Seit Monaten notiert der Preis für Rohöl auf Rekordniveau. Inzwischen hat das Erdölkartell Opec (Organisation Erdöl Exportierender Länder) gefordert, die USA sollten ihre strategischen Reserven zur Senkung des Ölpreises einsetzen. SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen zum Ölpreis und zu den möglichen Folgen für die Wirtschaft.
War Öl schon jemals so teuer wie heute?
Ja. Mit einem Preis von 55,58 Dollar je Barrel (159 Liter) wurde in New York am Montag zwar der höchste nominale Preis aller Zeiten festgestellt. In der Vergangenheit lagen die inflationsbereinigten Ölpreise allerdings deutlich höher. Nach den Preismaßstäben von heute entsprach der Preis je Barrel im Februar 1981 etwa 80 Dollar - das war der absolute Rekord.
Wie lange wird der Ölpreis auf dem derzeitigen Niveau bleiben?
Hier gehen die Meinungen der Experten weit auseinander. Die Argumente der Öl-Bären: Die Weltwirtschaft kann nicht ewig mit mehr als vier Prozent jährlich wachsen. Folglich wird die Nachfrage nach ÖL mittelfristig zurückgehen. Produzenten außerhalb des Opec-Kartells werden nach Meinung der Bären das Gesamtangebot an Öl deutlich erhöhen. In der Folge ist ein Barrelpreis von 22 Dollar oder weniger wahrscheinlich. Die Argumente der Öl-Bullen: Öl ist eine begrenzte Ressource und die Nachfrage wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sie weltweit bis 2030 um 1,6 Prozent jährlich anziehen. Entsprechen ist nach Meinung von Öl-Bullen wie Deborah White von Société Générale ein Preis von bis zu 80 Dollar je Barrel möglich.
Manchmal wird in den Nachrichten ein Ölpreis von 55 Dollar zitiert, manchmal einer von 48 Dollar. Gibt es verschiedene Ölpreise?
Es gibt Dutzende von Ölsorten, die an verschiedenen Terminbörsen zu unterschiedlichen Preisen gehandelt werden. Die wichtigsten sind Light Sweet Crude (wird vor allem in New York gehandelt), Nordsee-Brent (London) sowie Opec-Öl (Wien). In der Regel handelt man Öl in Form von Terminkontrakten. Das sind normalerweise standardisierte Verträge über die Lieferung von 1000 Barrel zum Quartalsende.
Besteht die Gefahr, dass uns das Öl ausgeht?
Fest steht: Die Ressource Öl wird irgendwann aufgebraucht sein. Dank verbesserter Förder- und Erschließungsmethoden sind die Schätzungen des weltweiten Ölbestands in den vergangenen Jahren jedoch immer wieder nach oben korrigiert worden. Zurzeit ist noch ausreichend Öl vorhanden (siehe Grafik).
Warum ist dann der Preis so stark gestiegen?
Das Kernproblem ist nach Ansicht von Ölanalysten, dass die großen Ölproduzenten in den späten neunziger Jahren nicht mit einer steigenden Nachfrage gerechnet haben. Entsprechend investierten sie nur wenig in neue Förderanlagen und Raffinerien. Einem seit Jahren kaum veränderten Ölangebot steht eine boomende Nachfrage gegenüber: In diesem Jahr wird der Ölbedarf weltweit um 2,7 Millionen Barrel pro Tag steigen - das liegt vor allem am Wirtschaftsboom in China und anderen asiatischen Ländern sowie an dem ständig steigendem Energieverbrauch der USA.
Wieso steigt der Ölpreis so schnell an?
Weil Öl äußerst knapp ist, reagiert der Markt extrem empfindlich auf externe Schocks, also unvorhersehbare Ereignisse. Zuletzt ließ die Angst vor einem Streik im Ölland Norwegen die Preise rasant in die Höhe schnellen. Ähnlich wirkten sich zuvor bereits die Hurrikanserie in den USA, die russische Yukos-Krise oder die instabile Lage im Irak aus. Die ständige Ungewissheit, ob weitere Probleme das Angebot weiter verknappen, resultiert in einer Angstprämie auf jeden gehandelten Barrel. White von Société Générale schätzt, dass dieser "Furcht-Faktor" bei neun Dollar liegt.
Haben Spekulanten den Ölpreis nach oben getrieben?
Diese These lässt sich nur schwer belegen - allerdings sind sowohl spekulative Hedgefonds als auch größere Publikumsfonds in den vergangenen Monaten auf den Rohstoff-Zug aufgesprungen. Denn während am Aktienmarkt Flaute herrscht, lassen sich mit Öl und Gold derzeit traumhafte Renditen erwirtschaften. Sogar Kleinanleger mischen über Optionsscheine und andere Derivate verstärkt auf dem Ölmarkt mit.
Wieso produzieren die Mineralölkonzerne nicht einfach mehr Öl?
Das Nadelöhr ist die zu geringe Raffinieriekapazität, die sich nicht von heute auf morgen aufstocken lässt. Heute getätigte Investitionen führen erst mit einer Zeitverzögerung von fünf bis zehn Jahren zu einem größeren Rohölangebot.
Wie groß ist der Einfluss der Opec?
Die Organisation Erdöl Exportierender Länder (Opec) produziert etwa ein Drittel der täglich verbrauchten Rohölmenge. Auch die meisten Opec-Länder haben die Nachfrage lange Zeit unterschätzt und können nun nicht gegensteuern. Opec-Präsident Purnomo Yusgiantoro bleibt nun nichts anderes übrig, als die weltweite Rohölversorgung tapfer als "angemessen" zu bezeichnen. Die Opec hat die USA am Mittwoch aufgefordert, ihre strategischen Öl-Reserven zur Senkung des Ölpreises einzusetzen. Der Appell ist ein weiteres Eingeständnis von Schwäche. Bisher hatte das Kartell staatliche Ölreserven als Bedrohung für ihren eigenen Markteinfluss betrachtet.
Würgt der hohe Ölpreis die Konjunktur ab?
Lange Zeit hatte die Mehrheit der Volkswirte die Gefahr eines Ölpreis-Schocks als sehr gering eingeschätzt. Nachdem der Preis nun aber bereits seit Monaten über 40 Dollar liegt, mehren sich die warnenden Stimmen. Das Bundesfinanzministerium schreibt in seinem jüngsten Monatsbericht, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die schwindende Dynamik bei den deutschen Experten "erste Vorboten eines ölpreisinduzierten Abflauens der Weltkonjunktur" seien. Deutlich pessimistischer äußerte sich unlängst Morgan Stanleys Chefökonom Stephen Roach. Sollte der Ölpreis weitere zehn Wochen jenseits der 50-Dollar-Marke liegen, hält der Volkswirtschaftler einen "ausgewachsenen Ölschock" für wahrscheinlich, der in eine globale Rezession münden könnte. Seiner Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft hat Roach bereits reduziert.
Gibt es weitere negative Auswirkungen? Welche Branchen sind besonders betroffen?
Für den Einzelnen gilt: Die Lebenshaltungskosten steigen. Von September bis Oktober erhöhten sich die Verbraucherpreise im Schnitt um 0,3 Prozent. Die Preise für Mineralölprodukte schossen in den vergangenen zwölf Monaten um rund 40 Prozent in die Höhe. Betroffen sind vor allem energieintensive Branchen, die die höheren Kosten wegen eines intensiven Wettbewerbs nicht ohne weiteres an die Verbraucher weitergeben können - wie etwa Fluglinien. Den Mineralölkonzernen beschert der Rekordölpreis hingegen goldene Zeiten: Der britische Ölkonzern BP hat im dritten Quartal seinen Gewinn vor Sonderposten um 43 Prozent auf 3,937 Milliarden Dollar gesteigert.