Frühlingsstimmung (Heiko Thieme i.d. FAZ)

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Frühlingsstimmung (Heiko Thieme i.d. FAZ)

 
12.03.02 08:32
11.03.2002

Amerika erlebt den mildesten Winter in über 100 Jahren. An der Ostküste haben die Temperaturen seit Dezember selten den Gefrierpunkt erreicht. In New York, dem Finanzzentrum der Welt, mußten keine Schneepflüge eingesetzt werden. Ein Wetterfrosch scherzte, daß dieser Winter an einem Dienstag Ende Februar stattfand, als einige Schneeflocken im Central Park vom Himmel rieselten. Die erste Märzwoche brachte mit Temperaturen von bis zu 20 Grad frühlingshafte Bedingungen. Verbraucher konnten in dieser Wintersaison ihre Heizkosten um fast ein Drittel senken. Kein Wunder also, daß der Konsument diese Gelder, anstatt sie in den Ofen zu stecken, anderweitig nutzte. Die niedrigen Benzinpreise taten ein Übriges, um die Taschen der Verbraucher zu füllen. Der Einzelhandel profitierte hiervon. Kaufhäuser berichteten von dem größten Monatsanstieg im Februar seit fast zwei Jahren. Aber auch hier gab es deutliche Unterschiede: Während die größte Kaufhauskette der Welt, Wal-Mart, einen Umsatzanstieg von zehn Prozent verzeichnete, beklagte die größte Oberbekleidungskette, The Gap, einen drastische Einbruch von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Verbraucher ist offensichtlich nach wie vor preisbewußt und läßt sich in erster Linie mit Sonderangeboten locken.

Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die Frühlingsluft zu verspüren. Die Arbeitslosenrate fiel überraschend auf 5,5 Prozent. Erstmals seit sieben Monaten wurden wieder neue Arbeitsplätze geschaffen. Selbst hier spielte das milde Wetter sicherlich eine entscheidende Rolle. Die in Fachkreisen immer wieder zu hörende Inflationssorge findet derzeit keinerlei Bestätigung. Die Lohnstückkosten fielen im vierten Quartal um fast drei Prozent. Der Dienstleistungssektor, der 80 Prozent der US-Wirtschaft beeinflußt, wies im Februar den größten Anstieg in 15 Monaten auf.

Die jüngste Umfrage der zwölf Notenbankbezirke bestätigt, daß sich die Wirtschaft bereits wieder im Aufschwung befindet. Eine ähnliche Schlußfolgerung konnte man den Ausführungen Alan Greenspans vor dem Senatsauschuß entnehmen. Der Notenbankchef war ungewöhnlich klar in seiner optimistischen Einschätzung. Gleichzeitig versuchte er die Nervosität am Rentenmarkt vor zu positiven Wirtschaftsdaten einzudämmen, indem er gleichzeitig durchblicken ließ, daß bei der nächsten Notenbankratssitzung am 19. März keine Zinserhöhung bevorstünde. Dennoch stiegen die Renditen am langfristigen Ende des Rentenmarkts um mehr als 0,3 Prozent, was zu deutlichen Kursverlusten bei Rentenpapieren führte.

Der Aktienmarkt ließ sich jedoch vom Pessimismus des Rentenmarkts nicht einschüchtern, sondern wurde von der Frühlingsluft und den positiven Wirtschaftsdaten motiviert. Die erste Märzwoche brachte äußerst erfreuliche Kursgewinne. Der Dow Jones-Index legte über 200 Punkte zu und befindet sich damit bereits seit vier Wochen in einem beeindruckenden Aufwärtstrend, dem längsten seit Mai vergangenen Jahres. Seit Jahresbeginn liegt hiermit das Plus bei äußerst soliden 5,5 Prozent. Der Wochensieger unter den 30 Dow-Jones-Werten mit einem Anstieg von über 17 Prozent war JP Morgan Chase, die zweitgrößte Bank Amerikas. Im Februar war es hier noch zu deutlichen Kursverlusten gekommen, da die Bank hohe Kredite an Enron und Global Crossing vergeben hatte – beide Unternehmen befinden sich inzwischen im Konkurs. Sektorenrotation ist in diesem Jahr eine wichtige Strategie, um von den Trends der Börse zu profitieren.

Auch der Standard & Poor’s 500-Index überstieg die für Charttechniker wichtige 200-Tageslinie und kam auf einen Wochengewinn von fast drei Prozent. Der Freiverkehrsmarkt nahm mit einem Plus von sieben Prozent wie bereits in der Vorwoche den ersten Platz ein. Allerdings ist hier das Minus von einem Prozent seit Jahresbeginn noch ein Schönheitsfehler, den es in den nächsten Tagen zu überwinden gilt. Vor zwei Jahren hatte der Freiverkehrsmarkt am 10. März sein Allzeithoch von über 5000 erreicht. Von dieser Rekordhöhe ist er beim aktuellen Stand von 1930 über 60 Prozent entfernt und dürfte etliche Jahre brauchen, um wieder auf dieses Spitzenniveau zu kommen. Dennoch können Börsianer mit dem Wochenergebnis mehr als zufrieden sein und haben damit gleichzeitig dem Notenbankchef, der am Mittwoch 76 alt wurde, ein würdiges Geburtstagsgeschenk bereitet.

Ihr Heiko Thieme
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