DAS ORAKEL
VON ENIG M-A XXIII
Niemand hatte behauptet, daß es leicht werden würde, und deswegen jammerte auch keiner. Und selbst wenn einer gejammert hätte, so wäre es doch niemandem aufgefallen, denn der Sturm riß ihnen jedes Wort aus dem Mund, peitschte in immer neuen Böen auf die Männer und die Frau ein, die sich an die Felswände des gewaltigen Massivs preßten und um ihr Überleben kämpften.
Der brüllende Orkan zerrte seit Stunden an ihnen. Verzweifelt klammerten sie sich in die Ritzen und Fugen des kalten Felsens, beteten, daß die Karabinerhaken halten würden und kämpften sich Millimeter um Millimeter vorwärts. Obwohl jeder von ihnen mit Ausrüstung an die 400 Pfund wog, beutelte sie der für den Planeten Enig M-A XXIII so typische Ionenblizzard hin und her, als wären sie nur die Teile eines Windspiels aus chinesischem Papier.
Der extraterrestrische Taifun trieb Stox Dude kleine spitze Eiskristalle ins Gesicht. Mit tränenden Augen sah er durch die Schlitze seiner Lider, wie zombi17 ihm etwas zuschrie, doch das ohrenbetäubende Heulen des Sturms übertönte alles und dröhnte durch seinen Schädel.
Schweigend deutete Dude auf seine Ohren, schüttelte den Kopf und deutete auf den bereits sichtbaren Rand des Plateaus. "Durchhalten!", schrie er dann doch, allerdings ohne große Hoffnung, daß zombi17 ihn verstehen würde. Doch zombi17 nickte grimmig und krallte seine Finger weiter in den rauhen Felsen.
Dude kramte einen weiteren Explosiv-Karabiner aus der Brusttasche und warf dabei einen Blick nach unten: Da waren schnorrer, Happy End, preisfuchs und Levke, zusammen mit zombi17 angeblich die besten, die es gab. Hatte zumindest der Mann von der Söldnervermittlung versichert, doch Stox Dude hatte hierzu im Laufe des Aufstiegs eine eigene Meinung entwickelt. Auch die Anwesenheit dieser Widerstandsmemme antoinette trieb tiefe Furchen in seine Stirn, von dieser widerspenstigen blonden Wissenschaftlerin ganz zu schweigen.
Dann sah er hinter sich nach oben. vega2000, der Telekinet, schwebte wie ein Luftballon in der Luft, nur durch ein Stück Trylon-Wäscheleine mit Stoxs Rucksack verbunden. Da seine telekinetische Kraft gerade für ihn selbst reichte, trug er als einziger kein Gepäck. Dude hatte das zähneknirschend in Kauf genommen, in der Hoffnung, er würde sich später noch als nützlich erweisen.
"Geht's noch?", schrie vega2000, der seine Sonnenbrille längst verloren und seine blinden Augen geschlossen hatte.
"Soll ich die Wäscheleine kappen, du schmieriger Froschfresser?", brüllte Dude zurück.
"Me ouis, isch meinte es nicht ironisch... aber isch 'orte eine Aura der Macht."
Dude faßte sich an die Eier. "Habe wohl schon lange kein Rohr mehr verlegt", murmelte er, mehr für sich selbst.
Als sie die Hochebene erreichten, brannte plötzlich eine entsetzliche Stille in ihren Ohren. Kein Wind, nicht einmal der Hauch eines Lüftchens, deutete auch nur ansatzweise die ersten Anzeichen einer potentielle Brise an. Es war ein unheimlicher Ort, doch die erschöpften Männer achteten nicht darauf, ließen sich zu Boden fallen und griffen nach ihren Wasserflaschen.
Dude gönnte ihnen die Pause. Er kramte den Flachmann aus seiner Oberschenkeltasche und wandte sich an die am Boden liegende Wissenschaftlerin. Sie starrte wie betäubt auf die Laufmaschen ihrer Wolford-Strumpfhose, als wäre diese mit Hypnotiseuren gemustert.
"Miß Kicky?"
Sie zuckte hoch und fuhr sich durchs blonde Haar. "Ah, Dude." Dann zeigte sie mit einem Daumen gegen ihre Brust. "Sie können mich ruhig 'Kicky' nennen. Bei den Männern sparen sie sich ja auch die Anrede."
"Soso." Dude nahm einen Schluck, japste kurz, sog zischend Luft durch die Zähne, schraubte die Flasche wieder zu und verstaute sie. "Na gut, also: Kicky. Und sie sind sicher, daß es hier ist?"
"Völlig sicher." Sie ließ von ihren Nylons ab, griff in ihren Rucksack und entrollte einen Stofflappen von der Größe eines Gästehandtuchs. Auf dem ausgefransten Material war vor Äonen eine verschwommene Landkarte aufgemalt und mit zahlreichen unleserlichen Symbolen beschriftet worden.
"Seltsame Karte."
"Ist ja auch eine seltsame Gegend, Genosse Dude. Denn wenn dieser uralte, lange Zeit verschollene Plan stimmt, dann befinden wir uns jetzt auf der legendären Hochebene von Leng."
"Hey, auf der Hochebene von Leng also."
"Ja. Da staunt ihre linke Hirnhälfte, was, Dude?
Mit ihrem Lippenstift deutete sie auf einen Punkt der Karte und dann auf das entgegengesetzte Ende des Plateaus, wo ein Bauwerk von enormen Ausmaßen im Nebel verschwand.
"Dort wird es sein. Das Plateau des Orakels."
antoinette, Chefideologe seiner eigenen, unbedeutenden Widerstandsbewegung, war inzwischen aufgestanden und zu ihnen getreten. Er war blaß.
"Also, ich weiß nicht. Brauchen wir das wirklich?"
Energisch kickte Dude einen Stein in Richtung Abgrund.
"Hör mal, du halbes Hemd von einem Widerstands-Bubi, quatsche mir lieber nicht rein, sonst bist Du ganz schnell wieder da unten! Ich versuche seit Wochen, die Baupläne für den Todesstern zu finden – für´n Arsch. Wenn die orakelnde Sphinx von Enig M-A XXIII uns in der Sache nicht weiterhelfen kann, dann wird diese debile Schnullerbacke von einem König deine ehrlich gesagt noch reichlich grüne Terrororganisation zertreten wie frischen Eidotter. Und dann hast du völlig umsonst horrende Destructive-Consulting-Gebühren an mich gezahlt, was mir persönlich ja eigentlich schnurz ist, aber keine gute Referenz abgibt. Kapiert?"
antoinette war unwillkürlich zurückgewichen, nun nickte er auch noch in leicht vornüber gebeugter Haltung. Kopfschüttelnd wandte Dude sich ab.
Wenig später setzten sie sich in Bewegung.
Das Bauwerk schob sich direkt aus einem Felsvorsprung in die Höhe, so hoch und so breit, daß seine Enden im Dunst nicht mehr zu erkennen waren. Das Mauerwerk selbst war glatt wie ein frisch geschmierter Babypo und bot nicht die geringste Möglichkeit, das Hindernis zu besteigen.
"Bleibt wohl nur dieser Höhleneingang."
"Ist aber sehr dunkel."
"Ungeheuer schwarzer Höhleneingang."
Dude hatte Lust auf eine Zigarre, verkniff sich aber das Bedürfnis.
"Hat einer eine Lampe?"
Die Söldner kramten in ihren Rucksäcken. 38er, 44er (Magnum Automatic), doppelläufige, abgesägte Schrotflinten, Pumpguns, Uzis, Schnellfeuer- und Sturmgewehre, Blitz-, Spreng- und Splittergranaten, Rauch- und Mini-Atombomben, Handies, Zigaretten, Kondome, Personal Digital Assistants und Eau-de-Toilette-Probefläschchen kamen zum Vorschein.
"Und keine Taschenlampe?"
"Nein."
Mit einem Knirschen rammte sich Dude das weiche Gold seiner Teilkronen tiefer in die Zähne.
"Schöne Profis seid ihr. Ich werde den Beratern von der Zeitsöldnerstelle den Arsch klaftertief einreißen. Und jetzt rein in den Tunnel!"
Es war stockfinster. Sie hatten längst die Orientierung verloren und sich im Labyrinth der Höhlen verlaufen. Anders als tom68 und ecki hatten sie aber nicht mal Kerzenstümpfe.
"Was gluckert da so?"
"Ich finde vielmehr, es raschelt."
"Hört sich eher wie Knurpsen an."
"Maul halten, Memm... Männer!", donnerte Dude. "Das ist doch kein Schulausflug. vega2000, kannst du uns sagen, was da ist? Und wo es langgeht? Teledings doch mal ein bißchen rum, ja?"
Knurps, knurps. Es blieb dunkel. Das Knurpsen wurde zu einem wohligen Kauen.
"vega2000?"
Keine Antwort.
"antoinette! Ist der Schneckenfresser bei ihnen?"
Keine Antwort.
"antoinette?"
Keine Antwort. Stille.
Bald hörte Stox nur noch den verhaltenen Atem von zombi17, schnorrer und Kicky. Das ist einsichtig, denn von vega2000, antoinette, Happy End, Levke und preisfuchs würde keiner mehr was hören, es sei denn, sie verursachten Blähungen im Enddarm des 25 Meter langen Riesenaliendings, das sich gerade mit seiner saugnapfbewehrten Zunge die Fleischfetzen einer Handvoll unglücklicher Söldner aus den Lücken in den Zahnreihen zutzelte.
Es folgte ein lautstarker und äußerst relaxter Rülpser, der durch die Finsternis der Grotte donnerte.
"Raus hier! Sofort!"
Stox wußte nicht, wen er eigentlich meinte, aber er meinte es ernst. Die Expeditionsreste rannten zum Ausgang der Höhle, stolperten über herumliegendes Geröll, schürften sich im Fallen die Knie auf, spürten, wie ihnen der Boden spitze Kiesel in die Handballen trieb, sprangen wieder auf, schlugen sich an tiefhängenden Stalaktiten die Stirnen blutig und rannten, rannten, rannten, während hinter ihnen das monotone klapp-klapp-klapp eines mehrreihigen Edelgebisses immer näher rückte.
Endlich sahen sie ein Licht am Ende des Tunnels ... doch es waren nur die leuchtenden Augen eines zweiten Monstrums, das ihnen hungrig entgegenkam.
"Rechts!", schrie Dude, riß die Frau am Ellenbogen herum, zog sie hinter sich her und rannte, was das Zeug hielt. Die anderen folgten ihnen, bis aus dem klapp-klapp-klapp ein klapp-klapp-matsch wurde.
"Oh Gott! Das war schnorrer!", keuchte zombi17, bevor ihm klar wurde, daß er nun der letzte in der Gänsereihe war. Angst lähmte sein Denken, das in der Fremdenlegion trainierte Kleinhirn übernahm die Kontrolle. Automatenhaft riß er sich zwei Handvoll Fusionsgranaten vom Gürtel, entsicherte die Hälfte von ihnen im Viertelsekundentakt und ließ sie hinter sich zu Boden fallen.
Inzwischen witterte Dude frische Luft.
"Ich kann den Ausgang riechen, Leute, gleich haben wir´s!"
Da riß sie die erste Detonation von den Füßen. Die zweite schleuderte sie in die Luft. Verzweifelt klammerten sich Stox und zombi17 an Kicky fest. Dude bemerkte, daß die Wissenschaftlerin keineswegs einen Push up-BH trug. Die dritte Detonation katapultierte sie aus der Höhle auf einen geräumigen Felsvorsprung.
Eine weitere Explosion fegte sie zu Boden und begrub sie unter Sand. Dann zündete die zweite Hälfte von zombi's Granaten gleichzeitig. Ein Schrei, und eine warme Blutwoge flutete aus der Höhle wie in der Aufzug-Einstellung aus Kubriks 'Shining', allerdings nicht in Zeitlupe. Krallen-, Tentakel- und Säbelzahnfetzen regneten auf sie herab.
Dann war Ruhe.
"Hurra, wir leben noch."
Dude stöhnte sich auf die Beine, wischte sich das Blut des Ungeheuers aus den Augenbrauen, probierte mit der Zunge und hmm-te positiv überrascht. Connie reinigte zuerst ihren Kosmetikspiegel, dann ihr Gesicht mit einer Anti-Age-Reinigungsemulsion.
zombi17 raufte sich die Haare. "Verdammt! Die armen Jungs!", jammerte er, setzte sich auf den Boden und schluchzte.
"Ja, und schnorrer hatte den Kommunikator für die Verbindung zum Orbiter."
Dude zeigte auf eine Hängebrücke aus glasigem Material. Sie führte zu einer schmalen Felsplattform mit einer kleinen Hütte. Rings um das Plateau gähnte der endlose Abgrund. Es gab nur diesen einen Weg.
"Aber mach dir nicht ins Hemd, Soldat. Wir haben es sowieso so gut wie geschafft: In der Hütte da, da ist das Orakel. Was sagt unsere Wissenschaftsmaus?"
Kicky trat ihm so schnell in die Eier, daß Dude ihr zufriedenes Grinsen noch vor dem Schmerz wahrnahm, und sackte zusammen.
"Die Wissenschaftlerin gibt ihnen recht, Genosse Dude."
Ich werde alt, dachte sich der betreffende Genosse und schwor Rache.
Als sie sich der reichlich organisch aussehenden Hängebrücke näherten, materialisierte sich eine alte Frau vor ihnen. Ihre Gestalt war gebeugt, ihr Gesicht verwittert und verwachsen, und doch strahlte sie eine ungeheuer alte und weltläufige, wenn auch zahnlose Weisheit aus.
"Halt!", krächzte sie.
Kicky boxte Dude mit ihrem spitzesten Ellenbogen in die Rippen und zischte: "Bitte Klappe halten, ich übernehme das!" Dann, laut und zur alten Frau gewandt: "Hallöchen, sie können uns sicher weiterhelfen. Hier ist nicht zufällig das sphingische Orakel von Enig M-A XXIII?"
"Rein im Herzen muß der sein, der die orakelnde Sphinx befragen will", sabberte die alte Frau mit erstaunlich durchschaubarer Rätselhaftigkeit.
Kicky schwenkte die Karte mit den kryptischen Symbolen. "Jaja, steht ja alles auch hier auf der Karte, aber sagen sie: Was genau macht denn diese Reinheit des Herzens aus? Ich meine nur, weil ja nämlich, wer nicht rein im Herzen ist..."
"...die Brücke des Orakels nicht überschreiten kann...", ergänzte das alte Weib, "...und im Abgrund der Finsternis zerschmettert wird, wo die Seele auf ewig im Feuer der Verdammnis..."
Dude schob sich dazwischen.
"Okay, genug gequatscht, ich habe hier ein Geschäft zu erledigen. Geh mir aus dem Licht, Alte, ich will da rüber."
Die Pumps der blonden Wissenschaftlerin hinterließen Streifen auf dem Boden, als sie sich am entschlossen losmarschierenden Dude festklammerte.
"Ich halte das für keine gute Idee", zeterte sie. "Sie sind nicht eben das, was man reinen Herzen nennen könnte."
Dude hielt an und wandte sich ihr zu, nicht ohne sich so schräg zu stellen, daß sie nicht mehr ohne weiteres zutreten konnte.
"Was wissen sie denn schon davon, Frau Schlauberger?"
"Ich bin zufälligerweise Spezialistin auf dem Gebiet alter Orakel, schon vergessen? Lassen sie zombi17 gehen."
Verächtlich sah Dude zu zombi17, der in den letzten Stunden seiner Meinung nach kaum positive Eigenschaften an den Tag gelegt hatte und sich gerade schniefend die Nase putzte.
"Dieses Weichei?"
"Das nennt man aufrichtige, menschliche Gefühle, sie Fleischerseele."
"Habe davon gehört", gab Dude zu. "Okay, zombi, probier's."
zombi17 tat, wie ihm geheißen. Er hatte kaum einen Fuß auf die Hängebrücke gesetzt, als diese zusammenzuckte, ihn mit schleimigen Pseudopoden umwickelte und in den Abgrund riß.
"Immer dasselbe mit den Touris", hämte das alte Weib.
Dude trat nach ihr, doch sein Fuß ging einfach durch sie hindurch; sie war so immateriell wie die Börsenwerte von Newcomer-Companies im Internet.
"Na, Kicky, wollen sie es nicht probieren?"
Die Wissenschaftlerin schluckte und ging zur Brücke. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf das Material, das wie grüne Grütze glibberte.
Nichts passierte.
Mühelos schritt sie über die Brücke und erreichte die Felsplattform auf der anderen Seite.
Dude legte den Kopf schief und dachte nach. Sollte die Lady vielleicht noch Jungfrau sein? In dem Alter? Wow! Dude leckte sich die Lippen.
Dann, ohne zu zögern, folgte er ihr und betrat die Brücke. Links und rechts gähnte die Tiefe, und als Dude in den Abgrund blickte, hatte er das Gefühl, als blicke der Abgrund auch ein wenig in ihn hinein.
Doch auch bei ihm tat die Brücke keinen Muckser.
"Rah!", zeterte das alte Weib. Als Dude die andere Seite erreicht hatte, konnte er sehen, wie sie eine Fernbedienung aus den Lumpen ihrer Bekleidung zerrte und wild darauf herumdrückte. Tja, so ist das eben mit der Reinheit des Herzens, das kann alles mögliche heißen...
"Alles Scharlatanerie", grinste Dude, winkte dem holographischen Weib fröhlich zu und betrat die Hütte mit dem Orakel.
Im Inneren der Hütte verströmten Räucherstäbchen süßliche Düfte. Das Orakel selbst war allerdings nur ein Milkasoft Delphi-8000 Supercomputer, ausgerüstet mit einer Kristallglas-CPU und speziellen Tarot- und Runen-Chips zur Kalkulation aktueller und zukünftiger Ereignisse. Wahrscheinlich war die Holographie des alten Weibs eine reine Defensivmaßnahme der Anlage gewesen.
Dude fleischige Zeigefinger trommelten abwechselnd auf die Tastatur.
"War leichter, als ich dachte", lächelte er und ließ den Mittelfinger auf die Enter-Taste krachen.
"Noch nie so ein Orakel gesehen", staunte die blonde Spezialistin, als der Schmier-Litter-Quality-Drucker losratterte und mit neun lauten Nadeln den Bauplan des Todessterns ausspuckte.
"Es tut seinen Dienst." Dude grinste zufrieden, faltete den Ausdruck zusammen und steckte ihn ein. Dann legte er einen größeren Sprengsatz an das Hitech-Orakel.
"Wozu das denn?", hoeckerte die Wissenschaftlerin.
"Sie wollen doch nicht, daß der Staat, den sie und ihre Kumpane auf den Trümmern des aktuellen errichten wollen, mit Hilfe von Tips dieses orakelnden Computers wieder auf Eis gelegt wird, oder?"
"Tja, da haben sie auch wieder recht", nickte Kicky.
"Also: Ich stelle den Timer auf 30 Minuten, dann müßten wir weit genug entfernt sein, um problemlos dieser hübschen kleinen Nukleardetonation zu entkommen."
"Sie sind der Sprengmeister, Dude. Ich geh schon mal vor und checke die Brücke."
Stox machte den Zünder scharf und folgte der Wissenschaftlerin aus der Hütte. Sie wartete schon auf ihn, ihr Mund war offen, ihre Augen groß.
Auch Dude bemerkte es. Die Brücke war weg.
Reflexhaft griff er in seine Jacke, besann sich dann aber eines besseren. "Scheiße", schmimanskiete er und warf finstre Blicke auf die endlose Kluft, die sie umgab und vom Heimweg trennte.
"Los, Dude, schalten Sie die Bombe ab, bis uns eingefallen ist, wie wir hier wegkommen!"
"Ich sagte 'Scheiße', und das hat seinen Grund. Das ist nämlich eine Bombe mit Selbstschutz, die geht schon hoch, wenn sie ihr nur aus der Ferne zuwinken!"
"Also sitzen wir in der Klemme, stimmt's?"
"Kein Sorge", sagte Dude heiser. "Es wird ganz bestimmt unsere letzte sein."
Die spröde Wissenschaftlerin wischte sich die von Tränen verschmierte Wimperntusche aus den Augen.
"Sagen sie mal, Dude", winselte sie plötzlich leise, "wieviel Zeit haben wir eigentlich noch?"
"Vielleicht 25 Minuten. Wieso? Wollen sie sich noch die Fingernägel lackieren, ehe wir abkratzen?"
"Nein, aber so will ich nicht sterben!"
"Wer will schon so sterben: Auf einem felsigen Plateau am Arsch der Welt..."
"Nein, es ist..."
"Spucken sie's schon aus!"
"Wissen sie ... ich bin noch Jungfrau..."
Dude schüttelte skeptisch den Kopf und lachte.
"Selbst wenn ich das glauben würde: Na und?"
"Bitte, Dude! Ich will nicht sterben, ohne vom Kelch der Liebe gekostet zu haben!"
"Kelch der Was?"
"Stox! Nimm mich! Als wär´s das letzte Mal!"
"Hören sie, Frau Kicky, also, das geht doch nicht..."
"Bitte Stox! Sei ein Mann! Für mich! Soll ich unschuldig sterben?"
"Also..."
Sie riß sich die Kleider vom Leib, massierte sich die Brustwarzen und versuchte sich im Table-Dancing.
"Bitte! Besorg's mir!"
Dude seufzte und atmete tief durch. Dann nickte er langsam.
"Na schön. Wenn es unbedingt sein muß..."
Er hob die Blonde hoch und legte sie mit dem Rücken auf einen glatten Felsen. Stox nahm sich nicht die Zeit, die Hose ausziehen, sondern knöpfte sie nur auf. Dann nahm er keine Rücksicht mehr und drang ohne Umschweife und im Stehen ins Feuchte ein.
Kaum eine Minute nach dem Eingeständnis ihrer Jungfräulichkeit, hatte er sie bereits defloriert und hechelte kurz darauf im Takt der genetischen Sinfonie, auf dem Gesicht ein Grinsen, daß mindestens so breit war wie der solare Asteroidengürtel.
Als er bemerkte, daß sie bereits auf einen Orgasmus zutrieb, hielt er plötzlich inne.
"Was... was ist los?", flüsterte sie, außer Atem, mit gerötetem Gesicht, schweißbedecktem Körper und derangierter Dauerwelle.
"Weißt Du, Kicky, es gibt da etwas, worin ich noch Jungfrau bin..."
"Wie?"
"Naja, nicht jede Frau ist bereit..."
"Ich verstehe." Kicky verlor keine Zeit, rutschte vom Felsen, kniete sich hin und schlang ihre Hände in Stox's Gürtel. Der wunderte sich nicht wenig.
"Woher weiß Du..."
"Ich bin vielleicht Jungfrau, aber nicht blöd. Glaubst Du, ich hätte nie den New Kinsey Report gelesen?"
Zehn schmatzende Minuten später hallte ein markerschütternder Schrei in den Abgrund um das kleine Felsplateau mit der Hütte des Orakels.
"Nicht schlecht", keuchte Dude.
Die Wissenschaftlerin schluckte tapfer, stand auf und breitete ihre Kleidung auf dem Boden aus. Dann legte sie sich auf den Rücken und spreizte die Beine.
"So, jetzt bin ich dran!"
Stox schüttelte den Kopf, wischte sich Schweißperlen von der Stirn und knöpfte seinen Hosenstall zu.
"Danke für das Angebot, aber so gut war's nun auch wieder nicht."
"Was? Aber die Bombe... wir haben nur noch wenige Minuten..."
Mit Augen, so groß wie Pessare für Dinosaurierinnen, sah Kicky, die ihre Jungfräulichkeit 28 Jahre hinter einer feministischen Fassade verschanzt hatte, wie Stox ein Handy aus der Jackentasche hervorzauberte und es ausklappte.
"Dude an Orbiter, Dude an Orbiter!"
"Sie Schwein!" kreischte Kicky. "Sie Drecksau! Sie haben Kontakt zum Orbiter und es die ganze Zeit gewußt!"
Stox grinste, brachte eine Especiales und eine Packung Zünder zum Vorschein, nahm das letzte Streichholz heraus und entzündete es an einer Augenbraue. Während er die Zigarre anpaffte, sagte er:
"Sie werden lachen: Für ein paar Augenblicke lang hatte ich das sogar vergessen. Und sie sollten sich lieber was anziehen, Kindchen."
Ein Krächzen quälte sich aus dem Handy, das nur Klugscheißer 'Kommunikator' nannten.
"Orbiter hier. Ihr Auftrag, Commander Dude?"
Dude erwehrte sich mühelos der verzweifelten Attacken der Wissenschaftlerin, die mit ihren kleinen Fäustchen ohnmächtig gegen seine mächtige Brust trommelte.
"Dude hier. Zwei Personen zum Hochbeamen."
"Aye, Commander. Wir haben gleich eine Peilung. Zwei Personen. – Ach, und, Sir: Wie ist´s gelaufen?"
Dude sah zu, wie Kicky sich verschämt in Windeseile anzog. Dann grinste er.
"Von ein paar leichteren Verlusten abgesehen, war die Mission äußerst erfolgreich."
VON ENIG M-A XXIII
Niemand hatte behauptet, daß es leicht werden würde, und deswegen jammerte auch keiner. Und selbst wenn einer gejammert hätte, so wäre es doch niemandem aufgefallen, denn der Sturm riß ihnen jedes Wort aus dem Mund, peitschte in immer neuen Böen auf die Männer und die Frau ein, die sich an die Felswände des gewaltigen Massivs preßten und um ihr Überleben kämpften.
Der brüllende Orkan zerrte seit Stunden an ihnen. Verzweifelt klammerten sie sich in die Ritzen und Fugen des kalten Felsens, beteten, daß die Karabinerhaken halten würden und kämpften sich Millimeter um Millimeter vorwärts. Obwohl jeder von ihnen mit Ausrüstung an die 400 Pfund wog, beutelte sie der für den Planeten Enig M-A XXIII so typische Ionenblizzard hin und her, als wären sie nur die Teile eines Windspiels aus chinesischem Papier.
Der extraterrestrische Taifun trieb Stox Dude kleine spitze Eiskristalle ins Gesicht. Mit tränenden Augen sah er durch die Schlitze seiner Lider, wie zombi17 ihm etwas zuschrie, doch das ohrenbetäubende Heulen des Sturms übertönte alles und dröhnte durch seinen Schädel.
Schweigend deutete Dude auf seine Ohren, schüttelte den Kopf und deutete auf den bereits sichtbaren Rand des Plateaus. "Durchhalten!", schrie er dann doch, allerdings ohne große Hoffnung, daß zombi17 ihn verstehen würde. Doch zombi17 nickte grimmig und krallte seine Finger weiter in den rauhen Felsen.
Dude kramte einen weiteren Explosiv-Karabiner aus der Brusttasche und warf dabei einen Blick nach unten: Da waren schnorrer, Happy End, preisfuchs und Levke, zusammen mit zombi17 angeblich die besten, die es gab. Hatte zumindest der Mann von der Söldnervermittlung versichert, doch Stox Dude hatte hierzu im Laufe des Aufstiegs eine eigene Meinung entwickelt. Auch die Anwesenheit dieser Widerstandsmemme antoinette trieb tiefe Furchen in seine Stirn, von dieser widerspenstigen blonden Wissenschaftlerin ganz zu schweigen.
Dann sah er hinter sich nach oben. vega2000, der Telekinet, schwebte wie ein Luftballon in der Luft, nur durch ein Stück Trylon-Wäscheleine mit Stoxs Rucksack verbunden. Da seine telekinetische Kraft gerade für ihn selbst reichte, trug er als einziger kein Gepäck. Dude hatte das zähneknirschend in Kauf genommen, in der Hoffnung, er würde sich später noch als nützlich erweisen.
"Geht's noch?", schrie vega2000, der seine Sonnenbrille längst verloren und seine blinden Augen geschlossen hatte.
"Soll ich die Wäscheleine kappen, du schmieriger Froschfresser?", brüllte Dude zurück.
"Me ouis, isch meinte es nicht ironisch... aber isch 'orte eine Aura der Macht."
Dude faßte sich an die Eier. "Habe wohl schon lange kein Rohr mehr verlegt", murmelte er, mehr für sich selbst.
Als sie die Hochebene erreichten, brannte plötzlich eine entsetzliche Stille in ihren Ohren. Kein Wind, nicht einmal der Hauch eines Lüftchens, deutete auch nur ansatzweise die ersten Anzeichen einer potentielle Brise an. Es war ein unheimlicher Ort, doch die erschöpften Männer achteten nicht darauf, ließen sich zu Boden fallen und griffen nach ihren Wasserflaschen.
Dude gönnte ihnen die Pause. Er kramte den Flachmann aus seiner Oberschenkeltasche und wandte sich an die am Boden liegende Wissenschaftlerin. Sie starrte wie betäubt auf die Laufmaschen ihrer Wolford-Strumpfhose, als wäre diese mit Hypnotiseuren gemustert.
"Miß Kicky?"
Sie zuckte hoch und fuhr sich durchs blonde Haar. "Ah, Dude." Dann zeigte sie mit einem Daumen gegen ihre Brust. "Sie können mich ruhig 'Kicky' nennen. Bei den Männern sparen sie sich ja auch die Anrede."
"Soso." Dude nahm einen Schluck, japste kurz, sog zischend Luft durch die Zähne, schraubte die Flasche wieder zu und verstaute sie. "Na gut, also: Kicky. Und sie sind sicher, daß es hier ist?"
"Völlig sicher." Sie ließ von ihren Nylons ab, griff in ihren Rucksack und entrollte einen Stofflappen von der Größe eines Gästehandtuchs. Auf dem ausgefransten Material war vor Äonen eine verschwommene Landkarte aufgemalt und mit zahlreichen unleserlichen Symbolen beschriftet worden.
"Seltsame Karte."
"Ist ja auch eine seltsame Gegend, Genosse Dude. Denn wenn dieser uralte, lange Zeit verschollene Plan stimmt, dann befinden wir uns jetzt auf der legendären Hochebene von Leng."
"Hey, auf der Hochebene von Leng also."
"Ja. Da staunt ihre linke Hirnhälfte, was, Dude?
Mit ihrem Lippenstift deutete sie auf einen Punkt der Karte und dann auf das entgegengesetzte Ende des Plateaus, wo ein Bauwerk von enormen Ausmaßen im Nebel verschwand.
"Dort wird es sein. Das Plateau des Orakels."
antoinette, Chefideologe seiner eigenen, unbedeutenden Widerstandsbewegung, war inzwischen aufgestanden und zu ihnen getreten. Er war blaß.
"Also, ich weiß nicht. Brauchen wir das wirklich?"
Energisch kickte Dude einen Stein in Richtung Abgrund.
"Hör mal, du halbes Hemd von einem Widerstands-Bubi, quatsche mir lieber nicht rein, sonst bist Du ganz schnell wieder da unten! Ich versuche seit Wochen, die Baupläne für den Todesstern zu finden – für´n Arsch. Wenn die orakelnde Sphinx von Enig M-A XXIII uns in der Sache nicht weiterhelfen kann, dann wird diese debile Schnullerbacke von einem König deine ehrlich gesagt noch reichlich grüne Terrororganisation zertreten wie frischen Eidotter. Und dann hast du völlig umsonst horrende Destructive-Consulting-Gebühren an mich gezahlt, was mir persönlich ja eigentlich schnurz ist, aber keine gute Referenz abgibt. Kapiert?"
antoinette war unwillkürlich zurückgewichen, nun nickte er auch noch in leicht vornüber gebeugter Haltung. Kopfschüttelnd wandte Dude sich ab.
Wenig später setzten sie sich in Bewegung.
Das Bauwerk schob sich direkt aus einem Felsvorsprung in die Höhe, so hoch und so breit, daß seine Enden im Dunst nicht mehr zu erkennen waren. Das Mauerwerk selbst war glatt wie ein frisch geschmierter Babypo und bot nicht die geringste Möglichkeit, das Hindernis zu besteigen.
"Bleibt wohl nur dieser Höhleneingang."
"Ist aber sehr dunkel."
"Ungeheuer schwarzer Höhleneingang."
Dude hatte Lust auf eine Zigarre, verkniff sich aber das Bedürfnis.
"Hat einer eine Lampe?"
Die Söldner kramten in ihren Rucksäcken. 38er, 44er (Magnum Automatic), doppelläufige, abgesägte Schrotflinten, Pumpguns, Uzis, Schnellfeuer- und Sturmgewehre, Blitz-, Spreng- und Splittergranaten, Rauch- und Mini-Atombomben, Handies, Zigaretten, Kondome, Personal Digital Assistants und Eau-de-Toilette-Probefläschchen kamen zum Vorschein.
"Und keine Taschenlampe?"
"Nein."
Mit einem Knirschen rammte sich Dude das weiche Gold seiner Teilkronen tiefer in die Zähne.
"Schöne Profis seid ihr. Ich werde den Beratern von der Zeitsöldnerstelle den Arsch klaftertief einreißen. Und jetzt rein in den Tunnel!"
Es war stockfinster. Sie hatten längst die Orientierung verloren und sich im Labyrinth der Höhlen verlaufen. Anders als tom68 und ecki hatten sie aber nicht mal Kerzenstümpfe.
"Was gluckert da so?"
"Ich finde vielmehr, es raschelt."
"Hört sich eher wie Knurpsen an."
"Maul halten, Memm... Männer!", donnerte Dude. "Das ist doch kein Schulausflug. vega2000, kannst du uns sagen, was da ist? Und wo es langgeht? Teledings doch mal ein bißchen rum, ja?"
Knurps, knurps. Es blieb dunkel. Das Knurpsen wurde zu einem wohligen Kauen.
"vega2000?"
Keine Antwort.
"antoinette! Ist der Schneckenfresser bei ihnen?"
Keine Antwort.
"antoinette?"
Keine Antwort. Stille.
Bald hörte Stox nur noch den verhaltenen Atem von zombi17, schnorrer und Kicky. Das ist einsichtig, denn von vega2000, antoinette, Happy End, Levke und preisfuchs würde keiner mehr was hören, es sei denn, sie verursachten Blähungen im Enddarm des 25 Meter langen Riesenaliendings, das sich gerade mit seiner saugnapfbewehrten Zunge die Fleischfetzen einer Handvoll unglücklicher Söldner aus den Lücken in den Zahnreihen zutzelte.
Es folgte ein lautstarker und äußerst relaxter Rülpser, der durch die Finsternis der Grotte donnerte.
"Raus hier! Sofort!"
Stox wußte nicht, wen er eigentlich meinte, aber er meinte es ernst. Die Expeditionsreste rannten zum Ausgang der Höhle, stolperten über herumliegendes Geröll, schürften sich im Fallen die Knie auf, spürten, wie ihnen der Boden spitze Kiesel in die Handballen trieb, sprangen wieder auf, schlugen sich an tiefhängenden Stalaktiten die Stirnen blutig und rannten, rannten, rannten, während hinter ihnen das monotone klapp-klapp-klapp eines mehrreihigen Edelgebisses immer näher rückte.
Endlich sahen sie ein Licht am Ende des Tunnels ... doch es waren nur die leuchtenden Augen eines zweiten Monstrums, das ihnen hungrig entgegenkam.
"Rechts!", schrie Dude, riß die Frau am Ellenbogen herum, zog sie hinter sich her und rannte, was das Zeug hielt. Die anderen folgten ihnen, bis aus dem klapp-klapp-klapp ein klapp-klapp-matsch wurde.
"Oh Gott! Das war schnorrer!", keuchte zombi17, bevor ihm klar wurde, daß er nun der letzte in der Gänsereihe war. Angst lähmte sein Denken, das in der Fremdenlegion trainierte Kleinhirn übernahm die Kontrolle. Automatenhaft riß er sich zwei Handvoll Fusionsgranaten vom Gürtel, entsicherte die Hälfte von ihnen im Viertelsekundentakt und ließ sie hinter sich zu Boden fallen.
Inzwischen witterte Dude frische Luft.
"Ich kann den Ausgang riechen, Leute, gleich haben wir´s!"
Da riß sie die erste Detonation von den Füßen. Die zweite schleuderte sie in die Luft. Verzweifelt klammerten sich Stox und zombi17 an Kicky fest. Dude bemerkte, daß die Wissenschaftlerin keineswegs einen Push up-BH trug. Die dritte Detonation katapultierte sie aus der Höhle auf einen geräumigen Felsvorsprung.
Eine weitere Explosion fegte sie zu Boden und begrub sie unter Sand. Dann zündete die zweite Hälfte von zombi's Granaten gleichzeitig. Ein Schrei, und eine warme Blutwoge flutete aus der Höhle wie in der Aufzug-Einstellung aus Kubriks 'Shining', allerdings nicht in Zeitlupe. Krallen-, Tentakel- und Säbelzahnfetzen regneten auf sie herab.
Dann war Ruhe.
"Hurra, wir leben noch."
Dude stöhnte sich auf die Beine, wischte sich das Blut des Ungeheuers aus den Augenbrauen, probierte mit der Zunge und hmm-te positiv überrascht. Connie reinigte zuerst ihren Kosmetikspiegel, dann ihr Gesicht mit einer Anti-Age-Reinigungsemulsion.
zombi17 raufte sich die Haare. "Verdammt! Die armen Jungs!", jammerte er, setzte sich auf den Boden und schluchzte.
"Ja, und schnorrer hatte den Kommunikator für die Verbindung zum Orbiter."
Dude zeigte auf eine Hängebrücke aus glasigem Material. Sie führte zu einer schmalen Felsplattform mit einer kleinen Hütte. Rings um das Plateau gähnte der endlose Abgrund. Es gab nur diesen einen Weg.
"Aber mach dir nicht ins Hemd, Soldat. Wir haben es sowieso so gut wie geschafft: In der Hütte da, da ist das Orakel. Was sagt unsere Wissenschaftsmaus?"
Kicky trat ihm so schnell in die Eier, daß Dude ihr zufriedenes Grinsen noch vor dem Schmerz wahrnahm, und sackte zusammen.
"Die Wissenschaftlerin gibt ihnen recht, Genosse Dude."
Ich werde alt, dachte sich der betreffende Genosse und schwor Rache.
Als sie sich der reichlich organisch aussehenden Hängebrücke näherten, materialisierte sich eine alte Frau vor ihnen. Ihre Gestalt war gebeugt, ihr Gesicht verwittert und verwachsen, und doch strahlte sie eine ungeheuer alte und weltläufige, wenn auch zahnlose Weisheit aus.
"Halt!", krächzte sie.
Kicky boxte Dude mit ihrem spitzesten Ellenbogen in die Rippen und zischte: "Bitte Klappe halten, ich übernehme das!" Dann, laut und zur alten Frau gewandt: "Hallöchen, sie können uns sicher weiterhelfen. Hier ist nicht zufällig das sphingische Orakel von Enig M-A XXIII?"
"Rein im Herzen muß der sein, der die orakelnde Sphinx befragen will", sabberte die alte Frau mit erstaunlich durchschaubarer Rätselhaftigkeit.
Kicky schwenkte die Karte mit den kryptischen Symbolen. "Jaja, steht ja alles auch hier auf der Karte, aber sagen sie: Was genau macht denn diese Reinheit des Herzens aus? Ich meine nur, weil ja nämlich, wer nicht rein im Herzen ist..."
"...die Brücke des Orakels nicht überschreiten kann...", ergänzte das alte Weib, "...und im Abgrund der Finsternis zerschmettert wird, wo die Seele auf ewig im Feuer der Verdammnis..."
Dude schob sich dazwischen.
"Okay, genug gequatscht, ich habe hier ein Geschäft zu erledigen. Geh mir aus dem Licht, Alte, ich will da rüber."
Die Pumps der blonden Wissenschaftlerin hinterließen Streifen auf dem Boden, als sie sich am entschlossen losmarschierenden Dude festklammerte.
"Ich halte das für keine gute Idee", zeterte sie. "Sie sind nicht eben das, was man reinen Herzen nennen könnte."
Dude hielt an und wandte sich ihr zu, nicht ohne sich so schräg zu stellen, daß sie nicht mehr ohne weiteres zutreten konnte.
"Was wissen sie denn schon davon, Frau Schlauberger?"
"Ich bin zufälligerweise Spezialistin auf dem Gebiet alter Orakel, schon vergessen? Lassen sie zombi17 gehen."
Verächtlich sah Dude zu zombi17, der in den letzten Stunden seiner Meinung nach kaum positive Eigenschaften an den Tag gelegt hatte und sich gerade schniefend die Nase putzte.
"Dieses Weichei?"
"Das nennt man aufrichtige, menschliche Gefühle, sie Fleischerseele."
"Habe davon gehört", gab Dude zu. "Okay, zombi, probier's."
zombi17 tat, wie ihm geheißen. Er hatte kaum einen Fuß auf die Hängebrücke gesetzt, als diese zusammenzuckte, ihn mit schleimigen Pseudopoden umwickelte und in den Abgrund riß.
"Immer dasselbe mit den Touris", hämte das alte Weib.
Dude trat nach ihr, doch sein Fuß ging einfach durch sie hindurch; sie war so immateriell wie die Börsenwerte von Newcomer-Companies im Internet.
"Na, Kicky, wollen sie es nicht probieren?"
Die Wissenschaftlerin schluckte und ging zur Brücke. Vorsichtig setzte sie einen Fuß auf das Material, das wie grüne Grütze glibberte.
Nichts passierte.
Mühelos schritt sie über die Brücke und erreichte die Felsplattform auf der anderen Seite.
Dude legte den Kopf schief und dachte nach. Sollte die Lady vielleicht noch Jungfrau sein? In dem Alter? Wow! Dude leckte sich die Lippen.
Dann, ohne zu zögern, folgte er ihr und betrat die Brücke. Links und rechts gähnte die Tiefe, und als Dude in den Abgrund blickte, hatte er das Gefühl, als blicke der Abgrund auch ein wenig in ihn hinein.
Doch auch bei ihm tat die Brücke keinen Muckser.
"Rah!", zeterte das alte Weib. Als Dude die andere Seite erreicht hatte, konnte er sehen, wie sie eine Fernbedienung aus den Lumpen ihrer Bekleidung zerrte und wild darauf herumdrückte. Tja, so ist das eben mit der Reinheit des Herzens, das kann alles mögliche heißen...
"Alles Scharlatanerie", grinste Dude, winkte dem holographischen Weib fröhlich zu und betrat die Hütte mit dem Orakel.
Im Inneren der Hütte verströmten Räucherstäbchen süßliche Düfte. Das Orakel selbst war allerdings nur ein Milkasoft Delphi-8000 Supercomputer, ausgerüstet mit einer Kristallglas-CPU und speziellen Tarot- und Runen-Chips zur Kalkulation aktueller und zukünftiger Ereignisse. Wahrscheinlich war die Holographie des alten Weibs eine reine Defensivmaßnahme der Anlage gewesen.
Dude fleischige Zeigefinger trommelten abwechselnd auf die Tastatur.
"War leichter, als ich dachte", lächelte er und ließ den Mittelfinger auf die Enter-Taste krachen.
"Noch nie so ein Orakel gesehen", staunte die blonde Spezialistin, als der Schmier-Litter-Quality-Drucker losratterte und mit neun lauten Nadeln den Bauplan des Todessterns ausspuckte.
"Es tut seinen Dienst." Dude grinste zufrieden, faltete den Ausdruck zusammen und steckte ihn ein. Dann legte er einen größeren Sprengsatz an das Hitech-Orakel.
"Wozu das denn?", hoeckerte die Wissenschaftlerin.
"Sie wollen doch nicht, daß der Staat, den sie und ihre Kumpane auf den Trümmern des aktuellen errichten wollen, mit Hilfe von Tips dieses orakelnden Computers wieder auf Eis gelegt wird, oder?"
"Tja, da haben sie auch wieder recht", nickte Kicky.
"Also: Ich stelle den Timer auf 30 Minuten, dann müßten wir weit genug entfernt sein, um problemlos dieser hübschen kleinen Nukleardetonation zu entkommen."
"Sie sind der Sprengmeister, Dude. Ich geh schon mal vor und checke die Brücke."
Stox machte den Zünder scharf und folgte der Wissenschaftlerin aus der Hütte. Sie wartete schon auf ihn, ihr Mund war offen, ihre Augen groß.
Auch Dude bemerkte es. Die Brücke war weg.
Reflexhaft griff er in seine Jacke, besann sich dann aber eines besseren. "Scheiße", schmimanskiete er und warf finstre Blicke auf die endlose Kluft, die sie umgab und vom Heimweg trennte.
"Los, Dude, schalten Sie die Bombe ab, bis uns eingefallen ist, wie wir hier wegkommen!"
"Ich sagte 'Scheiße', und das hat seinen Grund. Das ist nämlich eine Bombe mit Selbstschutz, die geht schon hoch, wenn sie ihr nur aus der Ferne zuwinken!"
"Also sitzen wir in der Klemme, stimmt's?"
"Kein Sorge", sagte Dude heiser. "Es wird ganz bestimmt unsere letzte sein."
Die spröde Wissenschaftlerin wischte sich die von Tränen verschmierte Wimperntusche aus den Augen.
"Sagen sie mal, Dude", winselte sie plötzlich leise, "wieviel Zeit haben wir eigentlich noch?"
"Vielleicht 25 Minuten. Wieso? Wollen sie sich noch die Fingernägel lackieren, ehe wir abkratzen?"
"Nein, aber so will ich nicht sterben!"
"Wer will schon so sterben: Auf einem felsigen Plateau am Arsch der Welt..."
"Nein, es ist..."
"Spucken sie's schon aus!"
"Wissen sie ... ich bin noch Jungfrau..."
Dude schüttelte skeptisch den Kopf und lachte.
"Selbst wenn ich das glauben würde: Na und?"
"Bitte, Dude! Ich will nicht sterben, ohne vom Kelch der Liebe gekostet zu haben!"
"Kelch der Was?"
"Stox! Nimm mich! Als wär´s das letzte Mal!"
"Hören sie, Frau Kicky, also, das geht doch nicht..."
"Bitte Stox! Sei ein Mann! Für mich! Soll ich unschuldig sterben?"
"Also..."
Sie riß sich die Kleider vom Leib, massierte sich die Brustwarzen und versuchte sich im Table-Dancing.
"Bitte! Besorg's mir!"
Dude seufzte und atmete tief durch. Dann nickte er langsam.
"Na schön. Wenn es unbedingt sein muß..."
Er hob die Blonde hoch und legte sie mit dem Rücken auf einen glatten Felsen. Stox nahm sich nicht die Zeit, die Hose ausziehen, sondern knöpfte sie nur auf. Dann nahm er keine Rücksicht mehr und drang ohne Umschweife und im Stehen ins Feuchte ein.
Kaum eine Minute nach dem Eingeständnis ihrer Jungfräulichkeit, hatte er sie bereits defloriert und hechelte kurz darauf im Takt der genetischen Sinfonie, auf dem Gesicht ein Grinsen, daß mindestens so breit war wie der solare Asteroidengürtel.
Als er bemerkte, daß sie bereits auf einen Orgasmus zutrieb, hielt er plötzlich inne.
"Was... was ist los?", flüsterte sie, außer Atem, mit gerötetem Gesicht, schweißbedecktem Körper und derangierter Dauerwelle.
"Weißt Du, Kicky, es gibt da etwas, worin ich noch Jungfrau bin..."
"Wie?"
"Naja, nicht jede Frau ist bereit..."
"Ich verstehe." Kicky verlor keine Zeit, rutschte vom Felsen, kniete sich hin und schlang ihre Hände in Stox's Gürtel. Der wunderte sich nicht wenig.
"Woher weiß Du..."
"Ich bin vielleicht Jungfrau, aber nicht blöd. Glaubst Du, ich hätte nie den New Kinsey Report gelesen?"
Zehn schmatzende Minuten später hallte ein markerschütternder Schrei in den Abgrund um das kleine Felsplateau mit der Hütte des Orakels.
"Nicht schlecht", keuchte Dude.
Die Wissenschaftlerin schluckte tapfer, stand auf und breitete ihre Kleidung auf dem Boden aus. Dann legte sie sich auf den Rücken und spreizte die Beine.
"So, jetzt bin ich dran!"
Stox schüttelte den Kopf, wischte sich Schweißperlen von der Stirn und knöpfte seinen Hosenstall zu.
"Danke für das Angebot, aber so gut war's nun auch wieder nicht."
"Was? Aber die Bombe... wir haben nur noch wenige Minuten..."
Mit Augen, so groß wie Pessare für Dinosaurierinnen, sah Kicky, die ihre Jungfräulichkeit 28 Jahre hinter einer feministischen Fassade verschanzt hatte, wie Stox ein Handy aus der Jackentasche hervorzauberte und es ausklappte.
"Dude an Orbiter, Dude an Orbiter!"
"Sie Schwein!" kreischte Kicky. "Sie Drecksau! Sie haben Kontakt zum Orbiter und es die ganze Zeit gewußt!"
Stox grinste, brachte eine Especiales und eine Packung Zünder zum Vorschein, nahm das letzte Streichholz heraus und entzündete es an einer Augenbraue. Während er die Zigarre anpaffte, sagte er:
"Sie werden lachen: Für ein paar Augenblicke lang hatte ich das sogar vergessen. Und sie sollten sich lieber was anziehen, Kindchen."
Ein Krächzen quälte sich aus dem Handy, das nur Klugscheißer 'Kommunikator' nannten.
"Orbiter hier. Ihr Auftrag, Commander Dude?"
Dude erwehrte sich mühelos der verzweifelten Attacken der Wissenschaftlerin, die mit ihren kleinen Fäustchen ohnmächtig gegen seine mächtige Brust trommelte.
"Dude hier. Zwei Personen zum Hochbeamen."
"Aye, Commander. Wir haben gleich eine Peilung. Zwei Personen. – Ach, und, Sir: Wie ist´s gelaufen?"
Dude sah zu, wie Kicky sich verschämt in Windeseile anzog. Dann grinste er.
"Von ein paar leichteren Verlusten abgesehen, war die Mission äußerst erfolgreich."