Kleinaktionäre als Beute
95 Prozent des Grundkapitals reichen Großaktionären, um sich die übrigen Anteile ab sofort per Zwangsabfindung einzuverleiben
Und der Haifisch, der hat Zähne: Die Großen mit den meisten Aktien fressen die Kleinen auf
Foto: Cinetext
Von Michael Höfling
Berlin - Wer noch Aktien von Hoechst, Mannesmann oder der Dresdner Bank besitzt, wird vielleicht bald Post bekommen. Das sind drei von 42 Unternehmen, die laut einer Studie der Deutschen Bank zu mindestens 95 Prozent von einem Großaktionär beherrscht werden. Und diese Gesellschafter haben seit dem 1. Januar durch das Übernahmegesetz ganz neue Möglichkeiten, die restlichen Aktionäre loszuwerden - "Squeeze out" heißt das Zauberwort, zu Deutsch "rausquetschen". Die ersten Fälle sind bereits angekündigt: Die VIVA Media wird "kurzfristig in 2002" die Minderheitsaktionäre der Comedy-Schmiede Brainpool TV schlucken, an der sie bereits 96 Prozent hält. Und am Freitag verkündete die Hucke AG entsprechende Pläne mit der zu 98 Prozent von ihr dominierten MHM Mode Holding.
Die Vorteile für die "Übernehmer" liegen auf der Hand. "Allein die direkten Kosten für die Börsennotiz von Brainpool inklusive der Publizitätspflicht, Hauptversammlungen, Einladungen und Marktbetreuern betragen eine Viertelmillion Euro im Jahr", sagt Michael Armbrust vom Kölner Musiksender, "dazu kommt der ganze nötige Verwaltungsapparat wie Presseabteilung und Investor Relations." Kosten, die zu der geringen Anzahl frei umlaufender Brainpool-Aktien - ganze vier Prozent des Grundkapitals - in keinem Verhältnis mehr stünden.
Auf Grund der Besitzverhältnisse darf die VIVA Media nun eine einzuberufende Hauptversammlung beschließen lassen, dass ihr die übrigen Anteilseigner ihre Aktien gegen eine "angemessene Barabfindung" übertragen. Da das bisher nicht möglich war, befindet sich bei vielen übernommenen Firmen immer noch ein kleiner Teil der Papiere in privater Hand. Mit der neuen Regelung will das Bundesfinanzministerium in Fällen wie diesen die Entflechtung beschleunigen und so "den Finanzplatz Deutschland weiter stärken".
Sind die Fälle VIVA/Brainpool und Hucke/MHM nun der Startschuss für eine Reihe weiterer Zwangsabfindungen von Minderheitsaktionären? "Das halten wir für recht wahrscheinlich", sagt Henrik Drinkuth, Partner bei der Hamburger Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle, der den "Squeeze out" für eine durchaus sinnvolle Regelung hält.
Was dem Standort Deutschland nützt, muss für den Privatanleger allerdings noch lange nicht von Vorteil sein. Mit der "angemessenen Barabfindung" ist das zum Beispiel so eine Sache. So darf, wie die Schutzvereinigung der Kleinaktionäre SdK kritisiert, der Hauptaktionär seinen Mitanteilseignern "einen Preis zahlen, der von ihm selbst festgesetzt wird, und den von ihm selbst ausgesuchte Sachverständige bestätigen". Außerdem können interessierte Adressen gerade bei marktengen Werten ohne großen Aufwand die Kurse drücken. Nun kann ein Privatanleger zwar gegen die Höhe der Abfindung vorgehen, indem er sie über ein so genanntes Spruchstellen-Verfahren gerichtlich feststellen lässt. "Doch auf Grund des Kostenrisikos und ungewisser Erfolgsaussichten werden viele Aktionäre vor diesem Weg zurückschrecken", merkt Petra Krüll von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz DSW an. Diese Bedenken sind begründet: CMS-Partner Drinkuth hat just ein solches Verfahren als Berater abgeschlossen - es zog sich über acht Jahre hin.
Wer bereits investiert ist, muss also um eine marktgerechte Abfindung bangen. Für spekulative Naturen kann sich ein genauerer Blick auf die Umstände eines möglichen "Squeeze out" aber durchaus lohnen. "Besonders interessant sind die Fälle, in denen es schon ein echtes Abfindungsangebot gegeben hat und der Großaktionär nun endlich die volle Kontrolle übernehmen kann", erläutert Christian Schudy von Commerzbank Securities. "Dabei ist zu prüfen, wie hoch die alten Übernahmeangebote waren, und ob die Aktie inzwischen deutlich niedriger notiert." Oft seien gerade sehr marktenge und unbekannte Werte so in Vergessenheit geraten, dass ihr Kurs mangels Käufern langsam aber sicher gefallen sei. "Wenn der Gesellschafter in solchen Aktien schon 95 Prozent hält, könnte bereits der erste Fall eines vollzogenen ,Squeeze out' für neue Phantasie in ähnlich gelagerten Fällen sorgen", sagt der Small-Cap-Spezialist.
Es gibt auch prominentere Beispiele: So hält Schudys Kollege Rolf Elgeti die Aktie der Dresdner Bank für interessant. Vorteil: Die Aktie ist immer noch relativ liquide. "Ende Mai läuft die aus verschiedenen Gründen wichtige Frist von einem Jahr seit dem Kaufangebot durch die Allianz ab", erklärt Elgeti. Es sei durchaus möglich, dass die Allianz dann ein zweites, "echtes" Übernahmeangebot mit Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag sowie Garantiedividende abgebe. Das könnte sich bezahlt machen: Denn der Kurs der Dresdner-Bank-Aktie liegt zurzeit mit gut 41 Euro rund fünf Euro unter dem damaligen Kaufangebot durch die Allianz (eine Allianz-Aktie sowie 200 Euro gegen zehn Dresdner-Bank-Anteile.) Elgeti: "Wer es auf die Spitze treibt, der tauscht demnächst seine Allianz-Aktien gegen Anteile der Dresdner und wartet ab." In allen Fällen, da ist sich auch Elgeti sicher, werde die Rechnung sicher nicht aufgehen, und die Spekulation sei auch mehr als Spiel zu betrach- ten denn als ernsthafte Vermögensanlage. "Aber mit einem glücklichen Händchen kann die ,Squeeze out'-Strategie zu beachtlichen Ergebnissen führen", sagt er.
Quele: http://www.welt.de/daten/2002/01/13/0113fi307557.htx
95 Prozent des Grundkapitals reichen Großaktionären, um sich die übrigen Anteile ab sofort per Zwangsabfindung einzuverleiben
Und der Haifisch, der hat Zähne: Die Großen mit den meisten Aktien fressen die Kleinen auf
Foto: Cinetext
Von Michael Höfling
Berlin - Wer noch Aktien von Hoechst, Mannesmann oder der Dresdner Bank besitzt, wird vielleicht bald Post bekommen. Das sind drei von 42 Unternehmen, die laut einer Studie der Deutschen Bank zu mindestens 95 Prozent von einem Großaktionär beherrscht werden. Und diese Gesellschafter haben seit dem 1. Januar durch das Übernahmegesetz ganz neue Möglichkeiten, die restlichen Aktionäre loszuwerden - "Squeeze out" heißt das Zauberwort, zu Deutsch "rausquetschen". Die ersten Fälle sind bereits angekündigt: Die VIVA Media wird "kurzfristig in 2002" die Minderheitsaktionäre der Comedy-Schmiede Brainpool TV schlucken, an der sie bereits 96 Prozent hält. Und am Freitag verkündete die Hucke AG entsprechende Pläne mit der zu 98 Prozent von ihr dominierten MHM Mode Holding.
Die Vorteile für die "Übernehmer" liegen auf der Hand. "Allein die direkten Kosten für die Börsennotiz von Brainpool inklusive der Publizitätspflicht, Hauptversammlungen, Einladungen und Marktbetreuern betragen eine Viertelmillion Euro im Jahr", sagt Michael Armbrust vom Kölner Musiksender, "dazu kommt der ganze nötige Verwaltungsapparat wie Presseabteilung und Investor Relations." Kosten, die zu der geringen Anzahl frei umlaufender Brainpool-Aktien - ganze vier Prozent des Grundkapitals - in keinem Verhältnis mehr stünden.
Auf Grund der Besitzverhältnisse darf die VIVA Media nun eine einzuberufende Hauptversammlung beschließen lassen, dass ihr die übrigen Anteilseigner ihre Aktien gegen eine "angemessene Barabfindung" übertragen. Da das bisher nicht möglich war, befindet sich bei vielen übernommenen Firmen immer noch ein kleiner Teil der Papiere in privater Hand. Mit der neuen Regelung will das Bundesfinanzministerium in Fällen wie diesen die Entflechtung beschleunigen und so "den Finanzplatz Deutschland weiter stärken".
Sind die Fälle VIVA/Brainpool und Hucke/MHM nun der Startschuss für eine Reihe weiterer Zwangsabfindungen von Minderheitsaktionären? "Das halten wir für recht wahrscheinlich", sagt Henrik Drinkuth, Partner bei der Hamburger Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle, der den "Squeeze out" für eine durchaus sinnvolle Regelung hält.
Was dem Standort Deutschland nützt, muss für den Privatanleger allerdings noch lange nicht von Vorteil sein. Mit der "angemessenen Barabfindung" ist das zum Beispiel so eine Sache. So darf, wie die Schutzvereinigung der Kleinaktionäre SdK kritisiert, der Hauptaktionär seinen Mitanteilseignern "einen Preis zahlen, der von ihm selbst festgesetzt wird, und den von ihm selbst ausgesuchte Sachverständige bestätigen". Außerdem können interessierte Adressen gerade bei marktengen Werten ohne großen Aufwand die Kurse drücken. Nun kann ein Privatanleger zwar gegen die Höhe der Abfindung vorgehen, indem er sie über ein so genanntes Spruchstellen-Verfahren gerichtlich feststellen lässt. "Doch auf Grund des Kostenrisikos und ungewisser Erfolgsaussichten werden viele Aktionäre vor diesem Weg zurückschrecken", merkt Petra Krüll von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz DSW an. Diese Bedenken sind begründet: CMS-Partner Drinkuth hat just ein solches Verfahren als Berater abgeschlossen - es zog sich über acht Jahre hin.
Wer bereits investiert ist, muss also um eine marktgerechte Abfindung bangen. Für spekulative Naturen kann sich ein genauerer Blick auf die Umstände eines möglichen "Squeeze out" aber durchaus lohnen. "Besonders interessant sind die Fälle, in denen es schon ein echtes Abfindungsangebot gegeben hat und der Großaktionär nun endlich die volle Kontrolle übernehmen kann", erläutert Christian Schudy von Commerzbank Securities. "Dabei ist zu prüfen, wie hoch die alten Übernahmeangebote waren, und ob die Aktie inzwischen deutlich niedriger notiert." Oft seien gerade sehr marktenge und unbekannte Werte so in Vergessenheit geraten, dass ihr Kurs mangels Käufern langsam aber sicher gefallen sei. "Wenn der Gesellschafter in solchen Aktien schon 95 Prozent hält, könnte bereits der erste Fall eines vollzogenen ,Squeeze out' für neue Phantasie in ähnlich gelagerten Fällen sorgen", sagt der Small-Cap-Spezialist.
Es gibt auch prominentere Beispiele: So hält Schudys Kollege Rolf Elgeti die Aktie der Dresdner Bank für interessant. Vorteil: Die Aktie ist immer noch relativ liquide. "Ende Mai läuft die aus verschiedenen Gründen wichtige Frist von einem Jahr seit dem Kaufangebot durch die Allianz ab", erklärt Elgeti. Es sei durchaus möglich, dass die Allianz dann ein zweites, "echtes" Übernahmeangebot mit Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag sowie Garantiedividende abgebe. Das könnte sich bezahlt machen: Denn der Kurs der Dresdner-Bank-Aktie liegt zurzeit mit gut 41 Euro rund fünf Euro unter dem damaligen Kaufangebot durch die Allianz (eine Allianz-Aktie sowie 200 Euro gegen zehn Dresdner-Bank-Anteile.) Elgeti: "Wer es auf die Spitze treibt, der tauscht demnächst seine Allianz-Aktien gegen Anteile der Dresdner und wartet ab." In allen Fällen, da ist sich auch Elgeti sicher, werde die Rechnung sicher nicht aufgehen, und die Spekulation sei auch mehr als Spiel zu betrach- ten denn als ernsthafte Vermögensanlage. "Aber mit einem glücklichen Händchen kann die ,Squeeze out'-Strategie zu beachtlichen Ergebnissen führen", sagt er.
Quele: http://www.welt.de/daten/2002/01/13/0113fi307557.htx
