Bis zum letzten Öltropfen
von Vlad Georgescu
Kurz nach den 20.00-Uhr-Nachrichten schalten die TV-Sender landesweit ab; draußen, auf den Straßen, brennt kein einziges Licht. Um Energie zu sparen, verhängt die Regierung ein absolutes Autofahrverbot - nur Krankenwagen sind noch vereinzelt unterwegs. Lebensmittel sind wegen der anhaltenden Energieknappheit ohnehin rationiert, die Wohnungen der Menschen im Winter nicht beheizt und bitter kalt.
Experte entwirft Schreckensszenario
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Das Schreckensbild, vor 17 Jahren unter dem Diktator Nicolae Ceausescu in Rumänien Realität, könnte in nicht allzu ferner Zukunft nach Europa zurückkehren. Und dann, da ist sich Energieexperte und Ex-Ölmanager Colin J. Campbell sicher, erfasst die Erdölkrise die gesamte industrialisierte Welt.
Schluß mit lustig für Verbraucher
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Die Botschaft des ehemaligen Fina-Vorstandsmitglieds, der die britische Regierung zum Thema Erdölreserven berät, ist unmissverständlich. Bereits in fünf Jahren werden die Produktionsspitzen der konventionellen Erdölreserven erreicht sein, durch die Ausbeutung noch nicht genutzter Lagerstätten verschiebt sich das Ende der globalen Erdölära noch bis 2010. Danach ist Schluss mit lustig für Industrie und Verbraucher. Erdölknappheit und massive gesellschaftliche Umwälzungen seien zu erwarten, trug Campbell letzten Winter vor erstaunten Geologen im indischen Neu-Delhi vor. Zuvor hatte der anerkannte Wissenschaftler und ehemalige Ölmanager auf dem europäischen Kontinent vor dem britischen Unterhaus und dem dänischen Parlament zum Thema gesprochen.
Einsamer Rufer in der Wüste
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Bislang interessiert sich kaum jemand für seine Informationen, wie der Brite konsterniert feststellt: "Die Warnungen wurden in den Wind geschlagen und als unglaubwürdig abgetan". Dabei gelten seine Berechnungen bei führenden Geologen hier zu Lande als seriös. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover beziffert die weltweiten Erdölreserven auf 200 bis 400 Milliarden Tonnen. Intern legt man sich auf rund 350 Milliarden Tonnen fest - und liegt damit knapp 100 Milliarden oberhalb der von Campbell mit 245 Milliarden angegebenen Menge.
Der Countdown läuft ab
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Doch was ist das schon? Die Frage, die alle beschäftigt, ist nicht die konkrete Menge der Erdölreserven in Tonnen oder Barrel. Es geht darum, wann der letzte Tropfen gefördert wird: In zehn, in 20 oder erst in 42 Jahren, wie einige Forscher meinen?
Während die amerikanische US Geological Survey (USGS) oder die deutsche BGR solche Zeitspannen als realistisch akzeptieren, blicken andere bewusst weg. "Die Industrie zieht es vor, die geschätzten Reserven über die Zeit nach oben zu korrigieren", meint Campbell.
Verschwörung um einen Rohstoff
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Nicht nur die Industrie. Denn glaubt man Campbell, und die Zahlen sprechen dafür, versuchen vor allem die Vereinigten Staaten die Weltölvorkommen schön zu rechnen. Die US-Regierung gaukelt ihrer Bevölkerung mit optimistischen Prognosen vor, das Land sei nicht vom Öl des Mittleren Ostens abhängig. Und die Industrie spiele dieses Spiel bereitwillig, erklärt Campell. Denn ohne Aussichten auf weitere Ölreserven würden viele Investoren abspringen. Auch die Opec korrigiert die Ölreserven nach oben, wenngleich aus anderen Gründen: Ohne Aussicht auf schier endlos sprudelnde Ölquellen würden die vom Opec-Öl abhängigen Staaten die Entwicklung erneuerbarer Energien forcieren. "Wir sind von mehreren Verschwörungen gleichzeitig umgeben", sagt Campbell.
Ölmultis malen rosige Zukunft aus
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Tatsächlich klingen manche Verheißungen der Branche wie Märchen aus vergangenen Zeiten. Der Ölmulti Esso beispielsweise stellte 1999 seine Studie Oeldorado vor. Fazit der PR-Schrift: Die Erdölreserven der Menschheit gehen in 100 Jahren noch nicht zu Ende. Noch rosiger skizziert die Deutsche Avia die Zukunft des Öls: "Das Ende des Ölzeitalters wird weder die heutige Generation, noch ihre Enkel noch deren Enkel erleben". Dabei sind solche Behauptungen nicht nur aus Campbells Sicht reine Volksverdummung. Auch Wissenschaftler der USGS schütteln über derartige Prognosen den Kopf.
Begrenzte Anzahl an Lagerstätten
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Grund für das unabwendbare Ende des Erdölzeitalters ist die begrenzte Anzahl der fossilen Lagerstätten. In den sechziger Jahren erreichte die Entdeckung neuer Erdölvorkommen ihr Maximum. Seitdem wird vorwiegend das gefördert, was vor dreißig oder vierzig Jahren erschlossen wurde. Die Rate der Erschöpfung der Erdölfelder liegt bei zwei Prozent pro Jahr. Statistisch betrachtet fördert die Menschheit damit jedes Jahr 22 Giga-Barrel aus bekannten Lagerstätten, während sie nur sechs Giga-Barrel neu entdeckt.
Um den Schwund zu kaschieren, greifen viele Staaten in die Trickkiste:
- Kuweit erhöhte 1985 die Reserven-Schätzung einfach um 50 Prozent, um seine OPEC-Quoten heraufsetzen zu können, wie Campbell erklärt.
- Venezuela verdoppelte in den achtziger Jahren seine Reserven, indem es längst bekannte Schwerölreserven in die Rechnung mit einbezog
- Rund 70 Länder publizierten 1999 unveränderte Fördermengen, was Campbell zufolge "schlicht unplausibel ist".
Das Ende der konventionellen Erdölreserven indes datiert die BGR ähnlich wie Campbell. Nur noch 23 Jahre: "Bis dahin ist das gesamte verbleibende konventionelle Erdöl verbraucht."
von Vlad Georgescu
Kurz nach den 20.00-Uhr-Nachrichten schalten die TV-Sender landesweit ab; draußen, auf den Straßen, brennt kein einziges Licht. Um Energie zu sparen, verhängt die Regierung ein absolutes Autofahrverbot - nur Krankenwagen sind noch vereinzelt unterwegs. Lebensmittel sind wegen der anhaltenden Energieknappheit ohnehin rationiert, die Wohnungen der Menschen im Winter nicht beheizt und bitter kalt.
Experte entwirft Schreckensszenario
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Das Schreckensbild, vor 17 Jahren unter dem Diktator Nicolae Ceausescu in Rumänien Realität, könnte in nicht allzu ferner Zukunft nach Europa zurückkehren. Und dann, da ist sich Energieexperte und Ex-Ölmanager Colin J. Campbell sicher, erfasst die Erdölkrise die gesamte industrialisierte Welt.
Schluß mit lustig für Verbraucher
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Die Botschaft des ehemaligen Fina-Vorstandsmitglieds, der die britische Regierung zum Thema Erdölreserven berät, ist unmissverständlich. Bereits in fünf Jahren werden die Produktionsspitzen der konventionellen Erdölreserven erreicht sein, durch die Ausbeutung noch nicht genutzter Lagerstätten verschiebt sich das Ende der globalen Erdölära noch bis 2010. Danach ist Schluss mit lustig für Industrie und Verbraucher. Erdölknappheit und massive gesellschaftliche Umwälzungen seien zu erwarten, trug Campbell letzten Winter vor erstaunten Geologen im indischen Neu-Delhi vor. Zuvor hatte der anerkannte Wissenschaftler und ehemalige Ölmanager auf dem europäischen Kontinent vor dem britischen Unterhaus und dem dänischen Parlament zum Thema gesprochen.
Einsamer Rufer in der Wüste
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Bislang interessiert sich kaum jemand für seine Informationen, wie der Brite konsterniert feststellt: "Die Warnungen wurden in den Wind geschlagen und als unglaubwürdig abgetan". Dabei gelten seine Berechnungen bei führenden Geologen hier zu Lande als seriös. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover beziffert die weltweiten Erdölreserven auf 200 bis 400 Milliarden Tonnen. Intern legt man sich auf rund 350 Milliarden Tonnen fest - und liegt damit knapp 100 Milliarden oberhalb der von Campbell mit 245 Milliarden angegebenen Menge.
Der Countdown läuft ab
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Doch was ist das schon? Die Frage, die alle beschäftigt, ist nicht die konkrete Menge der Erdölreserven in Tonnen oder Barrel. Es geht darum, wann der letzte Tropfen gefördert wird: In zehn, in 20 oder erst in 42 Jahren, wie einige Forscher meinen?
Während die amerikanische US Geological Survey (USGS) oder die deutsche BGR solche Zeitspannen als realistisch akzeptieren, blicken andere bewusst weg. "Die Industrie zieht es vor, die geschätzten Reserven über die Zeit nach oben zu korrigieren", meint Campbell.
Verschwörung um einen Rohstoff
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Nicht nur die Industrie. Denn glaubt man Campbell, und die Zahlen sprechen dafür, versuchen vor allem die Vereinigten Staaten die Weltölvorkommen schön zu rechnen. Die US-Regierung gaukelt ihrer Bevölkerung mit optimistischen Prognosen vor, das Land sei nicht vom Öl des Mittleren Ostens abhängig. Und die Industrie spiele dieses Spiel bereitwillig, erklärt Campell. Denn ohne Aussichten auf weitere Ölreserven würden viele Investoren abspringen. Auch die Opec korrigiert die Ölreserven nach oben, wenngleich aus anderen Gründen: Ohne Aussicht auf schier endlos sprudelnde Ölquellen würden die vom Opec-Öl abhängigen Staaten die Entwicklung erneuerbarer Energien forcieren. "Wir sind von mehreren Verschwörungen gleichzeitig umgeben", sagt Campbell.
Ölmultis malen rosige Zukunft aus
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Tatsächlich klingen manche Verheißungen der Branche wie Märchen aus vergangenen Zeiten. Der Ölmulti Esso beispielsweise stellte 1999 seine Studie Oeldorado vor. Fazit der PR-Schrift: Die Erdölreserven der Menschheit gehen in 100 Jahren noch nicht zu Ende. Noch rosiger skizziert die Deutsche Avia die Zukunft des Öls: "Das Ende des Ölzeitalters wird weder die heutige Generation, noch ihre Enkel noch deren Enkel erleben". Dabei sind solche Behauptungen nicht nur aus Campbells Sicht reine Volksverdummung. Auch Wissenschaftler der USGS schütteln über derartige Prognosen den Kopf.
Begrenzte Anzahl an Lagerstätten
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Grund für das unabwendbare Ende des Erdölzeitalters ist die begrenzte Anzahl der fossilen Lagerstätten. In den sechziger Jahren erreichte die Entdeckung neuer Erdölvorkommen ihr Maximum. Seitdem wird vorwiegend das gefördert, was vor dreißig oder vierzig Jahren erschlossen wurde. Die Rate der Erschöpfung der Erdölfelder liegt bei zwei Prozent pro Jahr. Statistisch betrachtet fördert die Menschheit damit jedes Jahr 22 Giga-Barrel aus bekannten Lagerstätten, während sie nur sechs Giga-Barrel neu entdeckt.
Um den Schwund zu kaschieren, greifen viele Staaten in die Trickkiste:
- Kuweit erhöhte 1985 die Reserven-Schätzung einfach um 50 Prozent, um seine OPEC-Quoten heraufsetzen zu können, wie Campbell erklärt.
- Venezuela verdoppelte in den achtziger Jahren seine Reserven, indem es längst bekannte Schwerölreserven in die Rechnung mit einbezog
- Rund 70 Länder publizierten 1999 unveränderte Fördermengen, was Campbell zufolge "schlicht unplausibel ist".
Das Ende der konventionellen Erdölreserven indes datiert die BGR ähnlich wie Campbell. Nur noch 23 Jahre: "Bis dahin ist das gesamte verbleibende konventionelle Erdöl verbraucht."