Juden in Kollektivhaft
Als Groucho Marx, dem großen Komiker des amerikanischen Films, von einem Club in Hollywood die Mitgliedschaft angeboten. wurde, telegraphierte er den berühmten Satz zurück: „Bitte haben Sie Verständnis, dass ich ihr Angebot nicht annehmen kann. Aber ich will von der Mitgliedschaft in einem Club absehen, der Leute wie mich aufnimmt.“ Der Landtagsabgeordnete Jamal Karsli in Nordrhein-Westfalen ist aber leider kein Komiker, sondern ein ausgemachter Antisemit; er hat daher das Angebot des freidemokratischen Möllemann-Clubs, dort Mitglied zu werden, dankend angenommen. Dieser Fall Karsli ist ein Einzelfall, und doch ist er symptomatisch.
Die Freiheit, braunen Unsinn zu reden, gehört selbstredend zur Meinungsfreiheit, die die Demokratie gewährt. Sie qualifizierte aber bisher nicht dazu, Mitglied einer demokratischen Partei zu werden. Das hat sich offensichtlich geändert. Man kann heute Mitglied der Freien Demokratischen Partei werden, wenn man, wie Karsli, von einer zionistischen Lobby in Deutschland und von einer zionistischen Weltverschwörung schwadroniert. Man hat dann nämlich einen FDP-Landesvorsitzenden Möllemann über sich, der den Bombenterror der Hamas in Israel gerechtfertigt hat – und der auf dem Bundesparteitag der FDP gefeiert worden ist, obwohl er auch dort weiterhin kein einziges Wort der Kritik an Arafat fand und alle Schuld an der Malaise in Nahost allein auf Israel und Scharon ablud. Solch furchtbare Einseitigkeit beruht nicht auf politischer Schwachsichtigkeit, sondern auf Berechnung.
Es hat sich nämlich etwas verändert in Deutschland: Wenn heute über „die Neger“ so gesprochen würde, wie über „die Juden“ gesprochen wird, dann wären es nicht nur Frau Hamm-Brücher und eine Handvoll anderer, die sich protestierend zu Wort melden. Dann gäbe es einen breiten antirassistischen Konsens und Lichterketten der Anti-Rassismus-Komitees in allen Großstädten. Juden sind aber offensichtlich aus dem antirassistischen Konsens ausgeklinkt worden. Weil Israel selber ein rassistischer Staat sei, dürfe man, so lautet der Schluss, gegen die Juden derzeit fast alles sagen: Die Juden in Deutschland werden in Kollektivhaftung genommen für das Vorgehen des Staates Israel gegen die Palästinenser. Schon fließt auch der tiefsitzende Hass wieder offen, Hass, der einst zum Holocaust geführt hat und dann im demokratischen Deutschland gedeckelt wurde.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird betrachtet, als handele es sich nicht um die Vertretung einer Religionsgemeinschaft, sondern um die diplomatische Vertretung Israels. Sicherlich: Dieser Zentralrat ist so wenig davor gefeit, falsch oder undiplomatisch zu reagieren wie andere Zentralräte auch. Ein Zentralrat der Weisheit ist er seit dem Tod von Ignatz Bubis nicht gerade. Aber das ist der Zentralrat der Katholiken auch nicht, obwohl es dort keine Wunden gibt, die immer wieder aufreißen.
Man hat sich hierzulande daran gewöhnt, dass jüdische Einrichtungen ausschauen müssen wie Festungen, und dass tagtäglich jüdische Gräber geschändet werden. Soll man sich jetzt auch noch daran gewöhnen müssen, dass Kindern in der S-Bahn der Davidstern vom Halskettchen gerissen wird – und die Politik Scharons als Entschuldigungsgrund dafür herhalten muss? Der unselige Scharon wird schon jetzt wie ein Korkenzieher benutzt, um die Flasche mit den alten Vorurteilen zu entkorken. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sich kein Politiker gefunden hätte, der sich dies zu Nutze macht. Zyniker können sagen, es hätte schlimmer kommen können als mit Möllemann; er sei doch immerhin kein Haider. Aber es ist auch so schlimm genug, denn: Politiker können vielleicht nicht sehr viel im Positiven bewirken, aber sehr viel im Negativen anrichten. Es dauert lang, Vorurteile abzubauen; es geht aber sehr schnell, sie zu wecken, zu verschärfen und zu vereinigen. Gespeist werden diese Vorurteile von Quellen, die in verschiedenen Ecken entspringen – rechtsaußen und linksaußen. Deren Ergiebigkeit und Fließgeschwindigkeit haben sich unter dem Einfluss des Nahost-Konflikts erhöht. Zwischen beiden Quellen gibt es schon lang einen Kanal, in dem zum Beispiel Horst Mahler von Linksaußen nach Rechtsaußen geschwommenist. Das, was heute linker Antisemitismus ist, hat einst wohlmeinend begonnen: Als sich die 68er-Studenten die Palästinensertücher um den Kopf zu wickeln begannen, taten sie es nicht, um Auschwitz zu vergessen, sondern im Gegenteil, weil sie die Partei der „Opfer der Opfer“ ergreifen wollten, der Palästinenser, als Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung; es wurde aber daraus eine fast symbiotische Beziehung auch zu Extremistengruppen.
Vielen rutschte das Palästinensertuch so weit über die Augen, dass sie sich politisch verrannten. Möllemann hat durchaus seine Vorläufer – Christian Ströbele hat einst während des Golfkriegs den Israelis die Schuld daran gegeben, wenn irakische Giftgas-Raketen deutscher Bauart sie trafen; das sei die Folge brutaler Besatzungspolitik. Damals gab es allerdings einen allgemeinen Aufschrei, damals musste Ströbele als Sprecher der Grünen zurücktreten. Nichts dergleichen heute. Linker, rechter und islamistischer Antisemitismus fließen jetzt in einem großen See zusammen – und das Gewässer lädt im Sommer 2002 zum Bade.
Quelle:SZ
Als Groucho Marx, dem großen Komiker des amerikanischen Films, von einem Club in Hollywood die Mitgliedschaft angeboten. wurde, telegraphierte er den berühmten Satz zurück: „Bitte haben Sie Verständnis, dass ich ihr Angebot nicht annehmen kann. Aber ich will von der Mitgliedschaft in einem Club absehen, der Leute wie mich aufnimmt.“ Der Landtagsabgeordnete Jamal Karsli in Nordrhein-Westfalen ist aber leider kein Komiker, sondern ein ausgemachter Antisemit; er hat daher das Angebot des freidemokratischen Möllemann-Clubs, dort Mitglied zu werden, dankend angenommen. Dieser Fall Karsli ist ein Einzelfall, und doch ist er symptomatisch.
Die Freiheit, braunen Unsinn zu reden, gehört selbstredend zur Meinungsfreiheit, die die Demokratie gewährt. Sie qualifizierte aber bisher nicht dazu, Mitglied einer demokratischen Partei zu werden. Das hat sich offensichtlich geändert. Man kann heute Mitglied der Freien Demokratischen Partei werden, wenn man, wie Karsli, von einer zionistischen Lobby in Deutschland und von einer zionistischen Weltverschwörung schwadroniert. Man hat dann nämlich einen FDP-Landesvorsitzenden Möllemann über sich, der den Bombenterror der Hamas in Israel gerechtfertigt hat – und der auf dem Bundesparteitag der FDP gefeiert worden ist, obwohl er auch dort weiterhin kein einziges Wort der Kritik an Arafat fand und alle Schuld an der Malaise in Nahost allein auf Israel und Scharon ablud. Solch furchtbare Einseitigkeit beruht nicht auf politischer Schwachsichtigkeit, sondern auf Berechnung.
Es hat sich nämlich etwas verändert in Deutschland: Wenn heute über „die Neger“ so gesprochen würde, wie über „die Juden“ gesprochen wird, dann wären es nicht nur Frau Hamm-Brücher und eine Handvoll anderer, die sich protestierend zu Wort melden. Dann gäbe es einen breiten antirassistischen Konsens und Lichterketten der Anti-Rassismus-Komitees in allen Großstädten. Juden sind aber offensichtlich aus dem antirassistischen Konsens ausgeklinkt worden. Weil Israel selber ein rassistischer Staat sei, dürfe man, so lautet der Schluss, gegen die Juden derzeit fast alles sagen: Die Juden in Deutschland werden in Kollektivhaftung genommen für das Vorgehen des Staates Israel gegen die Palästinenser. Schon fließt auch der tiefsitzende Hass wieder offen, Hass, der einst zum Holocaust geführt hat und dann im demokratischen Deutschland gedeckelt wurde.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird betrachtet, als handele es sich nicht um die Vertretung einer Religionsgemeinschaft, sondern um die diplomatische Vertretung Israels. Sicherlich: Dieser Zentralrat ist so wenig davor gefeit, falsch oder undiplomatisch zu reagieren wie andere Zentralräte auch. Ein Zentralrat der Weisheit ist er seit dem Tod von Ignatz Bubis nicht gerade. Aber das ist der Zentralrat der Katholiken auch nicht, obwohl es dort keine Wunden gibt, die immer wieder aufreißen.
Man hat sich hierzulande daran gewöhnt, dass jüdische Einrichtungen ausschauen müssen wie Festungen, und dass tagtäglich jüdische Gräber geschändet werden. Soll man sich jetzt auch noch daran gewöhnen müssen, dass Kindern in der S-Bahn der Davidstern vom Halskettchen gerissen wird – und die Politik Scharons als Entschuldigungsgrund dafür herhalten muss? Der unselige Scharon wird schon jetzt wie ein Korkenzieher benutzt, um die Flasche mit den alten Vorurteilen zu entkorken. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sich kein Politiker gefunden hätte, der sich dies zu Nutze macht. Zyniker können sagen, es hätte schlimmer kommen können als mit Möllemann; er sei doch immerhin kein Haider. Aber es ist auch so schlimm genug, denn: Politiker können vielleicht nicht sehr viel im Positiven bewirken, aber sehr viel im Negativen anrichten. Es dauert lang, Vorurteile abzubauen; es geht aber sehr schnell, sie zu wecken, zu verschärfen und zu vereinigen. Gespeist werden diese Vorurteile von Quellen, die in verschiedenen Ecken entspringen – rechtsaußen und linksaußen. Deren Ergiebigkeit und Fließgeschwindigkeit haben sich unter dem Einfluss des Nahost-Konflikts erhöht. Zwischen beiden Quellen gibt es schon lang einen Kanal, in dem zum Beispiel Horst Mahler von Linksaußen nach Rechtsaußen geschwommenist. Das, was heute linker Antisemitismus ist, hat einst wohlmeinend begonnen: Als sich die 68er-Studenten die Palästinensertücher um den Kopf zu wickeln begannen, taten sie es nicht, um Auschwitz zu vergessen, sondern im Gegenteil, weil sie die Partei der „Opfer der Opfer“ ergreifen wollten, der Palästinenser, als Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung; es wurde aber daraus eine fast symbiotische Beziehung auch zu Extremistengruppen.
Vielen rutschte das Palästinensertuch so weit über die Augen, dass sie sich politisch verrannten. Möllemann hat durchaus seine Vorläufer – Christian Ströbele hat einst während des Golfkriegs den Israelis die Schuld daran gegeben, wenn irakische Giftgas-Raketen deutscher Bauart sie trafen; das sei die Folge brutaler Besatzungspolitik. Damals gab es allerdings einen allgemeinen Aufschrei, damals musste Ströbele als Sprecher der Grünen zurücktreten. Nichts dergleichen heute. Linker, rechter und islamistischer Antisemitismus fließen jetzt in einem großen See zusammen – und das Gewässer lädt im Sommer 2002 zum Bade.
Quelle:SZ