Wirtschaftsdelikte in Deutschland
Milde Strafen für große Kriminelle
Die meisten Verfahren müssen eingestellt werden oder enden durch Absprachen
Von Ulrike Hörl
Comroad, Flowtex, Holzmann, Vulkan, Wabag, Infomatec – kleinere und große Unternehmen, allesamt spektakuläre Kriminalgeschichten aus der deutschen Unternehmenslandschaft. Sie sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer über Wirtschaftskriminalität, darin sind sich Experten einig, ist hoch, die Strafen vergleichsweise milde. Harte Urteile wie das des Landgerichts Mannheim im Milliarden-Betrugsfall Flowtex sind die Ausnahme. Manfred Schmider, den ehemaligen Chef des Horizontalbohrmaschinen-Herstellers, schickten die Richter für zwölf Jahre hinter Gitter. Auch seine drei Managerkollegen müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis.
Die Liste der Wirtschaftsstrafverfahren ist in den vergangenen Jahren länger geworden. Das mag an der schlechten Konjunktur liegen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es seit Mitte der neunziger Jahre in einigen Bundesländern hoch spezialisierte Justizbehörden, so genannte Schwerpunktstaatsanwaltschaften, gibt, in denen Juristen und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam Firmenbilanzen und Geschäftsunterlagen unter die Lupe nehmen. Eine vollständige, bundesweit einheitliche Statistik über das Ausmaß der Wirtschaftskriminalität und über deren strafrechtliche Verfolgung gibt es aber nicht, oder sie ist zumindest öffentlich nicht zugänglich. Um so leichter nähren spektakuläre Fälle die in der Bevölkerung weit verbreitete Vermutung, „die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen“.
Langwierige Verfahren
„Freiheitsstrafen sind in deutschen Wirtschaftsprozessen die Ausnahme, überwiegend kommt es nicht mal zum Urteilsspruch“, sagt Oberstaatsanwalt Job Tilman, Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Während man in Amerika auf Skandale wie beim Energiekonzern Enron und beim Telekommunikationsanbieter Worldcom schon zur Abschreckung mit härteren Strafen reagieren will, verzichtet die Justiz in Deutschland, wo es nur geht auf Anklage und Hauptverhandlung.
Dabei hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren durchaus auf die steigende Zahl an Wirtschaftsstraftaten reagiert, Gesetze und Ermittlungsstrategien an die neuen, ausgefeilteren Formen der Kriminalität angepasst und die Grundlage für härtere Richtersprüche geschaffen. Die Gerichte schöpfen die Strafrahmen, die die Gesetze vorgeben, aber nur wenig aus, beklagen Staatsanwälte.
Da scheint die Sorge der Unternehmer, die sich durch neues Regelwerk immer weiter in ihrer Risikobereitschaft eingeschränkt fühlen und sich „ständig mit einem Bein im Gefängnis“ sehen, unbegründet. Die Chancen, dass in Deutschland ein Verfahren nicht mal zur Anklage kommt, sondern vorher eingestellt wird, stehen gut. Die Masse der Beschuldigten profitiert verstärkt von den verschiedenen Möglichkeiten, welche die Strafprozessordnung zur Verfahrenseinstellung vorsieht. So wurden seit 1994 beispielsweise bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München knapp 1700 Verfahren gegen Korruptionsdelikte eingeleitet. Nach Angaben der Behörde kam es in nur etwas mehr als einem Drittel der Fälle zur Anklage, die übrigen wurden eingestellt.
„Dabei werden Korruptionsdelikte noch am ehesten angeklagt, weil dort die Ermittlungen vergleichsweise einfach sind“, sagt der Münchener Oberstaatsanwalt Manfred Wick. Andere Fälle seien meist komplexer, verschachtelte Gesellschafts- und Eigentümerstrukturen keine Seltenheit. Das erschwere die Beweisführung der Staatsanwälte ungemein. Häufig müssten Wirtschaftsverfahren schon mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt werden. Bei Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug komme das besonders oft vor.
Auch in den Fällen, in denen es einen Tatverdächtigen gibt, kommt es häufig nicht bis zum Hauptverfahren. Wenn dem Täter nur eine geringe Schuld nachgewiesen werden kann oder kein besonderes Interesse für die Öffentlichkeit besteht, kommen die Verdächtigen gegen eine Geldauflage und vor allem ohne Vorstrafe davon. „Die Auflagen können aber schon mal in den Millionenbereich gehen, sagt Oberstaatsanwalt Tilmann.
Die meisten Wirtschaftsverfahren ziehen sich über Jahre hin. „Wir haben es mit gewaltigen Bergen von Geschäftsunterlagen zu tun, deren rechtliche Bewertung immer schwieriger wird“, klagt Tilmann und nennt ein Beispiel: Im Fall Holzmann sind 6000 Leitzordner sichergestellt worden, die immer noch nicht vollständig ausgewertet sind. Die Ermittlungen laufen seit 1999, ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Die Staatsanwaltschaften sind hoffnungslos überlastet, personelle Engpässe ein Grund für die Langwierigkeit der Verfahren, heißt es in der Branche.Weil oft Jahre vergangen sind, bis ein Wirtschaftskrimineller überhaupt auf der Anklagebank sitzt, ist die Justiz am Ende gezwungen, milde zu bestrafen. „Unsere Strafprozessordnung ist für Wirtschaftsstrafsachen sehr unhandlich. Deswegen müssen wir schon mal Zugeständnisse im Strafmaß machen, um in langwierigen Prozessen zum Ende zu kommen“, erläutert Tilmann. Auch Kriminelle, deren Verfahren vor Gericht kommen, müssten nicht automatisch mit einem Urteil rechnen. „In mehr als der Hälfte aller Fälle werden stattdessen verfahrensbeendende Absprachen getroffen“, so Tilmann.
Umfangreiche Unterlagen
Man müsse hinnehmen, dass dabei vergleichsweise niedrige Strafen herauskommen, fügt er an: „Das liegt am System, da kann man nichts machen.“ Dass Kleinkriminelle von milden Absprachen nur träumen können, gibt der Oberstaatsanwalt offen zu. Man könne insofern schon sagen, dass es der Gauner in Schlips und Kragen in summa besser habe als Taschendiebe.
Das sieht sein Münchner Kollege Wick anders. Nicht der große Gauner habe es besser, sondern die Staatsanwälte hätten es schwerer, ihm mit umfangreichen Geschäftsunterlagen die Straftat nachzuweisen. „Wir müssen meist lange ermitteln. Wenn zwischen Straftat und Hauptverhandlung sehr viel Zeit vergeht, spricht das nach der Rechtsprechung für den Angeklagten“, erläutert Wick: „Wir stehen unter Zeitdruck.“
Milde Strafen für große Kriminelle
Die meisten Verfahren müssen eingestellt werden oder enden durch Absprachen
Von Ulrike Hörl
Comroad, Flowtex, Holzmann, Vulkan, Wabag, Infomatec – kleinere und große Unternehmen, allesamt spektakuläre Kriminalgeschichten aus der deutschen Unternehmenslandschaft. Sie sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer über Wirtschaftskriminalität, darin sind sich Experten einig, ist hoch, die Strafen vergleichsweise milde. Harte Urteile wie das des Landgerichts Mannheim im Milliarden-Betrugsfall Flowtex sind die Ausnahme. Manfred Schmider, den ehemaligen Chef des Horizontalbohrmaschinen-Herstellers, schickten die Richter für zwölf Jahre hinter Gitter. Auch seine drei Managerkollegen müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis.
Die Liste der Wirtschaftsstrafverfahren ist in den vergangenen Jahren länger geworden. Das mag an der schlechten Konjunktur liegen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es seit Mitte der neunziger Jahre in einigen Bundesländern hoch spezialisierte Justizbehörden, so genannte Schwerpunktstaatsanwaltschaften, gibt, in denen Juristen und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam Firmenbilanzen und Geschäftsunterlagen unter die Lupe nehmen. Eine vollständige, bundesweit einheitliche Statistik über das Ausmaß der Wirtschaftskriminalität und über deren strafrechtliche Verfolgung gibt es aber nicht, oder sie ist zumindest öffentlich nicht zugänglich. Um so leichter nähren spektakuläre Fälle die in der Bevölkerung weit verbreitete Vermutung, „die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen“.
Langwierige Verfahren
„Freiheitsstrafen sind in deutschen Wirtschaftsprozessen die Ausnahme, überwiegend kommt es nicht mal zum Urteilsspruch“, sagt Oberstaatsanwalt Job Tilman, Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Während man in Amerika auf Skandale wie beim Energiekonzern Enron und beim Telekommunikationsanbieter Worldcom schon zur Abschreckung mit härteren Strafen reagieren will, verzichtet die Justiz in Deutschland, wo es nur geht auf Anklage und Hauptverhandlung.
Dabei hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren durchaus auf die steigende Zahl an Wirtschaftsstraftaten reagiert, Gesetze und Ermittlungsstrategien an die neuen, ausgefeilteren Formen der Kriminalität angepasst und die Grundlage für härtere Richtersprüche geschaffen. Die Gerichte schöpfen die Strafrahmen, die die Gesetze vorgeben, aber nur wenig aus, beklagen Staatsanwälte.
Da scheint die Sorge der Unternehmer, die sich durch neues Regelwerk immer weiter in ihrer Risikobereitschaft eingeschränkt fühlen und sich „ständig mit einem Bein im Gefängnis“ sehen, unbegründet. Die Chancen, dass in Deutschland ein Verfahren nicht mal zur Anklage kommt, sondern vorher eingestellt wird, stehen gut. Die Masse der Beschuldigten profitiert verstärkt von den verschiedenen Möglichkeiten, welche die Strafprozessordnung zur Verfahrenseinstellung vorsieht. So wurden seit 1994 beispielsweise bei der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in München knapp 1700 Verfahren gegen Korruptionsdelikte eingeleitet. Nach Angaben der Behörde kam es in nur etwas mehr als einem Drittel der Fälle zur Anklage, die übrigen wurden eingestellt.
„Dabei werden Korruptionsdelikte noch am ehesten angeklagt, weil dort die Ermittlungen vergleichsweise einfach sind“, sagt der Münchener Oberstaatsanwalt Manfred Wick. Andere Fälle seien meist komplexer, verschachtelte Gesellschafts- und Eigentümerstrukturen keine Seltenheit. Das erschwere die Beweisführung der Staatsanwälte ungemein. Häufig müssten Wirtschaftsverfahren schon mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt werden. Bei Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug komme das besonders oft vor.
Auch in den Fällen, in denen es einen Tatverdächtigen gibt, kommt es häufig nicht bis zum Hauptverfahren. Wenn dem Täter nur eine geringe Schuld nachgewiesen werden kann oder kein besonderes Interesse für die Öffentlichkeit besteht, kommen die Verdächtigen gegen eine Geldauflage und vor allem ohne Vorstrafe davon. „Die Auflagen können aber schon mal in den Millionenbereich gehen, sagt Oberstaatsanwalt Tilmann.
Die meisten Wirtschaftsverfahren ziehen sich über Jahre hin. „Wir haben es mit gewaltigen Bergen von Geschäftsunterlagen zu tun, deren rechtliche Bewertung immer schwieriger wird“, klagt Tilmann und nennt ein Beispiel: Im Fall Holzmann sind 6000 Leitzordner sichergestellt worden, die immer noch nicht vollständig ausgewertet sind. Die Ermittlungen laufen seit 1999, ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Die Staatsanwaltschaften sind hoffnungslos überlastet, personelle Engpässe ein Grund für die Langwierigkeit der Verfahren, heißt es in der Branche.Weil oft Jahre vergangen sind, bis ein Wirtschaftskrimineller überhaupt auf der Anklagebank sitzt, ist die Justiz am Ende gezwungen, milde zu bestrafen. „Unsere Strafprozessordnung ist für Wirtschaftsstrafsachen sehr unhandlich. Deswegen müssen wir schon mal Zugeständnisse im Strafmaß machen, um in langwierigen Prozessen zum Ende zu kommen“, erläutert Tilmann. Auch Kriminelle, deren Verfahren vor Gericht kommen, müssten nicht automatisch mit einem Urteil rechnen. „In mehr als der Hälfte aller Fälle werden stattdessen verfahrensbeendende Absprachen getroffen“, so Tilmann.
Umfangreiche Unterlagen
Man müsse hinnehmen, dass dabei vergleichsweise niedrige Strafen herauskommen, fügt er an: „Das liegt am System, da kann man nichts machen.“ Dass Kleinkriminelle von milden Absprachen nur träumen können, gibt der Oberstaatsanwalt offen zu. Man könne insofern schon sagen, dass es der Gauner in Schlips und Kragen in summa besser habe als Taschendiebe.
Das sieht sein Münchner Kollege Wick anders. Nicht der große Gauner habe es besser, sondern die Staatsanwälte hätten es schwerer, ihm mit umfangreichen Geschäftsunterlagen die Straftat nachzuweisen. „Wir müssen meist lange ermitteln. Wenn zwischen Straftat und Hauptverhandlung sehr viel Zeit vergeht, spricht das nach der Rechtsprechung für den Angeklagten“, erläutert Wick: „Wir stehen unter Zeitdruck.“