Thema: Die größten Versager der New Economy

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Thema: Die größten Versager der New Economy

 
16.07.01 14:47
Exklusiv für WELT am SONNTAG hat die Unternehmensberatung Accenture die dot.com-Szene analysiert. Wer die Webvans und Kapitalvernichter in Deutschland sind  
Illustration: WamS
Von Christian Dose

Einen neuen, traurigen Rekord hat die New Economy diese Woche geschrieben: Rund 2,5 Milliarden Mark Investment-Kapital hat der amerikanische Online-Supermarkt Webvan seit seiner Gründung vor drei Jahren verpulvert. Aus, vorbei.
Der Versuch, einen traditionellen Markt mit niedrigen Margen aufzubrechen und mit dem Internet zu revolutionieren, ist gescheitert. Switch-off eines Start-up.

Die Webvans Deutschlands heißen Gigabell, Kabel New Media oder Metabox. Traumhafte Karrieren wurden über Nacht zum Albtraum. Nach dem zigfachen Desaster bleibt die Frage nach dem Warum? WELT am SONNTAG betreibt Ursachenforschung. Die weltweit tätige Unternehmensberatung Accenture analysierte die Gründe und erstellte aus den Fehlern eine Matrix. Ergebnis der umfangreichen Exklusiv-Studie: unrealistische Ziele, Wachstum um jeden Preis und Managementfehler.

Mit Folgen: Mehr als 340 Milliarden Mark wurden seit dem Höchststand im März 2000 am Neuen Markt vernichtet. Relativ am stärksten verloren hat der Computer-Dienstleister Micrologica, dessen Aktie gemessen vom Spitzenwert - 133 Euro am 2. März 1999 - 99,8 Prozent einbüßte.

Ähnlich schlecht abgeschnitten haben Unternehmen wie Kabel New Media, EM.TV, Intershop oder Pixelpark (siehe Tabelle), Verluste von 90 Prozent und mehr sind schon fast die Regel. Damit sind "wir jetzt die Prügelknaben der Nation", konstatierte Pixelpark-Chef Paulus Neef vor kurzem.

Aber er ist nicht allein. Lediglich 49 von 336 Unternehmen am Neuen Markt haben über drei Jahre hinweg eine angemessene Rendite von mindestens zehn Prozent jährlich für die Anleger erwirtschaftet. Von den einstigen Hoffnungs-Branchen Telekommunikation, Internet, IT-Services, Software und Medien sind gar nur acht Firmen dabei, ergab die Auswertung von Accenture.

Diese Branchen zählen auch zu den stärksten Verlierern der Verlust-Veranstaltung Neuer Markt: Stürzte der Gesamt-Index Nemax All Share nur um 83,2 Prozent vom Höchststand ab, verloren Telekom-Werte durchschnittlich 92,5 Prozent und die dot.coms gar 93 Prozent.

"Unrealistische Ziele und Umsetzungsfehler sind für diese Situation hauptverantwortlich", sagt Hanno Schmidt-Gothan, Partner bei Accenture und zusammen mit Hauke Lübben verantwortlicher Autor der Studie. "Viele Unternehmen haben die Herausforderungen an ein tragfähiges Geschäftsmodell unterschätzt: Sie haben ihre Hausaufgaben häufig nicht gemacht." Ideen und Kapital zur Gründung hingegen waren zur Genüge vorhanden.

Aus dieser "Unerfahrenheit" heraus haben viele Vorstände am Neuen Markt wichtige Grundsätze missachtet und dafür teuer bezahlt - mit dem Geld der Investoren. "Die Firmen haben sich in den Strudel von überzogenen Wachstumserwartungen des Kapitalmarktes hereinziehen lassen, oft auch durch wenig zielgerichtete Übernahmen: Dabei haben die Vorstände die Profitabilität aus den Augen verloren", meint der Unternehmensberater. Der Break-even, also der Schritt in die Gewinnzone, wurde immer wieder hinausgezögert. Diese grundlegenden Fehler ergab die Auswertung der Geschäftsstrategien von einigen der größten Verlierer (Micrologica, EM.TV, Brokat, Metabox und Kabel New Media) nach dem Modell des "House of Value Creation" (HVC).

Mit diesem Diagnose-Tool analysiert Accenture die Wertschöpfungsstrategie von Unternehmen. Dabei prüfen die Berater vor allem, ob die Unternehmensvision und die Ambitionen des Managements auf die nachhaltige Steigerung des Shareholder-Value ausgelegt sind (Dach des Hauses). Um dies zu erreichen, müssen die Unternehmen die beiden Hebel Wachstum und Profitabilität ausbalancieren (Pfeiler des Hauses). Dabei geht es etwa um die angemessene Expansion ins Ausland und die Kontrolle der Kosten. Das Fundament bilden die Bereiche Geschäftsarchitektur, Human Capital, Steuerung/Controlling, Unternehmensstruktur und Investorenkommunikation.

In den meisten Feldern haben die Verlierer der New Economy gepatzt:

Brokat, ein Anbieter von Sicherheitssoftware für die Finanzbranche, hat sich zu früh aus dem Kerngeschäft in andere Märkte mit starken Konkurrenten wie IBM gewagt. Zudem hat das Unternehmen Firmen wie die US-Anbieter Blase und Gemstone gekauft, diese Akquisitionen müssen erst noch integriert werden. Pro Monat verliert Brokat mehrere Millionen Euro.

Das Medienunternehmen EM.TV konzentrierte sich nach dem Einstieg in die Formel 1 und durch andere Kooperationen zuwenig auf das Kerngeschäft, den Rechtehandel. Ein schlagkräftiges Controlling, das die Krise hätte vorhersehen können, wurde erst in diesem Jahr aufgebaut. Zudem belasten das Münchener Unternehmen Schadensersatzforderungen von Kleinaktionären in Millionenhöhe. Thomas Haffa ist vom Aushängeschild des Neuen Marktes zum Schwarzen Schaf geworden.

Kabel New Media kaufte in weniger als einem Jahr elf Firmen, die wenig ins Kerngeschäft eingebunden wurden. Nach den flotten Sprüchen von Gründer Peter Kabel ist das Vertrauen der Anleger zerstört.

Metabox, das Systeme zur Internet-Nutzung über den Fernseher anbietet, hat mittlerweile die Insolvenz beantragt. Fehler in der Bilanz 1999 sowie Testatverweigerung ein Jahr später haben den Ruf ruiniert. Zudem fehlten offenbar detaillierte Marktanalysten, Geschäftsvisionen waren übertrieben.

Der Anbieter von internet-basieren Call-Centern, Micrologica, hat sein Kerngeschäft im Mai an den weitaus größeren Telekom-Dienstleister Tenovis verkauft. Das Unternehmen ist trotz eines sehr guten Produktes in einem attraktiven Markt gescheitert.

Doch nicht nur Strategie- und Umsetzungsfehler sind für das Desaster verantwortlich, sondern unangemessene Ambitionen meint Berater Schmidt-Gothan: "Zahlreiche Unternehmensführer haben sich vielfach wie Investoren verhalten. Durch einen zügigen und lukrativen Börsengang sollten alle gewinnen." Und an diesem System hätten Analysten und Anleger kräftig mitgewirkt - bis die Blase jetzt geplatzt ist.

Der Börsenboom ist zudem für zwei weitere Fehler, die viele der New-Ecomomy-Unternehmen gemacht haben, verantwortlich: Um den meist übertriebenen Aktien-Kurs zu rechtfertigen oder gar weiter zu steigern, haben die Unternehmen die Erwartungen an Umsatz und Ergebnis gesteigert - zum Teil, bis sie nicht mehr erreichbar waren. Zwar hat der Trend zur Aktienoption, als Bonus und Ersatz für niedrige Gehälter, viele teilweise hoch qualifizierte Mitarbeiter in die Unternehmen gelockt. "Das volle Potential wurde im Rahmen der Geschäftsmodelle selten ausgeschöpft: Eine hohe Motivation allein reicht nicht", so Accenture-Berater Schmidt-Gothan. Damit ist klar: Neben Ideen und Kapital muss zur Wertsteigerung systematisch gemanagt und geführt werden.
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