Das ruhige und ertragreiche Jahr 2005 wird sich laut Chefanalyst Steve Barrowso nicht wiederholen. Falsch machen konnten die Investoren in den vergangenen zwölf Monaten nichts, außer: nicht investiert zu sein. Ob Rohstoffe, sichere Staatsanleihen, hoch riskante Rentenpapiere von Schwellenländern oder wackeligen Konzernen, ganz zu schweigen von Aktien, auf allem standen am Ende dicke Pluszeichen.
--> Der Deutsche Aktienindex Dax gewann 27 Prozent
--> Japans Aktienindex Nikkei 40 Prozent.
--> Der Dow verharrte auf hohem Niveau
2006 wird vieles anders verlaufen, da sind sich viele einig. Der wichtigste Unterschied: In Amerika wie Euroland verabschieden sich die stärksten Notenbanker in den Ruhestand. Dort Alan Greenspan, der als Kopf der Federal Reserve (Fed) die Geschicke der Weltleitwährung Dollar seit 1987 leitet. Hier Otmar Issing, der deutsche Ökonom, der seit 1990 den Posten des Chefvolkswirts der zweitwichtigsten Notenbank der Welt innehat – erst bei der Bundesbank, dann bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Der dienstälteste EZB-Direktor war beim Übergang von D-Mark zu Euro der Garant der deutschen Stabilitätskultur.
Auch wenn Greenspan im Zweifel die Zinsen senkt, Issing im Zweifel für eine Zinserhöhung plädiert – eines ist beiden gemein: Sie sind mit den Jahren berechenbar geworden. Das ist aus Sicht der Anleger die wichtigste Eigenschaft. Nur sie schafft Vertrauen und mindert so an den hektischen Finanzmärkten die Unsicherheit.
Vertrauen kann man aber nicht vererben. In der Vergangenheit hat es jeweils im ersten Jahr eines neuen Fed-Chefs an einem Markt ordentlich gescheppert. Bei Arthur Burns mussten die Aktionäre zittern. William Miller erlebte eine Dollarkrise. Amerika war nicht mehr in der Lage, Kredite in eigener Währung aufzunehmen. Der damalige US-Präsident Jimmy Carter musste die ausländischen Märkte anzapfen, um den Gegenwert von zehn Milliarden Dollar Staatsschulden unterzubringen. Paul Volcker löste mit seinen harten Zinserhöhungen, die das Vertrauen in den Dollar wiederherstellten, einen regelrechten Crash am Anleihemarkt aus. Alan Greenspan sah sich kurz nach Amtsantritt mit dem größten Tagesverlust des Börsenindex Dow Jones konfrontiert und bewies mit sofortigen Zinssenkungen sein Gespür für die nervösen Finanzmärkte.
Die Geschichte lehrt uns, das Unerwartete zu erwarten, wenn Amerikas zweithärtester Job übergeben wird, unkte Steven Roach, Chefökonom der US-Investmentbank Morgan Stanley, kurz nach der Ernennung von Ben Bernanke zum Nachfolger Greenspans. Nicht nur Anekdoten, auch empirische Studien belegen, dass die ersten Amtsjahre mit besonderer Unsicherheit behaftet sind. So lagen die Schwankungen im Dow Jones im ersten Amtsjahr eines neuen Fed-Präsidenten durchschnittlich mehr als fünf Prozentpunkte höher als in den darauf folgenden fünf Jahren der Amtszeit. Zu diesem Ergebnis kommt die Deutsche Bank. Auch der Anleihemarkt leidet im ersten Amtsjahr unter einer höheren Volatilität – nach den Berechnungen der Deutschen Bank stieg sie nach den Amtswechseln um auf diesem Markt signifikante 0,15 Prozentpunkte.
Zwar ist der Neue Fed-Chef der Wunschkandidat der Händler, Fondsmanager und Analysten. Er hat für die Fed gearbeitet und Präsident George W. Bush in Wirtschaftsfragen beraten. Darüber hinaus gilt Bernanke auch in der Wissenschaft als Geldexperte und Starökonom. Sein Lieblingsgebiet: Inflationsziele. Dass ihm das viel nützt, wird jedoch bezweifelt. Es gebe keinen Grund anzunehmen, sagt Roach, Bernanke solle der erste Fed-Vorsitzende sein, der mit einem Problem konfrontiert werde, das er in- und auswendig kenne, nämlich der Inflation. Stattdessen könne er vor einer Dollarkrise stehen und steigenden Anleihezinsen. Amerika sei so sehr wie noch nie auf das Vertrauen des Auslands angewiesen. Jeden Tag braucht das Land drei Milliarden Dollar Zuflüsse, um sein auch 2005 gestiegenes Leistungsbilanzdefizit finanzieren zu können.
Bei allen anderen Kandidaten wäre die Unsicherheit größer, ist sich Jan Hatzius, der Chefvolkswirt für Amerika bei Goldman Sachs, zwar sicher. Er schätzt Bernanke als geldpolitischen Aktivisten« ein, der an die Wirksamkeit von Zinsänderungen glaube und aggressiv die Inflation zu kontrollieren versuche – in beide Richtungen. In Postillen der Hedge-Fonds-Manager wird der Neue dagegen als »Helikopter-Ben verunglimpft, der bei jedem ersten Zeichen einer Konjunkturschwäche kräftig die Zinsen senken, zur Not Geldscheine mit dem Hubschrauber abwerfen und einen Anstieg der Inflation hinnehmen werde. Dieser Eindruck geht auf das Jahr 2003 zurück, als Bernanke mit Blick auf die Gefahr einer Deflation, also sinkender Preise, die Technologie Gelddruckmaschine ins Spiel brachte, um eine Depression wie in den dreißiger Jahren zu verhindern. Solche Gedankenspiele, so richtig sie 2003 waren, mögen Geldverwalter nicht.
Der Wechsel in der EZB steigert die Unwägbarkeit noch. Immerhin gilt der Euro als Alternative zum Dollar, wenn es um den Status der internationalen Leitwährung geht. Issing, der Ende Mai ausscheiden wird, ist der heimliche Chef der EZB, sagt ein Insider. Durch seine langjährige Erfahrung und seine Verantwortung für die Ressorts Volkswirtschaft und Forschung habe er eine Machtfülle angehäuft, wie sie kein anderes Vorstandsmitglied einer Notenbank besitze.
Während bei der Fed der volkswirtschaftliche Stab dem obersten Führungsgremium, dem Board, seine Prognosen vorträgt, gelangen die Erkenntnisse des Stabs in der EZB nur durch Issing gefiltert in das Entscheidungsgremium, den Rat. Issing erklärt die wirtschaftliche Lage und die Prognosen, Issing bereitet die Entscheidungen vor und stellt diese dann zur Diskussion. Es wird der EZB schwerer fallen als der Fed, für Kontinuität zu sorgen, glaubt Volker Wieland, der bei der Fed gearbeitet und als Frankfurter Professor für Geldtheorie an Forschungsprojekten der EZB teilgenommen hat. Hätte der Stab mehr Einfluss, wäre der Übergang einfacher.
Wer Issings Aufgaben im Juni übernimmt, ist noch nicht entschieden. Zwar soll Bundesbankvorstand Jürgen Stark als deutsches Mitglied in den Rat nachrücken, unklar ist aber die Nachfolge auf dem Posten des Chefvolkswirts. Drei Direktoren werden Chancen eingeräumt: dem Griechen Loukas Papademos, dem Italiener Lorenzo Bini-Smaghi sowie der Österreicherin Gertrude Tumpel-Gugerell. Auch eine Aufteilung der mächtigen Ressorts ist in der Diskussion. An Issings Reputation als Stabilitätspolitiker kommt keiner der potenziellen Nachfolger ran, sagt Thorsten Polleit, Deutschland-Volkswirt bei der Barclays Bank. Alle drei stehen der angelsächsischen Geldpolitik, die im Zweifel die Zinsen eher senkt als erhöht, deutlich näher als Issing.
Der Goldpreis ist ein Vorbote der kommenden Unruhe
Kurzfristig dürfte die Erwartung einer lockeren Geldpolitik auf beiden Seiten des Atlantiks zumindest die Anleger am Rentenmarkt kaum stören. Denn Inflation ist nach wie vor kein Thema. Dafür steigen die Löhne nicht nur in Euroland, sondern inzwischen auch in Amerika zu langsam. Im Schnitt rechnen 37 vom Handelsblatt befragte Banken mit einem leichten Anstieg der Rendite bei den zehnjährigen Bundesanleihen auf 3,72 Prozent.
Moderat auch die Prognose für den Aktienmarkt: Der Dax wird im Schnitt auf 5717 Punkte zum Jahresende geschätzt. Vom gegenwärtigen Niveau aus entspräche das einem Anstieg von weniger als fünf Prozent. Wie schon 2005 steht der deutsche Aktienmarkt bei europäischen Investoren aber ganz oben auf der Agenda. In dem Punkt herrscht Einigkeit, so Rolf Elgeti. Der Aktienmarktstratege von ABN Amro hat jüngst knapp 200 Großanleger besucht. Elgeti sieht den Dax bei 6000 Punkten und empfiehlt, europäischen Aktien den Vorzug vor amerikanischen zu geben. In Europa sei sowohl die Gewinnentwicklung als auch die Bewertung attraktiver.
Auf lange Sicht scheinen auch andere Anlageformen interessant. Langfristig führt eine weltweit expansive Geldpolitik zu steigender Inflation und schwachen Anleihen, sagt Klaus Sterzik. Für den Hedge-Fonds-Manager von Arsago ist mehr Inflation die logische Folge der erfolgreich betriebenen Wiederbelebung der globalen Wirtschaft durch die großen Notenbanken nach dem Aktienmarktcrash zur Jahrtausendwende. Deshalb setzt er auf Gold. Das Edelmetall, das in Phasen hoher Inflation immer als Absicherung vor Realwertverlusten gedient hat und zuletzt als Anlageklasse wiederentdeckt wurde. Auch Jean-Luc Buchalet, Chefstratege der amerikanisch-französischen Research-Firma Factset, sieht darin einen sicheren Hafen, allerdings mehr für den Fall eines Dollarcrashs. Viele Investoren haben sich in dem gelben Metall für eine bevorstehende Dollarkorrektur positioniert, sagt er und empfiehlt, Gold überzugewichten. Jim O’Neill, weltweit der oberste Ökonom von Goldman Sachs, sieht im Gold die Absicherung, die man braucht, wenn man nicht genau weiß, wogegen man sich absichern möchte.
Gold – der Vorbote der Turbulenzen? Mag auch auf Aktien- und Anleihemärkten von einer neuen Unsicherheit noch nicht viel zu spüren sein, der Preis der Unze Gold hat seit Bernankes Ernennung im Oktober gut 20 Prozent oder knapp 100 Dollar zugelegt. Am Montag dieser Woche sprang er auf 550 Dollar – so hoch wie zuletzt vor 25 Jahren.
Lieber Fuzzi, wenn man aus diesem Hintergrund jetzt A und B zusammenzählt sowie steigende Rohölpreise, politische Spannungsfelder und Drohgebärden im Nahen Osten, Pandemie-Hysterien, sowie "Bill Ladens" Überaschungen mit einpreist, spricht das wohl eher für fallende als für steigende Kurse. Schließlich hasst die Börse nichts mehr als Unsicherheiten. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass die Ära guter Quartalsbilanzen, die bisher als Rettungsanker fungierten, auch bald vorüber ist.
Herbe Enttäuschungen wird es in den nächsten Quartalsberichten geben, bedingt durch zu hohe Erwartungshaltungen. Somit dürfte also einer größeren Korrektur der wichtigsten Börsen-Indizes wirklich nichts mehr im Wege stehen. Zwar har sich der Dax diese Jahr ausgesprochen gut vom DOW bislang abkoppeln können. Aber in einer globalen Weltwirtschaft, wird dieses Phänomen nicht von Dauer sein. Im Abwärtsstrudel des Dow, wird er dann ebenfalls Federn lassen müssen.
Zusammenfassend heißt das, Gewinne realisieren und gegebenfalls Umschichten; fragt sich nur in was.
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