"Das ist eine Gegenreform"DIHK-Präsident Ludwig-Georg Braun über den Start der zweiten rot-grünen Regierung Berlin - Das rot-grüne Koalitionspapier sei das Gegenteil von dem, was hätte gemacht werden müssen, sagte Ludwig-Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie-und Handelskammertages, der WELT vor Beginn des zweitägigen Jahreskongresses aller Industrie- und Handelskammern heute in Fulda. Mit Braun sprachen Alexander v. Gersdorff und Christoph B. Schiltz.
DIE WELT: Herr Braun, der rot-grüne Koalitionsvertrag ist unterschrieben, die politische Arbeit kann beginnen. Kern sind zahlreiche Steuer- und Abgabenerhöhungen. Also ein schwarzer Tag für die deutsche Wirtschaft?
Ludwig-Georg Braun: Der Koalitionsvertrag ist zunächst nur eine Absichtserklärung. Bei der Umsetzung wirkt das Parlament mit. Von den Diskussionen und Anhörungen verspreche ich mir, dass das eine oder andere noch korrigiert wird. Sollte der Koalitionsvertrag Wirklichkeit werden, wird es der deutschen Wirtschaft schlechter gehen.
DIE WELT: Erinnert Sie das an den Koalitionsvertrag von 1998?
Braun: Ja, da war es ähnlich: ein falscher Start, der auf die Wirtschaft alles andere als motivierend wirkt. Dieser Fehlstart ist noch schlimmer als 1998. Das Vertrauen in die neue Regierung ist schon jetzt erschüttert.
DIE WELT: : Warum?
Braun: Es gibt keine Vision, keine Strategie, es gibt nur Klein-Klein. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft ist im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig: der Liberalisierung der Weltmärkte, der Wissensgesellschaft und der Bewältigung der Probleme einer alternden Gesellschaft. Wenn ich diese Probleme nicht löse, betreibe ich keine gute Politik für unser Land. Im Koalitionsvertrag steht so gut wie nichts, was einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme liefern könnte. Ich sehe nicht, wie Deutschland so einen Beitrag zum EU-Beschluss von Lissabon 2000 leistet, Europa binnen zehn Jahren zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
DIE WELT: Wo liegt die Bedrohung für den Mittelstand?
Braun: Warum betonen Sie den Mittelstand? Es gibt nur eine gute Wirtschaftspolitik für alle - für kleine, mittlere und für große Unternehmen. Was die rot-grüne Koalition vorgelegt hat, verdient jedenfalls diese Bezeichnung nicht.
DIE WELT: Woran machen Sie das fest?
Braun: Das Anheben der Beitragsbemessungsgrenze in der Rente beispielsweise ist doch nur die temporäre Erschließung neuer Geldquellen, denen später höhere Ausgaben gegenüberstehen. Bei den Steuern versucht man, die Einnahmeseite zu verbessern, ohne das Steuersystem zu vereinfachen. Beispielsweise würden wir uns einer intelligenten Weiterentwicklung der Einkommensteuer, die auf mehr Transparenz, niedrigere Sätze und eine breitere Bemessungsgrundlage abzielt, nicht verschließen.
DIE WELT: : Erwarten Sie, dass die Regierung darauf eingeht?
Braun: Ich fürchte nein. Im Gegenteil: Die jetzt beschlossenen Änderungen verkomplizieren das Steuerrecht weiter und sind darüber hinaus wirtschaftsfeindlich. Sogar gewinnunabhängige Steuern sind ernsthaft vorgesehen, wie die Hinzurechnung von Leasingraten zum Gewerbeertrag. Insgesamt werden die Steuerpläne dazu führen, dass sich immer mehr Unternehmen fragen, ob Deutschland noch der richtige Standort für Investitionen ist, gerade im internationalen Standortwettbewerb.
DIE WELT: Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung und die weiteren Erwägungen von Rot-Grün treiben also die Investoren ins Ausland?
Braun: Hinaustreiben möchte ich nicht sagen. Unternehmer werden sich auch nicht dazu äußern. Aber sie werden die Lage bewerten
und feststellen, dass der Standort Deutschland unattraktiver wird.
DIE WELT: Hört Ihnen Rot-Grün überhaupt zu?
Braun: Bei den Koalitionsvereinbarungen sicher nicht. Wir müssen akzeptieren, dass diese Regierung nicht sagt: Wir haben das Mandat bekommen, nun sagt ihr uns, was ihr wollt. Aber zu ihren Plänen wird sie sich das Fachwissen von den Betroffenen einholen. Dann stehe ich für Gespräche zur Verfügung.
DIE WELT: Wie wirkt sich die geplante Mindestbesteuerung aus?
Braun: Sie bedeutet, dass man sich als Unternehmen keine Verluste mehr erlauben kann, von denen man nicht weiß, ob man sie in den nächsten sieben Jahren durch doppelt so hohe Gewinne wieder hereinholt. Was ist nun, wenn Märkte, wie in der Chipindustrie, auf einmal zusammenbrechen und sich länger nicht erholen? Was ist mit hohen Anlaufverlusten? Die geplante Mindestbesteuerung wird zum weiteren Standortnachteil.
DIE WELT: Würden Sie dagegen klagen?
Braun: Als Verband können wir das nicht, das müssen betroffene Unternehmen überlegen.
DIE WELT: Das Koalitionspapier ist also nur der Anfang?
Braun: Es darf nur eine erste Vereinbarung sein. Bemessungsgrundlagen in der Rente erhöhen, den Wechsel in private Krankenkassen erschweren : Das sind zum Beispiel keine Ansätze für Reformen, das ist eine Gegenreform. Ich kann mir vorstellen, dass das Papier nur bis 2003 die Politik bestimmt. Dann wird hoffentlich weitergedacht, weil der Handlungsdruck zu hoch ist, allein schon am Arbeitsmarkt.
DIE WELT: Auf der Basis des Koalitionspapiers werden Sie aber vom Kanzler zum nächsten Bündnis für Arbeit eingeladen.
Braun: Wenn das Bündnis für Arbeit in der bisherigen Form weitergeführt wird, dann gehe ich dort nicht mehr hin. Ein Meinungsaustausch ist nur sinnvoll, wenn jeder offen in die Gespräche hineingeht. Das war in den bisherigen Bündnisgesprächen nicht der Fall. Wenn aber jeder nur bei seiner Meinung bleibt, hat das keinen Sinn. Die Ergebnisse sind dann für alle Beteiligten unbefriedigend.
DIE WELT: Was ist Ihr Verbesserungsvorschlag?
Braun: Da muss Kreativität hinein, da darf es keine Tabus geben. Die Liberalisierung der Weltmärkte, die Wissensgesellschaft und die Probleme der alternden Gesellschaft müssen als Themen im Vordergrund stehen.
DIE WELT: Stichwort Alterung: Sollten wir das Renteneintrittsalter auf 67 erhöhen?
Braun: Wichtig ist, zunächst einmal das tatsächliche Rentenalter auf 65 Jahre zu bringen. Allerdings bin ich dafür, das Renteneintrittsalter künftig auf 67 Jahre zu erhöhen. Es ist richtig, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, weil die Zahl der Beitragszahler immer kleiner und die Zahl der Rentenempfänger immer größer wird. Zudem ist es erforderlich, den Anteil der privaten Vorsorge zu erhöhen. Die Kapitaldeckung muss ausgebaut werden.
Gerüchte um internen Streit
Vor Beginn des Handelskammer-Kongresses in Fulda zum Hauptthema Bildung musste sich der DIHK mit dem Vorwurf auseinander setzen, dass es wegen Entlassungen und Umbesetzungen intern rumoren würde. Auch würden durch den Weggang des Protokollchefs die Auslandskontakte des Wirtschaftsverbands leiden, hatte der "Spiegel" gemeldet.
Daraufhin wandte sich DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben per E-Mail an die Mitarbeiter des Verbands und der 82 Industrie- und Handelskammern. Die Schließung des alten Standorts Bonn bis Ende 2002, von der insgesamt 87 Mitarbeiter betroffen sind, sei schon länger beschlossen, schreibt Wansleben. Für alle, die nicht nach Berlin oder Brüssel wechselten, gebe es einen Sozialplan. Die interne Fluktuation bewege sich im langfristigen Rahmen, der Besuch von Staatsgästen beim Verband werde vom Auswärtigen Amt organisiert und schon deshalb nicht leiden. AvG