Renten abgeschrieben: Englands betriebliche Altersfürsorge wankt
Kursverluste an den Börsen, konjunktureller Sparzwang, steigende Lebenserwartung: Englands Betriebe setzen den Rotstift bei den Renten an.
LONDON. "Es ist eine Tragödie für Millionen", urteilt der frühere Sozialminister der Labour-Regierung Frank Fields. Gleich reihenweise nehmen britische Unternehmen jetzt rückläufige Anlagen-Gewinne, die zunehmende Lebenserwartung von Leistungsempfängern und Deckungslücken in ihren Pensionsfonds zum Anlaß, aus der Altersvorsorge für ihre Mitarbeiter auszusteigen. Renten mit Gehaltskoppelung soll es künftig nicht mehr geben.
Die über die letzten 100 Jahre aufgebauten Betriebsrentensysteme auf der Insel hatten Mitarbeitern mit voller Anwartschaft zuletzt Altersbezüge von bis zu zwei Dritteln ihres Endgehalts gesichert. "Wir haben es mit einer heimlichen Revolution zu tun", sorgt sich Roger Lyons, Chef einer der größten Industriegewerkschaften des Landes. "Die Arbeitgeber rollen ein Jahrhundert des Fortschritts bei der Altersvorsorge wieder zurück."
Die Armut von Millionen Briten im Rentenalter ist damit vorgezeichnet, stimmen auch Sozialwissenschaftler der düsteren Einschätzung des Gewerkschafters zu. Unter Thatcher, Major und zuletzt auch Tony Blair ist die staatliche Rente durch die Abkoppelung von den Verdiensten bereits seit den achtziger Jahren auf inzwischen nur noch 15 Prozent des Durchschnittseinkommens geschrumpft. 40 Prozent aller Ruheständler benötigen zusätzliche Fürsorgeleistungen.
Die künftige Loslösung der Betriebsrenten von den Endgehältern droht nach ersten Schätzungen acht Millionen Briten fast ein Drittel dieser Stütze im Alter zu rauben.
Peter Johnson, Chef der Vereinigung der Pensionsfonds, bescheinigt den Unternehmen allerdings gute Gründe für ihren Ausstieg: "Die Leute leben nicht nur länger." Magere Börsengewinne, niedrige Zinsen und der Verlust von Steuerkonzessionen haben die Kosten für die Bereitstellung von Firmenrenten "allein in den letzten fünf Jahren um 40 Prozent steigen lassen", meint er.
In vielen Fällen decken die angesparten Fonds nicht mehr die erworbenen Rentenansprüche der Mitarbeiter, ermitteln die Wirtschaftsprüfer von KPMG. Ihr Wert habe sich allein 2001 um über 100 Mrd. auf 679 Mrd. Pfund gemindert, deckt auch das Amt für Statistik diesen Befund.
"Rentengrapscher"
Auch die Regierung trägt Verantwortung an dem Debakel. Finanzminister Gordon Brown werfen nicht nur erboste Gewerkschafter sondern auch die großen Pensionskassen vor, bei der Aushöhlung von Privat- und Betriebsrenten tatkräftig mitgeholfen zu haben. Kurz nach seinem Amtsantritt 1997 hatte der Schotte ihnen die Steuerfreiheit für Dividenden-Einkünfte gestrichen. Dies bedeutete für Fonds und Sparer einen Aderlaß von jährlich immerhin fünf Mrd. Pfund. Brown gilt seitdem weithin als "Rentengrapscher".
1995 hatten Statistiker der Regierung noch etwa 38.000 gehaltsbezogene Betriebsrentenssyteme auf der Insel gezählt. "Heute dürften es kaum mehr als 10.000 sein", schätzt John Ritchie von der Versicherungsgesellschaft Scottish Equitable. Die Beendigung der Altersvorsorge durch kleinere Unternehmen dürfte der Hauptgrund dafür gewesen sein. Doch jetzt beeilen sich selbst Großunternehmen damit, ihre Rentensysteme mit Leistungsgarantien einzustellen. Sie ersetzten sie mit den wesentlich knapper bemessenen "beitragsdefinierten" Systemen. Bei diesen hängt die Rentenleistung ausschließlich von der Höhe der Beiträge und den darauf erzielten Anlagegewinnen ab. "Den Arbeitnehmern wird damit voll das Anlagerisiko aufgebürdet", kritisiert ein Gewerkschafter.
"Vielen Briten droht damit eine magere Rente", meint denn auch der David Fairs von KPMG. Zahlreiche Firmen nutzen die Umstellung auf die "beitragsorientierten" Renten nämlich noch dazu, ihren eigenen Anteil an den Beiträgen maßgeblich zurückzufahren: von bisher 10 bis 15 Prozent der Gehaltssumme auf nur noch die Hälfte dessen, oder sogar weniger als fünf Prozent.
Manche Firmen begründen den plötzlichen "Sanierungsbedarf" ihrer Pensionsfinanzen auch mit einer neuen Bilanzierungsrichtlinie. Diese zeigt die Deckungslücken schonungslos auf. Frank Field, der von Tony Blair vorsorglich schon vor einiger Zeit abgeschobene ehemalige Sozialminister, verlangt eine Parlamentsdebatte über die "Katastrophe". Es würden gegenwärtig "tagtäglich die Rentenansprüche von zehntausenden Briten so gut wie abgeschrieben".
Kursverluste an den Börsen, konjunktureller Sparzwang, steigende Lebenserwartung: Englands Betriebe setzen den Rotstift bei den Renten an.
LONDON. "Es ist eine Tragödie für Millionen", urteilt der frühere Sozialminister der Labour-Regierung Frank Fields. Gleich reihenweise nehmen britische Unternehmen jetzt rückläufige Anlagen-Gewinne, die zunehmende Lebenserwartung von Leistungsempfängern und Deckungslücken in ihren Pensionsfonds zum Anlaß, aus der Altersvorsorge für ihre Mitarbeiter auszusteigen. Renten mit Gehaltskoppelung soll es künftig nicht mehr geben.
Die über die letzten 100 Jahre aufgebauten Betriebsrentensysteme auf der Insel hatten Mitarbeitern mit voller Anwartschaft zuletzt Altersbezüge von bis zu zwei Dritteln ihres Endgehalts gesichert. "Wir haben es mit einer heimlichen Revolution zu tun", sorgt sich Roger Lyons, Chef einer der größten Industriegewerkschaften des Landes. "Die Arbeitgeber rollen ein Jahrhundert des Fortschritts bei der Altersvorsorge wieder zurück."
Die Armut von Millionen Briten im Rentenalter ist damit vorgezeichnet, stimmen auch Sozialwissenschaftler der düsteren Einschätzung des Gewerkschafters zu. Unter Thatcher, Major und zuletzt auch Tony Blair ist die staatliche Rente durch die Abkoppelung von den Verdiensten bereits seit den achtziger Jahren auf inzwischen nur noch 15 Prozent des Durchschnittseinkommens geschrumpft. 40 Prozent aller Ruheständler benötigen zusätzliche Fürsorgeleistungen.
Die künftige Loslösung der Betriebsrenten von den Endgehältern droht nach ersten Schätzungen acht Millionen Briten fast ein Drittel dieser Stütze im Alter zu rauben.
Peter Johnson, Chef der Vereinigung der Pensionsfonds, bescheinigt den Unternehmen allerdings gute Gründe für ihren Ausstieg: "Die Leute leben nicht nur länger." Magere Börsengewinne, niedrige Zinsen und der Verlust von Steuerkonzessionen haben die Kosten für die Bereitstellung von Firmenrenten "allein in den letzten fünf Jahren um 40 Prozent steigen lassen", meint er.
In vielen Fällen decken die angesparten Fonds nicht mehr die erworbenen Rentenansprüche der Mitarbeiter, ermitteln die Wirtschaftsprüfer von KPMG. Ihr Wert habe sich allein 2001 um über 100 Mrd. auf 679 Mrd. Pfund gemindert, deckt auch das Amt für Statistik diesen Befund.
"Rentengrapscher"
Auch die Regierung trägt Verantwortung an dem Debakel. Finanzminister Gordon Brown werfen nicht nur erboste Gewerkschafter sondern auch die großen Pensionskassen vor, bei der Aushöhlung von Privat- und Betriebsrenten tatkräftig mitgeholfen zu haben. Kurz nach seinem Amtsantritt 1997 hatte der Schotte ihnen die Steuerfreiheit für Dividenden-Einkünfte gestrichen. Dies bedeutete für Fonds und Sparer einen Aderlaß von jährlich immerhin fünf Mrd. Pfund. Brown gilt seitdem weithin als "Rentengrapscher".
1995 hatten Statistiker der Regierung noch etwa 38.000 gehaltsbezogene Betriebsrentenssyteme auf der Insel gezählt. "Heute dürften es kaum mehr als 10.000 sein", schätzt John Ritchie von der Versicherungsgesellschaft Scottish Equitable. Die Beendigung der Altersvorsorge durch kleinere Unternehmen dürfte der Hauptgrund dafür gewesen sein. Doch jetzt beeilen sich selbst Großunternehmen damit, ihre Rentensysteme mit Leistungsgarantien einzustellen. Sie ersetzten sie mit den wesentlich knapper bemessenen "beitragsdefinierten" Systemen. Bei diesen hängt die Rentenleistung ausschließlich von der Höhe der Beiträge und den darauf erzielten Anlagegewinnen ab. "Den Arbeitnehmern wird damit voll das Anlagerisiko aufgebürdet", kritisiert ein Gewerkschafter.
"Vielen Briten droht damit eine magere Rente", meint denn auch der David Fairs von KPMG. Zahlreiche Firmen nutzen die Umstellung auf die "beitragsorientierten" Renten nämlich noch dazu, ihren eigenen Anteil an den Beiträgen maßgeblich zurückzufahren: von bisher 10 bis 15 Prozent der Gehaltssumme auf nur noch die Hälfte dessen, oder sogar weniger als fünf Prozent.
Manche Firmen begründen den plötzlichen "Sanierungsbedarf" ihrer Pensionsfinanzen auch mit einer neuen Bilanzierungsrichtlinie. Diese zeigt die Deckungslücken schonungslos auf. Frank Field, der von Tony Blair vorsorglich schon vor einiger Zeit abgeschobene ehemalige Sozialminister, verlangt eine Parlamentsdebatte über die "Katastrophe". Es würden gegenwärtig "tagtäglich die Rentenansprüche von zehntausenden Briten so gut wie abgeschrieben".