Wie Aktienmärkte auf Bundestagswahlen reagieren

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EinsamerSam.:

Wie Aktienmärkte auf Bundestagswahlen reagieren

 
31.08.05 18:05
Politische Börsen haben lange Beine

Wie Aktienmärkte auf Bundestagswahlen reagieren

Da sage noch einer, politische Börsen hätten kurze Beine. Sie können gar nicht länger sein! In der 60-jährigen Nachkriegsgeschichte hat sich eine klare wie simple Börsenregel herauskristallisiert: In sozialdemokratisch geführten Regierungen fallen oder stagnieren die Kurse. Und sie steigen, wenn Konservative das Sagen haben.

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DÜSSELDORF. Regel zwei gleich hinterher: Die Wahlen selbst haben eher einen negativen Einfluss auf das Aktiengeschehen – auch wenn die Gegenwart zunächst anderes vermuten lässt. Doch die große Ausnahme heißt: Kommt es zu einem politischen Wechsel, steigen die Kurse. Dies noch mehr, wenn die Macht der Linken auf die Rechten übergeht. Hier schlägt Börsenregel eins zu.

Insofern könnte Kanzlerin in spe Angela Merkel viel mit Helmut Kohl, Konrad Adenauer und Otto von Bismarck gemeinsam haben. Als sich nämlich der konservative „Eiserne Kanzler“ 1871 anschickte, das geeinte Deutschland nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich zu regieren, gewannen die Aktienkurse in den ersten neun Nachwahlmonaten 36 Prozent. 78 Jahre später verdoppelten sich die Kurse gar binnen vier Monaten, als Adenauer und seine noch junge CDU die erste Bundestagswahl gewannen. Solch heftige Kurssprünge gab es anschließend nur noch einmal: Mehr als ein Drittel legten die Aktienkurse zu, als Kohl nach dem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt die Bundestagswahl 1983 souverän gewann.

„Die größte Spekulation der Welt ist es, einen Politiker zu dem Wert einzukaufen, den er hat, und ihn zu dem Wert zu verkaufen, den er sich selbst einräumt.“
André Kostolany


Tristesse dagegen in fast allen übrigen Wahljahren. Weder die vielen und wechselvollen Plebiszite in der Weimarer Republik, noch die zwölf übrigen Abstimmungen im Nachkriegsdeutschland vermochten die Börsianer groß zu beeindrucken. Am positivsten stechen noch die 15-prozentigen Kurszuwächse nach der Wiederwahl Adenauers 1953 und bei der rot-grünen Machtübernahme 1998 hervor. Ersteres war wohl weltweite Erleichterung, dass die westdeutschen Wähler nach dem gerade niedergeschlagenen Volksaufstand in der DDR keine Experimente wagten. Und letzteres war schließlich ein Wechsel. Da laufen die Börsen immer gut.

Auffällig ist die unterschiedliche Kursentwicklung in christdemokratisch und sozialdemokratisch geführten Regierungen. Während der 16-jährigen Kohl-Regentschaft kam der Deutsche Aktienindex (Dax) Jahr für Jahr auf durchschnittlich 15 Prozent. Schröder schaffte nicht einmal ein Prozent per anno. Und als ob die Schmach noch nicht groß genug wäre: Der Kanzler verdankt sein mageres Plus allein seiner überraschenden Neuwahl-Ankündigung nach der SPD-Niederlage in Nordrhein-Westfalen. Ohne diesen Coup – die Märkte wetten auf seine Abwahl – ist Schröders Dax-Performance seit 1998 negativ.

Damit reiht sich der Sozialdemokrat in die Tradition seiner Vorgänger ein. Auch unter Willy Brandt und Helmut Schmidt hatten die Börsen nichts zu lachen. Auffällig sind die drastischen Kursverluste von gut 20 Prozent nach den drei Wahlen von 1965 bis 1972. Der Übergang von der CDU/CSU-geführten Regierung auf die SPD mit ihrem Motto „Mehr Demokratie wagen“ schürte an den Börsen Verunsicherung und keine positive Reformphantasie – wie jetzt.

Alle Statistiken sind natürlich nur ein Mosaikstein, aus dem sich vielleicht Schlüsse für künftige Börsenentwicklungen ziehen lassen. Denn schließlich bewegt nicht nur Psychologie. Aus ihr aber besteht die Börse nach Meinung des verstorbenen Börsenaltmeisters André Kostolanys zu 90 Prozent.

Ganz wichtig sind natürlich Unternehmensgewinne und das wirtschaftliche Umfeld. Oft müssen zudem Staatschefs Probleme beseitigen, für die sie gar nichts können oder die ihnen Vorgänger einbrockten. So kämpften die Große Koalition und Willy Brandt in den Sechzigern mit einem wirtschaftlichen Abschwung, der sich bereits in Zeiten des Wirtschaftswunderministers Ludwig Erhard (CDU) abgezeichnet hatte. Und im Oktober 1987 verhinderte der weltweite Crash, der den Dax in zehn Tagen mehr als 20 Prozent kostete, dass Helmut Kohl auf ein achtbares Börsenplus im Jahr seiner ersten Wiederwahl kam.

Und doch dürfen langfristige Börsenentwicklungen nicht losgelöst von politischen Strömungen und Weichenstellungen gesehen werden. So hatten Aktionäre in den späten sechziger und siebziger Jahren, also in der Brandt-Schmidt-Ära, deshalb nichts zu lachen, weil hohe Lohnabschlüsse von über zehn Prozent zu einer galoppierenden Inflation führten, die wiederum Zinsen von über zehn Prozent nach sich zogen und damit Aktien gegenüber Anleihen unattraktiv machten Die zweifellos von der sozial-liberalen Regierung mitverursachte Kettenreaktion ist wesentliche Ursache dafür, warum deutsche Aktien ihr Hoch von 1969 erst im März 1983 wieder erreichten. Da war der Weltökonom Schmidt aber schon kein Kanzler mehr.

Es ist also ein Gemisch aus Psychologie und Erwartungen, Regierungsankündigungen und -beschlüssen und natürlich dem weltwirtschaftlichen Gesamtklima, das die Kurse treibt. Hegt die Börse Hoffnungen auf verbesserte Rahmenbedingungen, so wie jetzt, dann ist ein langer Aufwärtstrend möglich.

Am ehesten ist die aktuelle Situation wohl mit 1982/83 vergleichbar, als die bürgerlich-liberale Opposition ebenso wie heute die Mehrheit im Bundesrat hatte, gleichzeitig in der Bevölkerung eine große Wechselstimmung herrschte und Bundeskanzler Schmidt schließlich aufgab, weil einige Genossen seinen Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung nicht mittrugen und FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff für die Wirtschaft „mehr Luft zum Atmen“ forderte und den Staat zum Sparen drängte. Damals stiegen die Aktien vom Tag des Misstrauensvotums im September 1982 bis zur Neuwahl und dem als sicher geltenden Regierungswechsel im März 1983 um 26 Prozent. In den ersten drei Monaten nach der Bundestagswahl gewann der Dax noch einmal neun Prozent hinzu. Das Wahljahr 1983 zählt mit einem Kurszuwachs von 36 Prozent zu den erfolgreichsten deutschen Börsenjahren.

Davon sind die Börsen derzeit noch weit entfernt. Immerhin gut ein Drittel des damaligen Zugewinns steht aber schon zu Buche. Voraussetzung damals und jetzt ist ein passendes Umfeld. Dazu gehören eine robuste Weltkonjunktur und niedrige Aktienbewertung sowie die Perspektive, neue Anlegerkreise zu erschließen. Alles scheint diesmal erfüllt. Die Unternehmen verdienen so viel wie noch nie. Aktien sind 20 Prozent niedriger als im Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre bewertet, und Ausländer drängen in den deutschen Aktienmarkt. Denn seitdem Schröder mit seinem Neuwahl-Coup überraschte, überschlagen sich internationale Investmenthäuser mit positiven Perspektiven zum deutschen Aktienmarkt – ob UBS in der Schweiz, HSBC in Großbritannien und Asien oder Merrill Lynch in den USA.

Neu ist an diesen Bewertungen vor allem, dass die Experten eine große Reformphantasie und Veränderungsbereitschaft ausmachen. Die Folgen sind gigantisch: Im Mai und Juni kauften Ausländer nach Berechnungen der Bundesbank deutsche Aktien in einem Volumen von 71 Milliarden Euro – so viel wie nie zuvor. Dabei erwarten die ausländischen Analysten, dass eine neue Regierung den Unternehmen mehr Freiräume und noch höhere Gewinne bringt, Deutschland die in den letzten Jahren so oft getragene rote Konjunktur-Laterne in Europa abgibt und nachhaltig durchstartet.

Mit der Möglichkeit, dass die Wahlen keine Mehrheit für eine schwarz-gelbe Koalition bringen, rechnen ausländische Investmenthäuser kaum. Auch deshalb argwöhnen die Analysten der West LB, dass dieselben Anleger, die gestern in der Hoffnung auf Reformen deutsche Aktien kauften, diese auch genauso schnell wieder abstoßen, wenn es nach der Wahl – mit welcher Regierung auch immer – zu Enttäuschungen kommt.

Doch worauf spekulieren optimistische Analysten und Anleger eigentlich? Auf eine bessere Zukunft, klar. Genauer gesagt geht es wie 1982/83 um die Wette, dass eine konservativ-liberale Regierung und ein von der Union dominierter Bundesrat große Handlungsfähigkeit besitzen und diese auch nutzen werden. Das wiederum weckt Hoffnungen auf strukturelle Veränderungen wie Gesundheitsreform oder Lockerung des Kündigungsschutzes. Eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes würde die Möglichkeit der Unternehmen erhöhen, sich im Abschwung einfacher von Mitarbeitern zu trennen, aber im Aufschwung auch schneller Personal einstellen zu können. Damit stiegen die Chancen auf ein kräftigeres Wirtschaftswachstum – zum Wohle der Unternehmen und Verbraucher, die künftig mehr Geld für Investitionen und Konsum haben könnten.

Doch auch die von CDU und FDP angestrebte Entkoppelung der Finanzierung der Sozialversicherung vom Lohn weckt das Interesse der Anleger. Denn Unternehmen, deren Gewinne wesentlich von der Entwicklung inländischer Lohnkosten beeinflusst werden, wären die Gewinner einer solchen Reform. Nach Ansicht der Hypo-Vereinsbank reagieren VW, Thyssen-Krupp, Siemens, MAN, Lufthansa und Deutsche Post sensibel auf eine Änderung des Personalaufwands. Die Aktienkurse mittlerer und kleinerer Unternehmen im MDax, SDax und Technologie-Index TecDax schlagen aufgrund ihrer stärkeren Produktion in Deutschland generell noch stärker auf solche Veränderungen aus als die großen Dax-Titel.

Doch nicht nur eine neue Arbeitsmarktpolitik, auch die mögliche Wende in der Energiepolitik schürt Spekulationen auf Kursgewinne. Eine Aussetzung des von der SPD und den Grünen mit der Wirtschaft ausgehandelten Atomausstiegs und eine Verlängerung der Restlaufzeiten für Deutschlands Kernkraftwerke würde die Stromerzeuger, also vor allem Eon und RWE, entlasten.

Und wenn doch alles ganz anders läuft, weil die von der Börse favorisierte Regierung nicht den Machtwechsel schafft oder sie die vielen Wünsche nicht erfüllt? In Deutschland gehen die Marktakteure ohnehin auf Nummer sicher, so dass sich die Enttäuschung im Gegensatz zum Ausland in Grenzen halten dürfte. Denn deutsche Anleger zogen im Mai und Juni weitere 320 Millionen Euro aus Aktienfonds ab, nachdem es in den Monaten zuvor bereits massive Abflüsse gegeben hatte.

Und die fünf größten deutschen Banken erhöhen zwar laufend ihre Jahresendziele für den Dax, eilen damit aber lediglich der Realität hinterher. Derzeit prognostizieren die Investmenthäuser den Dax kaum höher, als er heute notiert. Berücksichtigt man, dass Bankhäuser den Dax üblicherweise immer etwas höher fortschreiben, drückt sich in den aktuellen Prognosen eher Pessimismus als Optimismus aus. Damit schwenken sie auf die Stimmung der vielen skeptischen Anleger ein. Und wenn es am Ende dann doch anders und besser kommt, wird niemand den zu niedrigen Kursprognosen nachtrauern.

Quelle: HANDELSBLATT, Mittwoch, 31. August 2005, 11:00 Uhr

...be invested
 
Der Einsame Samariter

Wie Aktienmärkte auf Bundestagswahlen reagieren 2083522
wavezocker:

einsamer, leider ist es so;-( o. T.

 
31.08.05 18:23
cassiopaia:

Aktien können auch bei konservativen Regierungen

 
31.08.05 18:49

fallen. Siehe USA: Bush seit 2001 Präsident. S&P500 sieht nicht so toll aus...oder?

Übrigens: die am stärksten wachsend Volkswirschaft ist zur Zeit China...und die wird von Kommunisten regiert.

Schwarz/Weiß Argumente greifen zu kurz. Das Leben ist viel komplexer.

 

greez

 

Chart

 

EinsamerSam.:

Politik regiert die Börse, wavezocker ;( o. T.

 
31.08.05 19:42
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