milliarden Euro hat Tui nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr im Internet umgesetzt. Ein hübscher Betrag, der allerdings vor allem bei Tochtergesellschaften anfiel: bei hauseigenen Fluglinien wie HLX oder beim Last-Minute-Spezialisten L'Tur, an dem der Konzern beteiligt ist. Die Hauptmarke Tui zockelt Expedia und Anverwandten hinterher.
Die Konjunktur der Reiseportale, glaubt Expedia-CEO Khosrowshahi, folge einem Metatrend der Branche. "Viele große Hotelketten in den USA", räsoniert er, "haben sich aus dem eigentlichen Hotelbetrieb zurückgezogen und konzentrieren sich auf den Verkauf und die Markenpflege. Wir vollziehen diesen Weg jetzt nach."
Sonne, Strand und Palmen: "Die kaufen sich regelrecht Marktanteil"
Das Marketing nimmt er besonders ernst. "Gemessen am Nettoumsatz", behauptet Khosrowshahi, "haben wir die höchsten Werbeausgaben aller Reiseanbieter." In Deutschland etwa steckt Expedia schätzungsweise 20 Millionen Euro in TV-, Internet- und Radiokampagnen - ein Batzen gemessen am Umsatz, den die Fachzeitschrift "FVW International" für das Jahr 2005 auf 260 Millionen Euro taxierte. "Die kaufen sich regelrecht Bekanntheit und Marktanteil", meint ein Wettbewerber; Neid klingt durch.
Den Aufwand können die Netzwerker sich leisten. Frei von Altlasten arbeiten sie in wahrhaft schlanken Strukturen. Am üppigsten wirkt noch das Hauptquartier, eine Art Campus mit mehreren Büroklötzen am Rande von Seattle, der Heimat des Urvaters Microsoft . Das Rechenzentrum in Denver/Colorado nimmt sich ausgesprochen kompakt aus. Die Server für den weltweiten Verbund beanspruchen kaum die Fläche eines Tennisplatzes.
Die Landesgesellschaften schließlich erscheinen geradezu magersüchtig. Um eine Nation mit einer heimatsprachigen Version des Portals und abgestimmten Angeboten zu bedienen, genügen Expedia wenige Dutzend Spezialisten. Das Kernteam in Deutschland etwa besteht aus lediglich 30 Leuten, zuzüglich eines ausgelagerten Callcenters und 15 Einkäufern, die direkt der Zentrale unterstehen.
Da lässt sich munter expandieren. "Wir haben die Chance", frohlockt Konzernchef Khosrowshahi, "den ersten wirklichen Global Player der Reisebranche zu bauen." In zehn Ländern ist Expedia schon mit Ablegern präsent, darunter Frankreich, Großbritannien und Italien. Erst kürzlich starteten Dependancen in Australien und China. Japan und Indien sollen in wenigen Monaten folgen, außerdem Töchter in Skandinavien.
Die weite Welt hat noch Hunger. In den USA, bisher für drei Viertel des Umsatzes gut, zeigen sich erste Sättigungstendenzen; das jährliche Wachstum lag zuletzt bei 8 Prozent. Die Satelliten in Europa und Asien gedeihen mit zweistelligen Raten.
Ob er das Tempo halten kann, hängt für Deutschland-Chef Jens Uwe Parkitny wesentlich vom technischen Fortschritt ab. "Das Buchen im Internet muss einfacher und unterhaltsamer werden", verlangt er. Viele Portale verströmten noch den Charme eines Steuerformulars.
Flugs gebucht: In Deutschland erzielt Expedia mehr als die Hälfte des Umsatzes mit dem Weiterverkauf von Pauschalangeboten nahezu aller bekannten Marken; nur Tui bleibt außen vor.
In Zukunft, schwebt ihm vor, werde die Suche nach der passenden Tour weniger mit dem Eintippen von Daten zu tun haben als mit einem Wunschkatalog. Sein Ideal: Der Kunde trägt wie bei einer Suchmaschine assoziativ ein, was ihm vorschwebt - um dann blitzschnell ein paar wenige gezielte Angebote zu ernten. Erste Schritte unternimmt Expedia bei Städtereisen; ein vierstufiger "Inspirator" empfiehlt passende Metropolen. Beim Wettbewerber L'Tur erkundet ein Programm namens "Mops" den Reisetypus, fast so, als gelte es, einen Partner fürs Leben zu finden.
Hoher Profit und Wachstum bei wenig Risiko - das Geschäftsmodell von Expedia wirkt fast zu attraktiv, um auf Dauer bestehen zu können. Vor allem Wettbewerber bezweifeln, dass Expedia auf Dauer genügend Hotelbetten und Flugsitze erhält, wenn die Einkäufer weiterhin keine Abnahmegarantien geben. Ab einer gewissen Größe werde der Emporkömmling an Nachschubprobleme stoßen, besonders in der Ferienzeit.
Konzernchef Khosrowshahi hält die Gefahr von Engpässen für gering. Sie seien zudem mit Kooperationen zu überwinden. Expedia hat zuletzt eine ganze Reihe strategischer Partnerschaften verkündet, unter anderem mit United Airlines und dem französischen Hotelgiganten Accor . "Wir übervorteilen sie nicht in der Nebensaison, sie übervorteilen uns nicht in der Hauptsaison", erläutert der CEO das Prinzip. Hotels und Flugzeuge kaufen wie die alten Giganten will der Manager jedoch auf keinen Fall, "wir bleiben bei unserem Modell".
Expedia lebt glänzend von dem latenten Überangebot in der Reisewelt. Selbst angeschlagene Fluglinien suchen ihr Heil in der Expansion. In den Urlaubsgebieten fällt den Hotelierdynastien meist nicht Besseres ein, als noch mehr Hotels zu bauen.
Die Branche wird zum Opfer ihrer Professionalität. Die Reiseindustrie hat Standards geschaffen. Wie eine Poollandschaft und ein Frühstücksbüfett auszusehen haben, weiß man in der Türkei oder in Tunesien inzwischen ebenso gut wie in Spanien. Alles wirkt austauschbar, jeder konkurriert mit jedem. Und Expedia, ungebunden, makelt das einzig knappe Gut - den Gast.
© manager-magazin.de 2006
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