Systemische Finanzkrise bietet auch eine Chance

Beiträge: 3
Zugriffe: 360 / Heute: 2
zockerBRAIN:

Systemische Finanzkrise bietet auch eine Chance

 
06.08.01 09:43
(von Helga Zepp-LaRouche, Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität)

Wir erleben heute eine deutlich verschlechterte Lage der Realwirtschaft, horrende Einbrüche beim sog. Neuen Markt, systemische Gefahren, die von der Zahlungsunfähigkeit von Ländern wie Argentinien oder der Türkei ausgehen - und es wird im dritten und vierten Quartal dieses Jahres um Größenordnungen dramatischere Turbulenzen geben. Es ist eine Existenzfrage für Deutschland und ganz Europa, wie wir die Wirtschaft vor einem vollständigen Zusammenbruch bewahren können. Die Welt ist heute an dem Punkt angelangt, vor dem Lyndon LaRouche seit langem gewarnt hat: Das Weltfinanzsystem ist am Rande der vollständigen Desintegration. Nur mit einem großangelegten Wiederaufbau des Ostens und dem Ausbau der Eurasischen Landbrücke kann ein Absturz in das Chaos verhindert werden.

Im Augenblick halten es die meisten Wirtschaftsexperten und Politiker noch für ein unumstößliches Axiom, daß es zur Globalisierung und zur freien Marktwirtschaft keine Alternative gäbe. Ich wage hier die Prognose, daß dieses Axiom in kurzer Zeit von den Ereignissen hinweggefegt werden wird, und mit ihm alle Politiker und Regierungen, die daran festzuhalten versuchen. Das ganze existierende Finanzsystem auf der Basis flexibler Wechselkurse und alle Abkommen, die auf dieser Grundlage getroffen worden sind, werden in Frage gestellt sein. Eine Kombination von Finanz- und Währungskrisen, Hyperinflation sowie Depression der Realwirtschaft wird bald deutlich machen, daß die Existenz unserer Gesellschaft gefährdet ist, und dann wird nur eine Rückbesinnung auf die wahren "Grundtatsachen" eine Lösung ermöglichen.

Eine solche Grundtatsache ist es, daß Deutschland nach wie vor von wachsenden Exportmärkten abhängig ist und stets reicher werdende Kunden braucht, die unsere technologisch hochwertigen Produkte kaufen können. Unter dem Diktat der IWF-Bedingungen und der Globalisierung sind viele unserer traditionellen Exportmärkte verschwunden. Es gibt für Deutschland heute nur eine einzige Perspektive - die aber ist eine hervorragende: nämlich zusammen mit den anderen kontinentaleuropäischen Staaten die infrastrukturelle und wirtschaftliche Integration Eurasiens zu verwirklichen. Das bedeutet, daß sich die Politik Westeuropas grundlegend ändern muß - in vielen Teilen der Welt ist dieser Wandel bereits im vollen Gange.

Fortschritt der eurasischen Perspektive
Der Ausbau der Eurasischen Landbrücke ist nämlich längst nicht mehr nur eine Idee, sondern wird schon viel weitgehender realisiert, als dies von den westlichen Medien berichtet wird. Eine Schlüsselrolle spielt dabei z.B. die Shanghai Cooperation Organization (SCO), deren Mitglieder China, Rußland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan auf ihrem Gipfel am 15. Juni 2001 u.a. umfangreiche wirtschaftliche Kooperationen beschlossen. Ziel der SCO ist eine "neue politische und ökonomische Weltordnung auf der Basis von Demokratie, Gerechtigkeit und Vernunft". Kasachstans Präsident Naserbajew schlug in diesem Zusammenhang vor, die SCO solle die "Seidenstraße" wieder aufbauen. Dem Gipfel wurde auch ein Memorandum über den Bau der Eisenbahn von Shanghai nach Paris vorgelegt. Sie von Kashi in der chinesischen Provinz Xinjiang über Torugat und Djalalabad nach Bishek führen, wobei sehr hohe Gebirge durchquert werden müssen, und vom Ferganatal aus weiter nach Europa.
Hinzu kommt die Gründung der Eurasischen Transportunion und was daraus noch alles werden kann. Am 16. Mai 2001 gab der russische Verkehrsminister Sergej Frank den offiziellen Beginn dieser Transportunion bekannt, die schon im September letzten Jahres in St. Petersburg zwischen Rußland, Indien und Iran beschlossen worden war und der alle Staaten (außer bisher Pakistan) entlang des sog. Nord-Süd-Korridors - u.a. die Ukraine, Kasachstan, Armenien und Aserbaidschan - beizutreten beabsichtigen. Am 27. Juni gab Sergej Frank im Rahmen des Achtjahresplans für Verkehr und Infrastruktur die Absicht der russischen Regierung bekannt, den Ost-West-Korridor, der schon intakt und an das schwedische Netz angeschlossen ist, auszubauen, ebenso wie den Nord-Süd-Korridor, bei dem noch größere Strecken etwa in Thailand und Malaysia fehlen.

In diese Projekte sollen innerhalb von acht Jahren mindestens 137 Mrd. Dollar investiert werden. (Für alle Projekte dieser Art wird sich in naher Zukunft mit Sicherheit eine völlig andere Berechnungsgrundlage ergeben.) Man beschloß dazu die Einrichtung einer nationalen Koordinationsbehörde in Nowgorod - der Hauptstadt des Bundesbezirks Wolga, durch den beide Korridore verlaufen - , die über ein eigenes Budget verfügt und dem Verkehrsministerium angegliedert ist.

Bezüglich des Ost-West-Korridors ist eine Weiterentwicklung der Transsibirischen Eisenbahn als Verbindung des Fernen Ostens mit Westeuropa im Gespräch. Dies schließt die berühmte Baikal-Amur-Magistrale ein, deren letzter großer Tunnel vor wenigen Monaten fertiggestellt wurde, so daß jetzt Güter uneingeschränkt innerhalb von zwei Wochen von Westeuropa nach Fernost und umgekehrt transportiert werden können. Der Ausbau der Eisenbahnverbindung zwischen Süd- und Nordkorea, ein Projekt, dem Präsident Putin bei seinem Besuch in Pjöngjang große Bedeutung beimaß, muß im Rahmen des Ausbaus dieses nördlichen Korridors gesehen werden. Als der iranische Präsident Chatami kürzlich in Moskau war, wurde weiterhin die Eröffnung eines sehr wichtigen Kommunikations- und Entwicklungskanals zwischen Süden und Norden, vom Iran über das Kaspische Meer und die Wolga in den nördlichen Teil Rußlands und zur Nordsee vereinbart.

In diesem Zusammenhang ist eine Entwicklung höchst bedeutsam, über der offizielle indische Nachrichtendienst Press Trust of India (PTI) am 16. Juli aus Beijing berichtete, die sich als "die wichtigste politische Entwicklung der Periode nach dem Kalten Krieg" herausstellen könnte: daß nämlich China seine anfängliche Zurückhaltung aufgegeben habe und nun bereit sei, zusammen mit Indien und Rußland ein "strategisches Dreieck" zu bilden. Der PTI zitierte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Zhang Qiyue, China, Rußland und Indien hätten bezüglich vieler internationaler Themen "ähnliche oder fast identische" Ansichten und Besorgnisse.

LaRouches Vorschläge
Zugegeben, die arrogante Konfrontationspolitik der Administration von George W. Bush hat eine Menge dazu beigetragen, einige der Nationen Eurasiens von ihren bisherigen Illusionen zu befreien. Aber die neue eurasische Kooperation, wie sie in der SCO oder dem strategischen Dreieck zwischen China, Rußland und Indien zum Ausdruck kommt, ist nicht durch Negation zustandegekommen. Auch wenn dies dem von den Medien mit tieferen Wahrheiten nicht eben verwöhnten Bundesbürger überraschend vorkommen mag: Lyndon LaRouche, das internationale Schiller-Institut und ich selbst hatten den wahrscheinlich wichtigsten konzeptionellen Beitrag am Zustandekommen der nun realen Perspektive der Eurasischen Landbrücke.
Fakt ist, daß LaRouche der einzige Wirtschaftswissenschaftler und Politiker war, der bereits 1983 den Kollaps der Sowjetunion prognostizierte, falls diese an der Ogarkow-Doktrin festhielte.

Fakt ist: Am 12. Oktober 1988, als kein einziger Politiker in Deutschland dies auch nur annähend für möglich hielt, hat LaRouche angesichts der bevorstehenden Desintegration der Sowjetunion die baldige Wiedervereinigung Deutschlands mit der Hauptstadt Berlin vorhergesagt und die wirtschaftliche Entwicklung Polens mit Hilfe westlicher Technologie als Modell für den gesamten Comecon (RGW) vorgeschlagen.

Nach dem Fall der Mauer schlug LaRouche das Programm des "Produktiven Dreiecks Paris-Berlin-Wien" vor, das die wirtschaftliche Integration West- und Osteuropas durch Infrastrukturkorridore vorsah. Auch wenn dieses Aufbauprogramm für den Osten damals nicht verwirklicht wurde und man statt dessen mit dem "polnischen Modell" und der Privatisierung eine Politik wirtschaftlichen Kahlschlags durchsetzte, so begann die Idee der "Entwicklungskorridore" doch zu zirkulieren.

Nach der Desintegration der Sowjetunion schlug LaRouche vor, das "Produktive Dreieck" mit ganz Eurasien zu verbinden und die "Eurasische Landbrücke" durch eine Vielzahl von Korridoren zu vernetzen, um vor allem den zu erwartenden Anstieg von Produktion und Handel in den Bevölkerungszentren Ost-, Südost- und Südasiens mit den Industriezentren Europas zu verbinden. Insbesondere Rußland und die anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion mußten allerdings erst einmal das Gegenteil erleiden, nämlich die weitgehende Degradierung zu bloßen Rohstofflieferanten, die aus geopolitischen Motiven von anglo-amerikanischer Seite betrieben wurde.

Heute, fast zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer und rund zehn Jahre nach dem Kollaps der Sowjetunion, befindet sich die Idee der Eurasischen Landbrücke schon mitten im Prozeß der Verwirklichung. LaRouche und das Schiller-Institut haben dazu entscheidende wirtschaftstheoretische, philosophische und kulturelle Konzepte beigetragen und durch viele Konferenzen und Seminare den Werdeprozeß der Landbrücke immer wieder vorangebracht. Heute sind die Shanghaier Organisation für Kooperation (SCO), die Eurasische Transportunion und die Konsolidierung des Strategischen Dreiecks Rußland-China-Indien Elemente des Rahmens, in dem die Eurasische Landbrücke gedeihen kann.

Die moralische Dimension
Wenn Deutschland sich auf seine traditionelle Rolle als Exporteur vor allem von Hochtechnologie besinnt, dann bilden die gigantischen Weiten des eurasischen Raumes einen schier unerschöpflichen Markt für deutsche Erzeugnisse. Die mögliche Rettung des Transrapid als potentieller "Exportschlager" auf dem Umweg über China sollte unserer Vorstellungskraft Flügel verleihen. Für die Eurasische Landbrücke werden bald Transrapidstrecken von Hunderttausenden von Kilometern notwendig sein. Die Wirtschaftsbelebung auf allen Seiten wird die Fortschritte unter dem Marshall-Plan weit in den Schatten stellen. Hier liegt die Zukunft Deutschlands.
Aber neben der wirtschaftlichen gibt es noch eine moralische und kulturelle Dimension. Wenn man sich erst einmal von der Fiktion der "Shareholder-Value-Gesellschaft", der persönlichen Profitmaximierung um jeden Preis befreit hat - und das werden die "Märkte" in kurzer Zeit selbst besorgen - , dann sieht man plötzlich, wie selbstverständlich und leicht alle Not und drückende Armut auf der Welt beseitigt werden könnte. Wir haben alle dazu notwendigen Technologien. Zahlreiche historische Präzedenzfälle demonstrieren, wie der Lebensstandard der Bevölkerung durch langfristige Investitionen in das Gemeinwohl betreffende Bereiche umfassend gehoben werden kann. Diese Erfahrung sollten wir in Eurasien anwenden.

Wenn in den kommenden Erschütterungen des systemischen Zusammenbruchs die mit der Globalisierung assoziierten Axiome ihrer Grundlage beraubt werden, wird dies zugleich eine Chance der Menschheit für eine völlige Neugestaltung bedeuten. Aber so wie ein Sprung über den Abgrund mißlingt, wenn er zu kurz angesetzt ist, so müssen auch die alten Annahmen vollständig durch neue ersetzt werden. Wenn die Nationen die Krise überwinden wollen, dann wird ihnen nur übrigbleiben, zu völlig neuen Gewohnheiten und Gesetzen des Lebens überzugehen. Sie müssen die Produktion realer Güter drastisch erhöhen und sie den Bedürfnissen der Milliarden lebender Menschen anpassen - also genau das Gegenteil der Globalisierung, die nur der "goldenen Milliarde" (bisher) ein menschenwürdiges Leben ermöglichte, und auch das Gegenteil der "nachindustriellen Gesellschaft", die versucht, die Bevölkerungszahl auf die reduzierten Möglichkeiten dieser destruktiven Utopie zu senken.

Die Anpassung der physischen Produktion an die Bedürfnisse der real lebenden Menschen ist aber nur möglich, wenn die Arbeitseffizienz durch die Anwendung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts drastisch erhöht wird. Gerade wenn man bedenkt, wie in den rund 30 Jahren neoliberalen Paradigmenwandels im Westen das Ziel dieses Fortschritts zugunsten der Spekulation aufgegeben wurde, wird deutlich, welch enormes Potential das große Reservoir an Wissenschaftlern aus Rußland und den GUS-Staaten darstellt.

Das Ende der Spaßgesellschaft
Das Zeitalter der Eurasischen Landbrücke erfordert auch, mit Rußland, China, Indien und den anderen Staaten eine neue Form der geistigen Gemeinschaft zu finden, weil selbst eine auf gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteil gegründete Zweckgemeinschaft nicht genügt. Die Nationen Eurasiens müssen sich auf das Universelle in ihrer jeweiligen Kultur besinnen und es wiederbeleben, weil man nur so die Grundlage für das Empfinden einer höheren Ordnung finden kann, die alle Teile der Menschheit verbindet. Es muß also eine seelische Kulturqualität dazu kommen, eine leidenschaftliche Liebe zur Idee der Völkergemeinschaft.
Wir brauchen also eine neue Idee vom Menschengeschlecht, Menschen, die nicht vom blanken Egoismus und Erwerbsgier getrieben sind, sondern von innen her bestimmt sind. Nun höre ich schon den Aufschrei vieler Bundesbürger: "Aber die Menschen werden sich niemals ändern, die Menschen werden egoistisch bleiben, die wollen doch nur Spaß haben!" Das ist genau der Punkt: Die materiellen Grundlagen der Spaßgesellschaft werden in kurzer Zeit hinweggefegt werden, und dann steht die moralische Substanz der Gesellschaft auf dem Prüfstand. Wenn die Menschen nicht ihren Egoismus aufgeben und sich dem Gemeinwohl zuwenden können, dann wird nur das Chaos übrigbleiben, und ein noch weit schlimmerer Absturz als in den 30er Jahren wird die Folge sein.

Nicht nur die Globalisierung ist gescheitert, gerade auch die "Spaßgesellschaft" hat versagt. Wer hat nicht in seinem Bekanntenkreis ein alterndes Ehepaar der 68er-Generation, deren Sohn oder Tochter im Teenageralter (Kinder hat man schließlich erst kurz vor der biologischen Barriere bekommen) von der Drogenszene bedroht sind, dem hirnlosen Druck ihrer Altersgenossen nachgeben, jeden Designertrend mitzumachen oder im Milieu abstruser Randgruppen versackt sind? Wenn diese Eltern noch einen Funken von Realitätsbezug haben, dann sind sie meist verzweifelt, weil sie den Zugang zu ihren Kindern verloren haben. Die Globalisierung hat uns eine Welt ohne Seele gebracht, die Spaßgesellschaft wurde zum Alptraum, aus dem das Aufwachen höchst unsanft erfolgen wird.

Die neue Ära der Eurasischen Landbrücke bedeutet zugleich auch die Chance einer neuen Goldenen Renaissance, wie wir sie zuletzt im 15. Jahrhundert in Italien, aber auch z.B. in Polen und anderen Teilen Europas erlebt haben. Denn leider sind die Menschen bisher nur in schweren Krisen bereit, sich mit großen Entwürfen auseinanderzusetzen. In den kommenden Erschütterungen sollten wir uns daran erinnern, wie Schiller in seiner Schrift Die Gesetzgebung des Solon und Lykurg den "Zweck der Menschheit" definiert - nämlich als "Fortschreitung". Nicht der maximale Spaß im hier und jetzt ist das Ziel, sondern eine zivilisiertere Menschheit und die größere Freiheit und fortschreitende Vergrößerung des Spielraums, innerhalb derer der einzelne seine geistigen Kräfte entfalten kann.

In dieser neuen Epoche können wir auch die Chance wahrnehmen, die 1989 verpaßt wurde: nämlich die Erringung der Souveränität Deutschlands. Eine vollkommene Neukonzeption der deutschen Außenpolitik muß an die Stelle des bisherigen "Statthaltertums" im Dienste der Besatzungsmächte treten: eine eigene Zielsetzung, getragen von einer Vision der positiven Identität Deutschlands im 21. Jahrhundert. Deutsche Interessen bedeuten nicht die flachköpfige und engherzige Verteidigung der vermeintlichen Privilegien in einem System, das die Menschheit in eine "goldene Milliarde" und fünf Milliarden, die eben Pech gehabt haben, unterteilt. Wenn wir das verstehen und statt dessen die frohe Identität jener Dichter und Denker übernehmen, die nie Angst haben, mit anderen zu teilen, weil sie darauf vertrauen, daß sie auch morgen einen kreativen Gedanken haben werden, der die Welt insgesamt reicher macht - dann ist das Problem gelöst.

Eines ist gewiß: Wir stehen vor Umwälzungen, von denen sich die meisten Zeitgenossen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal annähernd eine Vorstellung machen können. Mit der Eurasischen Landbrücke bietet sich darin eine Chance für Deutschland und die Welt.  
flexo:

Ist dieser Verein eine Kirche (Sekte)? o.T.

 
06.08.01 09:56
boomer:

Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität

 
06.08.01 10:01
Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität

Antisemitismus - Verschwörungstheorien - Verfolgung von KritikerInnen:
Eine internationale Organisation verbreitet Angst und Schrecken.

von Julika Bürgin, April 1995

Die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" wird als Teil des internationalen Organisationsnetzes des Lyndon LaRouche seit ihrem Bestehen von der kritischen Öffentlichkeit beobachtet: von den Kirchen, Gewerkschaften und demokratischen Parteien über die Medien bis zum "Zentrum für Antisemitismusforschung" an der Technischen Universität Berlin.

Warum stößt eine "Bürgerrechtsbewegung", die sich für einen "gerechten Weltmarkt", für "Martin-Luther-King" und für "Bischofferode" engagiert, auf so viel Skepsis? Warum lehnen diejenigen Organisationen, die in einer langen Tradition der Solidarität stehen und auch die Bürgerbewegung der neuen Bundesländer die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" ab?

Wer das Spektrum sektenähnlicher Organisationen in der Bundesrepublik und im internationalen Kontext beobachtet, mußte der "Bürgerrechtsbewegung" mit Vorsicht begegnen. Vorsitzende ist Frau Helga Zepp-LaRouche, nicht nur Ehefrau, sondern auch politische Partnerin des Lyndon LaRouche. Organ der Bürgerrechtsbewegung ist die Zeitung "Neue Solidarität", die als "Internationale Wochenzeitung" nicht nur eine Namensverwandschaft mit der Zeitung "New Solidarity" des amerikanischen LaRouche-Netzwerkes eingeht. Im Untertitel "Nun kommt die Schillerzeit" weist die Zeitung auf ihre Verwandschaft mit dem "Schiller-Institut" hin, deren Bundesvorsitzende Helga Zepp-LaRouche bei seiner Gründung 1984 wurde und das die europäische Zentrale der LaRouche-Organisation darstellt .

Als Bundesvorsitzende der (inzwischen aufgelösten) Europäischen Arbeiterpartei (EAP) muß Zepp-LaRouche Bedrohungen und Verfolgungen von GegnerInnen, insbesondere der Grünen-Politikerin Petra Kelly verantworten. Im Bundestagswahlkampf 1983 wurde diese auf Wahlplakaten der EAP verächtlich gemacht und als Führerin der "westdeutschen faschistischen grünen Partei" diffamiert. Es folgten nächtliche Drohanrufe und Morddrohungen nach öffentlichen Auftritten. Nach einer Rede überreichte eine Frau Petra Kelly ein Paket mit einem in Blut getunkten Kleidungsstück. Das Foto von der entsetzten Politikerin erschien später in der "New Solidarity".

Der Eindruck, die "Bürgerrechtsbewegung" bearbeite ohne ideologischen Hintergrund eine beliebige Themenpalette, wird bei näherer Betrachtung widerlegt. In allen Auftritten und Veröffentlichungen, in allen Flugblättern und Artikeln der "Neuen Solidarität"zeigt sich ein identisches Grundmuster der Argumentation. Die "Bürgerrechtsbewegung" greift gegenwärtige Probleme der Innen- und Außenpolitik auf, erklärt die Lösungsformen der parlamentarischen Demokratie für unwirksam und offeriert ihre Analyse und ein "Patentrezept" (Parole des Thüringer Landtagswahlkampfes 1994), das in der Unterstützung der LaRouche Organisation besteht.

Die "Britische Oligarchie" als Verursacherin der Weltprobleme

Die britische Politik ist der Hauptgegenstand im Organ der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, der "Neuen Solidarität". Der Krieg auf dem Balkan oder der World Wildlife Fund sind zwei von zahllosen Aufhängern, um die "britische Oligarchie" oder "britische Geopolitik" verantwortlich zu machen.
In einem mehrseitigen Artikel über den ersten Weltkrieg fordert Helga Zepp-LaRouche, den "Wust von Geschichtsfälschungen in diesem Jahrhundert zu durchbrechen": "Nicht nur hat Deutschland den Ersten Weltkrieg nicht verursacht, sondern es war von allen relevanten beteiligten Ländern - England, Frankreich, Rußland, Italien, Österreich-Ungarn oder den USA - das einzige, das bewußt und wiederholt bis zur letzten Minute versucht hat, diesen Krieg zu verhindern!". Wilhelm II habe "versagt", da er nicht in der Lage gewesen sei, "rechtzeitig die üblen Absichten der britischen Politik zu verstehen", die "die treibende Kraft zum Krieg" gewesen sei .

Lyndon LaRouche macht in einer Rede vor dem Schiller-Institut das "barbarische Denkschema der britischen Geopolitik" nicht nur für den Ersten, sondern auch für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich: "Vor allem in jüngster Zeit habe ich betont, daß der Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen, also die Jahre von 1912 bis 1945, eine Krise der Zivilisation darstellte, die so gut wie ausschließlich auf eine britische geopolitische Intrige zurückgeht...".

In der Zeitung der Bürgerrechtsbewegung Solidarität propagieren die Führungspersönlichkeiten Lyndon und Helga Zepp LaRouche eine Geschichtsschreibung, die die Verantwortung Deutschlands nicht nur für den ersten Weltkrieg, sondern auch für den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg leugnet . Der Geschichtsrevisionismus ist Teil einer umfassenden antisemitischen Verschwörungstheorie, die, aufbauend auf die klassische Ideologie des Antisemitismus, die Juden als Drahtzieher der Weltgeschicke konstruiert. Dabei wird auch an die antisemitische Symbolik des Nationalsozialismus angeknüpft und diese weiterverbreitet.

"Britannien" als Synonym für die 'Jüdische Verschwörung'

Britannien gilt als Synonym für die Politik des 'Internationalen Judentums'. Hier übten die Familien des jüdischen Finanzkapitals ihren Einfluß auf die internationale Politik aus. Den Juden wird dabei eine solche Macht zugesprochen, daß auch Adolf Hitler als eine ihrer Marionetten dargestellt wird: "Adolf Hitler wurde im wesentlichen auf Initiative der Rothschilds, Warburgs und Oppenheimers an die Macht gebracht, neben weiteren Jüdischen und nicht-Jüdischen Finanzinteressen, die sich in der Stadt London konzentrierten."
"Adolf Hitler was put into power largely on the initiative of the Rothschilds, Warburgs and Oppenheimers, among other Jewish and non-Jewish financial interests centered in the city of London."
Die Anprangerung eines vermeintlichen "angloamerikanischen Finanzwuchers" und der "internationalen Finanzoligarchie" stellt in der "Neuen Solidarität" eines der Hauptthemen dar . Die anti-britische Agitation scheut sich selbst nicht vor der Glorifizierung der vom nationalsozialistischen Deutschland auf London gerichteten V 2-Rakete . Ohne das Wort "Jude" zu verwenden, werden als Beispiele für das "angloamerikanische Establishment" Politiker jüdischer Abstammung genannt, wie Henry Kissinger, Bertrand Russel oder Leo Szilard .

Lyndon LaRouches eigene Angaben lassen keine Zweifel darüber aufkommen, daß "Britisch" ein Code-Wort für die Rothschilds und andere reiche Juden ist. In "The Case of Walter Lippmann", S. 13, schreibt LaRouche:

"Der Kampf der Vereinigten Staaten von 1815 bis 1863 gegen seinen Hauptgegner, Groß-Britannien, konzentrierte sich auf zwei Punkte. Der erste und spektakulärste war der britische (Rothschild) Zwang zur Wiederaufnahme des Handels mit schwarzen Sklaven in den Vereinigten Staaten ..." .In der Zeitschrift "New Solidarity" vom 3.2.78 stellte LaRouche fest, daß " der politik-gestaltende Kern der feindlichen Kräfte, der sich in der britischen Monarchie konzentriert, eine Gruppe privater Bankiers-Familien ist ... Das sind hauptsächlich die familiären Interessen der Lazzard-Brüder, Barings, N.M. Rothschild, Hill Samuel und anderen kleinen privaten Banken."

Helga Zepp-LaRouche verbreitet nicht nur die Theorie einer 'zionistischen Verschwörung' sondern leugnet auch den Holocaust:

"Während in den USA niemand auch nur die geringsten Illusionen über die Macht der zionistischen Lobby über vor allem die gegenwärtige Administration hegt, ist der Einfluß einer verdeckter operierenden zionistischen Lobby in der Bundesrepublik bisher nur wenigen eingeweihten politischen Persönlichkeiten bekannt, nicht aber der bretien Bevölkerung. Und deshalb müssen wir den scheinheiligen Holocaust-Schwindel zum Anlaß nehmen, um dieseausländischen Agenten auffliegen zu lassen.".Im Bunde mit antisemitischen Organisationen

Die "Neue Solidarität" bietet ein Forum für eine der profilierten antisemitischen Organisationen in den USA: der Nation of Islam. Die "Neue Solidarität" widmete eine ganze Zeitungsseite (mit Foto) einem Konferenzbericht unter Beteiligung eines Vertreters der Nation of Islam, Abdul Alim Muhammad. Das Grußwort ihres Vorsitzenden Louis Farrakhan, ist abgedruckt. Die Nation of Islam ist eine Organisation schwarzer Muslims, die verbal und gewalttätig die jüdische Bevölkerung der Vereinigten Staaten bedroht. Ihr Vorsitzender Farrakhan droht ihnen in der politischen Auseinandersetzung mit dem "Ofen". Praktizierter Antisemitismus: Die Verfolgung der Anti-Defamation League In einem Flugblatt mit dem Titel "Was ist faul in der Landesregierung Thüringen" diffamiert die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" unter anderem die US-amerikanische Anti-Defamation League (ADL). Die "Bürgerrechtsbewegung" stellt sich damit auf die Seite von LaRouches Organisation in den USA, die die ADL und ihreMitarbeiterInnen nachhaltig verfolgt. Die Anti-Defamation League ist eine Organisation, in der Jüdinnen und Juden insbesondere antisemitische Diskriminierungen bekämpfen. Gemeinsam mit der Nation of Islam führt LaRouche nicht nur eine politische Kampagne gegen die Anti-Defamation League. Vielmehr werden MitarbeiterInnen der ADLbedroht und in ihren Privatwohnungen bedrängt. In Fortsetzung ihrer Verschwörungstheorie wird die Anti-Defamation League als "neuer Ku-Klux-Klan" bezeichnet und diffamiert.

Zusammenfassung

Die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" steht unter starkem Einfluß der internationalen Organisation des Lyndon LaRouche. Sie vertritt die maßgeblich in den USA entwickelten Ideologien in der Bundesrepublik. Sie übernimmt und propagiert eine Verschwörungstheorie, in der Britannien als Synonym für das jüdische Finanzkapital für innenpolitische Krisen und weltpolitische Problemlagen verantwortlich gemacht wird.
Die "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" bedroht ihre Gegner verbal und mit Gewalt. Sie unterstützt die antisemitisch motivierten Aktivitäten der LaRouche-Organisation in den USA gegen die Anti-Defamation League.

Die Bürgerrechtsbewegung nutzt die rechtsstaatlichen Mittel demokratischer Gesellschaften zum Aufbau totalitärer politischer Verhältnisse.

www.idgr.de/texte-1/rechtsextremismus/eap/eap-lar.html

Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--