Für Könner und Kenner
Hans Bernecker: Für Könner und Kenner
Mails/Nachrichten vom 24.07.2002, Bernecker & Cie.
Guten Morgen, meine Damen und Herren,
den Schlußakkord jeder Baisse setzen stets die Finanzaktien. In deren
Erträge und Bilanzen spiegeln sich die Verluste der Baisse, und zwar
allseitig, in den Aktien, in den Provisionen, in verlorenen Krediten
etc. Dieses Szenario haben Sie gestern hautnah verfolgt. In New York
mit CITIGROUP und J.P. MORGAN und in Europa von A bis Z,
nämlich A wie ABN AMRO bis Z wie ZURICH FINANCIAL
SERVICES. Um es noch klarer zu formulieren: Mir wäre es am
liebsten, wenn eine Adresse von Gewicht „die Hände heben muß“.
Dann wüßte ich, daß dieser Spuk vorbei ist und alle großen Banker,
die sich für große hielten und vielleicht noch halten, auf dem Boden
der Tatsachen gelandet sind. Denn sie waren bis heute die
Katalysatoren des Ganzen inkl. Hedge Fonds und Derivaten-Blase.
Ich schreibe dies keineswegs schadenfroh, aber mit Ernst.
Zur richtigen Einordnung: Von Anfang Oktober 1999 bis Ende
Februar 2000, also in genau 5 Monaten, stieg der DAX um sagenhafte
50 %, nämlich von 5.400 auf 8.340 in der Spitze, aber daran übte
niemand Kritik, wie Sie sich erinnern. Jetzt herrscht großes Entsetzen
darüber, wenn der Markt in ebenfalls 5 Monaten (bis gestern) 36 %
im DAX verliert. Nehmen Sie also den Taschenrechner:
Sie können jetzt in Ruhe nachrechnen, welche Aktie richtig bewertet
ist und welche nicht und welche für den nächsten Zyklus die größten
Chancen hat. Und zwar ohne Story und wilde Erwartungen, sondern
mit nüchterner Kalkulation des Möglichen. Ich habe nie zu hoffen
gewagt, daß die Kurse so weit zurückfallen können. Deshalb habe ich
in einigen Fällen zu früh zugegriffen, was vom Timing her falsch,
aber in der Sache letztlich richtig bleibt. Darauf komme ich noch
zurück. Mithin:
Wann Sie kaufen, ist jetzt eine Tagesfrage und eine solche, ob Sie
überhaupt noch über Liquidität verfügen. Der V-DAX in Deutschland
hat den kritischen Punkt von 50 gestern knapp überschritten, womit
das Fieberthermometer noch einen Tick höher gestiegen ist und damit
exakt den Stand vom letzten September erreicht hat. Jetzt wissen Sie,
wo wir stehen. Die Volatilität in New York zeigt den gleichen Stand.
So etwas hält einige Tage, aber nicht Wochen. Ich kann also auf den
Tag genau kein grünes Licht geben, aber meine Meinung kennen Sie
damit ganz eindeutig.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Zürich, was ich deshalb für
bedeutend halte: Die dortigen Finanzadressen zeigen eine noch
größere Schwäche, weil sie ein noch größeres Rad gedreht haben.
Das ist völlig unschweizerisch, aber nicht ganz untypisch, wobei ich
schon berichtet hatte, welche Rolle einige Institute im
Hedge-Fond-Sektor gespielt haben und noch spielen. Ein weiterer
Indikator für Sie:
Der Dollar macht einen ersten Ansatz zur Wende. Das muß noch nicht
endgültig sein. Doch die Markttechnik zeigt, daß der Euro sich bei
rd. „Parität“ festläuft. Devisenhändler wissen es genauer: Die
Nachfrage nach Dollar für Portfolio-Investitionen zieht langsam an
und umgekehrt hatte ich eine Pause bei Gold schon richtig erkannt.
Hier besteht eine Wechselbeziehung, die Sie bezüglich der
Aktienmärkte lediglich als Indikator ansehen.
Zu den Firmendaten: Unterscheiden Sie jetzt zwischen
Einmalverlusten aus Sonderabschreibungen und dem operativen
Ergebnis. Das gilt ebenso für LUCENT in den USA wie für die
HYPOVEREINSBANK in München. Die Bereinigung der Bilanzen
wird noch eine ganze Weile Gegenstand der Betrachtungen sein. Kein
Unternehmen, das in den letzten Jahren insbesondere extern
gewachsen ist, ist davon frei. Das gilt ebenso für die ALLIANZ wie
die DEUTSCHE BANK oder die Amerikaner, die dies alles mit
Aktien bezahlt haben. Wichtig ist: Was ist das Kerngeschäft wert.
Das ist Ihr Maßstab. An einem Beispiel:
Eine ALLIANZ ist bei 140 E. ein glatter Kauf. Auch dann, wenn die
Integration von DRESDNER BANK größere Probleme bereitet. Dazu
lesen Sie einige pikante Details in der nächsten AB. Gleiches gilt für
MÜNCHENER RÜCK bei 175 E. Die Herausforderung bei
DEUTSCHE TELEKOM beginnt sich schon zu konkretisieren:
Überlegt wird zurzeit in Bonn die enge Verbindung von T-MOBILE
mit VOICESTREAM und dies wiederum in Verbindung mit AT&T
WIRELESS. Rechnen Sie mal durch, welche Veränderung dies allein
für den berühmten Schuldenstand von DT. TELEKOM haben wird.
Ich sehe die Köpfe der Analysten schon rauchen. Unterschätzen Sie
also die Kreativität guten Managements nicht. Warum schreibe ich
das hier?
Die aktuellen Kurse sind Aktienkurse für Könner und Kenner. Wie
oben bemerkt: Nehmen Sie jede einzelne Aktie „in die Hand“, wägen
Sie ab und Sie werden sehr schnell merken, mit welcher Sie in den
nächsten 24 bis 36 Monaten gutes Geld verdienen und auch dann,
wenn Sie heute kaufen würden und vielleicht für drei Wochen noch
daneben liegen, was ich im übrigen nicht glaube.
Konsequenz für Sie: Die eine oder andere Abstufung wird es noch
geben. Die soliden Titel sind durchweg ein Kauf. Und zwar sowohl
im DAX wie im MDAX und sogar für eine ganze Reihe im Nemax,
und dies gilt ebenso für Dow Jones bis Nasdaq, aber mit der
eindeutigen Konsequenz: Kaufen, was wirklich rechenbar ist. Das
gilt sogar für ein solches Problempapier wie LUCENT. Blankes
Entsetzen gestern über die erneuten Minuszahlen, die übrigens
angekündigt waren. Umsatz für den weltgrößten Telekomausrüster in
diesem Jahr wohl um 12,5 – 13 Mrd $. Börsenwert um 5,4 Mrd $ bei
einer Verschuldungsrate von etwa 30 % in Relation zum
Eigenkapital. Wann, so die Frage, wird wieder in Telekom investiert
und wie sieht LUCENT dann aus? Denken Sie meinetwegen in
Richtung von zwei oder drei Jahren. Dann liegt der Umsatz
voraussichtlich um 18 – 19 Mrd $ und nun rechnen Sie bitte aus, wie
bei angemessener Umsatzbewertung der LUCENT-Kurs sich
entwickeln wird. Daraus ziehen Sie wiederum die Prozentrechnung
für das jetzt einzusetzende Zusatzkapital. Das Gleiche gilt für
XEROX und andere. Im Vergleich: Es gibt immer noch Hightechtitel
mit einem Börsenwert von über 100 Mrd $ für einen Umsatz von nur
25 Mrd $, die nur 11 Cents Gewinn je Aktie verdienen. Das sind
jene, die trotz 80 % Kursverlust noch immer ein Problem bereiten,
aber Ihnen noch immer von anderer Seite als Superpapier verkauft
werden. Eine Aktie ist bei mir noch immer ein Schlüsselerlebnis:
MICROSOFT. Gestern neuer Tiefstkurs mit 42,97 $, und ich hatte
schon mehrfach darauf hingewiesen, daß diese Aktie ebenso wie GE
und IBM ein Schlüsselerlebnis für den ganzen Trend darstellt. Erst
wenn diese Schwergewichte einen Boden gefunden haben, gilt dies
auch für den gesamten Markt. Das wird sich jetzt zeigen. Es geht
schließlich auch anders:
Investieren Sie in PHILIP MORRIS und nutzen Sie die Schwäche,
die aus dem kürzlichen Urteil entstand, zu weiteren Käufen. Basis
41/42 $ hat gehalten, gestern sogar 44,70 $ mit Kursziel 55/57 $.
Alles Nähere in der AB. Sie können also mit Perspektive investieren.
Auf einen Sachverhalt mache ich abschließend aufmerksam, der
ungern gehört wird. Nimmt die Börse einen Teil dessen vorweg, was
im Falle eines militärischen Schlages der Amerikaner gegen den Irak
wahrscheinlich ist? Denken Sie selbst darüber nach. Ich erinnere
aber an 1990/91. Tun Sie das Gleiche.
Herzlichst Ihr
Hans A. Bernecker
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