Genf (dpa) - Die Schweiz stimmt an diesem Sonntag zum zweiten Mal seit 1986 über den Beitritt zu den Vereinten Nationen ab. Weil bei der Volksabstimmung außer der Mehrheit der 4,8 Millionen Wahlberechtigten auch die 26 Kantone und Halbkantone mehrheitlich Ja sagen müssen, steht der Ausgang des Referendums nach bisherigen Umfragen auf des Messers Schneide.
Bei einem Nein rechnen Befürworter mit einem Prestigeverlust für die Schweiz sowie mit Nachteilen für die Wirtschaft und den UN-Sitz Genf. Internationale Konferenzen könnten, wie zuletzt die Afghanistan-Konferenz in Bonn, öfter an UN- Mitglieder vergeben werden.
Ginge es nach den Beitritts-Gegnern, dann bliebe die Schweiz gemeinsam mit Taiwan, dem Vatikan und den Palästinensern immer und ewig in der Runde der UN-Außenseiter und allein in den UN- Sonderorganisationen engagiert. Wortführer der Ablehnungsfront sind der Parlamentsabgeordnete Christoph Blocher von der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und seine Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz (AUNS).
Ihr Angst-Szenario: Verlust der Neutralität und unkalkulierbare Steigerungen bei den Beitragszahlungen. Die Schweiz wird aus Sicht der Gegner zum Spielball der Großmächte und muss sich dem Diktat des UN-Sicherheitsrates unterwerfen. «Wir würden in internationale Konflikte hineingezogen und zur Zielscheibe von Terror- und anderen Gewaltakten», sagt Blocher.
Außenminister Joseph Deiss kritisiert die Angstkampagne. Denn mit dem UN-Beitritt wird die Schweiz als dann 190. UN-Mitglied eine Neutralitätsverpflichtung abgeben. «Die Schweiz bleibt auch als Mitglied der Organisation der Vereinten Nationen neutral», heißt es im Entwurf des Aufnahmegesuches.
Deiss argumentiert, dass seit Bestehen der UN kein Land gezwungen worden sei, Truppen für Einsätze zu stellen. Zwar müssten internationale Sanktionen mitgetragen werden, aber dies tue die Schweiz schon heute - freiwillig. Für den höheren Mitgliedsbeitrag erhalte die Schweiz alle Rechte. Auch andere Befürworter bemängeln, dass die Schweiz derzeit zwar zahle, aber nichts zu sagen habe.
Aus Sicht von UN-Generalsekretär Kofi Annan würde die Welt ein Nein der Schweiz nicht verstehen. Als UN-Vollmitglied werde die Schweiz zu nichts gezwungen, das sie nicht wolle, beruhigt Annan. Neutral sein heiße nicht, sich nicht zu beteiligen oder nichts zu sagen. Andere Befürworter argumentieren, dass die neutrale Schweiz seit dem Ende des Kalten Krieges ihre Monopol-Stellung als Vermittlerin zwischen rivalisierenden Mächten längst verloren hat.
Weil die Schweiz ein demokratischer Sonderfall ist, zählt bei der Volksabstimmung nicht nur die Stimme des einzelnen Wahlberechtigten, sondern auch das Votum jedes einzelnen Kantons. Die Bewohner der neun bevölkerungsärmsten Kantone in der deutschsprachigen Schweiz - auch Veto-Gürtel genannt - werden den Ausschlag bei dem Referendum geben. In fünf dieser konservativen Kantone steht das Nein schon fest.
Auf einen positiven Ausgang hoffen die schweizerische Wirtschaft und die UN-Stadt Genf. Am Sitz der Vereinten Nationen in Genf arbeiten rund 10 500 Menschen im UN-Sekretariat und in den Spezialorganisationen. Dazu kommen noch 3000 Vertreter von bis zu 170 nicht-staatlichen Organisationen (NGO) und Lobby-Gruppen. Die Vereinten Nationen sind der größte Arbeitgeber in Genf. Sie geben jedes Jahr rund drei Milliarden Franken (2,04 Milliarden Euro) aus. Hoteliers und Handwerk leben außerdem von den 2000 Konferenzen im Jahr.
Niemand rechnet ernsthaft damit, dass im Fall eines Nein zum Beitritt in Genf über Nacht die Lichter ausgehen. Aber: Es könnte eine Wachstumsbremse geben. Als die Afghanistan-Konferenz aus Schweizer Sicht völlig überraschend an den UN-Sitz Bonn vergeben wurde, dämmerte es schon, dass bei einem Nein weitere folgen könnten.