Sonntag, 5. Oktober 2008
Garantie für 568 Mrd Euro
Bund gibt Komplettschutz
Die Bundesregierung hat angesichts der sich verschärfenden Bankenkrise erstmals eine Komplettgarantie für private Spareinlagen in Aussicht gestellt. "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ergänzte: "Ich möchte unterstreichen, dass wir dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren."
Wie es in Regierungskreisen heißt, wird damit über die bisherigen Sicherungssysteme hinaus eine Staatsgarantie für private Spareinlagen in ganz Deutschland greifen. Die Garantie gelte unbegrenzt. Die bisherigen gesetzlichen und weiteren Sicherungssysteme der deutschen Kreditwirtschaft gelten bereits als die weltweit besten. Es gibt aber keinen Komplettschutz.
Die ausgesprochene Garantie für alle privaten Spareinlagen umfasst eine Summe von 568 Milliarden Euro. Das sagte der Sprecher von Bundesfinanzminister Steinbrück, Torsten Albig, dem "Handelsblatt". "Die Bundesregierung will auf jeden Fall verhindern, dass Geld in größerem Stil abgehoben wird", sagte Albig.
Die Zeit drängt
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, durch die Krise des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate nicht das ganze Finanzsystem in eine Schieflage geraten zu lassen. Das sagte die Bundeskanzlerin kurz vor Beginn der Koalitionsrunde in Berlin. Ähnlich äußerte sich auch Finanzminister Peer Steinbrück. Die Bundesregierung arbeitet nach seinen Worten mit Hochdruck an einer Lösung für die angeschlagene Münchner Bank Hypo Real Estate. Allerdings könne es nicht sein, dass die Risiken allein auf die Steuerzahler verlagert würden, sagte Steinbrück.
Steinbrück zeigte sich "entsetzt" über das Management der Bankengruppe Hypo Real Estate. "Die Bundesregierung lehnt es ab, von diesem Bankeninstitut in eine Art Mitverantwortung gezogen zu werden." Mit Hochdruck werde an einer Lösung gearbeitet zur Behebung der Krise. Die Zeit drängt: Eine Lösung müsste nach einhelliger Expertenauffassung bis Eröffnung der Aktienmärkte am Montag gefunden werden. Eine Pleite des Instituts würde ein Erdbeben auslösen. Die Folgen für das gesamte deutsche Finanzsystem wären "unabsehbar". In einen zweiten Rettungsanlauf sollen nicht nur die Privatbanken, sondern auch die Versicherer einbezogen werden.
Der Münchener Immobilienfinanzierer kämpft um seine Existenz, nachdem der Rettungsplan von Banken und Regierung am Samstag überraschend gescheitert ist. Mehrere Finanzinstitute hatten ihre Zusage einer Beteiligung an der Bürgschaft über 35 Mrd. Euro nicht mehr aufrecht erhalten. Berichten zufolge könnte sich der Finanzbedarf des Instituts statt über die zugesagten 35 Mrd. Euro allein bis Jahresende auf bis zu rund 50 Mrd. Euro und bis Ende 2009 auf bis zu 100 Mrd. Euro belaufen.
Bund völlig überrascht
Der Bund war nach Ministeriumsangaben von der HRE nicht vorab über die neue Sachlage in Kenntnis gesetzt worden und will die Konsequenzen nun prüfen. Ein HRE-Sprecher hatte am Samstag erklärt, die Großaktionäre der Hypo Real Estate seien bereit, sich an einer breit angelegten Unterstützung zu beteiligen. Aus Finanzkreisen war unterdessen verlautet, offenbar seien "nicht richtige Zahlen zur Grundlage" der Angaben der Hypo Real Estate gemacht worden.
Der Finanzexperte Wolfgang Gerke warf der Führung der Hypo Real Estate Holding Versagen vor. Es sei unvorstellbar, dass ein Institut seinen Refinanzierungsbedarf in einem solchen Ausmaß nicht im Griff habe, sagte das Präsidiumsmitglied des Bayerischen Finanz Zentrums dem Fernsehsender n-tv. Das sei unbegreiflich, "totales Versagen", fügte er hinzu.
Die Finanzkrise dauere schon länger und ein Institut wisse, dass es am Quartalsende einen bestimmten Refinanzierungsbedarf habe. "So kann man sich nicht irren", sagte Gerke, vor allem diese Dimensionen seien vermeidbar gewesen. Die HRE habe offenbar Fristentransformation betrieben, die ein erfahrener Bankenmanager in diesem Umfang nicht machen dürfe.
Die Hypo Real Estate war durch Liquiditätsprobleme ihrer in Irland ansässigen Tochter Depfa in Schwierigkeiten geraten. Der Bund hatte zugesagt, bei der Bürgschaft für HRE Garantien in Höhe von mehr als 26 Mrd. Euro zu übernehmen. Für die übrigen 8,5 Mrd. Euro sollten die Banken bürgen.
Opposition: "Trümmer dem Bund vor die Füße geworfen"
Angesichts der dramatischen Lage beim Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) hat auch die Opposition das Gebaren der Banken, aber auch das Krisenmanagement der Bundesregierung scharf kritisiert. "Dem Vorstand der Hypo Real Estate kann man nicht mehr trauen, er hat das wahre Ausmaß der Liquiditätsprobleme offenbar verschleiert", erklärten Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn und Haushaltsexperte Alexander Bonde am Sonntag in Berlin. Eine weitergehende Bundesbürgschaft könne es nur bei einer "intelligenten Form der Verstaatlichung von HRE" geben. Die Finanzbranchen könne nicht "die Trümmer ihrer spekulativen Zockereien dem Bund vor die Füße" werfen, aber Profite und künftige Gewinne für sich reklamieren.
Nach Ansicht der FDP muss das Krisenmanagement der Bundesregierung auf den Prüfstand. "Das Scheitern des Rettungspakets ist ein Scheitern der politisch Verantwortlichen", erklärte der haushaltspolitische Sprecher Jürgen Koppelin. "Dies gilt ebenso für die BaFin und die Bundesbank." Alle bisherigen Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück seien "Makulatur". Es stelle sich die Frage, ob die Koalition noch Herr des Verfahrens sei. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum bei der Prüfung der HRE durch den Bankenpool jetzt größere Liquiditätsprobleme als bisher festgestellt wurden.