Mit der aktuellen Krise bei Fiat droht das Finale einer hundertjährigen Firmen- und Familiensaga: Wie in einer frühkapitalistischen Seifenoper kämpfte die Agnelli-Sippe um Geld, Glamour und Macht, doch dem globalen Wettbewerb scheint das Imperium nicht mehr gewachsen.
Gianni Agnelli
Schlohweißes Haar über dem braun gebrannten, faltenzerfurchten Gesicht. Schmale harte Lippen. Eine kräftige Nase. Grau-blaue Augen, die ihr Gegenüber fixieren wie eine Beute.
Die US-Illustrierte "Life" sah in diesen Zügen "die Physiognomie von Julius Cäsar". "Paris Match" erkannte das klassische "Bild des Heerführers" und das US-Magazin "Time" schwärmte von einem "florentinischen Prinzen". Kurz: Gianni Agnelli, 81, Padre-Padrone des Fiat-Clans und ungekrönter König Italiens, ist ein beeindruckender Kopf.
99 Prozent der Italiener kennen den Papst, sagen Umfragen. Aber 100 Prozent kennen das Oberhaupt der reichsten und mächtigsten Familie des Landes. Ihr gehört ein kaum überschaubares Imperium von etwa 500 Firmen und Firmenbeteiligungen, von Kaufhäusern, Versicherungen und Elektrizitätswerken bis zum Produzenten von Banknotenpapier und dem erfolgreichsten Fußballclub Italiens - Juventus Turin.
Vor allem aber herrscht die Sippe als Eigner des größten Aktienpakets über die "Fabbrica Italiana di Automobili Torino", kurz: Fiat - das industrielle Herz Italiens. "Was Fiat nützt, nützt auch Italien", dieser Spruch des Nachkriegs-Chefs Vittorio Valletta sitzt tief im kollektiven Bewusstsein der ganzen Nation.
Der Autokonzern mit heute weltweit rund 220.000 Beschäftigten war jahrzehnte- lang ein Hort der Stabilität in einem instabilen Land. Die Löhne waren höher, der Katalog sozialer Leistungen dicker als in anderen Betrieben. Und vor allem: Die Arbeitsplätze waren sicher. Wer im Fiat-Reich untergekommen war, konnte sorglos in die Zukunft blicken.
An der Spitze dieses Reichs thront seit Mitte der sechziger Jahre Gianni Agnelli, der heimliche Herrscher im Lande. Er erfüllte die Sehnsucht der Italiener nach Führung und füllte die Leere der operettenhaften italienischen Politik. Ob er in Jeanshose und -hemd, den braunen Krückstock an der Hand, durch den Winter von Sankt Moritz stapfte oder in seinem Schloss in braunem Tweed als englischer Landlord repräsentierte, Agnelli war Vorbild wie Trendsetter einer ganzen Nation.
Als italienische Politiker und Industrielle einst in Moskau vorsprachen, ließ Nikita Chruschtschow die römischen Volksvertreter von seinem Vize empfangen. Er selbst begrüßte lieber die von Agnelli angeführte Wirtschaftsdelegation. Denn, so seine offenherzige Begründung: "Jene wechseln, diese bleiben."
Dass sie ewig bleiben, schien außer Frage. Nun, ganz plötzlich, scheint auch ihre Zeit gekommen. Mit einem Male dunkelt der Glanz und bröckelt die Macht.
Das stolze Fiat-Imperium ist finanziell ausgezehrt. Die Autos sind von gestern. Der Absatz schrumpft.
Fiats Marktanteil in Europa sackte seit 1990 um rund ein Drittel ab: Von 14 auf unter 9 Prozent. Nicht besser lief es zu Hause: Die Quote auf dem italienischen Heimatmarkt fiel von über 50 auf knapp 32 Prozent.
Um den freien Fall zu bremsen, wird seit Anfang Juli mit niedrigeren Preisen und zinsfreiem Ratenkauf gelockt. Die römische Regierung sprang mit ökologisch verbrämten Steuerabschlägen für Neuwagen bei. Aber die Turiner Konzernlenker glauben offenbar selbst nicht daran, den Trend auf die Schnelle stoppen zu können.
Am Montag dieser Woche legen sie ihre Halbjahresbilanz vor. Und die Zahlen werden wieder furchtbar sein. Mitte August sollen bis zu 22 000 Beschäftigte für vier Wochen in Zwangsurlaub geschickt werden. Klar ist, dass auch Jobs gestrichen werden. Unklar ist nur noch, wie viele.
Mit dem Verkauf von Anteilen am Energieunternehmen Edison und 34 Prozent von Ferrari, die gerade wieder mit Michael Schumacher Formel-1-Weltmeister geworden sind, hält der Autobauer sich liquide. Dabei verdoppelte sich der Schuldenberg binnen zehn Jahren auf nun fast 60 Milliarden Euro.
In aller Stille übernahmen die kredit-gebenden Banken die Macht im Konzern. Und damit nicht genug: In kurzer Zeit, da sind die meisten Experten sicher, wird das historische Herz der italienischen Wirtschaft nur noch eine Dependance des US-Konzerns General Motors (GM) sein.
"Fiat wird nicht verkauft", versichert Gianni Agnelli immer wieder. Aber GM gehört seit zwei Jahren schon ein Fünftel der Autosparte. Für den Rest haben die Amerikaner eine Kaufoption. Die Agnellis, die einst 70 Prozent der Aktien kontrollierten, haben ihren Anteil am Konzern auf gut 30 Prozent reduziert. Seit Jahren fahren sie ihre Investitionen herunter und legen ihr Geld in anderen Branchen an.
Selbst die Vatikan-nahe und für Agnelli-Jubel-Storys bekannte Illustrierte "Famiglia Cristiana" ("Christliche Familie") warnt bereits, es drohe "möglicherweise das endgültige K.o." für Agnellis Imperium.
Das Finale einer ökonomischen Epoche scheint eingeläutet: Der letzte Dinosaurier des Gründerzeit-Kapitalismus kämpft ums Überleben. Und seine Chancen sind dürftig. Überall hat sich die traditionelle Sippenwirtschaft überlebt. Die Einheit von Firma und Familie zerbricht. Die ökonomischen Bedingungen werden von globalen Kapitalströmen dominiert, die optimale Renditen suchen und nicht in Träume investieren.
Ohne einen Traum aber hätte das Fiat-Opus nie beginnen können. Beseelt von der Idee, sich mit der Produktion von Autos eine neue Existenzgrundlage zu schaffen, trafen sich am 1. Juli 1899 neun junge Männer im Turiner Schickimicki-Café Burello - unter ihnen der damals 33-jährige Sprössling eines Großgrundbesitzers, Giovanni Agnelli. Schnell übernahm er das Steuer - und nach einem rätselhaften Crash der jungen Aktie zu Spottpreisen auch die Anteile seiner Mitgründer. Seitdem sind Fiat und Agnelli zwei Seiten derselben Medaille.
Mit dem Umsatz wuchs der politische Einfluss. Fiat wurde schnell ein Staat im Staate, aber nie zum Gegenstaat: Die Agnellis arrangierten sich mit den Faschisten Mussolinis ebenso wie später mit den deutschen Besatzern und den alliierten Befreiern. Als Gründer Giovanni I. starb, hinterließ er sieben Enkel. Schon frühzeitig hatte der Patriarch den nach ihm benannten Giovanni, der sich Gianni rufen ließ, als Nachfolger auserkoren.
Im Krieg hatte dieser erst als Panzeroffizier an der russischen Front, dann in Tunesien gegen die Amerikaner gekämpft und war 1943 zu den Partisanen gewechselt. Doch dem Vermächtnis seines Großvaters zu folgen, reizte ihn nicht. Er zog schnelle Autos und blonde Frauen vor.
In der schillernden Nachkriegszeit wurde er schnell einer der Protagonisten einer neuen Lebenslust, Vertreter des Jet-Sets, als es das Wort noch gar nicht gab und die Flugzeuge noch Propeller statt Triebwerke hatten.
Mit Gunter Sachs tummelte er sich auf mondänen Partys. Mal mit Rita Hayworth, mal mit Anita Ekberg. Ein Weilchen war er mit der Churchill-Schwiegertochter Pamela zusammen.
Über Jahre lief damals das Gerücht um, Agnelli habe eine Nasenscheidewand aus Silber - als Folge eines angeblich übermäßigen Kokain-Genusses. 1952 zerlegte er auf der südfranzösischen Küstenstraße "Corniche" seinen Ferrari und zertrümmerte sich dabei das Bein. Herbeieilende Fotoreporter soll der Schwerverletzte mit Autoteilen in der Hand verjagt haben, um die Anonymität seiner unversehrten Begleiterin zu schützen. Seitdem humpelt er und stützt sich beim Gehen auf einen Stock.
"Liebe ist etwas für Lakaien", soll er gesagt haben. Und für Sprüche wie "Frauen liebt man nicht, man erobert sie" vergötterte ihn die italienische Macho-Welt.
1953 heiratete er die Tochter eines neapolitanischen Fürsten, Marella Caracciolo di Castagneto. Der Schriftsteller Truman Capote verglich sie mit einer Preziose in der Auslage des New Yorker Nobel-Juweliers Tiffany: "Sehr, sehr teuer!"
Das Paar wurde zum Kultobjekt der Klatschpresse. Während sie zwei Kinder gebar und aufzog, kümmerte er sich um die Kennedy-Gattin Jacqueline. Heißt es.
Sicher ist, dass der lebensfrohe Konzernchef sich Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre auch zunehmend für Fiat interessierte. 1966 übernahm er den Chefsessel. Fiat war zu der Zeit - mit 1,34 Millionen produzierten Autos - die Nummer eins in Europa, die Nummer fünf in der Welt. Und wuchs prächtig weiter. 1970 wurde in der Sowjetunion das Werk Togliattigrad eröffnet. In Bulgarien, Polen, Jugoslawien und Rumänien wurden Fiat-Autos zusammengeschraubt und -geschweißt.
"Panda" und "Uno", die in den achtziger Jahren den italienischen Markt dominierten, wurden von Regierungschefs präsentiert und von Priestern gesegnet. Der Erfolg schien gottgegeben: Fiat schluckte Lancia, Ferrari und Alfa Romeo.
Die Identität von Staat und Firma hatte freilich seinen Preis: Die Studentenunruhen im "heißen Herbst" 1969 griffen in Italien, anders als etwa in Deutschland, auch auf die Arbeitnehmer über, vor allem auf die von Fiat. Es begann ein Jahrzehnt mit Streiks, Terroranschlägen und Boykottaktionen. Wer den Staat treffen wollte, prügelte Fiat.
Die Agnellis reagierten unter der Führung des Enkels wie einst unterm Großvater: Sie arrangierten sich mit dem Zeitgeist. Der stand damals links. Also banden sie mit üppigen Sozialverträgen die Gewerkschaften ein und befriedeten so die aufmüpfige Belegschaft. Parallel verbesserten sie die Beziehungen zu den Mitte-Links-Parteien. Die Agnelli-Zeitung "La Stampa" wurde geradezu das Sprachrohr einer politischen Reformdiskussion, die 1996 zum Wahlsieg des "Ulivo"-Bündnisses von Romano Prodi führte.
Der erste Regierungsversuch des heutigen italienischen Premiers Silvio Berlusconi 1994 scheiterte nach nur sieben Monaten auch daran, dass Agnelli die konservativen Wirtschaftsbosse gegen den Medientycoon in Stellung brachte. Das politische Arrangement des Turiner Clans mit der römischen Republik zahlte sich aus.
Fiat wurde aus öffentlichen Kassen kräftig mit Geld versorgt. Von 1994 bis 2001 wurde das zum Konzern gehörende Alfa-Romeo-Werk in Arese durch Lohnzuschüsse und Sozialbeitragsrabatte um etwa 400 Millionen Euro entlastet. Insgesamt, schätzen Wirtschaftsexperten, seien Fiat in zehn Jahren fünf Milliarden Euro aus öffentlichen Quellen zugute gekommen.
Nach dem Debakel der Linksregierungen wechselte mit der Mehrheit des Landes auch Agnelli das politische Lager. Er verband sich mit dem einst verachteten Berlusconi, der als Chef einer Rechtskoalition 2001 die Parlamentswahlen gewann.
Die industrielle Welt veränderte sich. Neue Betriebe mit hoher Reaktionsgeschwindigkeit drängten auf die Märkte, Globalisierung und zusammenwachsende EU setzten neue Regeln. Überall stiegen die Stückzahlen, sanken die -kosten - nur bei Fiat nicht, jedenfalls nicht ausreichend. Die Konkurrenten schlossen sich zu großen Blöcken zusammen. Gianni Agnelli aber wollte "lieber allein als in schlechter Begleitung" sein.
Die verheerende Konsequenz der Strategie lässt sich an der Börse nachrechnen: Vor zwei Jahren wurde der Börsenwert von Fiat auf etwa zwölf Milliarden Euro taxiert. Aktuell ist der Wert des gesamten Konzerns auf knapp fünf Milliarden Euro zusammengeschmolzen.
Nicht viel besser als im Betrieb lief es zu Hause. Dem im Laufe der Jahrzehnte auf etwa 160 Mitglieder angewachsenen Familien-Clan kam mehr und mehr die Orientierung abhanden: Die einen wollten investieren, die anderen konsumieren. Der legendäre Alte, Gianni, setzte weiter aufs Auto, sein jüngerer Bruder, Umberto, schwor auf andere Branchen.
Der Clan geht auf Crash-Kurs, denn auch die interne Kommandostruktur funktioniert nicht mehr reibungslos. Giannis einziger Sohn Edoardo, 1954 geboren, fiel früh aus der Reihe. Er studierte Philosophie statt Wirtschaftslehre, engagierte sich in Anti-Atomkraftbewegungen und neigte antikapitalistischen Thesen zu. In Kenia mit einer üppigen Menge Rauschgift erwischt, brauchte es die ganze Macht des Vaters, ihn dort aus dem Knast zu holen.
So kürte Gianni den Sohn seines Bruders Umberto, Giovanni Alberto, 1997 zum Kronprinzen des Clans. Wenige Monate später starb der, 33-jährig, an Krebs.
Der Sohn von Giannis Tochter Margherita wurde zum letzten Hoffnungsträger der Familie. Der aber sei zu jung, zu zart, man riskiere, "ihn zu verheizen", warnte Onkel Edoardo. Doch schneller noch erlag er selbst dem Druck der familiären Betonstrukturen: Im November 2000 stürzte Edoardo sich von einer Autobahnbrücke in den Tod.
Versteinert nahm der Patriarch die Schicksalsschläge hin. So wie seine fünf schweren Unfälle, zwei Herzoperationen und ein Krebsleiden.
Man brauche ihn "nicht mehr, um Italien zu regieren", höhnt Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga. "Die Fiat-Macht zerfällt."
Und er rät Regierungschef Berlusconi, der zurzeit über weitere Staatshilfen für den angeschlagenen Autobauer sinniert: "Keine Angst vor Agnelli."
Die Angst vor dem alten "Avvocato" ist offenbar selbst im Zentrum des Reiches schon geschwunden: Als am 10. Juni, auf der jüngsten Aufsichtsratssitzung des angeschlagenen Konzerns, Vorstandschef Paolo Cantarella seinen Rücktritt erklärte, um das Signal für einen Neuanfang und einen Richtungswechsel zu geben, fehlte der angestammte Wortführer.
Seine Gegenspieler im Familienverband, allen voran Bruder Umberto sollen Cantarella zuvor zum Abgang gedrängt haben. Gianni konnte in der Zeit nicht kämpfen. Er lag in einem New Yorker Krankenhaus. Erst wenige Tage vor der Sitzung kam er heim nach Turin - aber da wollte oder konnte er nicht mehr eingreifen.
Die Familie wurde von Enkel John - blass, schmächtig, mit ängstlichen braunen Augen - in der Krisenrunde vertreten. Kein Cäsar. Kein Heerführer. Der Kronprinz soll auf der Sitzung kein einziges Wort gesagt haben.
spiegel.de 30.07.02
GM: Für Spekulationen über Fusion mit Fiat Auto zu früh
Frankfurt (vwd) - Für die General Motors Corp (GM), Detroit, ist es noch zu früh, um etwas über eine mögliche Fusion mit der Automobilsparte der Fiat SpA, Turin, zu sagen. Ein Sprecher von GM wollte am Montag diesbezügliche Berichte weder dementieren noch bestätigen, wonach die beiden Konzerne die Zusammenlegung der europäischen und lateinamerikanischen Geschäfte prüfen. Es würden verschiedene Optionen geprüft.
Unter Bezug auf frühere Medienberichte sagte der Sprecher, bislang habe es häufiger geheißen, dass GM sich auf eine Übernahme im Jahr 2004 vorbereitet. Für Spekulationen über die möglichen Strategien sei es jetzt noch zu früh. GM hält derzeit 20 Prozent an der Automobilsparte des italienischen Konzerns.
vwd (30.07.02)
Ende einer Ära?
Das Herzstück der Fiat-Gruppe, die Autosparte, macht weniger Verlust. Nach einem Fehlbetrag von 429 Mio. Euro betrug das Minus im zweiten Quartal "nur" noch 394 Mio. Euro. Wie das Unternehmen weiter mitteilte, hat die Autosparte Umsätze von 5,8 Mrd. Euro generiert.
Der Chef der Autosparte hatte die Fiat-Aktionäre bereits vorab auf "bessere Zeiten" vorbereitet: "Der Verlust ist geringer - nicht bedeutend, aber geringer", sagte Giancarlo Boschetti. Die leicht verbesserte Ertragssituation ist das erste greifbare Ergebnis eines Restrukturierungsprogramms, mit dem Fiat die Probleme in seiner Autosparte in den Griff bekommen möchte. Denn: Das Überleben des traditionellen Kernbereichs ist ungewisser denn je.
Im Juni hatte Vorstandschef Cantarella die Konsequenzen aus dem defizitären Kfz-Geschäft gezogen und war zurückgetreten. Cantarella stieg vor 25 Jahren bei Fiat ein und entwickelte sich unter der Patenschaft des Ehrenvorsitzenden und Anteilseigners Giovanni Agnelli zu einem Glücksbringer für die Turiner. 1996 wechselte er an die Konzernspitze und wurde zugleich Verwaltungsratsvorsitzender der Autosparte. Mit Modellen wie dem Tipo, dem Bravo/Brava oder dem neuen Gesicht der Sportlimousinen-Tochter Alfa Romeo bescherte er dem Konzern wieder sprudelnde Gewinne und untermauerte die herausragende Stellung der traditionsreichen Automobilsparte, die seit längerem unter den Anteilseignern umstritten war.
Schließlich verließ Cantarella das Glück. Der Umsatz der Autosparte, vor allem auf dem Heimatmarkt, schrumpfte zu Gunsten europäischer Konkurrenzmarken wie etwa Volkswagen, Peugeot oder Audi.
Der schwer kranke Giovanni Agnelli konnte sich nicht weiter gegen den Widerstand von Familie und weiteren Anteilseignern vor die Autosparte und damit vor Cantarella stellen. Auch seine engsten Kontakte zu einflussreichen italienischen Wirtschafts- und Regierungskreisen, inklusive der zu Duzfreund Silvio Berlusconi, konnten Cantarella nicht retten. "Die Regierung ist bereit zu intervenieren", hatte Silvio Berlusconi umgehend erklärt. Wissend, dass dies faktisch unmöglich ist, hatte er seiner Solidaritätsbekundung zugefügt, dass dies jedoch geschen müsse, ohne die Wettbewerbsregeln zu verletzen. Einziger Aktivposten sind die Verbindungen etwa zur italienischen Bank Mediobanca, die noch in den neunziger Jahren Investor bei Fiat war.
Mediobanca übernahm in einer ersten Sanierungsmaßnahme nun einen Anteil von 34 Prozent an der Fiat-Rennwagentochter Ferrari und platziert 12,5 Prozent davon bei ausländischen Investoren. Ziel ist ein Börsengang Ferraris. Großzügige Geste: Sollte der Erlös einer Emission den Kaufpreis überkompensieren, gibt Mediobanca 50 bis 90 Prozent des Überschusses an Fiat weiter. Neben Mediobanca sind offenbar auch die Gläubigerbanken Sanpaolo Imi, Banca di Roma, IntesaBCI sowie Unicredito bereit, den Automobilbereich zu stützen. Am Wochenende war bekannt geworden, dass sie eine Fiat-Wandelanleihe im Volumen von drei Mrd. Euro begeben haben.
Nach dem Sanierungsplan hat der Konzern, der mit insgesamt 6,6 Mrd. Euro verschuldet ist, bis 2004 Zeit, in die schwarzen Zahlen zurückzukehren. Gelingt dies nicht, wird das Vermächtnis des 81-jährigen Giovanni Agnelli der Geschichte angehören. Zwar ist mit seinem Bruder Umberto noch immer ein Familienmitglied in der Führung der Autosparte. Doch zum einen befürwortet dieser eine Abspaltung der Autoproduktion; auf der anderen Seite wartet Großaktionär General Motors (20 Prozent) auf die Produktionskapazitäten. Im Rahmen einer Put-Option kann - und muss - Fiat die Autosparte im Misserfolgsfall an GM abtreten.
n-tv.de (29.07.02)
Der Aktienkurs von Fiat ist in den letzten Wochen und Monaten parallel zum Rückgang anderer europäischer Aktien auf einen neuen Tiefstand in der Nähe von 11 Euro gefallen. Die Fiataktien leiden unter dem Pessimismus über die zukünftigen Aussichten der Autosparte des großen italienischen Konzerns. Damit liegt der Fiatkurs ungefähr auf dem Niveau des Jahres 1992, als die ganze europäische Autoindustrie eine Krise durchlebte. Nun stellt sich die Frage, ob Fiat auf dieser Basis antizyklisch kaufenswert ist.
Kernstück des Fiatkonzerns ist das Autogeschäft. Neben dem Autogeschäft gibt es noch Sparten für Baumaschinen und Traktoren, den Lastwagenproduzenten Iveco, die Flugzeugsparte Fiat Avio und die Versicherungsgesellschaft Toro. Am Autogeschäft vom Fiat hat General Motors vor einigen Jahren 20 % erworben. Fiat hat die Option, die restlichen 80 % von Fiat Auto zwischen 2004 und 2009 an General Motors zu verkaufen. Die Probleme von Fiat Auto sind bekannt: Die Marken sind schwach, in den letzten Jahren wurde zu wenig in Modelle investiert und es bestehen Überkapazitäten. Weiterhin ist Fiat besonders abhängig vom italienischen Markt verliert aber Marktanteile dort und auch in anderen europäischen Ländern.
Andererseits ist auch neuer Wind eingekehrt: Vor 3 Jahren kamen ein neuer Vorstandsvorsitzender für die Gruppe, der früher Vice Chairman von General Electric war und Fiat mit amerikanischen Methoden aufpolieren soll.
Angesichts der Probleme von Fiat Auto ist es sehr schwer Gewinnschätzungen abzugeben um daraus Kurs-Gewinn-Verhältnisse zu errechnen. Um Fiat Auto wieder auf Vordermann zu bringen werden in den nächsten 3 Jahren jedes Jahr über 2 Mrd. Euro fällig. Sollte Fiat sich jedoch zum Verkauf der restlichen 80 %, oder vielleicht nur weiterer 31 %, an der Autosparte an Generals Motors entscheiden, würde in kurzer Zeit diese Belastung für den Fiatkonzern wegfallen. Für diesen Fall nennen wohl informierte Analysten ein Kursziel von ungefähr 20 Euro.
Wer nun Zeit hat, kann vielleicht ein spekulatives Investment wagen. Den der Kurs ist heute so niedrig wie auf der letzten großen europäischen Autokrise 1992. Die Kurse anderer Autohersteller in Europa sind heute wesentlich höher als damals. Sollte Fiat die Autosparte also an General Motors verkaufen, winkt ein Gewinn von nahezu 100 %. Sollte die Sanierung aus eigener Kraft gelingen, und dann vielleicht ein Verkauf an General Motors stattfinden, dürfte im Laufe der Zeit ein ähnlicher Gewinn winken. Der geduldige Investor kann eine kleine Position aufbauen. Dabei hilft ihm auch der frühere Vice Chairman von General Electric, der schließlich mit dem Ziel angeheuert wurde den Fiatkonzern nach General Electric-Maßstäben auf Vordermann zu bringen.
boerse.de (29.07.02)
Gruß
Happy End
Gianni Agnelli
Schlohweißes Haar über dem braun gebrannten, faltenzerfurchten Gesicht. Schmale harte Lippen. Eine kräftige Nase. Grau-blaue Augen, die ihr Gegenüber fixieren wie eine Beute.
Die US-Illustrierte "Life" sah in diesen Zügen "die Physiognomie von Julius Cäsar". "Paris Match" erkannte das klassische "Bild des Heerführers" und das US-Magazin "Time" schwärmte von einem "florentinischen Prinzen". Kurz: Gianni Agnelli, 81, Padre-Padrone des Fiat-Clans und ungekrönter König Italiens, ist ein beeindruckender Kopf.
99 Prozent der Italiener kennen den Papst, sagen Umfragen. Aber 100 Prozent kennen das Oberhaupt der reichsten und mächtigsten Familie des Landes. Ihr gehört ein kaum überschaubares Imperium von etwa 500 Firmen und Firmenbeteiligungen, von Kaufhäusern, Versicherungen und Elektrizitätswerken bis zum Produzenten von Banknotenpapier und dem erfolgreichsten Fußballclub Italiens - Juventus Turin.
Vor allem aber herrscht die Sippe als Eigner des größten Aktienpakets über die "Fabbrica Italiana di Automobili Torino", kurz: Fiat - das industrielle Herz Italiens. "Was Fiat nützt, nützt auch Italien", dieser Spruch des Nachkriegs-Chefs Vittorio Valletta sitzt tief im kollektiven Bewusstsein der ganzen Nation.
Der Autokonzern mit heute weltweit rund 220.000 Beschäftigten war jahrzehnte- lang ein Hort der Stabilität in einem instabilen Land. Die Löhne waren höher, der Katalog sozialer Leistungen dicker als in anderen Betrieben. Und vor allem: Die Arbeitsplätze waren sicher. Wer im Fiat-Reich untergekommen war, konnte sorglos in die Zukunft blicken.
An der Spitze dieses Reichs thront seit Mitte der sechziger Jahre Gianni Agnelli, der heimliche Herrscher im Lande. Er erfüllte die Sehnsucht der Italiener nach Führung und füllte die Leere der operettenhaften italienischen Politik. Ob er in Jeanshose und -hemd, den braunen Krückstock an der Hand, durch den Winter von Sankt Moritz stapfte oder in seinem Schloss in braunem Tweed als englischer Landlord repräsentierte, Agnelli war Vorbild wie Trendsetter einer ganzen Nation.
Als italienische Politiker und Industrielle einst in Moskau vorsprachen, ließ Nikita Chruschtschow die römischen Volksvertreter von seinem Vize empfangen. Er selbst begrüßte lieber die von Agnelli angeführte Wirtschaftsdelegation. Denn, so seine offenherzige Begründung: "Jene wechseln, diese bleiben."
Dass sie ewig bleiben, schien außer Frage. Nun, ganz plötzlich, scheint auch ihre Zeit gekommen. Mit einem Male dunkelt der Glanz und bröckelt die Macht.
Das stolze Fiat-Imperium ist finanziell ausgezehrt. Die Autos sind von gestern. Der Absatz schrumpft.
Fiats Marktanteil in Europa sackte seit 1990 um rund ein Drittel ab: Von 14 auf unter 9 Prozent. Nicht besser lief es zu Hause: Die Quote auf dem italienischen Heimatmarkt fiel von über 50 auf knapp 32 Prozent.
Um den freien Fall zu bremsen, wird seit Anfang Juli mit niedrigeren Preisen und zinsfreiem Ratenkauf gelockt. Die römische Regierung sprang mit ökologisch verbrämten Steuerabschlägen für Neuwagen bei. Aber die Turiner Konzernlenker glauben offenbar selbst nicht daran, den Trend auf die Schnelle stoppen zu können.
Am Montag dieser Woche legen sie ihre Halbjahresbilanz vor. Und die Zahlen werden wieder furchtbar sein. Mitte August sollen bis zu 22 000 Beschäftigte für vier Wochen in Zwangsurlaub geschickt werden. Klar ist, dass auch Jobs gestrichen werden. Unklar ist nur noch, wie viele.
Mit dem Verkauf von Anteilen am Energieunternehmen Edison und 34 Prozent von Ferrari, die gerade wieder mit Michael Schumacher Formel-1-Weltmeister geworden sind, hält der Autobauer sich liquide. Dabei verdoppelte sich der Schuldenberg binnen zehn Jahren auf nun fast 60 Milliarden Euro.
In aller Stille übernahmen die kredit-gebenden Banken die Macht im Konzern. Und damit nicht genug: In kurzer Zeit, da sind die meisten Experten sicher, wird das historische Herz der italienischen Wirtschaft nur noch eine Dependance des US-Konzerns General Motors (GM) sein.
"Fiat wird nicht verkauft", versichert Gianni Agnelli immer wieder. Aber GM gehört seit zwei Jahren schon ein Fünftel der Autosparte. Für den Rest haben die Amerikaner eine Kaufoption. Die Agnellis, die einst 70 Prozent der Aktien kontrollierten, haben ihren Anteil am Konzern auf gut 30 Prozent reduziert. Seit Jahren fahren sie ihre Investitionen herunter und legen ihr Geld in anderen Branchen an.
Selbst die Vatikan-nahe und für Agnelli-Jubel-Storys bekannte Illustrierte "Famiglia Cristiana" ("Christliche Familie") warnt bereits, es drohe "möglicherweise das endgültige K.o." für Agnellis Imperium.
Das Finale einer ökonomischen Epoche scheint eingeläutet: Der letzte Dinosaurier des Gründerzeit-Kapitalismus kämpft ums Überleben. Und seine Chancen sind dürftig. Überall hat sich die traditionelle Sippenwirtschaft überlebt. Die Einheit von Firma und Familie zerbricht. Die ökonomischen Bedingungen werden von globalen Kapitalströmen dominiert, die optimale Renditen suchen und nicht in Träume investieren.
Ohne einen Traum aber hätte das Fiat-Opus nie beginnen können. Beseelt von der Idee, sich mit der Produktion von Autos eine neue Existenzgrundlage zu schaffen, trafen sich am 1. Juli 1899 neun junge Männer im Turiner Schickimicki-Café Burello - unter ihnen der damals 33-jährige Sprössling eines Großgrundbesitzers, Giovanni Agnelli. Schnell übernahm er das Steuer - und nach einem rätselhaften Crash der jungen Aktie zu Spottpreisen auch die Anteile seiner Mitgründer. Seitdem sind Fiat und Agnelli zwei Seiten derselben Medaille.
Mit dem Umsatz wuchs der politische Einfluss. Fiat wurde schnell ein Staat im Staate, aber nie zum Gegenstaat: Die Agnellis arrangierten sich mit den Faschisten Mussolinis ebenso wie später mit den deutschen Besatzern und den alliierten Befreiern. Als Gründer Giovanni I. starb, hinterließ er sieben Enkel. Schon frühzeitig hatte der Patriarch den nach ihm benannten Giovanni, der sich Gianni rufen ließ, als Nachfolger auserkoren.
Im Krieg hatte dieser erst als Panzeroffizier an der russischen Front, dann in Tunesien gegen die Amerikaner gekämpft und war 1943 zu den Partisanen gewechselt. Doch dem Vermächtnis seines Großvaters zu folgen, reizte ihn nicht. Er zog schnelle Autos und blonde Frauen vor.
In der schillernden Nachkriegszeit wurde er schnell einer der Protagonisten einer neuen Lebenslust, Vertreter des Jet-Sets, als es das Wort noch gar nicht gab und die Flugzeuge noch Propeller statt Triebwerke hatten.
Mit Gunter Sachs tummelte er sich auf mondänen Partys. Mal mit Rita Hayworth, mal mit Anita Ekberg. Ein Weilchen war er mit der Churchill-Schwiegertochter Pamela zusammen.
Über Jahre lief damals das Gerücht um, Agnelli habe eine Nasenscheidewand aus Silber - als Folge eines angeblich übermäßigen Kokain-Genusses. 1952 zerlegte er auf der südfranzösischen Küstenstraße "Corniche" seinen Ferrari und zertrümmerte sich dabei das Bein. Herbeieilende Fotoreporter soll der Schwerverletzte mit Autoteilen in der Hand verjagt haben, um die Anonymität seiner unversehrten Begleiterin zu schützen. Seitdem humpelt er und stützt sich beim Gehen auf einen Stock.
"Liebe ist etwas für Lakaien", soll er gesagt haben. Und für Sprüche wie "Frauen liebt man nicht, man erobert sie" vergötterte ihn die italienische Macho-Welt.
1953 heiratete er die Tochter eines neapolitanischen Fürsten, Marella Caracciolo di Castagneto. Der Schriftsteller Truman Capote verglich sie mit einer Preziose in der Auslage des New Yorker Nobel-Juweliers Tiffany: "Sehr, sehr teuer!"
Das Paar wurde zum Kultobjekt der Klatschpresse. Während sie zwei Kinder gebar und aufzog, kümmerte er sich um die Kennedy-Gattin Jacqueline. Heißt es.
Sicher ist, dass der lebensfrohe Konzernchef sich Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre auch zunehmend für Fiat interessierte. 1966 übernahm er den Chefsessel. Fiat war zu der Zeit - mit 1,34 Millionen produzierten Autos - die Nummer eins in Europa, die Nummer fünf in der Welt. Und wuchs prächtig weiter. 1970 wurde in der Sowjetunion das Werk Togliattigrad eröffnet. In Bulgarien, Polen, Jugoslawien und Rumänien wurden Fiat-Autos zusammengeschraubt und -geschweißt.
"Panda" und "Uno", die in den achtziger Jahren den italienischen Markt dominierten, wurden von Regierungschefs präsentiert und von Priestern gesegnet. Der Erfolg schien gottgegeben: Fiat schluckte Lancia, Ferrari und Alfa Romeo.
Die Identität von Staat und Firma hatte freilich seinen Preis: Die Studentenunruhen im "heißen Herbst" 1969 griffen in Italien, anders als etwa in Deutschland, auch auf die Arbeitnehmer über, vor allem auf die von Fiat. Es begann ein Jahrzehnt mit Streiks, Terroranschlägen und Boykottaktionen. Wer den Staat treffen wollte, prügelte Fiat.
Die Agnellis reagierten unter der Führung des Enkels wie einst unterm Großvater: Sie arrangierten sich mit dem Zeitgeist. Der stand damals links. Also banden sie mit üppigen Sozialverträgen die Gewerkschaften ein und befriedeten so die aufmüpfige Belegschaft. Parallel verbesserten sie die Beziehungen zu den Mitte-Links-Parteien. Die Agnelli-Zeitung "La Stampa" wurde geradezu das Sprachrohr einer politischen Reformdiskussion, die 1996 zum Wahlsieg des "Ulivo"-Bündnisses von Romano Prodi führte.
Der erste Regierungsversuch des heutigen italienischen Premiers Silvio Berlusconi 1994 scheiterte nach nur sieben Monaten auch daran, dass Agnelli die konservativen Wirtschaftsbosse gegen den Medientycoon in Stellung brachte. Das politische Arrangement des Turiner Clans mit der römischen Republik zahlte sich aus.
Fiat wurde aus öffentlichen Kassen kräftig mit Geld versorgt. Von 1994 bis 2001 wurde das zum Konzern gehörende Alfa-Romeo-Werk in Arese durch Lohnzuschüsse und Sozialbeitragsrabatte um etwa 400 Millionen Euro entlastet. Insgesamt, schätzen Wirtschaftsexperten, seien Fiat in zehn Jahren fünf Milliarden Euro aus öffentlichen Quellen zugute gekommen.
Nach dem Debakel der Linksregierungen wechselte mit der Mehrheit des Landes auch Agnelli das politische Lager. Er verband sich mit dem einst verachteten Berlusconi, der als Chef einer Rechtskoalition 2001 die Parlamentswahlen gewann.
Die industrielle Welt veränderte sich. Neue Betriebe mit hoher Reaktionsgeschwindigkeit drängten auf die Märkte, Globalisierung und zusammenwachsende EU setzten neue Regeln. Überall stiegen die Stückzahlen, sanken die -kosten - nur bei Fiat nicht, jedenfalls nicht ausreichend. Die Konkurrenten schlossen sich zu großen Blöcken zusammen. Gianni Agnelli aber wollte "lieber allein als in schlechter Begleitung" sein.
Die verheerende Konsequenz der Strategie lässt sich an der Börse nachrechnen: Vor zwei Jahren wurde der Börsenwert von Fiat auf etwa zwölf Milliarden Euro taxiert. Aktuell ist der Wert des gesamten Konzerns auf knapp fünf Milliarden Euro zusammengeschmolzen.
Nicht viel besser als im Betrieb lief es zu Hause. Dem im Laufe der Jahrzehnte auf etwa 160 Mitglieder angewachsenen Familien-Clan kam mehr und mehr die Orientierung abhanden: Die einen wollten investieren, die anderen konsumieren. Der legendäre Alte, Gianni, setzte weiter aufs Auto, sein jüngerer Bruder, Umberto, schwor auf andere Branchen.
Der Clan geht auf Crash-Kurs, denn auch die interne Kommandostruktur funktioniert nicht mehr reibungslos. Giannis einziger Sohn Edoardo, 1954 geboren, fiel früh aus der Reihe. Er studierte Philosophie statt Wirtschaftslehre, engagierte sich in Anti-Atomkraftbewegungen und neigte antikapitalistischen Thesen zu. In Kenia mit einer üppigen Menge Rauschgift erwischt, brauchte es die ganze Macht des Vaters, ihn dort aus dem Knast zu holen.
So kürte Gianni den Sohn seines Bruders Umberto, Giovanni Alberto, 1997 zum Kronprinzen des Clans. Wenige Monate später starb der, 33-jährig, an Krebs.
Der Sohn von Giannis Tochter Margherita wurde zum letzten Hoffnungsträger der Familie. Der aber sei zu jung, zu zart, man riskiere, "ihn zu verheizen", warnte Onkel Edoardo. Doch schneller noch erlag er selbst dem Druck der familiären Betonstrukturen: Im November 2000 stürzte Edoardo sich von einer Autobahnbrücke in den Tod.
Versteinert nahm der Patriarch die Schicksalsschläge hin. So wie seine fünf schweren Unfälle, zwei Herzoperationen und ein Krebsleiden.
Man brauche ihn "nicht mehr, um Italien zu regieren", höhnt Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga. "Die Fiat-Macht zerfällt."
Und er rät Regierungschef Berlusconi, der zurzeit über weitere Staatshilfen für den angeschlagenen Autobauer sinniert: "Keine Angst vor Agnelli."
Die Angst vor dem alten "Avvocato" ist offenbar selbst im Zentrum des Reiches schon geschwunden: Als am 10. Juni, auf der jüngsten Aufsichtsratssitzung des angeschlagenen Konzerns, Vorstandschef Paolo Cantarella seinen Rücktritt erklärte, um das Signal für einen Neuanfang und einen Richtungswechsel zu geben, fehlte der angestammte Wortführer.
Seine Gegenspieler im Familienverband, allen voran Bruder Umberto sollen Cantarella zuvor zum Abgang gedrängt haben. Gianni konnte in der Zeit nicht kämpfen. Er lag in einem New Yorker Krankenhaus. Erst wenige Tage vor der Sitzung kam er heim nach Turin - aber da wollte oder konnte er nicht mehr eingreifen.
Die Familie wurde von Enkel John - blass, schmächtig, mit ängstlichen braunen Augen - in der Krisenrunde vertreten. Kein Cäsar. Kein Heerführer. Der Kronprinz soll auf der Sitzung kein einziges Wort gesagt haben.
spiegel.de 30.07.02
GM: Für Spekulationen über Fusion mit Fiat Auto zu früh
Frankfurt (vwd) - Für die General Motors Corp (GM), Detroit, ist es noch zu früh, um etwas über eine mögliche Fusion mit der Automobilsparte der Fiat SpA, Turin, zu sagen. Ein Sprecher von GM wollte am Montag diesbezügliche Berichte weder dementieren noch bestätigen, wonach die beiden Konzerne die Zusammenlegung der europäischen und lateinamerikanischen Geschäfte prüfen. Es würden verschiedene Optionen geprüft.
Unter Bezug auf frühere Medienberichte sagte der Sprecher, bislang habe es häufiger geheißen, dass GM sich auf eine Übernahme im Jahr 2004 vorbereitet. Für Spekulationen über die möglichen Strategien sei es jetzt noch zu früh. GM hält derzeit 20 Prozent an der Automobilsparte des italienischen Konzerns.
vwd (30.07.02)
Ende einer Ära?
Fiat kriselt weiter
Das Herzstück der Fiat-Gruppe, die Autosparte, macht weniger Verlust. Nach einem Fehlbetrag von 429 Mio. Euro betrug das Minus im zweiten Quartal "nur" noch 394 Mio. Euro. Wie das Unternehmen weiter mitteilte, hat die Autosparte Umsätze von 5,8 Mrd. Euro generiert.
Der Chef der Autosparte hatte die Fiat-Aktionäre bereits vorab auf "bessere Zeiten" vorbereitet: "Der Verlust ist geringer - nicht bedeutend, aber geringer", sagte Giancarlo Boschetti. Die leicht verbesserte Ertragssituation ist das erste greifbare Ergebnis eines Restrukturierungsprogramms, mit dem Fiat die Probleme in seiner Autosparte in den Griff bekommen möchte. Denn: Das Überleben des traditionellen Kernbereichs ist ungewisser denn je.
Im Juni hatte Vorstandschef Cantarella die Konsequenzen aus dem defizitären Kfz-Geschäft gezogen und war zurückgetreten. Cantarella stieg vor 25 Jahren bei Fiat ein und entwickelte sich unter der Patenschaft des Ehrenvorsitzenden und Anteilseigners Giovanni Agnelli zu einem Glücksbringer für die Turiner. 1996 wechselte er an die Konzernspitze und wurde zugleich Verwaltungsratsvorsitzender der Autosparte. Mit Modellen wie dem Tipo, dem Bravo/Brava oder dem neuen Gesicht der Sportlimousinen-Tochter Alfa Romeo bescherte er dem Konzern wieder sprudelnde Gewinne und untermauerte die herausragende Stellung der traditionsreichen Automobilsparte, die seit längerem unter den Anteilseignern umstritten war.
Schließlich verließ Cantarella das Glück. Der Umsatz der Autosparte, vor allem auf dem Heimatmarkt, schrumpfte zu Gunsten europäischer Konkurrenzmarken wie etwa Volkswagen, Peugeot oder Audi.
Der schwer kranke Giovanni Agnelli konnte sich nicht weiter gegen den Widerstand von Familie und weiteren Anteilseignern vor die Autosparte und damit vor Cantarella stellen. Auch seine engsten Kontakte zu einflussreichen italienischen Wirtschafts- und Regierungskreisen, inklusive der zu Duzfreund Silvio Berlusconi, konnten Cantarella nicht retten. "Die Regierung ist bereit zu intervenieren", hatte Silvio Berlusconi umgehend erklärt. Wissend, dass dies faktisch unmöglich ist, hatte er seiner Solidaritätsbekundung zugefügt, dass dies jedoch geschen müsse, ohne die Wettbewerbsregeln zu verletzen. Einziger Aktivposten sind die Verbindungen etwa zur italienischen Bank Mediobanca, die noch in den neunziger Jahren Investor bei Fiat war.
Mediobanca übernahm in einer ersten Sanierungsmaßnahme nun einen Anteil von 34 Prozent an der Fiat-Rennwagentochter Ferrari und platziert 12,5 Prozent davon bei ausländischen Investoren. Ziel ist ein Börsengang Ferraris. Großzügige Geste: Sollte der Erlös einer Emission den Kaufpreis überkompensieren, gibt Mediobanca 50 bis 90 Prozent des Überschusses an Fiat weiter. Neben Mediobanca sind offenbar auch die Gläubigerbanken Sanpaolo Imi, Banca di Roma, IntesaBCI sowie Unicredito bereit, den Automobilbereich zu stützen. Am Wochenende war bekannt geworden, dass sie eine Fiat-Wandelanleihe im Volumen von drei Mrd. Euro begeben haben.
Nach dem Sanierungsplan hat der Konzern, der mit insgesamt 6,6 Mrd. Euro verschuldet ist, bis 2004 Zeit, in die schwarzen Zahlen zurückzukehren. Gelingt dies nicht, wird das Vermächtnis des 81-jährigen Giovanni Agnelli der Geschichte angehören. Zwar ist mit seinem Bruder Umberto noch immer ein Familienmitglied in der Führung der Autosparte. Doch zum einen befürwortet dieser eine Abspaltung der Autoproduktion; auf der anderen Seite wartet Großaktionär General Motors (20 Prozent) auf die Produktionskapazitäten. Im Rahmen einer Put-Option kann - und muss - Fiat die Autosparte im Misserfolgsfall an GM abtreten.
n-tv.de (29.07.02)
Der Aktienkurs von Fiat ist in den letzten Wochen und Monaten parallel zum Rückgang anderer europäischer Aktien auf einen neuen Tiefstand in der Nähe von 11 Euro gefallen. Die Fiataktien leiden unter dem Pessimismus über die zukünftigen Aussichten der Autosparte des großen italienischen Konzerns. Damit liegt der Fiatkurs ungefähr auf dem Niveau des Jahres 1992, als die ganze europäische Autoindustrie eine Krise durchlebte. Nun stellt sich die Frage, ob Fiat auf dieser Basis antizyklisch kaufenswert ist.
Kernstück des Fiatkonzerns ist das Autogeschäft. Neben dem Autogeschäft gibt es noch Sparten für Baumaschinen und Traktoren, den Lastwagenproduzenten Iveco, die Flugzeugsparte Fiat Avio und die Versicherungsgesellschaft Toro. Am Autogeschäft vom Fiat hat General Motors vor einigen Jahren 20 % erworben. Fiat hat die Option, die restlichen 80 % von Fiat Auto zwischen 2004 und 2009 an General Motors zu verkaufen. Die Probleme von Fiat Auto sind bekannt: Die Marken sind schwach, in den letzten Jahren wurde zu wenig in Modelle investiert und es bestehen Überkapazitäten. Weiterhin ist Fiat besonders abhängig vom italienischen Markt verliert aber Marktanteile dort und auch in anderen europäischen Ländern.
Andererseits ist auch neuer Wind eingekehrt: Vor 3 Jahren kamen ein neuer Vorstandsvorsitzender für die Gruppe, der früher Vice Chairman von General Electric war und Fiat mit amerikanischen Methoden aufpolieren soll.
Angesichts der Probleme von Fiat Auto ist es sehr schwer Gewinnschätzungen abzugeben um daraus Kurs-Gewinn-Verhältnisse zu errechnen. Um Fiat Auto wieder auf Vordermann zu bringen werden in den nächsten 3 Jahren jedes Jahr über 2 Mrd. Euro fällig. Sollte Fiat sich jedoch zum Verkauf der restlichen 80 %, oder vielleicht nur weiterer 31 %, an der Autosparte an Generals Motors entscheiden, würde in kurzer Zeit diese Belastung für den Fiatkonzern wegfallen. Für diesen Fall nennen wohl informierte Analysten ein Kursziel von ungefähr 20 Euro.
Wer nun Zeit hat, kann vielleicht ein spekulatives Investment wagen. Den der Kurs ist heute so niedrig wie auf der letzten großen europäischen Autokrise 1992. Die Kurse anderer Autohersteller in Europa sind heute wesentlich höher als damals. Sollte Fiat die Autosparte also an General Motors verkaufen, winkt ein Gewinn von nahezu 100 %. Sollte die Sanierung aus eigener Kraft gelingen, und dann vielleicht ein Verkauf an General Motors stattfinden, dürfte im Laufe der Zeit ein ähnlicher Gewinn winken. Der geduldige Investor kann eine kleine Position aufbauen. Dabei hilft ihm auch der frühere Vice Chairman von General Electric, der schließlich mit dem Ziel angeheuert wurde den Fiatkonzern nach General Electric-Maßstäben auf Vordermann zu bringen.
boerse.de (29.07.02)
Gruß
Happy End