Aus der FTD vom 18.9.2002 www.ftd.de/laendertest
Ranking: Welches Bundesland ist besonders unternehmerfreundlich?
Von Christian Plöger
Auf der Suche nach dem besten Standort in Deutschland: "Impulse" und Cap Gemini Ernst & Young befragten Firmenchefs, Ministerien und Behörden.
"Mieten und Löhne sind arg hoch, gute Leute schwer zu bekommen", stöhnt der Münchner Unternehmer Wolfgang Walter. Doch eines steht für ihn fest: "Nur in Bayern würde ich heute noch mal als Unternehmer an den Start gehen." Dieser scheinbare Widerspruch ist jetzt erklärbar. Sechs Monate haben das Wirtschaftsmagazin "Impulse" und die Unternehmensberatung Cap Gemini Ernst & Young (CGEY) das Projekt "Bundesländer im Unternehmertest" laufen lassen und herausgefunden: Bayern und Baden-Württemberg sind zwar nicht in allen für Unternehmer wichtigen Dingen spitze - aber in den entscheidenden.
Für den Test wurden alle aus Unternehmersicht relevanten Standortfaktoren streng wissenschaftlich zusammengetragen. Die Gewichtung zu einem Gesamtergebnis bestimmten die Firmenchefs selbst. Ermöglicht wurde dies durch Hunderte Einzelinterviews. "Darin liegt der Unterschied zu allem, was bislang zum Thema vorliegt", sagt CGEY-Mittelstandschef Axel Meyer.
Bundesländer im Standorttest
Das Resultat ist überraschend: So ist Berlin etwa führend, wenn es um die Qualität der Verwaltung bei Genehmigungs- und Gerichtsverfahren geht. Ausschlaggebend für den miserablen Platz 13 im Gesamtranking sind jedoch die klar schlechteren Noten bei den übrigen Faktoren: Infrastruktur, Produktionsbedingungen sowie weiche Kriterien (siehe unten "Die Chef-Punkte").
Schlechte Bedingungen im Osten
Unterm Strich bilden Bayern und Baden-Württemberg eine Klasse für sich. Erst mit deutlichem Abstand folgen Rheinland-Pfalz, Hamburg und das Saarland. In den neuen Ländern und Berlin finden Selbstständige die schlechtesten Bedingungen vor. Einzige Ausnahme: Thüringen.
Was haben die Regierungen in München und Stuttgart besser gemacht? Klare Antwort: Ihre Politik ist darauf konzentriert, was Chefs als Erstes brauchen. Eine gute Infrastruktur im Verkehrs- und Bildungsbereich, qualifizierte Arbeitskräfte sowie ein insgesamt attraktives Umfeld. Natürlich wünschen sich die Chefs aus dem Süden auch geringere Löhne, billigere Gewerbe- und Büroflächen, niedrigere Steuern, wie sie andere Länder bieten. Entscheidend für ihr Standorturteil sind sie letztlich aber eben nicht.
Das belegen nicht nur die statistischen Daten, die für 1998 bis 2001 erhoben wurden, sondern auch die Aussagen der Unternehmer: 586 repräsentativ ausgewählte Firmenchefs kleiner und mittlerer Betriebe wurden zu 19 Kriterien befragt und hieraus eine Wichtigkeitsskala erstellt.
Produktionsbedingungen
Ergebnis: Gute Verkehrsanbindung zählt mit Abstand am meisten. Dort ist Gesamtsieger Bayern Top - durch den höchsten Versorgungsgrad im Straßenverkehr. Die neuen Länder bilden - mit Ausnahme Sachsens - die Schlusslichter. Gerhard Bertram spürt das täglich. Der Magdeburger Spediteur ist zwar "glücklich über die ausgebaute A 2". Wenn er im Osten unterwegs ist, merkt er aber: "Hier ist noch viel aufzuholen. In Bayern hingegen ist die Welt noch in Ordnung." ÖPNV, Luftfahrt und Schiene sind dagegen fast belanglos: Rang 14, 16 und 17 auf der Wichtigkeitsskala. Für Axel Meyer ein klares Signal an die Letztplatzierten und den neuen Kanzler: "Es muss mehr in die Straße investiert werden."
Baden-Würtemberg in Bildung und Forschung vorne
Geht es indes um Bildung und Forschung, liegt Baden-Württemberg vorn. Das Ländle investiert dort so viel wie kein zweites, hat die meisten Tüftler und Hightech-Jobs. Und sammelt am erfolgreichsten Firmengelder für Uni-Projekte. Doch Forschungsintensität ist für Firmenchefs eher Nebensache. Sie kommt noch nicht einmal auf ein Drittel der Relevanz des Straßenverkehrs (Platz 19 von 19). Technologietransfer liegt auf Platz 15. Für Meyer ein gefährliches Signal: "Hier entscheidet sich künftig Sein oder Nichtsein. Viele Unternehmer müssen umdenken." Dies betrifft auch die neuen Länder, von denen vier auf den letzten Plätzen sind. Der Abstand zwischen Baden-Württemberg und Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern beträgt beim Technologietransfer etwas mehr als 80 Prozent. Einziger Lichtblick im Osten ist Sachsen. Wegen hoher Ausgaben für Studenten, vieler Hightech-Jobs und eines relativ guten Straßennetzes lässt es im Faktor Infrastruktur die anderen neuen Länder hinter sich.
Sind die neuen Länder also hoffnungslos verloren? Nein, bei den Produktionsbedingungen, dem wichtigsten Standortfaktor nach der Infrastruktur ist Mecklenburg-Vorpommern Überraschungssieger. Mit Thüringen auf Platz drei schafft auch ein zweites Ost-Land den Sprung aufs Treppchen. Kein Zufall: Im Fokus standen Kosten und Verfügbarkeit von Arbeitskräften sowie Gewerbe- und Büroflächen. Letztere sind im Nordosten und in Thüringen gut und günstig verfügbar. Bauland für Gewerbezwecke ist in Mecklenburg gar deutschlandweit am billigsten. Indes: Auffällig viele Gewerbe- und Industrieflächen gibt es nicht. Für Unternehmer wären dies ohnehin keine entscheidenden Vorteile: das Angebot und die Kosten für Gewerbe- und Büroflächen liegen auf Rang 8 und 13 der Wichtigkeitsskala.
Infrastruktur
Weit wichtiger sind Arbeitskräfte: Bekomme ich schnell qualifizierte Mitarbeiter? Bilden sie sich weiter? Wie hoch sind die Löhne? Diese Kriterien sind - nach dem Straßennetz - die maßgeblichen schlechthin: Platz zwei, drei und vier auf der Wichtigkeitsskala. Genau diese erfüllt Bayern insgesamt am besten, dann Baden-Württemberg - beide mit großem Abstand auf die übrigen. Grund: Verglichen mit dem Westen sind die Löhne im Osten zwar niedriger. Genauso aber auch die Produktivität. Die niedrigsten Lohnstückkosten haben somit Hamburger, die höchsten Thüringer Unternehmer. Dass die meisten Mecklenburger einen Beruf erlernt haben, die Sachsen sich am fleißigsten weiterbilden und in Thüringen viele Abiturienten zur Verfügung stehen, all das reicht nur in Verbindung mit niedrigen Gewerbe- und Bürokosten zum guten Platz bei den Produktionsbedingungen.
"Weiche" Standortfaktoren
Überraschend wichtig sind "weiche" Standortfaktoren(Faktor 3). Wie etwa medizinische und soziale Einrichtungen oder Güte von Natur sowie Schutz vor Kriminalität. Für Chefs doppelt so bedeutsam wie der "Faktor Verwaltung". Sieger bei den weichen Kriterien: Rheinland-Pfalz. Vor Bayern und Baden-Württemberg. Schlusslichter: die Stadtstaaten und Sachsen-Anhalt.
Die Vorteile der Pfalz: niedrige Wohnungsmieten und viele Einfamilienhäuser. Mehr Grünflächen im Verhältnis zur Landesfläche hat kein anderes Land. Ein Grund für die schlechten Plätze der Hansestädte, wo Grünflächen Mangelware sind. Und mit 6,80 Euro Kaltmiete ist das Wohnen in der Großstadt Hamburg am teuersten. Dafür bieten die drei Metropolen die meisten Ärzte, viele Erholungsgebiete und ein Szeneleben, das sich nicht in Zahlen fassen lässt. "Wichtige Faktoren, um Topkräfte zu bekommen", unterstreicht der Münchner Unternehmer Walter. Auch Sicherheit spielt eine Rolle. Um die ist es in Hamburg und Berlin schlecht bestellt: Hier gibt es 80 Prozent mehr Straftaten als im Bundesdurchschnitt.
Die Studie überrascht: Der Einfluss, den Behörden ausüben, hat aus Sicht der Unternehmer die mit Abstand geringste Relevanz. Der Faktor Verwaltung kommt noch nicht einmal auf ein Viertel der Bedeutung des Faktors Infrastruktur. Bei genauer Betrachtung ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild: Die Dauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ist kaum bedeutsam (Platz 18 von 19 auf der Wichtigkeitsskala). Die Höhe der Grund- und Gewerbesteuern aber hat fünfthöchste Priorität.
Wie erklärt sich der Unterschied? "Die Länge von Verwaltungsverfahren ist für Unternehmer nicht so wichtig, wie es viele Interessenvertreter gerne darstellen", sagt CGEY-Projektleiter Jan-Peter Waldow. "Steuern indes haben Chefs so hoch gewichtet, weil sie insgesamt für sie bedeutsam sind." Grund, warum Berlin als Sieger beim Faktor Verwaltung dasteht: Die Hauptstadt punktet mit niedrigen Grundsteuern. Die hohe Gewerbesteuer (400 Prozent) verhindert hier ein besseres Abschneiden.
--------------------------------------------------
Bewertung: Die Chef-Punkte
In einem ersten Schritt werden Daten aus den Bundesländern erfasst, etwa zur Infrastruktur (Faktor 1: Straßen, Bahnen, Luftfahrt, Bildung, Technologietransfer, Forschung), zu den Produktionsbedingungen (Faktor 2: Verfügbarkeit, Niveau und Kosten von Arbeitskräften, Gewerbe- und Büroflächen), weiche Kriterien wie Lebensqualität und Sicherheit (Faktor 3) sowie zuletzt Verwaltung (Faktor 4): die Leistung der Behörden.
Diese Daten werden umgerechnet in Punkte und anschließend mit der Bedeutung gewichtet, die ihnen von Unternehmenschefs zugebilligt werden. Die waren zuvor gefragt worden, welche Wertigkeit sie einzelnen Bereichen aus den vier Daten-Feldern zubilligen. Faktor 1, Infrastruktur, war beispielsweise unterteilt in 19 Bereiche. Produktionsbedingungen verfügt über neun, die weichen Kriterien über zwölf und die Verwaltung über sechs Unter-Bereiche. Je höher die Wertigkeit dieser Bereiche, um so höher der Faktor, mit dem die erreichte Punktzahl multipliziert wird. Daraus ergibt sich für jeden Faktor eine Punktzahl, die addiert zu einer Gesamtpunktzahl führt.
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD