Finanzkrise
Wirtschaft in Not – die Notenbank legt nach
Von Tim Höfinghoff und Nadine Oberhuber
15. März 2008 Nächste Woche müssen sie liefern. Und es steht zu fürchten, dass die Nachrichten verheerend werden: Die Investmentbank Goldman Sachs wird ihren Geschäftsbericht abgeben, außerdem legen Bear Stearns, Lehman Brothers und Morgan Stanley Zahlen vor. „Das erste Quartal wird für alle Banken äußerst schwierig“, sagt Gerd Häusler, Führungskraft der Bank Lazard und davor beim Internationalen Währungsfonds.
Am Freitag hat die Investmentbank Bear Stearns die Finanzwelt mit der Nachricht geschockt, dass sie kurz vor dem Kollaps steht. Nur eine großzügige Finanzspritze der New Yorker Notenbank verhinderte vorerst den Zusammenbruch der fünftgrößten Investmentbank an der Wall Street.
Nun kann auch Bear-Stearns-Chef Alan Schwartz nicht mehr anders, als einzuräumen, dass seine Bank in der Liquiditätsklemme steckt. Zuvor hatte er von solchen Problemen nichts wissen wollen. Obwohl es immer wieder entsprechende Gerüchte gab. Nun wird seine Bank wohl von JP Morgan übernommen.
Zum Thema
Finanzkrise auf neuem Höhepunkt
Kommentar: Die neue Schieflage
Krise bei Bear Stearns mahnt zur Vorsicht
Die dritte Welle der Finanzkrise
Einen solchen Rettungseinsatzhat es seit Jahrzehnten nicht gegeben
Die Zeiten sind dramatisch an der Wall Street. Einen Rettungseinsatz wie diesen, bei dem die Notenbank einem einzelnen Institut mit Geld unter die Arme greift, hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Das letzte Mal eilte die Fed einer Bank in den 60er Jahren zur Hilfe. Dass bei einer solchen Rettung wirklich Geld floss, passierte zuletzt in den 30er Jahren. Nun wird zwar am 27. März ohnehin ein Programm der amerikanischen Notenbank anlaufen, das den Finanzmarkt mit bis zu 200 Milliarden Dollar stützen soll. Auf einen Teil dieser Summe hätte auch Bear Stearns zugreifen können. Aber das wäre wohl zu spät gewesen.
Freilich, Fed-Chef Ben Bernanke hat in den vergangenen Wochen viel Geld für die Märkte nachgeschossen. Aber dieser Eingriff im Einzelfall ist dramatisch: Normalerweise ist die Notenbank dazu da, die Märkte mit ausreichend Geld zu versorgen. Dass sie jetzt bei einem einzelnen Unternehmen einspringt, heißt: Die Bedeutung dieser Bank ist zu groß, als dass die Notenbank ihren Untergang riskieren könnte.
Fed-Chef Ben Bernanke fürchtet größere Bankenpleiten
Die Insolvenz hätte der Dammbruch sein können. Die Welle, die danach über die Märkte geschwappt wäre, hätte viele andere mitgerissen. Mehr noch: Es geht jetzt um die „Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems“, begründeten die Notenbanker ihre Entscheidung. Die nämlich hätte der plötzliche Kollaps von Bear Stearns gefährdet. Nicht nur in den Vereinigten Staaten.
Die Abschreibungen summieren sich weltweit auf 200 Milliarden Dollar
Seit einem halben Jahr schwelt die Krise in Amerika nun schon. Das Debakel auf dem amerikanischen Immobilienmarkt hatten schon etliche kommen sehen: Die Häuserpreise stiegen, Kredite wurden auch an schlechte Schuldner ausgegeben, aber dann auch noch in Form verbriefter Wertpapiere von Bank zu Bank weiterverkauft. Bis hinterher keiner mehr so genau wusste, wer welche Risiken übernommen hatte. Die Immobilienblase schwoll immer mehr an. Bis sie schließlich platzte.
Die Investmentbank Bear Stearns hat am Freitag die Finanzwelt geschockt
Die ersten größeren Kreditpakete konnten nicht mehr zurückgezahlt werden. Wer im Besitz der verbrieften Hypotheken war, bangte ebenfalls um sein Geld. Die Banken mussten den Wert ihrer Vermögensanlagen massiv berichtigen. Weltweit summieren sich die Abschreibungen im Finanzbereich auf 200 Milliarden Dollar. Viele Experten rechnen damit, dass es am Ende doppelt so viel sein wird.
Die Aktienmärkte reagierten darauf mit Kursstürzen. So traf die Krise zuerst Hypothekenbanken, dann auch die Kreditversicherer der Banken, später die Anleihenversicherer und Großbanken. Aber das ist noch nicht der höchste Pegelstand: Mit Bear Stearns steht jetzt erstmals einer Investmentbank das Wasser bis zum Hals. Sie war besonders aktiv im Geschäft mit hypothekenbesicherten Papieren. Aber nicht nur das: Sie arbeitete auch eng mit anderen Banken zusammen und mit Hedge-Fonds. Die könnten nun die nächsten Opfer sein. Denn sie haben im großen Stil in vermeintlich sichere Wertpapiere investiert und solche Geschäfte mit Krediten gegenfinanziert.
Neue Hiobsbotschaften gibt es fast jede Woche
Auch wenn die Papiere dramatisch an Wert verlieren: Ihre Kredite müssen sie trotzdem bedienen – und dafür wohl einen Teil der Wertpapiere zu Tiefstkursen verkaufen. Das bringt sie noch stärker in Not und könnte der Beginn eines Teufelskreises sein, warnt der amerikanische Nationalökonom Nouriel Roubini: „Viele Finanzinstitute geraten gerade in ernste Liquiditäts- und Solvenzprobleme. Vielleicht werden jetzt bald ein paar Private-Equity-Fonds mit dem Bauch nach oben schwimmen und auch ein paar Hedge-Fonds. Es trifft jeden Tag jemanden.“
Neue Hiobsbotschaften gibt es fast jede Woche: Gerade schockierte die Beteiligungsgesellschaft Carlyle den Markt damit, dass ihr Fonds-Tochterunternehmen CCC am Ende ist. Carlyle gehört neben Blackstone und KKR zu den größten Private-Equity-Firmen der Welt.
Zwischen den Banken hat sich zudem eine ernste Vertrauenskrise breitgemacht. Keine leiht der anderen mehr Geld, weil keine weiß, welche Risiken ihr Gegenüber in den Beständen hat. Auch die Kunden erhalten immer seltener Geld zu erträglichen Konditionen. „Die Fed hat den Zugang zu Geld leichter gemacht. Aber damit ist das Problem nicht gelöst“, sagt Dirk Schumacher, Europavolkswirt von Goldman Sachs, „die Krise hat sich mittlerweise auf alle Bereiche des Kreditmarktes ausgeweitet.“ Inzwischen sind auch die Autokredite und die Kreditkartenbranche betroffen.
Der Aktienkurs von Bear Stearns fiel am Freitag um 50 Prozent
Die Amerikaner geben weniger Geld aus. Gleichzeitig entwertet das Eingreifen der Fed den Dollar von Stunde zu Stunde. Und die Angst vor der Stagflation wächst. Es geht also längst nicht mehr nur um die Liquidität der Banken.
Unternehmen und Anleger stecken auch an den Börsen enorme Verluste ein: Der Aktienkurs von Bear Stearns fiel am Freitag um 50 Prozent. Deren mächtigster Investor, Milliardär Joseph Lewis, verlor so eine Milliarde Dollar. Die Rettungsaktion der Fed riss die Kurse auf breiter Front in die Tiefe. Die Anleger flohen in Gold und Rohstoffe, der Kurs des Dollar sinkt und der des Euro steigt stetig. Nun ist die Angst da: Trifft die Krise in Amerika auch Europas Wirtschaft? Darunter leiden die Aktienkurse exportabhängiger deutscher Unternehmen.
Die Frage ist: Wie schlimm wird es wirklich? Die kühnsten Pessimisten fürchten, dass es zur Systemkrise kommt, dass gar das gesamte Finanzsystems kollabiert. Dann nämlich, wenn der Damm mit der ersten Riesenpleite bricht. Wenn sich dann eine Welle ergießt, die nicht nur über die Großen des Finanzsystems schwappt, sondern reihum große Konzerne erfasst. Wenn das Vertrauen in die Aktienmärkte wegbricht, die Anleger ihr Geld vollständig abziehen.
Nur eines ist sicher: Solche Pegelstände wie derzeit hat es seit 30 Jahren nicht mehr gegeben. Mit dem Eingriff bei Bear Stearns hat die Fed einen Sandsack nachgelegt, damit der Damm hält, der die Wirtschaft stützt. Kommende Woche müssen die Banken liefern und haben hoffentlich noch einen Sack in Reserve.