US-Strategen wollen an die Ölfelder des Irak. Der Westen soll sich von den Saudis unabhängig machen
von Jürgen Krönig
Die Weltwirtschaft geht in die Knie, doch der Ölpreis steigt weiter. Dabei ist Öl schon seit einiger Zeit recht teuer: An der amerikanischen Nymex-Futures-Börse notierte ein Fass der Sorte Brent zwischenzeitlich bei fast 29 Dollar. Während der konjunkturelle Abschwung die Nachfrage dämpft, wächst das Angebot. Die Opec dreht die Hähne auf und verstößt gegen die eigenen Förderquoten. Pro Tag produzieren die Mitglieder zusätzlich 1,8 Millionen Fass. Vor allem Irak und Iran haben die Produktion in den vergangenen Monaten und Wochen hochgefahren, stellt der Middle East Economic Survey fest.
Der Irak ist gleichzeitig auch der Grund für die erhöhte Nachfrage. Niemand weiß, ob und wann es zum Krieg am Golf kommen wird. Zwar hoffen viele europäische Regierungen, ein Waffengang möge sich verhindern lassen. Dessen ungeachtet stocken alle Industrienationen ihre Ölreserven auf, vor allem die USA. Unaufhörlich pumpen sie seit Wochen Tankerladungen in riesige Höhlen in Texas und Louisiana, in denen die strategische Reserve des Landes lagert. Nach dem Ende des Afghanistankrieges hatte George Bush angeordnet, sie bis zur Kapazitätsgrenze von 700 Millionen Fass aufzufüllen. Weil der Westen Öl hamstert, "bleibt der Preis stabil, mit Tendenz nach oben", sagt Adam Sieminski von der Deutschen Bank in London.
Für den Fall eines Krieges gegen den Irak wollen sich die Industrienationen wappnen. Nach einem Angriff auf Saddam Husseins Regime würde das irakische Öl vom Weltmarkt verschwinden. Der Ausfall von 1,5 bis 2 Millionen Fass wäre zwar zu verkraften, weil andere Produzenten liebend gern ihren Marktanteil erhöhen würden. Allerdings könnte Saddam Hussein versuchen, die Ölfelder von Kuwait oder Saudi-Arabien zumindest vorübergehend auszuschalten. Laut Julian Lee vom Centre for Global Energy Studies in London wäre es angesichts eines solchen "Albtraum-Szenarios" kaum möglich, eine "Obergrenze für den Ölpreis zu finden". Ein dramatischer Preissprung etwa auf 50 oder 60 Dollar pro Fass könnte die Welt in eine tiefe Rezession stürzen.
Reserven würden helfen, Engpässe zu überbrücken. Die USA könnten aus ihren Höhlenlagern drei Monate lang pro Tag vier Millionen Fass Öl zusätzlich auf den Markt bringen - zusammen mit Deutschland und Japan sogar neun Millionen Fass, wenn auch nur für einen Monat. Laut der Internationalen Energieagentur IEA ist der Westen besser denn je für eine Ölkrise gerüstet. Er habe genügend Reserven, um "Schocks und Unterbrechungen der Größenordnung aufzufangen, wie sie bei früheren Ölkrisen auftraten".
Einig sind sich alle Experten jedoch, dass ein neuer Krieg im Golf das Öl kurzfristig verteuern wird. Mittelfristig aber könnte ein Regimewechsel in Bagdad die Ölversorgung verbessern. Topmanager westlicher Konzerne geraten ins Schwärmen, wenn sie vom irakischen Potenzial sprechen. Das Land besitzt 15 Prozent der Weltreserven, und die Ölfelder sind weitgehend unerschlossen. Lee hält es deshalb sogar für denkbar, dass der Irak noch reicher gesegnet ist als bisher angenommen. Die westliche Wüste sei kaum erforscht; die Reserven des Irak könnten sich am Ende "als beinah so groß wie die Saudi-Arabiens erweisen". Kein Wunder, dass die Ölmultis darauf warten, dort Geschäfte zu machen. Zumal die Produktionsbedingungen als nahezu paradiesisch gelten: Die Kosten pro Fass liegen bei unter einem Dollar. Zwischen 16 und 18 Dollar kostet es, die gleiche Menge aus Sibirien oder der Nordsee herauszuholen. Nirgendwo, nicht einmal in Saudi-Arabien, wird billiger gefördert.
Außerdem gibt es seit dem 11. September Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit Saudi-Arabiens. Ein Report für das Pentagon, erstellt von Analysten der Rand Corporation, bezeichnet die größte Ölmacht der Welt als "Kern des Übels". Das Reich der Sauds, jahrezehntelang verlässlicher Verbündeter der USA, müsse als "gefährlichster Gegner" im Nahen Osten gesehen werden. Washington müsse Riad unter Druck setzen, so rät die Rand Corporation, um "Finanzierung und Organisierung von Terrorgruppen" zu beenden. Notfalls müssten Auslandsguthaben und Ölfelder Saudi-Arabiens "ins Visier genommen werden". Das Verhalten der Saudis werde sich durch einen Sturz Saddam Husseins leichter "positiv beeinflussen lassen".
Den Falken in den USA liefert das irakische Öl zusätzliche Argumente. Ein neues Regime in Bagdad, so ihr Kalkül, wird den Irak in den wichtigsten Lieferanten verwandeln und die Abhängigkeit vom saudischen Öl verringern. Doch selbst wenn dieses Szenario eintritt, bleibt der Westen auf "feindliches" Öl angewiesen, so die Formulierung des Pentagons. Die Ölvorräte liegen nun mal vor allem in der islamischen Welt oder in Russland. Wird sich Moskau tatsächlich als verlässlicher Partner erweisen? Wird nach Saddam Hussein ein kooperativeres Regime in Bagdad regieren? - Eines ist sicher: Solange die Industrienationen vom Öl abhängig sind, muss der Westen mit Ungewissheiten leben.
von Jürgen Krönig
Die Weltwirtschaft geht in die Knie, doch der Ölpreis steigt weiter. Dabei ist Öl schon seit einiger Zeit recht teuer: An der amerikanischen Nymex-Futures-Börse notierte ein Fass der Sorte Brent zwischenzeitlich bei fast 29 Dollar. Während der konjunkturelle Abschwung die Nachfrage dämpft, wächst das Angebot. Die Opec dreht die Hähne auf und verstößt gegen die eigenen Förderquoten. Pro Tag produzieren die Mitglieder zusätzlich 1,8 Millionen Fass. Vor allem Irak und Iran haben die Produktion in den vergangenen Monaten und Wochen hochgefahren, stellt der Middle East Economic Survey fest.
Der Irak ist gleichzeitig auch der Grund für die erhöhte Nachfrage. Niemand weiß, ob und wann es zum Krieg am Golf kommen wird. Zwar hoffen viele europäische Regierungen, ein Waffengang möge sich verhindern lassen. Dessen ungeachtet stocken alle Industrienationen ihre Ölreserven auf, vor allem die USA. Unaufhörlich pumpen sie seit Wochen Tankerladungen in riesige Höhlen in Texas und Louisiana, in denen die strategische Reserve des Landes lagert. Nach dem Ende des Afghanistankrieges hatte George Bush angeordnet, sie bis zur Kapazitätsgrenze von 700 Millionen Fass aufzufüllen. Weil der Westen Öl hamstert, "bleibt der Preis stabil, mit Tendenz nach oben", sagt Adam Sieminski von der Deutschen Bank in London.
Für den Fall eines Krieges gegen den Irak wollen sich die Industrienationen wappnen. Nach einem Angriff auf Saddam Husseins Regime würde das irakische Öl vom Weltmarkt verschwinden. Der Ausfall von 1,5 bis 2 Millionen Fass wäre zwar zu verkraften, weil andere Produzenten liebend gern ihren Marktanteil erhöhen würden. Allerdings könnte Saddam Hussein versuchen, die Ölfelder von Kuwait oder Saudi-Arabien zumindest vorübergehend auszuschalten. Laut Julian Lee vom Centre for Global Energy Studies in London wäre es angesichts eines solchen "Albtraum-Szenarios" kaum möglich, eine "Obergrenze für den Ölpreis zu finden". Ein dramatischer Preissprung etwa auf 50 oder 60 Dollar pro Fass könnte die Welt in eine tiefe Rezession stürzen.
Reserven würden helfen, Engpässe zu überbrücken. Die USA könnten aus ihren Höhlenlagern drei Monate lang pro Tag vier Millionen Fass Öl zusätzlich auf den Markt bringen - zusammen mit Deutschland und Japan sogar neun Millionen Fass, wenn auch nur für einen Monat. Laut der Internationalen Energieagentur IEA ist der Westen besser denn je für eine Ölkrise gerüstet. Er habe genügend Reserven, um "Schocks und Unterbrechungen der Größenordnung aufzufangen, wie sie bei früheren Ölkrisen auftraten".
Einig sind sich alle Experten jedoch, dass ein neuer Krieg im Golf das Öl kurzfristig verteuern wird. Mittelfristig aber könnte ein Regimewechsel in Bagdad die Ölversorgung verbessern. Topmanager westlicher Konzerne geraten ins Schwärmen, wenn sie vom irakischen Potenzial sprechen. Das Land besitzt 15 Prozent der Weltreserven, und die Ölfelder sind weitgehend unerschlossen. Lee hält es deshalb sogar für denkbar, dass der Irak noch reicher gesegnet ist als bisher angenommen. Die westliche Wüste sei kaum erforscht; die Reserven des Irak könnten sich am Ende "als beinah so groß wie die Saudi-Arabiens erweisen". Kein Wunder, dass die Ölmultis darauf warten, dort Geschäfte zu machen. Zumal die Produktionsbedingungen als nahezu paradiesisch gelten: Die Kosten pro Fass liegen bei unter einem Dollar. Zwischen 16 und 18 Dollar kostet es, die gleiche Menge aus Sibirien oder der Nordsee herauszuholen. Nirgendwo, nicht einmal in Saudi-Arabien, wird billiger gefördert.
Außerdem gibt es seit dem 11. September Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit Saudi-Arabiens. Ein Report für das Pentagon, erstellt von Analysten der Rand Corporation, bezeichnet die größte Ölmacht der Welt als "Kern des Übels". Das Reich der Sauds, jahrezehntelang verlässlicher Verbündeter der USA, müsse als "gefährlichster Gegner" im Nahen Osten gesehen werden. Washington müsse Riad unter Druck setzen, so rät die Rand Corporation, um "Finanzierung und Organisierung von Terrorgruppen" zu beenden. Notfalls müssten Auslandsguthaben und Ölfelder Saudi-Arabiens "ins Visier genommen werden". Das Verhalten der Saudis werde sich durch einen Sturz Saddam Husseins leichter "positiv beeinflussen lassen".
Den Falken in den USA liefert das irakische Öl zusätzliche Argumente. Ein neues Regime in Bagdad, so ihr Kalkül, wird den Irak in den wichtigsten Lieferanten verwandeln und die Abhängigkeit vom saudischen Öl verringern. Doch selbst wenn dieses Szenario eintritt, bleibt der Westen auf "feindliches" Öl angewiesen, so die Formulierung des Pentagons. Die Ölvorräte liegen nun mal vor allem in der islamischen Welt oder in Russland. Wird sich Moskau tatsächlich als verlässlicher Partner erweisen? Wird nach Saddam Hussein ein kooperativeres Regime in Bagdad regieren? - Eines ist sicher: Solange die Industrienationen vom Öl abhängig sind, muss der Westen mit Ungewissheiten leben.