Montag, 18.03.2002, 13:11
Der Spagat zwischen Hausse und Kriegsangst
Fertig machen zum Geldverdienen: Die neue Hausse an den Weltbörsen ist schon beschlossene Sache. Einmütig verweisen Analysten, Politiker und Volkswirte auf den nahenden Aufschwung, der auch Deutschland in der zweiten Jahreshälfte erfassen soll. Auf ihn soll sie aufbauen, die neue Börsenherrlichkeit. Kursziele gefällig? 12.400 Punkte nennt „Lady-Guru“ Abby Cohen von Goldman Sachs für den Dow Jones, falls die Anleger noch etwas mehr Risiko eingehen. Ein Aufwärtspotenzial von immerhin 16 Prozent. Cohen steht damit längst nicht allein.
Es gibt viele gute Gründe, die für einen neuen Aufschwung an den Weltmärkten sprechen. Aktien erscheinen im Vergleich zu Rentenwerten unterbewertet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Werte liegt unterhalb des langjährigen Durchschnitts. Anko Beldsnijder, Top-Fondsmanager bei Griffin für Europa, sieht auf Sicht von zwölf Monaten 15 bis 20 Prozent Potenzial für europäische Standardwerte .
Zum anderen sind da die immer deutlicher werdenden Anzeichen, dass die US-Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zurück findet. Das US-Bruttoinlandsprodukt ist im vierten Quartal - allerdings auch durch verschiedene Sonderfaktoren „gepusht“ - um 1,4 Prozent gestiegen. Der Konjunktur-Optimismus nimmt stark zu, ausgedrückt auch im ifo-Index des Münchener ifo-Instituts . Und nur wer an eine gute Zukunft glaubt, der investiert und schafft Arbeitsplätze. Von daher sind die Appelle der rot-grünen Regierung, nicht alles schlecht zu reden, nachvollziehbar bis dringend notwendig für ein gutes Abschneiden im September.
Deutschland wird 2002 noch lange nicht das erleben, was man Boom nennt: 0,75 Prozent Wachstum hält Bundeskanzler Gerhard Schröder im Interview mit wallstreet:online für „realistisch“ - gerade mal 0,15 Prozent mehr als im Rezessionsjahr 2001. Vor diesem Hintergrund wirkt Hans Eichels Ausspruch vom „Jahr des Aufschwungs“ eher grotesk. Erst gegen Jahresende wird es das geben, was für einen deutlicheren Abbau der Arbeitslosigkeit nötig ist: Wachstum jenseits der 2-Prozent-Grenze. Und für die Folgezeit mahnen Experten schon das an, was Deutschland seit langem dringend benötigt: Reformen, sonst wird es nichts mit dem Eichelschen Ziel der europäischen Wachstumslokomotive.
2003 braucht den deutlichen Aufschwung, um nicht zur Enttäuschung zu werden. Der Speck bei den Unternehmen ist weg, Kosteneinspar-Potenziale werden 2002 weitgehend ausgeschöpft sein. Die Gewinnsteigerungen von fast 20 Prozent, die Experten im laufenden Jahr von US-Unternehmen erwarten, speisen sich zum größten Teil vor allem aus Rationalisierungsmaßnahmen. Die Produktivität hat sich erhöht, die Lagerbestände sind abgebaut, nachdem Überbestände lange Zeit vor allem im Chipsektor für stark schrumpfende Margen gesorgt haben. Weitgehend „Einmaleffekte“, die sich nicht beliebig wiederholen lassen. Das Gleiche gilt für Europa und für den heimischen Aktienmarkt.
Enttäuschung - das Wort ist 24 Monate nach Beginn der großen Baisse an den Börsen ein nahezu verpöntes Wort. Anleger haben genug von den Enrons der Welt, von High-Tech-Blase und Neuer-Markt-Crash. Die Zahl der Optimisten hat in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Das passt ins Bild - anderes wiederum nicht. Zwar hat sich der 4579>Dax-Index mittlerweile rund 54 Prozent von den übertrieben schwachen Kursen des September-Tiefs entfernt, allerdings bewegt sich der Markt umso mehr seitwärts wie Politiker, Analysten und Volkswirte den neuen Aufschwung beschwören. Auch die nach wie vor exorbitant hohen Bestände in Geldmarktfonds passen nicht so recht ins neue Bullen-Bild vieler Börsianer.
Denn - was Politiker, Analysten und Volkswirte derzeit nicht nennen wollen - das sind die immensen Risiken, die sich in den Weg stellen. Allen voran kann die Weltpolitik für Enttäuschung sorgen. Als Stolperstein können sich dabei vor allem die Energiepreise entpuppen. Die meisten Volkswirte gehen in ihren Analysen zum Wirtschaftswachstum von „niedrigen Preisen“ aus und lassen in der Öffentlichkeit keine Gelegenheit aus, auf niedrige Ölpreise und ihre wachstumsfördernde Wirkung hinzuweisen. Womit sich die Frage stellt: Was ist niedrig? Der Preis für Rohöl steht auf Sechsmonats-Hoch, Tendenz steigend und längst oberhalb des Zielkorridors so mancher Analyse.
Noch ist es eine Spekulation, die hinter der Bewegung am Markt für den wichtigsten Rohstoff der Welt steht: Ein US-Angriff auf den Irak. Allerdings verdichten sich Hinweise, dass die USA über das „Ja-oder-Nein-Stadium“ längst hinweg sind und das „Wie“ diskutieren. US-Vizepräsident Dick Cheney dementiert lediglich, dass ein Angriff „unmittelbar bevorstehe“ und bezeichnet Kriegsszenarien als reine Spekulation – dies sehen nicht wenige Experten allerdings als taktische Spielchen an, zumal sich ein Aufmarsch am Golf nicht innerhalb weniger Tage bewältigen ließe. Sollte es zur befürchteten Konfrontation am Golf kommen, drohen Ölpreise wie zu Zeiten der Kuwait-Invasion des „Schurkenstaates“. Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren Preise weit jenseits der 35-Dollar-Marke je Barrel Realität - ein Niveau, das jegliche Wachstumsberechnungen reif für den Papierkorb werden lässt.
Allerdings birgt auch die aktuelle Situation genügend Sprengstoff, dass die Weltpolitik das neue Stimmungshoch an der Börse schnell zum Orkantief werden lassen kann. In Afghanistan zeigt sich immer mehr, dass die anfängliche Euphorie um den vermeintlichen Sieg der „Anti-Terror-Allianz“ fehl am Platze war. Die jüngsten Schlachten in der Region Schah-i-Kot zeigen, dass al Qaida noch nicht am Ende ist. Zudem ist der Verbleib des Terroristenchefs Osama bin Laden ungewiss. Pressequellen berichten von neuen Internetseiten mit eindeutigen Hinweisen aus terroristischem Umfeld. Dazu kommen immer wieder Warnungen vor Terroranschlägen von Seiten der CIA und nicht zuletzt das tiefe Zerwürfnis zwischen Israelis und Palästinenser, das brennende Lunte und Pulverfass zugleich ist. Explodiert an einem falschen Ort der Welt zur falschen Zeit eine Bombe, zerplatzt der Traum der neuen Börsenherrlichkeit vorerst wie eine Seifenblase - da helfen auch fundamentale Unterbewertungen nichts.
Unterbewertungen im Vergleich zur Historie, die allerdings Zweifels ohne vorhanden sind. Nur was gilt die Historie zurzeit? Deutschland und die Welt sind weit entfernt von der trügerischen Normalität der Jahre seit der deutschen Einheit. Die Friedensdividende, welche die Börsen seit 1989 auf neue Höhen gehoben hat, ist passé, zumindest vorerst. Gewichen ist sie einem Abschlag für Risiken, die vor dem 11. September undenkbar schienen und die Anleger noch einige Zeit begleiten werden. Solange bleiben Investments an der Börse zwar nicht unattraktiv, aber zumindest mit Risiko behaftet.
Sollte es am Golf tatsächlich zur befürchteten Auseinandersetzung zwischen Bush und Hussein kommen, dürften die Börsen noch einmal auf Tauchstation gehen. Das wäre dann für risikobereite Anleger wohl das - zugegebenermaßen unmoralisch anmutende - späteste Signal zum Einstieg. Der Zeitpunkt ist so ungewiss wie die Spekulation auf einen US-Angriff. Da sind zum einen die Verhandlungen um die UN-Sanktionen gegen den Irak, bei denen - so wird spekuliert - Hussein mit unannehmbaren Forderungen konfrontiert wird. Zum anderen gehen Experten davon aus, dass die US-Regierung erst ein weitgehendes Ende der Kämpfe in Afghanistan abwarten wollen. Letzteres wird länger dauern, das ist abzusehen. Wird es am Hindukusch ruhiger, sollten Anleger in „hab-acht-Stellung“ gehen.
Der Spagat zwischen Hausse und Kriegsangst
Fertig machen zum Geldverdienen: Die neue Hausse an den Weltbörsen ist schon beschlossene Sache. Einmütig verweisen Analysten, Politiker und Volkswirte auf den nahenden Aufschwung, der auch Deutschland in der zweiten Jahreshälfte erfassen soll. Auf ihn soll sie aufbauen, die neue Börsenherrlichkeit. Kursziele gefällig? 12.400 Punkte nennt „Lady-Guru“ Abby Cohen von Goldman Sachs für den Dow Jones, falls die Anleger noch etwas mehr Risiko eingehen. Ein Aufwärtspotenzial von immerhin 16 Prozent. Cohen steht damit längst nicht allein.
Es gibt viele gute Gründe, die für einen neuen Aufschwung an den Weltmärkten sprechen. Aktien erscheinen im Vergleich zu Rentenwerten unterbewertet. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis vieler Werte liegt unterhalb des langjährigen Durchschnitts. Anko Beldsnijder, Top-Fondsmanager bei Griffin für Europa, sieht auf Sicht von zwölf Monaten 15 bis 20 Prozent Potenzial für europäische Standardwerte .
Zum anderen sind da die immer deutlicher werdenden Anzeichen, dass die US-Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad zurück findet. Das US-Bruttoinlandsprodukt ist im vierten Quartal - allerdings auch durch verschiedene Sonderfaktoren „gepusht“ - um 1,4 Prozent gestiegen. Der Konjunktur-Optimismus nimmt stark zu, ausgedrückt auch im ifo-Index des Münchener ifo-Instituts . Und nur wer an eine gute Zukunft glaubt, der investiert und schafft Arbeitsplätze. Von daher sind die Appelle der rot-grünen Regierung, nicht alles schlecht zu reden, nachvollziehbar bis dringend notwendig für ein gutes Abschneiden im September.
Deutschland wird 2002 noch lange nicht das erleben, was man Boom nennt: 0,75 Prozent Wachstum hält Bundeskanzler Gerhard Schröder im Interview mit wallstreet:online für „realistisch“ - gerade mal 0,15 Prozent mehr als im Rezessionsjahr 2001. Vor diesem Hintergrund wirkt Hans Eichels Ausspruch vom „Jahr des Aufschwungs“ eher grotesk. Erst gegen Jahresende wird es das geben, was für einen deutlicheren Abbau der Arbeitslosigkeit nötig ist: Wachstum jenseits der 2-Prozent-Grenze. Und für die Folgezeit mahnen Experten schon das an, was Deutschland seit langem dringend benötigt: Reformen, sonst wird es nichts mit dem Eichelschen Ziel der europäischen Wachstumslokomotive.
2003 braucht den deutlichen Aufschwung, um nicht zur Enttäuschung zu werden. Der Speck bei den Unternehmen ist weg, Kosteneinspar-Potenziale werden 2002 weitgehend ausgeschöpft sein. Die Gewinnsteigerungen von fast 20 Prozent, die Experten im laufenden Jahr von US-Unternehmen erwarten, speisen sich zum größten Teil vor allem aus Rationalisierungsmaßnahmen. Die Produktivität hat sich erhöht, die Lagerbestände sind abgebaut, nachdem Überbestände lange Zeit vor allem im Chipsektor für stark schrumpfende Margen gesorgt haben. Weitgehend „Einmaleffekte“, die sich nicht beliebig wiederholen lassen. Das Gleiche gilt für Europa und für den heimischen Aktienmarkt.
Enttäuschung - das Wort ist 24 Monate nach Beginn der großen Baisse an den Börsen ein nahezu verpöntes Wort. Anleger haben genug von den Enrons der Welt, von High-Tech-Blase und Neuer-Markt-Crash. Die Zahl der Optimisten hat in den vergangenen Wochen stark zugenommen. Das passt ins Bild - anderes wiederum nicht. Zwar hat sich der 4579>Dax-Index mittlerweile rund 54 Prozent von den übertrieben schwachen Kursen des September-Tiefs entfernt, allerdings bewegt sich der Markt umso mehr seitwärts wie Politiker, Analysten und Volkswirte den neuen Aufschwung beschwören. Auch die nach wie vor exorbitant hohen Bestände in Geldmarktfonds passen nicht so recht ins neue Bullen-Bild vieler Börsianer.
Denn - was Politiker, Analysten und Volkswirte derzeit nicht nennen wollen - das sind die immensen Risiken, die sich in den Weg stellen. Allen voran kann die Weltpolitik für Enttäuschung sorgen. Als Stolperstein können sich dabei vor allem die Energiepreise entpuppen. Die meisten Volkswirte gehen in ihren Analysen zum Wirtschaftswachstum von „niedrigen Preisen“ aus und lassen in der Öffentlichkeit keine Gelegenheit aus, auf niedrige Ölpreise und ihre wachstumsfördernde Wirkung hinzuweisen. Womit sich die Frage stellt: Was ist niedrig? Der Preis für Rohöl steht auf Sechsmonats-Hoch, Tendenz steigend und längst oberhalb des Zielkorridors so mancher Analyse.
Noch ist es eine Spekulation, die hinter der Bewegung am Markt für den wichtigsten Rohstoff der Welt steht: Ein US-Angriff auf den Irak. Allerdings verdichten sich Hinweise, dass die USA über das „Ja-oder-Nein-Stadium“ längst hinweg sind und das „Wie“ diskutieren. US-Vizepräsident Dick Cheney dementiert lediglich, dass ein Angriff „unmittelbar bevorstehe“ und bezeichnet Kriegsszenarien als reine Spekulation – dies sehen nicht wenige Experten allerdings als taktische Spielchen an, zumal sich ein Aufmarsch am Golf nicht innerhalb weniger Tage bewältigen ließe. Sollte es zur befürchteten Konfrontation am Golf kommen, drohen Ölpreise wie zu Zeiten der Kuwait-Invasion des „Schurkenstaates“. Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren Preise weit jenseits der 35-Dollar-Marke je Barrel Realität - ein Niveau, das jegliche Wachstumsberechnungen reif für den Papierkorb werden lässt.
Allerdings birgt auch die aktuelle Situation genügend Sprengstoff, dass die Weltpolitik das neue Stimmungshoch an der Börse schnell zum Orkantief werden lassen kann. In Afghanistan zeigt sich immer mehr, dass die anfängliche Euphorie um den vermeintlichen Sieg der „Anti-Terror-Allianz“ fehl am Platze war. Die jüngsten Schlachten in der Region Schah-i-Kot zeigen, dass al Qaida noch nicht am Ende ist. Zudem ist der Verbleib des Terroristenchefs Osama bin Laden ungewiss. Pressequellen berichten von neuen Internetseiten mit eindeutigen Hinweisen aus terroristischem Umfeld. Dazu kommen immer wieder Warnungen vor Terroranschlägen von Seiten der CIA und nicht zuletzt das tiefe Zerwürfnis zwischen Israelis und Palästinenser, das brennende Lunte und Pulverfass zugleich ist. Explodiert an einem falschen Ort der Welt zur falschen Zeit eine Bombe, zerplatzt der Traum der neuen Börsenherrlichkeit vorerst wie eine Seifenblase - da helfen auch fundamentale Unterbewertungen nichts.
Unterbewertungen im Vergleich zur Historie, die allerdings Zweifels ohne vorhanden sind. Nur was gilt die Historie zurzeit? Deutschland und die Welt sind weit entfernt von der trügerischen Normalität der Jahre seit der deutschen Einheit. Die Friedensdividende, welche die Börsen seit 1989 auf neue Höhen gehoben hat, ist passé, zumindest vorerst. Gewichen ist sie einem Abschlag für Risiken, die vor dem 11. September undenkbar schienen und die Anleger noch einige Zeit begleiten werden. Solange bleiben Investments an der Börse zwar nicht unattraktiv, aber zumindest mit Risiko behaftet.
Sollte es am Golf tatsächlich zur befürchteten Auseinandersetzung zwischen Bush und Hussein kommen, dürften die Börsen noch einmal auf Tauchstation gehen. Das wäre dann für risikobereite Anleger wohl das - zugegebenermaßen unmoralisch anmutende - späteste Signal zum Einstieg. Der Zeitpunkt ist so ungewiss wie die Spekulation auf einen US-Angriff. Da sind zum einen die Verhandlungen um die UN-Sanktionen gegen den Irak, bei denen - so wird spekuliert - Hussein mit unannehmbaren Forderungen konfrontiert wird. Zum anderen gehen Experten davon aus, dass die US-Regierung erst ein weitgehendes Ende der Kämpfe in Afghanistan abwarten wollen. Letzteres wird länger dauern, das ist abzusehen. Wird es am Hindukusch ruhiger, sollten Anleger in „hab-acht-Stellung“ gehen.