Von Nicola Liebert, New York
Ein Kriminalstück spielt sich bei Lehman Brothers ab. Der Aufsichtsrat hinterfragt die Kontrollmechanismen der betroffenen US-Investmentbank.
Der Star-Broker der Lehman-Niederlassung in Cleveland, Ohio, soll mindestens 25 seiner zumeist wohlhabenden Klienten um bis zu 100 Mio. $ gebracht haben, möglicherweise sogar 300 Mio. $. Seit drei Wochen ist der 45-jährige Frank Gruttadauria verschwunden. Das FBI erließ einen Haftbefehl, Börsenaufsicht und Finanzamt ermitteln. Doch von dem Verdächtigen fehlt jede Spur.
Wie genau Gruttadauria seine Betrügereien durchführte, ist nicht ganz klar. Die Behörden kommentieren keine laufenden Verfahren. Fest steht, dass der Broker den betroffenen Klienten gefälschte Depotaufstellungen schickte, die den wahren Wert der Anlagen bei weitem übertrafen. Vermutlich hat er einen Teil der angelegten Gelder auf sein eigenes Konto überwiesen. Eine ältere Dame erhielt von Gruttadauria Kontoauszüge, die ein Vermögen von 2,5 Mio. $ auswiesen. In Wirklichkeit besitzt sie aber nur 83.000 $.
Dass die Depots von Gruttadaurias Kunden selbst während der Baisse der letzten zwei Jahre scheinbar beeindruckende Kapitalerträge aufwiesen, wunderte niemanden. Er galt einfach als geschickter Vermögensverwalter. Inzwischen hat mindestens ein Ex-Kunde Klage eingereicht.
Eine Frage der Kontrolle
Gruttadauria war erst seit gut einem Jahr bei Lehman Brothers angestellt. Damals kaufte die New Yorker Investmentbank von SG Cowen das Clevelander Geschäft auf, das Gruttadauria zuvor leitete. Vermutlich hat der Broker schon zu seiner Zeit bei SG Cowen Kunden betrogen. Viele von Gruttadaurias Kunden folgten ihm zu Lehman Brothers. Doch mit dem Wechsel begannen die Schwierigkeiten des Betrügers. Denn anders als SG Cowen bietet Lehman Brothers Online-Banking an. Als sich immer mehr Kunden nach einem Online-Zugang zu ihrem Depot erkundigten, wurde Gruttadauria der Boden zu heiß und verschwand.
Gruttadauria gibt seinem Arbeitgeber die Schuld. "Ich kann kaum glauben, dass ich das so lange machen konnte, ohne entdeckt zu werden", schrieb er in einem Brief an die Behörden. Die Clevelander Zeitung "The Plain Dealer", die in Besitz einer Kopie des Briefes kam, zitiert weiter: "Die Gier der verschiedenen Firmen und die mangelnde Aufmerksamkeit der Vorgesetzten haben dazu wesentlich beigetragen."
Gruttadauria brachte der Bank Kunden mit viel Geld. Dafür ließ ihn die Bank offenbar ohne nähere Überwachung gewähren. Dem Brief zufolge will Gruttadauria nicht im eigenen Interesse gehandelt haben, sondern in dem von Kunden: "Es fing als der Versuch an, verlorenes Geld von Kunden wieder zu ersetzen."
Lehman Brothers hat selbst Ermittler nach Cleveland entsandt und kooperiert mit den Behörden. Ob und inwieweit die Bank den Opfern Schadensersatz zahlt, wollte ein Sprecher jedoch nicht kommentieren.
Quelle: www.ftd.de/bm/bo/FTDU75P9BXC.html?nv=hpm
© 2002 Financial Times Deutschland
Ein Kriminalstück spielt sich bei Lehman Brothers ab. Der Aufsichtsrat hinterfragt die Kontrollmechanismen der betroffenen US-Investmentbank.
Der Star-Broker der Lehman-Niederlassung in Cleveland, Ohio, soll mindestens 25 seiner zumeist wohlhabenden Klienten um bis zu 100 Mio. $ gebracht haben, möglicherweise sogar 300 Mio. $. Seit drei Wochen ist der 45-jährige Frank Gruttadauria verschwunden. Das FBI erließ einen Haftbefehl, Börsenaufsicht und Finanzamt ermitteln. Doch von dem Verdächtigen fehlt jede Spur.
Wie genau Gruttadauria seine Betrügereien durchführte, ist nicht ganz klar. Die Behörden kommentieren keine laufenden Verfahren. Fest steht, dass der Broker den betroffenen Klienten gefälschte Depotaufstellungen schickte, die den wahren Wert der Anlagen bei weitem übertrafen. Vermutlich hat er einen Teil der angelegten Gelder auf sein eigenes Konto überwiesen. Eine ältere Dame erhielt von Gruttadauria Kontoauszüge, die ein Vermögen von 2,5 Mio. $ auswiesen. In Wirklichkeit besitzt sie aber nur 83.000 $.
Dass die Depots von Gruttadaurias Kunden selbst während der Baisse der letzten zwei Jahre scheinbar beeindruckende Kapitalerträge aufwiesen, wunderte niemanden. Er galt einfach als geschickter Vermögensverwalter. Inzwischen hat mindestens ein Ex-Kunde Klage eingereicht.
Eine Frage der Kontrolle
Gruttadauria war erst seit gut einem Jahr bei Lehman Brothers angestellt. Damals kaufte die New Yorker Investmentbank von SG Cowen das Clevelander Geschäft auf, das Gruttadauria zuvor leitete. Vermutlich hat der Broker schon zu seiner Zeit bei SG Cowen Kunden betrogen. Viele von Gruttadaurias Kunden folgten ihm zu Lehman Brothers. Doch mit dem Wechsel begannen die Schwierigkeiten des Betrügers. Denn anders als SG Cowen bietet Lehman Brothers Online-Banking an. Als sich immer mehr Kunden nach einem Online-Zugang zu ihrem Depot erkundigten, wurde Gruttadauria der Boden zu heiß und verschwand.
Gruttadauria gibt seinem Arbeitgeber die Schuld. "Ich kann kaum glauben, dass ich das so lange machen konnte, ohne entdeckt zu werden", schrieb er in einem Brief an die Behörden. Die Clevelander Zeitung "The Plain Dealer", die in Besitz einer Kopie des Briefes kam, zitiert weiter: "Die Gier der verschiedenen Firmen und die mangelnde Aufmerksamkeit der Vorgesetzten haben dazu wesentlich beigetragen."
Gruttadauria brachte der Bank Kunden mit viel Geld. Dafür ließ ihn die Bank offenbar ohne nähere Überwachung gewähren. Dem Brief zufolge will Gruttadauria nicht im eigenen Interesse gehandelt haben, sondern in dem von Kunden: "Es fing als der Versuch an, verlorenes Geld von Kunden wieder zu ersetzen."
Lehman Brothers hat selbst Ermittler nach Cleveland entsandt und kooperiert mit den Behörden. Ob und inwieweit die Bank den Opfern Schadensersatz zahlt, wollte ein Sprecher jedoch nicht kommentieren.
Quelle: www.ftd.de/bm/bo/FTDU75P9BXC.html?nv=hpm
© 2002 Financial Times Deutschland