UND NOCH EIN SEHR GUTER BRODER-ARTIKEL:
Warum wir die Amerikaner hassen
Von Henryk M. Broder
So besonnen in Sachen Terrorismus-Bekämpfung hatte man noch nie so viele Deutsche erlebt. Sie alle eint die Überzeugung, dass Hass ein schlechter Ratgeber ist. Es sei denn, das Objekt des gemeinen Gefühls sind die Amerikaner selbst. Amerikaner dürfen gehauen werden.
Bundespräsident Johannes Rau hat sich am vergangenen Wochenende zur Lage in der Welt im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen geäußert. Dabei hat er unter anderem gesagt, zur Vorbeugung gegen den Terrorismus solle mehr für die Entwicklungshilfe getan werden, und die von Terror bedrohte Zivilisation müsse mit zivilen Mittel verteidigt werden.
Rau hat es, wie immer, gut gemeint. Sein Vorschlag, Terrorismus durch Entwicklungshilfe zu bekämpfen, ist freilich nicht ganz neu. Man hat etwas Ähnliches in Brandenburg versucht, mit Kulturzentren für Rechtsradikale, und damit nicht viel Erfolg gehabt. Die Zahl der Sozialarbeiter ist gestiegen, die der Rechtsextremisten auch.
Man muss auch bedenken, dass einige der mutmaßlichen Terroristen aus einer Gegend kommen, in der es an allem mangelt, nur nicht an Geld. Ihr größtes Problem ist dort die Verteilung des Reichtums, nicht die Verwaltung der Armut.
Und was Raus Forderung angeht, die bedrohte Zivilisation mit zivilen Mitteln zu verteidigen, so wollen wir, bevor der Bundespräsident Osama Bin Laden zu einem therapeutischen Gespräch nach Berlin einlädt, ein kleines Gedankenexperiment wagen, von dem wir hoffen, dass der liebe Gott, der letzten Dienstag wieder mal abwesend war, es in der Realität nie zulassen wird.
Angenommen, eine gekaperte Passagiermaschine, sagen wir eine Boeing 737, stürzt auf den Potsdamer Platz. Zwei Hochhäuser werden vollkommen pulverisiert, die Zahl der Toten geht in die Hunderte. Es gibt kein Bekennerschreiben, aber alle Spuren deuten auf eine tschetschenische Terrorgruppe, die sich an der Bundesrepublik für die Unterstützung der Sowjetunion rächen will. Oder auf ein kurdisches Kommando, das vergeblich den Abbruch der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei verlangt hatte. Oder eine Aktion der IRA, die den Krieg gegen England auf das europäische Festland tragen wollte.
Und dann stellen wir uns vor, wie lange es dauern würde, bis die ersten Stellungnahmen vorliegen, in denen gefordert wird, gegen die Urheber des Terrors mit aller Härte vorzugehen. Wie die Bundesrepublik reagieren würde, wenn ihr ausländische Politiker und Kommentatoren raten würden, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und stattdessen nach einer politischen Lösung zu suchen, Verhandlungen inklusive.
Es trifft Amerikaner und keine Unschuldigen
Wer sich noch erinnern kann, wie die Bundesrepublik 1977 auf die Entführung und Ermordung von Hanns-Martin Schleyer reagierte, wird nicht lange nach einer Antwort suchen müssen.
Nur wenn in den USA vier Passagierflieger zur selben Zeit entführt und einige Tausend Menschen umgebracht werden, liegen die Dinge anders. Denn es trifft Amerikaner und keine Unschuldigen. Der Staub über der Katastrophenstelle hatte sich noch nicht gelegt, da waren deutsche Humanisten und Relativisten zur Stelle und redeten alle denselben Text: Man dürfe keine Rache und keine Vergeltung üben, Gewalt nicht mit Gegengewalt beantworten, um die Spirale der Gewalt nicht weiter zu drehen. Vor allem aber solle man die Terroristen nicht zu weiteren Taten provozieren, denn dann.... Gnade uns Gott!
Udo Steinbach vom Orient-Institut war im "Presseclub" der ARD recht zuversichtlich, dass durch mögliche weitere Terrorakte nur amerikanische und israelische Ziele in der Bundesrepublik bedroht wären, keine deutschen Ziele. Im ZDF rief er gar das Ende der Solidarität mit den USA aus, als ob es einer solchen Erklärung noch bedurft hätte.
Ein Pfarrer in Berlin empfahl als Gegenmaßnahme Durchatmen, denn wir wissen, welche Heilkraft das Atmen haben kann. Gregor Gysi wurde live auf dem Winterfeldtmarkt interviewt und sprach sich dafür aus, die Ursachen von Terrorismus zu behandeln und den Frieden attraktiv zu machen, damit die Menschen ihr Leben lieben.
Die Sängerin Lisa Fitz erzählte in der "NDR-Talkshow", wie schlecht ihr Sohn als Deutscher in den USA behandelt wurde - sicher ein guter Grund, nicht nur das WTC dem Erdboden gleichzumachen, sondern auch noch den Rest von Amerika.
So besonnen, so zurückhaltend und so kompetent in Sachen Terrorismus-Bekämpfung hatte man noch nie so viele Deutsche auf einmal erlebt. Sie alle einte die Überzeugung, dass Hass ein schlechter Ratgeber sei. Es sei denn, das Objekt des gemeinen Gefühls sind die Amerikaner selber. Amerikaner dürfen gehauen werden.
Denn sie sind Imperialisten, mischen sich überall ein, zwingen ihre Lebensweise der ganzen Welt auf. Oder sie sind Isolationisten, die sich daheim verkriechen, ihre Verantwortung als Weltmacht nicht wahrnehmen und dabei die Luft verpesten. Es gibt viele Gründe, die Amerikaner zu hassen, man kann sie sich aussuchen oder wie aus einem Lego-Kasten zusammenstellen. Der Antiamerikanismus hat den Antikommunismus und den Antisemitismus als kollektives Ressentiment ersetzt.
Warum gehört der Hass auf Amerika zum guten Ton?
Aber er funktioniert anders. Antisemiten und Antikommunisten waren immer auf Distanz zu den Objekten ihrer Unlust bedacht. Heute ist die Situation komplizierter. Ein großer Teil der 68er und ihrer Kinder, die alle mit Coca Cola und Nike aufgewachsen sind und Madonna und Britney Spears lieben, regt sich gleichzeitig über den amerikanischen Kulturimperialismus auf.
Das Lieblingsspielzeug der Brandenburger Skins ist der Baseballschläger. Der Kulturkampf zwischen der deutschen Bratwurst und dem amerikanischen Hamburger wurde längst zugunsten des Burgers entschieden. Warum also hassen so viele Deutsche die Amerikaner? Und warum gehört dieser Hass längst zum guten Ton auf allen Partys wie Salsa und Prosecco? Weil sie ihnen so viel verdanken. Erstens haben die Amerikaner die Deutschen vom Nationalsozialismus befreit, zweitens haben sie den Morgenthau-Plan nicht umgesetzt, drittens haben sie den Marshall-Plan durchgeführt, viertens haben sie Care-Pakete geschickt und fünftens haben sie Berlin zur Zeit der Blockade versorgt. Zusammengenommen bedeutet das alles eine gewaltige Demütigung.
Denn die Amis haben keine Kultur, sie sind Barbaren, und dennoch haben sie einem Kulturvolk in der Mitte Europas wieder auf die Beine geholfen. Dass die Amerikaner die Israelis unterstützen, mit denen die Deutschen ebenfalls noch eine historische Rechnung offen haben, macht die Sache nur noch schlimmer. Und so wie der Grüne Ströbele im Golfkrieg den Israelis ein Recht auf Notwehr absprach (selber Schuld!), so verweigern viele Deutsche den Amerikanern das Recht, weitere Anschläge mit militärischen Mitteln zu verhindern, und geben sich mit schwammigen Lippenbekenntnissen gegen jeden Terror, egal vom wem und gegen wen, zufrieden.
Ja, wir haben aus der Geschichte gelernt. Jetzt können wir nur noch hoffen, dass kein Flieger auf den Potsdamer Platz fällt. Denn wir können auch anders.
Warum wir die Amerikaner hassen
Von Henryk M. Broder
So besonnen in Sachen Terrorismus-Bekämpfung hatte man noch nie so viele Deutsche erlebt. Sie alle eint die Überzeugung, dass Hass ein schlechter Ratgeber ist. Es sei denn, das Objekt des gemeinen Gefühls sind die Amerikaner selbst. Amerikaner dürfen gehauen werden.
Bundespräsident Johannes Rau hat sich am vergangenen Wochenende zur Lage in der Welt im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen geäußert. Dabei hat er unter anderem gesagt, zur Vorbeugung gegen den Terrorismus solle mehr für die Entwicklungshilfe getan werden, und die von Terror bedrohte Zivilisation müsse mit zivilen Mittel verteidigt werden.
Rau hat es, wie immer, gut gemeint. Sein Vorschlag, Terrorismus durch Entwicklungshilfe zu bekämpfen, ist freilich nicht ganz neu. Man hat etwas Ähnliches in Brandenburg versucht, mit Kulturzentren für Rechtsradikale, und damit nicht viel Erfolg gehabt. Die Zahl der Sozialarbeiter ist gestiegen, die der Rechtsextremisten auch.
Man muss auch bedenken, dass einige der mutmaßlichen Terroristen aus einer Gegend kommen, in der es an allem mangelt, nur nicht an Geld. Ihr größtes Problem ist dort die Verteilung des Reichtums, nicht die Verwaltung der Armut.
Und was Raus Forderung angeht, die bedrohte Zivilisation mit zivilen Mitteln zu verteidigen, so wollen wir, bevor der Bundespräsident Osama Bin Laden zu einem therapeutischen Gespräch nach Berlin einlädt, ein kleines Gedankenexperiment wagen, von dem wir hoffen, dass der liebe Gott, der letzten Dienstag wieder mal abwesend war, es in der Realität nie zulassen wird.
Angenommen, eine gekaperte Passagiermaschine, sagen wir eine Boeing 737, stürzt auf den Potsdamer Platz. Zwei Hochhäuser werden vollkommen pulverisiert, die Zahl der Toten geht in die Hunderte. Es gibt kein Bekennerschreiben, aber alle Spuren deuten auf eine tschetschenische Terrorgruppe, die sich an der Bundesrepublik für die Unterstützung der Sowjetunion rächen will. Oder auf ein kurdisches Kommando, das vergeblich den Abbruch der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei verlangt hatte. Oder eine Aktion der IRA, die den Krieg gegen England auf das europäische Festland tragen wollte.
Und dann stellen wir uns vor, wie lange es dauern würde, bis die ersten Stellungnahmen vorliegen, in denen gefordert wird, gegen die Urheber des Terrors mit aller Härte vorzugehen. Wie die Bundesrepublik reagieren würde, wenn ihr ausländische Politiker und Kommentatoren raten würden, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und stattdessen nach einer politischen Lösung zu suchen, Verhandlungen inklusive.
Es trifft Amerikaner und keine Unschuldigen
Wer sich noch erinnern kann, wie die Bundesrepublik 1977 auf die Entführung und Ermordung von Hanns-Martin Schleyer reagierte, wird nicht lange nach einer Antwort suchen müssen.
Nur wenn in den USA vier Passagierflieger zur selben Zeit entführt und einige Tausend Menschen umgebracht werden, liegen die Dinge anders. Denn es trifft Amerikaner und keine Unschuldigen. Der Staub über der Katastrophenstelle hatte sich noch nicht gelegt, da waren deutsche Humanisten und Relativisten zur Stelle und redeten alle denselben Text: Man dürfe keine Rache und keine Vergeltung üben, Gewalt nicht mit Gegengewalt beantworten, um die Spirale der Gewalt nicht weiter zu drehen. Vor allem aber solle man die Terroristen nicht zu weiteren Taten provozieren, denn dann.... Gnade uns Gott!
Udo Steinbach vom Orient-Institut war im "Presseclub" der ARD recht zuversichtlich, dass durch mögliche weitere Terrorakte nur amerikanische und israelische Ziele in der Bundesrepublik bedroht wären, keine deutschen Ziele. Im ZDF rief er gar das Ende der Solidarität mit den USA aus, als ob es einer solchen Erklärung noch bedurft hätte.
Ein Pfarrer in Berlin empfahl als Gegenmaßnahme Durchatmen, denn wir wissen, welche Heilkraft das Atmen haben kann. Gregor Gysi wurde live auf dem Winterfeldtmarkt interviewt und sprach sich dafür aus, die Ursachen von Terrorismus zu behandeln und den Frieden attraktiv zu machen, damit die Menschen ihr Leben lieben.
Die Sängerin Lisa Fitz erzählte in der "NDR-Talkshow", wie schlecht ihr Sohn als Deutscher in den USA behandelt wurde - sicher ein guter Grund, nicht nur das WTC dem Erdboden gleichzumachen, sondern auch noch den Rest von Amerika.
So besonnen, so zurückhaltend und so kompetent in Sachen Terrorismus-Bekämpfung hatte man noch nie so viele Deutsche auf einmal erlebt. Sie alle einte die Überzeugung, dass Hass ein schlechter Ratgeber sei. Es sei denn, das Objekt des gemeinen Gefühls sind die Amerikaner selber. Amerikaner dürfen gehauen werden.
Denn sie sind Imperialisten, mischen sich überall ein, zwingen ihre Lebensweise der ganzen Welt auf. Oder sie sind Isolationisten, die sich daheim verkriechen, ihre Verantwortung als Weltmacht nicht wahrnehmen und dabei die Luft verpesten. Es gibt viele Gründe, die Amerikaner zu hassen, man kann sie sich aussuchen oder wie aus einem Lego-Kasten zusammenstellen. Der Antiamerikanismus hat den Antikommunismus und den Antisemitismus als kollektives Ressentiment ersetzt.
Warum gehört der Hass auf Amerika zum guten Ton?
Aber er funktioniert anders. Antisemiten und Antikommunisten waren immer auf Distanz zu den Objekten ihrer Unlust bedacht. Heute ist die Situation komplizierter. Ein großer Teil der 68er und ihrer Kinder, die alle mit Coca Cola und Nike aufgewachsen sind und Madonna und Britney Spears lieben, regt sich gleichzeitig über den amerikanischen Kulturimperialismus auf.
Das Lieblingsspielzeug der Brandenburger Skins ist der Baseballschläger. Der Kulturkampf zwischen der deutschen Bratwurst und dem amerikanischen Hamburger wurde längst zugunsten des Burgers entschieden. Warum also hassen so viele Deutsche die Amerikaner? Und warum gehört dieser Hass längst zum guten Ton auf allen Partys wie Salsa und Prosecco? Weil sie ihnen so viel verdanken. Erstens haben die Amerikaner die Deutschen vom Nationalsozialismus befreit, zweitens haben sie den Morgenthau-Plan nicht umgesetzt, drittens haben sie den Marshall-Plan durchgeführt, viertens haben sie Care-Pakete geschickt und fünftens haben sie Berlin zur Zeit der Blockade versorgt. Zusammengenommen bedeutet das alles eine gewaltige Demütigung.
Denn die Amis haben keine Kultur, sie sind Barbaren, und dennoch haben sie einem Kulturvolk in der Mitte Europas wieder auf die Beine geholfen. Dass die Amerikaner die Israelis unterstützen, mit denen die Deutschen ebenfalls noch eine historische Rechnung offen haben, macht die Sache nur noch schlimmer. Und so wie der Grüne Ströbele im Golfkrieg den Israelis ein Recht auf Notwehr absprach (selber Schuld!), so verweigern viele Deutsche den Amerikanern das Recht, weitere Anschläge mit militärischen Mitteln zu verhindern, und geben sich mit schwammigen Lippenbekenntnissen gegen jeden Terror, egal vom wem und gegen wen, zufrieden.
Ja, wir haben aus der Geschichte gelernt. Jetzt können wir nur noch hoffen, dass kein Flieger auf den Potsdamer Platz fällt. Denn wir können auch anders.