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Ashcrofts Spitzelsystem
Florian Rötzer 16.07.2002
Geht es nach dem Willen des US-Justizministers, so sollen bald Millionen von Beruftstätigen die Menschen in den USA überwachen
Gelegentlich kommt es zu seltsamen Anverwandlungen zwischen Angreifer und Opfer. Man wird sich noch an das Afghanistan der in ihrem Kampf gegen die Russen von der USA unterstützten Taliban erinnern. Strikt sollte seiner Zeit alles Nicht-Islamische aus dem Land verbannt werden. Um solche strengen Verhaltensregeln durchzusetzen, wurden Ungehorsame nicht nur schwer, manchmal mit dem Tod bestraft, sondern es mussten auch mehr und mehr Sittenwächter für die Einhaltung der asketischen Moral sorgen. Offenbar will der ebenfalls streng religiöse US-Justizminister Ashcroft ein ähnliches Kontroll- und Spitzelsystem im allseits verwendbaren Kontext des Kampfes gegen den Terrorismus für die Vereinigten Staaten aufbauen.
Das Taliban-Regime, 1996 an die Macht gekommen, scheute Medien und Öffentlichkeit. Während man bei uns gerne kulturkritisch über die Auswüchse der Mediendemokratie lamentiert, würde das Taliban-Regime als das genaue Gegenteil einem Herrschaftssystem mit einem unsichtbaren, geheimnisvollen und gesichtslosen Diktator entsprechen. Der nach dem Angriff der USA wieder untergetauchte Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar mied bereits zur Hochzeit der Herrschaft die Medienöffentlichkeit. Interviews gab es mit ihm nicht, nicht einmal ein Foto. Fernsehen war sowieso verboten, aber auch im Radio war von Omar nichts zu hören. Nur seine Anordnungen, die vielfach neue Verbote waren, wurden verbreitet. Und weil es in diesem heiligen Land immer mehr Verbote gab, wuchs die Macht der Sittenpolizei, die als "Abteilung für die Förderung des Guten und die Bekämpfung des Bösen" mit einem wahrhaft moralischen Kreuzzug gegen die eigene renitente Bevölkerung beauftragt war, während an den Rändern der Bürgerkrieg weiter schwelte.
Das einzige Foto von Mullah Mohammed Omar, sein einziges Interview
Unter der von der US-Regierung hochgepuschten "Homeland Security" hatte US-Justizminister Ashcroft, der schon einmal eine nackte Statue verhüllen ( USA führen Schleierzwang ein) und seine Mitarbeiter täglich beten, aber auch schon mal Kirchenlieder singen lässt ( John Ashcroft lässt den Adler segeln), die schon länger bestehenden "Neighborhood-Watch"-Programme erweitert ( Blockwart, bitte melden!). Sollten sie bislang der Verhinderung von Verbrechen dienen, so ist nun im Kampf gegen die Terroristen erhöhte Wachsamkeit gefragt. Alles Verdächtige soll von den Selbstschutzvereinen, die mit Unterstützung des Staates sich kräftig vermehren sollen, den Polizeibehörden gemeldet werden. Und weil die Terroristen sich mitunter unauffällig als Schläfer verstecken, müsste denn auch gerade das unauffällige Verhalten von Menschen stärker unter die Lupe genommen werden. Für die gegenseitige Überwachung der Bürger wurde denn auch eine übergreifende Website mit dem entsprechenden Namen USA on Watch eingerichtet.
US-Justizminister Ashcroft, der eifrig betet, es aber nicht so genau mit den Bürgerrechten nimmt
Während Neighborhood-Watch zur Wachsamkeit oder Bespitzelung von allen aufruft, hat Ashcroft aber noch ein besonderes Programm in die Wege geleitet, das ab August 2002 starten soll. Die Operation TIPS (Terrorism Information and Prevention System) richtet sich an alle US-Bürger, die kraft ihrer Jobs besonders geeignet zur Überwachung sind. "Millionen von amerikanischen Lastwagenfahrern, Briefträgern, Zugführern, Schiffskapitänen, Angestellten von Versorgungsbetrieben und anderen" werden in einem landesweiten Projekt aufgefordert, "verdächtige terroristische Aktivitäten" zu melden. Sie sollen zu den "Augen und Ohren der Strafverfolger" werden.
Schon in der Startphase sollen eine Million Berufstätige an diesem nationalen Meldesystem teilnehmen. Dazu gibt es eine gebührenfreie Nummer, über die man an die entsprechende Behörde weiter geleitet wird. Teilnehmer erhalten einen "Operation TIPS information sticker", den sie am Wagen oder an einem anderen öffentlich zugänglichen Ort anbringen sollen, so dass die gebührenfreie Nummer bei Bedarf möglichst schnell zur Hand ist.
Für das Pilotprogramm, das mit 6 Millionen Dollar gefördert wird, werden 10 Städte ausgewählt. Wenn dies die 10 Städte mit den meisten Einwohnern wären, käme man hier auf insgesamt etwa 24 Millionen Menschen, hat Ritt Goldstein ausgerechnet. Da an dieser Phase bereits eine Millionen Berufstätige teilnehmen sollen, würde ein TIPS-Informant auf 24 Bürger kommen, d.h. mehr als 4 Prozent aller Bürger sollten nach dem Wunsch von Ashcroft an der Überwachung der Bevölkerung beteiligen, die sich bereits nachbarschaftlich überprüft.
Goldstein vergleicht den von Ashcroft gewünschten Spitzelapparat mit der Stasi der ehemaligen DDR. Geht man von 90.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und 210.000 inoffiziellen Mitarbeitern bei einer Gesamtbevölkerung 1989 von 16 Millionen aus, so kam in der DDR "lediglich" ein Spitzel auf 53 Bürger. Noch zumindest kann man sicherlich das geplante US-TIPS nicht direkt mit der Stasi-Überwachung vergleichen, bedenklich aber ist schon, wenn die US-Regierung ähnlich wie totalitäre Systeme ein umfassendes Informantensystem aufbauen will - zumal Geheimdiensten, FBI und Polizeibehörden bereits größere Überwachungs- und Abhörmöglichkeiten eingeräumt wurden. Wie weit und wie lange die vermutlich oft unzuverlässigen oder auch verleumderischen Meldungen dann in nationalen Datenbanken gespeichert werden sollen, wird vom Justizministerium nicht mitgeteilt. Es fehlt nur noch ein Belohnungssystem für besonders aktive Informanten