"Die Welt" Freitag, 02. Mai 2003 Berlin, 15:58 Uhr
Russland wittert in Afghanistan ein Milliardengeschäft
Moskau will vor allem Öl- und Gasvorkommen erschließen
Von Jens Hartmann
Moskau - Es war ein diskretes Anliegen, das die Herren Manager des russischen staatlichen Erdölkonzerns Rosneft und des Erdgasversorgers Itera in die afghanische Hauptstadt Kabul führte. Mit Vertretern des afghanischen Ministeriums für Bergbau und Industrie sprachen sie über ein Milliardengeschäft, das man zumindest in Moskau hinter vorgehaltener Hand als "Friedensdividende" bezeichnet: Russland, das die Amerikaner bei ihrem Afghanistan-Einsatz vor allem mit Geheimdienstinformationen versorgte, aber keine Soldaten in den Krieg schickte, will den Öl- und Gassektor wieder aufbauen.
In einem Protokoll legten Moskau und Kabul fest, dass russische Experten ein Gutachten über den technischen Zustand des Öl- und Gassektors erstellen sollen. Binnen Monatsfrist sollen russische Techniker nach Afghanistan reisen, um in Gebieten direkt an der afghanisch-turkmenischen Grenze die Erdgasfelder zu begutachten. Außerdem sollen sie den Zustand der Pipeline Hodscha-Guderlag in die nördliche Provinzhauptstadt Mazar-i-Sharif checken. Nach russischen Schätzungen sitzt Afghanistan auf erforschten Öl- und Gasressourcen im Wert von 22 Milliarden Dollar.
"Rückkehr nach Afghanistan", titelte denn auch die Moskauer Zeitung "Finansowije Isvestija". Die Zeitung "Kommersant" schrieb leicht ironisch von "Völkerfreundschaft". Die Sowjetunion, die von 1979 bis 1989 in Afghanistan einen blutigen Krieg führte und geschlagen das Land verlassen musste, hat kurioserweise heute einen Standortvorteil. Schließlich erforschten ihre Geologen Afghanistan nach Bodenschätzen, führten seismographische Untersuchungen durch und erstellten Generalkarten der Fördergebiete. Nach diesen Karten wird nun in russischen Archiven gesucht.
In Afghanistan gibt es 18 aussichtsreiche Gas- und elf Ölfelder. Vor allem der Norden und Nordwesten des Landes, der an Turkmenistan grenzt, gilt als rohstoffreich. In den achtziger Jahren während der sowjetischen Invasion pumpte Afghanistan von dort 90 Prozent des Gases in die Sowjetunion. Im Spitzenjahr 1984 schickten sie drei Milliarden Kubikmeter Erdgas auf die Reise. Der staatliche Ölkonzern Rosneft hat Erfahrung in Krisengebieten. So baut eine Rosneft-Tochter das Energiewesen in der umkämpften Kaukasusrepublik Tschetschenien wieder auf. Die Erdgasfirma Itera ihrerseits hat glänzende Kontakte nach Turkmenistan.
Auch wenn Russland Milliarden am Wiederaufbau Afghanistans verdienen will, sollen die Kosten für das Engagement nicht von Moskau beglichen werden. "Wir denken, dass ausländische Investoren, allen voran internationale Organisationen die Finanzierung der Projekte sichern werden", sagt Itera-Pressesprecher Nikolai Semenenko. So gilt die Uno als potenzielle Geldgeberin.
Geopolitik spielt in den Planungen des Kreml, der seinen Einfluss in Zentralasien Schritt für Schritt eingebüßt hat, eine große Rolle. "Russland will seine Rolle in der Region ausbauen. Deshalb also der Vorstoß von Rosneft", sagt Valerij Nesterow von der Moskauer Brokerfirma Troika-Dialog. Tatsächlich soll der Einstieg in das afghanische Öl- und Gasgeschäft nur der Anfang sein. Längst geht es um Afghanistan als Transportkorridor, der von Turkmenistan und den rohstoffreichen Gegenden um das Kaspische Meer bis nach Pakistan führen könnte. Eine Kontrolle über diese Pipelineroute der Zukunft wird indes nicht nur von den Russen angestrebt. Die Amerikaner dürften kaum weniger Interesse an diesem politisch wie wirtschaftlich interessanten Projekt haben.
Russland wittert in Afghanistan ein Milliardengeschäft
Moskau will vor allem Öl- und Gasvorkommen erschließen
Von Jens Hartmann
Moskau - Es war ein diskretes Anliegen, das die Herren Manager des russischen staatlichen Erdölkonzerns Rosneft und des Erdgasversorgers Itera in die afghanische Hauptstadt Kabul führte. Mit Vertretern des afghanischen Ministeriums für Bergbau und Industrie sprachen sie über ein Milliardengeschäft, das man zumindest in Moskau hinter vorgehaltener Hand als "Friedensdividende" bezeichnet: Russland, das die Amerikaner bei ihrem Afghanistan-Einsatz vor allem mit Geheimdienstinformationen versorgte, aber keine Soldaten in den Krieg schickte, will den Öl- und Gassektor wieder aufbauen.
In einem Protokoll legten Moskau und Kabul fest, dass russische Experten ein Gutachten über den technischen Zustand des Öl- und Gassektors erstellen sollen. Binnen Monatsfrist sollen russische Techniker nach Afghanistan reisen, um in Gebieten direkt an der afghanisch-turkmenischen Grenze die Erdgasfelder zu begutachten. Außerdem sollen sie den Zustand der Pipeline Hodscha-Guderlag in die nördliche Provinzhauptstadt Mazar-i-Sharif checken. Nach russischen Schätzungen sitzt Afghanistan auf erforschten Öl- und Gasressourcen im Wert von 22 Milliarden Dollar.
"Rückkehr nach Afghanistan", titelte denn auch die Moskauer Zeitung "Finansowije Isvestija". Die Zeitung "Kommersant" schrieb leicht ironisch von "Völkerfreundschaft". Die Sowjetunion, die von 1979 bis 1989 in Afghanistan einen blutigen Krieg führte und geschlagen das Land verlassen musste, hat kurioserweise heute einen Standortvorteil. Schließlich erforschten ihre Geologen Afghanistan nach Bodenschätzen, führten seismographische Untersuchungen durch und erstellten Generalkarten der Fördergebiete. Nach diesen Karten wird nun in russischen Archiven gesucht.
In Afghanistan gibt es 18 aussichtsreiche Gas- und elf Ölfelder. Vor allem der Norden und Nordwesten des Landes, der an Turkmenistan grenzt, gilt als rohstoffreich. In den achtziger Jahren während der sowjetischen Invasion pumpte Afghanistan von dort 90 Prozent des Gases in die Sowjetunion. Im Spitzenjahr 1984 schickten sie drei Milliarden Kubikmeter Erdgas auf die Reise. Der staatliche Ölkonzern Rosneft hat Erfahrung in Krisengebieten. So baut eine Rosneft-Tochter das Energiewesen in der umkämpften Kaukasusrepublik Tschetschenien wieder auf. Die Erdgasfirma Itera ihrerseits hat glänzende Kontakte nach Turkmenistan.
Auch wenn Russland Milliarden am Wiederaufbau Afghanistans verdienen will, sollen die Kosten für das Engagement nicht von Moskau beglichen werden. "Wir denken, dass ausländische Investoren, allen voran internationale Organisationen die Finanzierung der Projekte sichern werden", sagt Itera-Pressesprecher Nikolai Semenenko. So gilt die Uno als potenzielle Geldgeberin.
Geopolitik spielt in den Planungen des Kreml, der seinen Einfluss in Zentralasien Schritt für Schritt eingebüßt hat, eine große Rolle. "Russland will seine Rolle in der Region ausbauen. Deshalb also der Vorstoß von Rosneft", sagt Valerij Nesterow von der Moskauer Brokerfirma Troika-Dialog. Tatsächlich soll der Einstieg in das afghanische Öl- und Gasgeschäft nur der Anfang sein. Längst geht es um Afghanistan als Transportkorridor, der von Turkmenistan und den rohstoffreichen Gegenden um das Kaspische Meer bis nach Pakistan führen könnte. Eine Kontrolle über diese Pipelineroute der Zukunft wird indes nicht nur von den Russen angestrebt. Die Amerikaner dürften kaum weniger Interesse an diesem politisch wie wirtschaftlich interessanten Projekt haben.