Dr. Bernd Niquet, Die Gold-Missionare

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jack303:

Dr. Bernd Niquet, Die Gold-Missionare

 
04.09.02 12:05
Dr. Bernd Niquet

Die Gold-Missionare

Ich habe noch niemals einen Schuhverkäufer gesehen, der für das Barfußlaufen plädiert hätte, noch niemals einen Immobilienmakler, der nicht die Immobilienpreise sich erholen gesehen hätte – warum sollte es also bei den Goldgurus anders sein? Zwanzig Jahre haben sie sich wegen fallender und stagnierender Preise regelrecht verkriechen müssen, doch jetzt wittern sie wieder Morgenluft. Und liest man einmal aufmerksam ihre Postillen durch, dann fühlt man sich durchaus an ein Missionarsblättchen erinnert: Der Herr wird kommen - das Gold wird weiter steigen. Doch warum eigentlich?

"Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder nicht." Das ist ein mittlerweile schon einige Berühmtheit erlangendes Beispiel, echte von unechten Theorien zu unterscheiden. Jede echte Theorie kann richtig oder falsch sein, doch um diese Eigenschaft zu haben, muss sie mindestens eine beobachtbare Tatsache ausschließen. Das heißt: Sie muss an der Wirklichkeit scheitern können. Sie muss falsifizierbar sein.

Beispiel: "Wenn die Wirtschaft sich wieder erholt, dann steigen die Aktien. Wenn nicht, dann fallen sie." Das ist eine echte Theorie, die richtig oder falsch sein kann, die jedoch, da sie an der Wirklichkeit scheitern kann, auch etwas über eben diese Wirklichkeit aussagt.

Betrachten wir nun einmal die Argumentationen ums Gold, dann lesen wir meistens in etwa Folgendes: "Gerade in den USA wird die gegenwärtige Wirtschaftskrise durch sehr expansive Maßnahmen bekämpft. Daraus können inflationäre Impulse erwachsen, die das Gold ansteigen lassen werden. Gelingt es hingegen nicht, die Krise erfolgreich abzuwenden, dann wird dies dem Gold auch helfen, da es nun der Sicherheitsaspekt (Stichwort: Systemkrise) ist, der die Goldnachfrage treibt."

Dies ist nun freilich keine Theorie mehr, sondern vielmehr ein Katechismus. Hier wird nichts mehr ausgeschlossen, weshalb es hier auch nicht mehr um die Wirklichkeit gehen kann. Denn hier hat sich anstelle einer falsifizierbaren Bedingung eine All-Aussage hereingeschlichen, nach der in jedem Fall etwas Schlimmes passieren wird. Das ist jedoch eine pure Behauptung, vor allem eine Behauptung interessierter Kreise, die – genau wie der Schuhverkäufer, der Immobilienmakler und der Missionar – letztlich selbst an dem von ihm ausgerufenen Szenario profitiert.

Wer aufgrund derartiger Gebetsmühlen sich jetzt für den Goldkauf entscheidet, ist selbst schuld. Etwas ganz anderes wäre es hingegen, eine eigene Theorie aufzustellen. Beispiel: "Gold ist ein guter Schutz gegen Inflation, lässt jedoch in einem deflationären Umfeld wenig Zuwachs erhoffen." Doch wie mühsam, denn dann müssen wir sofort weiter spekulieren: Werden also in Zukunft die Warenpreise eher steigen oder eher fallen? Welche Rolle spielt hierbei der Ölpreis? Und was ist, wenn die USA nun tatsächlich doch in den Irak einmarschieren?

Bernd Niquet, im August 2002
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