Analyse
17. Jan. 2002 Bei Bündnis 90/Die Grünen herrscht Aufbruchsstimmung. Zwar sind die Prognosen für die rot-grüne Bundesregierung schlecht, warnen Wahlforscher davor, im schlimmsten Fall könnten die Grünen bei der Bundestagswahl im September sogar den Einzug in das Parlament verpassen. Doch die Partei spürt eine frische Brise, die von Süden über das Land zieht: Edmund Stoiber ist Kanzlerkandidat der Unionsparteien.
Tatsächlich scheint sich die Depression der vergangenen Monate zu verflüchtigen. Schon will der Parteivorsitzende Fritz Kuhn bei den kommenden Wahlen „mehr Prozente als 1998“ erreichen. Helfen sollen dabei „Ideen, die hegemonial sind“ und die nicht nur den klassischen Grünen-Kompetenzfeldern Ökologie, Verbraucherschutz, Frauenpolitik entstammen. Allerdings, so hat die Abfuhr gezeigt, die die Grünen sich für ihre arbeitsmarktpolitischen Thesen beim Kanzler einhandelten, wird das nicht leicht sein.
Stoiber schweißt zusammen
Umso mehr erleichtert Stoiber den Grünen die Suche nach der richtigen Wahlkampfstrategie. Seine Blockadehaltung beim Zuwanderungsgesetz, seine Ankündigungen, den Atomausstieg und das Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft zurücknehmen, die Homo-Ehe verschärfen sowie die konventionelle Landwirtschaft fördern zu wollen, schweißt die Gefolgschaft der Partei zusammen.
Viele Anhängerinnen der Grünen hätten noch im vergangenen Herbst Sympathie für Angela Merkel gezeigt, sagt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. „Doch mit Stoiber gibt es für die Grünen nun ein klares Feindbild, gegen das man einen ideologischen Wahlkampf führen kann.“
Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder sich zwar für eine Fortsetzung der Koalition ausgesprochen, eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien - die PDS ausgenommen - aber nicht völlig ausgeschlossen hat, könnte den Grünen dabei nutzen. SPD-Wähler, die etwa eine rot-schwarze Konstellation verhindern wollen, könnten versucht sein, grün zu wählen. Sie sind die einzige Klientel, in der zu wildern den Grünen Erfolg verspricht. Mit Wechselwählern der FDP oder der Unionsparteien lässt sich so gut wie keine Schnittmenge finden, selbst wenn Grüne wie FDP vor allem Jungwähler ansprechen wollen.
Stammwählerpotenzial reicht für 5,1 Prozent
Die Strategie der Grünen im Wahlkampf kann also nur lauten, sich zur Koalition zu bekennen und sich gleichzeitig als Reformmotor von einer schwerfälligen Sozialdemokratie abzusetzen. Selbst wenn dadurch Konflikte in der Koalition heraufbeschworen werden, sollte der Einzug in den Bundestag nicht gefährdet sein. „Das Stammwählerpotenzial reicht für 5,1 Prozent“, sagt Meinungsforscher Güllner. Zudem identifizierten sich immer noch sehr viele alte Grünenwähler mit ihrer Partei. So wie die Partei in die Regierungsverantwortung aufgestiegen sei, hätten sich auch ihre Wähler etabliert. „Und die wollen, dass das so bleibt.“
Mitte-Wähler haben keine Ideologie
Deshalb sind die Grünen in der komfortablen Lage, vor allem jene bei der Stange halten zu müssen, die schon Sympathien für die Partei hegen. „Die SPD hat dagegen nur ein Stammwählerpotenzial von 33 Prozent und muss sich die Neuwähler erhalten, die vor 1998 eigentlich CDU gewählt hätten“, sagt Güllner. Weil diese Mitte-Wähler keiner Ideologie anhingen, sondern pragmatisch nach der Kompetenz der Kandidaten entschieden, werde es trotz des gegenwärtigen Säbelrasselns nicht zu einem Lagerwahlkampf der großen Parteien kommen. „Davon haben weder Schröder noch Stoiber etwas.“
Auch darum wird Schröder sich von für ihn missliebigen Vorstößen des kleineren Koalitionspartners nicht bedrängen lassen, zumal er sich, am deutlichsten mit der Vertrauensabstimmung im vergangenen Herbst, über die Disziplinierung der Grünen immer wieder profiliert hat.
Bittere Erfahrungen
„Schröder kennt kein Lager, sondern nur die eigenen Interessen“, warnt Rebekka Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag. Mit dieser Haltung hatte ihre Partei bittere Erfahrungen machen müssen, nachdem Schröder sie als Ministerpräsident nach einer Legislaturperiode der Zusammenarbeit aus der Regierung drängte. „Deshalb ist ein Plakat mit Schröder und Fischer als Beginn einer rot-grünen Wahlkampfstrategie reichlich naiv.“
Das sieht man wohl bei der SPD ähnlich, weshalb Generalsekretär Franz Müntefering bei der Präsentation des Plakats dem Motto „erfolgreiche Teams sollen weiterspielen“ ein „möglichst“ beigab.
Auf eigene Stärke verlassen
Also bleibt den Grünen nur, sich auf die eigene Stärke zu verlassen. Die hat einen Namen: Joschka Fischer. Ihn, der die Partei bei den Wahlen 1998 fast alleine über die Fünf-Prozent Hürde und in die Bundesregierung hob, wollen die Grünen am kommenden Wochenende offiziell aufs Schild heben. So wird aus dem „heimlichen Vorsitzenden“ nun wohl auch offiziell der Mann an der Spitze. Und der hat nach eigenem Bekunden „schon richtig Lust auf Wahlkampf“.
FAZ
Text: @kpm
Bildmaterial: dpa
Stoiber mobilisiert grüne Stammwähler
Von Karsten Polke-Majewski
17. Jan. 2002 Bei Bündnis 90/Die Grünen herrscht Aufbruchsstimmung. Zwar sind die Prognosen für die rot-grüne Bundesregierung schlecht, warnen Wahlforscher davor, im schlimmsten Fall könnten die Grünen bei der Bundestagswahl im September sogar den Einzug in das Parlament verpassen. Doch die Partei spürt eine frische Brise, die von Süden über das Land zieht: Edmund Stoiber ist Kanzlerkandidat der Unionsparteien.
Tatsächlich scheint sich die Depression der vergangenen Monate zu verflüchtigen. Schon will der Parteivorsitzende Fritz Kuhn bei den kommenden Wahlen „mehr Prozente als 1998“ erreichen. Helfen sollen dabei „Ideen, die hegemonial sind“ und die nicht nur den klassischen Grünen-Kompetenzfeldern Ökologie, Verbraucherschutz, Frauenpolitik entstammen. Allerdings, so hat die Abfuhr gezeigt, die die Grünen sich für ihre arbeitsmarktpolitischen Thesen beim Kanzler einhandelten, wird das nicht leicht sein.
Stoiber schweißt zusammen
Umso mehr erleichtert Stoiber den Grünen die Suche nach der richtigen Wahlkampfstrategie. Seine Blockadehaltung beim Zuwanderungsgesetz, seine Ankündigungen, den Atomausstieg und das Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft zurücknehmen, die Homo-Ehe verschärfen sowie die konventionelle Landwirtschaft fördern zu wollen, schweißt die Gefolgschaft der Partei zusammen.
Viele Anhängerinnen der Grünen hätten noch im vergangenen Herbst Sympathie für Angela Merkel gezeigt, sagt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. „Doch mit Stoiber gibt es für die Grünen nun ein klares Feindbild, gegen das man einen ideologischen Wahlkampf führen kann.“
Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder sich zwar für eine Fortsetzung der Koalition ausgesprochen, eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien - die PDS ausgenommen - aber nicht völlig ausgeschlossen hat, könnte den Grünen dabei nutzen. SPD-Wähler, die etwa eine rot-schwarze Konstellation verhindern wollen, könnten versucht sein, grün zu wählen. Sie sind die einzige Klientel, in der zu wildern den Grünen Erfolg verspricht. Mit Wechselwählern der FDP oder der Unionsparteien lässt sich so gut wie keine Schnittmenge finden, selbst wenn Grüne wie FDP vor allem Jungwähler ansprechen wollen.
Stammwählerpotenzial reicht für 5,1 Prozent
Die Strategie der Grünen im Wahlkampf kann also nur lauten, sich zur Koalition zu bekennen und sich gleichzeitig als Reformmotor von einer schwerfälligen Sozialdemokratie abzusetzen. Selbst wenn dadurch Konflikte in der Koalition heraufbeschworen werden, sollte der Einzug in den Bundestag nicht gefährdet sein. „Das Stammwählerpotenzial reicht für 5,1 Prozent“, sagt Meinungsforscher Güllner. Zudem identifizierten sich immer noch sehr viele alte Grünenwähler mit ihrer Partei. So wie die Partei in die Regierungsverantwortung aufgestiegen sei, hätten sich auch ihre Wähler etabliert. „Und die wollen, dass das so bleibt.“
Mitte-Wähler haben keine Ideologie
Deshalb sind die Grünen in der komfortablen Lage, vor allem jene bei der Stange halten zu müssen, die schon Sympathien für die Partei hegen. „Die SPD hat dagegen nur ein Stammwählerpotenzial von 33 Prozent und muss sich die Neuwähler erhalten, die vor 1998 eigentlich CDU gewählt hätten“, sagt Güllner. Weil diese Mitte-Wähler keiner Ideologie anhingen, sondern pragmatisch nach der Kompetenz der Kandidaten entschieden, werde es trotz des gegenwärtigen Säbelrasselns nicht zu einem Lagerwahlkampf der großen Parteien kommen. „Davon haben weder Schröder noch Stoiber etwas.“
Auch darum wird Schröder sich von für ihn missliebigen Vorstößen des kleineren Koalitionspartners nicht bedrängen lassen, zumal er sich, am deutlichsten mit der Vertrauensabstimmung im vergangenen Herbst, über die Disziplinierung der Grünen immer wieder profiliert hat.
Bittere Erfahrungen
„Schröder kennt kein Lager, sondern nur die eigenen Interessen“, warnt Rebekka Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag. Mit dieser Haltung hatte ihre Partei bittere Erfahrungen machen müssen, nachdem Schröder sie als Ministerpräsident nach einer Legislaturperiode der Zusammenarbeit aus der Regierung drängte. „Deshalb ist ein Plakat mit Schröder und Fischer als Beginn einer rot-grünen Wahlkampfstrategie reichlich naiv.“
Das sieht man wohl bei der SPD ähnlich, weshalb Generalsekretär Franz Müntefering bei der Präsentation des Plakats dem Motto „erfolgreiche Teams sollen weiterspielen“ ein „möglichst“ beigab.
Auf eigene Stärke verlassen
Also bleibt den Grünen nur, sich auf die eigene Stärke zu verlassen. Die hat einen Namen: Joschka Fischer. Ihn, der die Partei bei den Wahlen 1998 fast alleine über die Fünf-Prozent Hürde und in die Bundesregierung hob, wollen die Grünen am kommenden Wochenende offiziell aufs Schild heben. So wird aus dem „heimlichen Vorsitzenden“ nun wohl auch offiziell der Mann an der Spitze. Und der hat nach eigenem Bekunden „schon richtig Lust auf Wahlkampf“.
FAZ
Text: @kpm
Bildmaterial: dpa