23.6.06
Die momentane Korrektur an den Aktienmärkten werde kurz und heftig ausfallen, sagt Wallstreet-Staranalyst Ralph Acampora. Danach gebe es allerdings Einstiegsgelegenheiten.
CASH: Herr Acampora, Sie sagen gleichzeitig eine Korrektur und einen Boom vorher. Worauf führen Sie die hohe Volatilität der Märkte zurück?
RALPH ACAMPORA: Wir befinden uns seit 44 Monaten in einer Hausse, von der vor allem der S& P 500, also Small Caps, profitiert haben, aber auch internationale Märkte. Der Bullenmarkt orientiert sich allerdings derzeit um. Daher prognostiziere ich eine starke Korrektur, die den Dow-Jones-Index von 10850 Punkten zu Jahresbeginn um rund 20 bis 25 Prozent nach unten drücken kann.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Jede Hausse unterliegt einem Zyklus, der interessanterweise in den USA an die Präsidentschaftswahlen gebunden ist. Diesen Herbst halten wir Kongresswahlen ab, die den politischen Wind ändern werden. Der Markt antizipiert diese Veränderung als Unsicherheit.
Aber das ist doch nicht immer so.
Doch. Ich verfolge dieses Phänomen seit 40 Jahren, und bisher gab es im zweiten Amtsjahr eines Präsidenten immer eine Korrektur und damit auch für Anleger eine Gelegenheit zum Wiedereinstieg. 2002 gab es eine Korrektur wie auch vier Jahre später. Acht Jahre zuvor rutschte der Markt ab, als Präsident George Bush senior in Kuwait einmarschierte.
Worauf führen Sie diese Zyklen zurück?
Im ersten Amtsjahr hat der amerikanische Präsident quasi den Status einer Braut in den Flitterwochen. Was immer der neu gewählte Präsident anfasst, kann er verwirklichen, selbst wenn es extrem unpopulär ist. Die freundliche Atmosphäre verfliegt im zweiten Amtsjahr allerdings. Die Popularität des Präsidenten sinkt und damit auch sein Einfluss. Die Märkte werden davon mitgerissen.
Was wird der Auslöser für den Ausverkauf in diesem Zyklus sein?
Der Ausverkauf hat bereits begonnen. Anleger haben sich in den vergangenen Tagen dafür entschieden, ihr Anlagerisiko zu minimieren. Aber ich sehe eine noch grössere Korrektur kommen, die möglicherweise durch ein geopolitisches Ereignis oder weiter anziehende Zinsraten verstärkt werden könnte. Oft ist der Auslöser für einen drastischen Abrutsch aber unvorhersehbar. 1998 wurde der Anstoss durch den Kollaps des russischen Obligationenmarktes und das Debakel um den Hedge Fund Long-Term-Capital Management gegeben.
Viele Ökonomen teilen Ihre pessimistische Vorhersage keineswegs und weisen auf das gesunde Wachstum wie die Zinsraten hin, die trotz ihrem Anstieg nach wie vor bei einem 40-Jahre-Tief liegen.
Langfristig teile ich zwar deren Meinung, aber ich sehe den nächsten Monaten düster entgegen. Denn es wäre naiv, davon auszugehen, dass die stetig steigenden Preise für Rohmaterialien und die Zinspolitik die Investoren nicht noch mehr verunsichern und ins defensive Lager drängen würden.
Was empfehlen Sie Anlegern zurzeit?
Small-Cap-Aktien wie zyklische Aktien, die stark zugelegt haben, abzustossen und für einen Neueinstieg an der Talsohle des Marktes bereit zu sein. Auf diese Korrektur wird nach dem klassischen Muster ein Boom folgen.
Sagen Sie also eine erneute Hausse voraus, obwohl Sie kurzfristig negativ gestimmt sind?
Ja. Vor allem Blue Chips werden von der Marktumorientierung vielleicht bereits Ende dieses Jahres profitieren. Aktien werden wegen ihrer Bewertung dann wieder sehr attraktiv sein. Ich prognostiziere nach der Korrektur eine Aktienhausse von rund 24 Monaten.
Welche Werte aus dem Blue-Chip- Bereich bevorzugen Sie?
Ich denke an Aktien wie Coca-Cola, Johnson&Johnson, Siemens, aber auch an Vertreter aus dem Pharmabereich. Insbesondere sehe ich gute Chancen für Werte wie Bristol-Meyers oder den israelischen Vertreter Elan Corporation. Zusätzlich werden auch Bankenwerte und Versicherer von der erwarteten Korrektur profitieren.
Welche Werte würden Sie im Gegensatz dazu zum jetzigen Zeitpunkt abstossen?
Alles, was mit Wohnimmobilien-Entwicklung zu tun hat, wie beispielsweise Pulte Homes, aber vor allem auch kleinkapitalisierte Titel und Technologieaktien.
Aber gerade eine Aktie wie Pulte ist seit Anfang des Jahres bereits um 38 Prozent gefallen. Sind die schlechten Nachrichten nicht schon im derzeitigen Kaufpreis eskomptiert?
Wenn es eine Korrektur gibt, werden Bauunternehmen zusätzlich für ihre unprofitablen Joint Ventures bestraft, die nicht immer in der Bilanz aufgeführt werden.
Worauf stützen Sie Ihre Analyse?
Ich bin ein technischer Analytiker, der seine Vorhersage auf Marktstatistiken, gehandelte Aktienvolumen, den Kapitalfluss, auf historische Daten, aber auch auf die Psychologie von Anlegern stützt.
Wie messen Sie die Psychologie von Anlegern?
Ein Instrument dazu ist unter anderen der so genannte VIX, der Volatilitätsindex der Chicago Board of Options Exchange. Er misst die von Anlegern erwarteten Kursschwankungen.
Was halten Sie von Ben Bernanke?
Er ist fabelhaft und intelligent, aber er hat als US-Notenbankchef den schwierigsten Job der Welt. Bernanke hat nur noch nicht gelernt, wie sein Vorgänger in Sätzen zu sprechen, die für die Öffentlichkeit schwer interpretierbar sind. Das kommt aber mit der Job-Erfahrung.
Was meinen Sie damit?
Bisher ist Ben Bernanke zu transparent. Das fördert die Spekulation.
Ralph Acampora, 64, analysiert als technischer Analyst das Auf und Ab der Börsen seit rund 35 Jahren. Er machte sich schon Mitte der Neunzigerjahre einen Namen mit der überraschenden Aussage, dass der Dow-Jones-Index in absehbarer Zeit über die Marke von 10 000 Punkten klettern würde. Er gilt als äusserst erfahrener technischer Analyst an der Wallstreet. Acampora wurde vor sechs Monaten von der Knight Capital Group angeheuert, um eine der modernsten Research-Abteilungen am Finanzplatz New York aufzubauen. Knight ist ein Top-Market-Maker für die Technologiebörse Nasdaq. Zuvor wirkte Acampora während 15 Jahren als Direktor der technischen Analyse beim Brokerhaus Prudential Securities. Als Gründer der International Federation of Technical Analysts ist er besonders stolz, dass der Titel Chartered Market Technician (CMT) seit kurzem von der US-Börsenaufsicht anerkannt wird und ebenbürtig mit dem Chartered Financial Analyst (CFA) ist
(Ist zwar ein Artikel vom Juni, aber immer noch aktuell finde ich...)