Nicolas Fuchs
Nicolas Fuchs
Die Bayer (Bayer Aktie) AG steht aktuell an zwei zentralen Schnittstellen ihrer Konzernstrategie: Im Pharmabereich verzögert sich die FDA-Zulassung für das nicht-hormonelle Medikament Elinzanetant zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden. Parallel dazu forciert der Leverkusener Konzern mit dem Zulassungsantrag für das neue Herbizid Icafolin in der Europäischen Union seine Bemühungen, die Agrarsparte neu zu positionieren.
Diese Entwicklungen markieren sowohl Herausforderungen als auch Chancen in den zwei wichtigsten Segmenten des Unternehmens mit direkten Auswirkungen auf die mittelfristige Umsatzstruktur und strategische Positionierung.
Bayer teilte mit, dass die US-Arzneimittelbehörde FDA die Überprüfung des Medikaments Elinzanetant, das unter dem Markennamen Lynkuet vermarktet werden soll, um bis zu 90 Tage verlängert hat. Die FDA habe laut Bayer keine grundsätzlichen Bedenken zur Zulassungsfähigkeit des Mittels geäußert, es gehe um die weitere Prüfung der eingereichten Daten.
Elinzanetant ist ein nicht-hormoneller NK1/NK3-Rezeptorantagonist zur Behandlung von mittelschweren bis schweren vasomotorischen Symptomen (Hitzewallungen) in den Wechseljahren. Für Bayer ist das Präparat von zentraler Bedeutung: Es soll helfen, die rückläufigen Umsätze im Pharmabereich, insbesondere den Umsatzschwund bei dem ehemaligen Blockbuster Xarelto, auszugleichen.
Markterwartungen und Zulassungsstatus:
Zielmärkte: USA, EU, Großbritannien, Kanada
Zugelassen: Großbritannien, Kanada
EU-Zulassung: beantragt
FDA-Zulassung: verzögert bis spätestens Herbst 2025
Spitzenumsatzpotenzial: >1 Mrd. USD pro Jahr (Prognose von Bayer)
Die klinische Datenlage stammt aus drei Phase-III-Studien, die eine signifikante Reduktion der Häufigkeit und Intensität von Hitzewallungen zeigten sowie Verbesserungen bei Schlafqualität und Lebensqualität dokumentierten.
Mit dem bereits in den USA zugelassenen Konkurrenzprodukt Veozah von Astellas steht Elinzanetant in einem kompetitiven Marktumfeld. Gleichwohl verspricht Bayer sich durch die differenzierte Wirkstoffklasse und das nicht-hormonelle Wirkprofil ein Alleinstellungsmerkmal, insbesondere für Patientinnen mit hormonellen Kontraindikationen.
Parallel zur Entwicklung im Pharmabereich treibt Bayer die Transformation seiner Agrarsparte mit einem ambitionierten Projekt voran: dem Herbizid Icafolin, das nun in das EU-Zulassungsverfahren eingetreten ist. Es ist das erste Herbizid mit einem neuartigen Wirkmechanismus für den europäischen Markt seit über 30 Jahren.
Wesentliche Eckdaten:
Entwicklung: seit über sechs Jahren in Forschung
Technologie: KI-gestützte Identifikation des Wirkstoffs
Zulassungsstatus:
EU: Antrag eingereicht
USA: Antrag gestellt (Juni 2025)
Brasilien: Verfahren läuft
Produktionsstandort: Dormagen (NRW)
Umsatzpotenzial: bis zu 750 Mio. EUR jährlich
Der neuartige Wirkmechanismus von Icafolin basiert auf einer eigens von Bayer identifizierten Substanzklasse. Mithilfe von KI-gestützten Analysen wurden dabei molekulare Wirkzusammenhänge analysiert und getestet, was ein Beispiel für den strategischen Einsatz digitaler Technologien in der Wirkstoffforschung ist.
Laut Bayer soll das Produkt nicht als direkter Glyphosat-Ersatz fungieren, aber eine alternative Lösung für den zunehmenden Resistenzdruck auf bestehenden Märkten bieten.
Strategische Bedeutung:
Imagewandel: Nach dem Monsanto-Erbe und den Glyphosat-Rechtsstreitigkeiten ist Icafolin ein Symbol für Innovation und Umweltverantwortung.
Produktdiversifikation: Neue Wirkstoffklassen ermöglichen differenzierte Portfolioerweiterungen unabhängig von Patentschutzstatus.
Produktionssicherung: Die Entscheidung, in Deutschland zu fertigen, soll auch die Standortpolitik stärken und Arbeitsplätze sichern.
Das EU-Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel gilt als besonders aufwendig. Nach einer Erstbewertung durch ein Mitgliedsland folgt eine Risikobewertung durch die EFSA, bevor die Europäische Kommission eine Entscheidung trifft. In Deutschland sind zusätzlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Julius-Kühn-Institut, das Bundesinstitut für Risikobewertung sowie das Umweltbundesamt eingebunden.
Seit 2019 wurden laut EU-Kommission bereits 76 Wirkstoffe vom Markt genommen – ein Indiz für die zunehmend strengen Anforderungen an neue Mittel. Bayer sieht sich mit Icafolin dennoch gut aufgestellt: Umweltverträglichkeit spielte bei der Entwicklung laut Konzernangaben eine deutlich größere Rolle als bei früheren Wirkstoffen.
Sowohl im Pharma- als auch im Agrarbereich setzt Bayer auf differenzierte Innovationsprojekte, um Umsatzrückgänge abzufedern und regulatorischen wie gesellschaftlichen Anforderungen zu begegnen. Während Elinzanetant bei erfolgreicher US-Zulassung das erste nicht-hormonelle Medikament gegen Hitzewallungen aus Europa mit globalem Vermarktungspotenzial wäre, steht Icafolin für den technologischen Neuanfang in der Pflanzenschutzstrategie.
Konzernstrategisch lassen sich drei zentrale Stoßrichtungen erkennen:
Diversifikation in der Pharmaforschung durch nicht-hormonelle Präparate mit hohem Marktbedarf
Digitalisierung der Agrarforschung durch Einsatz von KI zur Molekülfindung
Standortpolitik: Verankerung von Forschung und Produktion in Deutschland trotz globaler Marktorientierung
Für Bayer sind diese Entwicklungen keine taktischen Einzelprojekte, sondern strukturelle Bestandteile der mittelfristigen Konzernstrategie. In beiden Segmenten geht es darum, verlorenes Vertrauen und Marktpositionen mit neuen Produkten zurückzugewinnen, begleitetet von stärkerer Wissenschaftsbasiertheit und regulatorischer Kooperationsfähigkeit.
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