Worldcom unter Chapter 11
Hans Bernecker: Worldcom unter Chapter 11
Mails/Nachrichten vom 22.07.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
die nächste amerikanische Riesenpleite ist perfekt: Gestern abend stellte sich WORLDCOM unter Chapter 11. Damit ist der Weg für die Neustrukturierung des zweitgrößten Telekomkonzerns eingeläutet. Es bedarf immer eines solchen Vorfalles, um die Märkte wieder ins Lot zu bringen. Geht das?
Die Schwäche am letzten Freitag war ein sehr schwerer Schlag. Es war der vierte erfolglose Ansatz einer Marktstabilisierung, die nicht gelang. Zwei Tage vorher sah es noch ganz anders aus. Damit sind alle langfristigen Indextrends angeschlagen oder gebrochen, was sich im Laufe dieser Woche zeigen wird. Zunächst deutet der obige Vorfall auf eine erneute technische Erholung hin, die heute abzuwarten ist. Alles andere wäre „Kaffeesatz-Lesen“. Kein Zweifel:
Wir stecken in der Spätphase einer Baisse. Alle Baisseperioden dieser Art liefen seit 1945 zwischen 23 % Verlust und 48 % Verlust aus. Das betrifft jeweils den Mittelwert der relevanten Indizes, was seit 2000 nur ein solcher zwischen Nasdaq und Dow Jones ist. Aktueller Stand jetzt: rd. 40 % im gewogenen Mittel. Dafür gibt es im Moment nur zwei Denkansätze:
1. Ein finaler Sell-off. Das wäre das Beste. Die Begründung hatte ich schon gegeben. Das wäre ein dritter Fall nach 1987 oder letztem September. Oder aber:
2. Eine Abwärtsspirale mit der Bildung eines sog. fundamentalen Sockels, der ganz anderen Kriterien folgt. Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Heute ist es dafür zu früh.
Entscheidend dürfte heute sein, wie New York verläuft. Wahrscheinlich eine sofortige Erholung oder eine Schwäche am Anfang und ein Intraday-Reversal im Tagesverlauf, was abzuwarten ist. Mit großer Besorgnis stelle ich erneut fest:
Bis auf 50 % der Tagesumsätze entfallen in New York auf die verschiedenen Konstruktionen der Baisse-Spekulation. Das geht aus mehreren Berichten zum Wochenende hervor, obwohl es keine exakten Zahlen dazu gibt. Einen derart hohen Anteil hat es in der Geschichte der Börse noch nie gegeben. Dennoch:
Leitlinie sind nur drei technische Hilfsmittel: Die Volatilität, bei uns gemessen im V-DAX, und in den USA die wenig bekannten Odd-Lot Short Sales, sowie der Short Range Oscillator, den ich Ihnen wahrscheinlich in der nächsten AB erläutern darf. Sie sind so eine Art indirekte Hilfe wie der V-DAX bei uns. Der „Odd-Lot“ hat einen absoluten Extremwert erreicht, der SRO ist noch dabei, was sich für diese Woche wohl ankündigt. Jedenfalls:
Ich bleibe dabei: Wer in dieser Lage den Markt verläßt, verläßt das Spielfeld. Das ist ebenfalls eine Erfahrung aus den oben genannten Ereignissen von 1987 bzw. 1998 bzw. 2001. Natürlich ist das auf den ersten Blick ein schwacher Trost und eher simpel, in der Erfahrung aber richtig.
Frankfurt wird heute versuchen, die Ereignisse vom Freitag richtig einzuordnen. Das ergibt mehr Zufallskurse als gedanklich richtige Überlegungen. Natürlich werden alle auf die amerikanischen Futures schauen, die wahrscheinlich schwach beginnen. Es lohnt sich daher nicht, auf einzelne Firmendaten einzugehen. Einige grundsätzliche Anmerkungen als internationale Leitlinie für alle:
Die Baisse in der Pharmazeutik ist noch nicht vorbei. Jetzt werden auch die bislang stärksten Titel deutlich zurückgenommen. Sogar NOVARTIS in Zürich, aber auch AVENTIS, die ich beide vor drei Wochen zur Disposition gestellt habe, wenn die Stoppkurse unterschritten würden. Inzwischen ist dies eingetreten. Ferner:
In den USA werden die Finanzgesellschaften mit Schwerpunkt Immobilien schwach. Hier bin ich kaum engagiert, nämlich nur mit zwei Titeln, die damit nur indirekt zu tun haben, nämlich GOLDEN WEST und WASHINGTON MUTUAL. Beide ziehe ich mit sofortiger Wirkung zurück. Ganz wichtig ist hier: Der Größte, FANNIE MAE, kippt weg. Ich erinnere daran, daß FED-Chef Greenspan vor zwei Monaten sich zu dieser Lage kritisch geäußert hat. Wer also hier engagiert sein sollte - bitte Kasse machen. Gleiches gilt übrigens auch für die Baumärkte und sämtliche Titel, die in irgendeiner Form mit Immobilien zu tun haben.
Die Pleite von WORLDCOM, die nach Chapter 11 eigentlich einen Vergleich darstellt, berührt auch die WORLDCOM-Anleihen. Hier droht Totalausfall oder Wandel in Aktien, was jedoch nicht kurzfristig geschehen kann. Andererseits: Dieser Vorfall ist der Endpunkt für die Telekomkrise in den USA mit weitreichenden Folgen für alle anderen. Diese Situation studieren Sie bitte genau mit dem Kursverhalten von AT&T bzw. SPRINT in den USA und dem Marktverhalten der europäischen Konkurrenz. Daraus resultiert noch keine akute Kaufempfehlung, aber eine höchst interessante Stabilisierung dieser Segmente. Dazu gehört auch der Wechsel im Management von AT&T.
Gehen Sie in diese Woche nicht mit Frustration, wenn ich dies auch sehr gut verstehen kann. Ich neige auch nicht dazu, blind zu kaufen. Dazu ist es noch zu früh. Und selbst wenn es noch 10 % über dem absoluten Tief sein sollte, gilt der simple Rat: Buchverluste sind keine tatsächlichen Verluste, solange Sie nicht aus dem Markt ausscheiden. Sitzen Sie diese Phase lieber aus, auch wenn es psychologisch weh tut. Bis morgen,
herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
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Hans Bernecker: Worldcom unter Chapter 11
Mails/Nachrichten vom 22.07.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
die nächste amerikanische Riesenpleite ist perfekt: Gestern abend stellte sich WORLDCOM unter Chapter 11. Damit ist der Weg für die Neustrukturierung des zweitgrößten Telekomkonzerns eingeläutet. Es bedarf immer eines solchen Vorfalles, um die Märkte wieder ins Lot zu bringen. Geht das?
Die Schwäche am letzten Freitag war ein sehr schwerer Schlag. Es war der vierte erfolglose Ansatz einer Marktstabilisierung, die nicht gelang. Zwei Tage vorher sah es noch ganz anders aus. Damit sind alle langfristigen Indextrends angeschlagen oder gebrochen, was sich im Laufe dieser Woche zeigen wird. Zunächst deutet der obige Vorfall auf eine erneute technische Erholung hin, die heute abzuwarten ist. Alles andere wäre „Kaffeesatz-Lesen“. Kein Zweifel:
Wir stecken in der Spätphase einer Baisse. Alle Baisseperioden dieser Art liefen seit 1945 zwischen 23 % Verlust und 48 % Verlust aus. Das betrifft jeweils den Mittelwert der relevanten Indizes, was seit 2000 nur ein solcher zwischen Nasdaq und Dow Jones ist. Aktueller Stand jetzt: rd. 40 % im gewogenen Mittel. Dafür gibt es im Moment nur zwei Denkansätze:
1. Ein finaler Sell-off. Das wäre das Beste. Die Begründung hatte ich schon gegeben. Das wäre ein dritter Fall nach 1987 oder letztem September. Oder aber:
2. Eine Abwärtsspirale mit der Bildung eines sog. fundamentalen Sockels, der ganz anderen Kriterien folgt. Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Heute ist es dafür zu früh.
Entscheidend dürfte heute sein, wie New York verläuft. Wahrscheinlich eine sofortige Erholung oder eine Schwäche am Anfang und ein Intraday-Reversal im Tagesverlauf, was abzuwarten ist. Mit großer Besorgnis stelle ich erneut fest:
Bis auf 50 % der Tagesumsätze entfallen in New York auf die verschiedenen Konstruktionen der Baisse-Spekulation. Das geht aus mehreren Berichten zum Wochenende hervor, obwohl es keine exakten Zahlen dazu gibt. Einen derart hohen Anteil hat es in der Geschichte der Börse noch nie gegeben. Dennoch:
Leitlinie sind nur drei technische Hilfsmittel: Die Volatilität, bei uns gemessen im V-DAX, und in den USA die wenig bekannten Odd-Lot Short Sales, sowie der Short Range Oscillator, den ich Ihnen wahrscheinlich in der nächsten AB erläutern darf. Sie sind so eine Art indirekte Hilfe wie der V-DAX bei uns. Der „Odd-Lot“ hat einen absoluten Extremwert erreicht, der SRO ist noch dabei, was sich für diese Woche wohl ankündigt. Jedenfalls:
Ich bleibe dabei: Wer in dieser Lage den Markt verläßt, verläßt das Spielfeld. Das ist ebenfalls eine Erfahrung aus den oben genannten Ereignissen von 1987 bzw. 1998 bzw. 2001. Natürlich ist das auf den ersten Blick ein schwacher Trost und eher simpel, in der Erfahrung aber richtig.
Frankfurt wird heute versuchen, die Ereignisse vom Freitag richtig einzuordnen. Das ergibt mehr Zufallskurse als gedanklich richtige Überlegungen. Natürlich werden alle auf die amerikanischen Futures schauen, die wahrscheinlich schwach beginnen. Es lohnt sich daher nicht, auf einzelne Firmendaten einzugehen. Einige grundsätzliche Anmerkungen als internationale Leitlinie für alle:
Die Baisse in der Pharmazeutik ist noch nicht vorbei. Jetzt werden auch die bislang stärksten Titel deutlich zurückgenommen. Sogar NOVARTIS in Zürich, aber auch AVENTIS, die ich beide vor drei Wochen zur Disposition gestellt habe, wenn die Stoppkurse unterschritten würden. Inzwischen ist dies eingetreten. Ferner:
In den USA werden die Finanzgesellschaften mit Schwerpunkt Immobilien schwach. Hier bin ich kaum engagiert, nämlich nur mit zwei Titeln, die damit nur indirekt zu tun haben, nämlich GOLDEN WEST und WASHINGTON MUTUAL. Beide ziehe ich mit sofortiger Wirkung zurück. Ganz wichtig ist hier: Der Größte, FANNIE MAE, kippt weg. Ich erinnere daran, daß FED-Chef Greenspan vor zwei Monaten sich zu dieser Lage kritisch geäußert hat. Wer also hier engagiert sein sollte - bitte Kasse machen. Gleiches gilt übrigens auch für die Baumärkte und sämtliche Titel, die in irgendeiner Form mit Immobilien zu tun haben.
Die Pleite von WORLDCOM, die nach Chapter 11 eigentlich einen Vergleich darstellt, berührt auch die WORLDCOM-Anleihen. Hier droht Totalausfall oder Wandel in Aktien, was jedoch nicht kurzfristig geschehen kann. Andererseits: Dieser Vorfall ist der Endpunkt für die Telekomkrise in den USA mit weitreichenden Folgen für alle anderen. Diese Situation studieren Sie bitte genau mit dem Kursverhalten von AT&T bzw. SPRINT in den USA und dem Marktverhalten der europäischen Konkurrenz. Daraus resultiert noch keine akute Kaufempfehlung, aber eine höchst interessante Stabilisierung dieser Segmente. Dazu gehört auch der Wechsel im Management von AT&T.
Gehen Sie in diese Woche nicht mit Frustration, wenn ich dies auch sehr gut verstehen kann. Ich neige auch nicht dazu, blind zu kaufen. Dazu ist es noch zu früh. Und selbst wenn es noch 10 % über dem absoluten Tief sein sollte, gilt der simple Rat: Buchverluste sind keine tatsächlichen Verluste, solange Sie nicht aus dem Markt ausscheiden. Sitzen Sie diese Phase lieber aus, auch wenn es psychologisch weh tut. Bis morgen,
herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
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