Null und nichtig!

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Null und nichtig!

 
13.11.02 14:28
Die Schulden der Dritten Welt müssen gestrichen werden
von Eric Toussaint und Arnaud Zacharie

Die Schulden der Dritten Welt zu streichen ist nicht nur wirtschaftlich notwendig, sondern auch juristisch legitim. So die Argumentation der Autoren des folgenden Beitrags, Aktivisten des CADTM, des belgischen „Komitees für die Streichung der Schulden der Dritten Welt“. Und die Forderung ist keineswegs neu und abenteuerlich, wie die Apologeten der Schuldknechtschaft des Südens immer wieder behaupten. Es gibt genügend historische Beispiele für Streichungen oder Nichtanerkennungen von Auslandsschulden.

Seit 1960 ist der weltweite Reichtum verachtfacht worden. Und dennoch lebt einer von zwei Menschen auf der Welt von weniger als zwei US-Dollar am Tag, einer von vier gar mit weniger als einem Dollar am Tag, einer von drei hat keinen elektrischen Strom, einer von fünf hat keinen Zugang zu Trinkwasser, einer von sechs ist Analphabet, einE Erwachsene von sieben und ein Kind von drei leidet an Unterernährung. Das Entwicklungsprogramm UNDP und das Kinderhilfswerk UNICEF der Vereinten Nationen schätzen, dass jährliche Ausgaben von 80 Milliarden US-Dollar in zehn Jahren allen Menschen Zugang zur Basisgesundheitsversorgung, zur Grundschulbildung, zu ausreichender Ernährung, zu Trinkwasser und Abwasserentsorgung und allen Frauen zu gynäkologischer Versorgung und Geburtshilfe verschaffen könnte.

80 Milliarden Dollar sind annähernd ein Viertel der Summe, welche die Dritte Welt jährlich bezahlt, um ihre Auslandsschulden zu bedienen. Es sind auch ungefähr ein Viertel des Militärhaushaltes der USA, neun Prozent der jährlichen weltweiten Militärausgaben, acht Prozent der weltweiten jährlichen Werbekosten und die Hälfte des Vermögens der vier reichsten Männer der Welt. Für die VerfechterInnen der neoliberalen Globalisierung müssen die Entwicklungsländer einschließlich Osteuropas ihre Auslandsschulden tilgen, wenn sie kontinuierlich in den Genuss neuer Finanzmittel kommen wollen. In Wirklichkeit fließen die Kapitalströme seit Ausbruch der Schuldenkrise 1982 aus dem Süden in die reichen Länder.

Die Bevölkerungen der Entwicklungsländer haben auf diese Weise Dutzende von Marshall-Plänen zum Wohle ihrer Gläubiger im Norden organisiert (wobei die einheimischen Eliten en passant ihre Kommissionen einstreichen), wie sie der damalige demokratische US-Präsident Harry Truman nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten des Wiederaufbaus in Europa realisiert hat. Die Mittel, die die Vereinigten Staaten zwischen 1948 und Dezember 1951 nach Europa schickten, entsprachen 78,5 Milliarden US-Dollar in Relationen von 2001. 1999, als der Gesamtschuldendienst nach Angaben der Weltbank 300 Milliarden Dollar betrug, hat die Dritte Welt allein in diesem einen Jahr annähernd vier Mal so viel an die Gläubiger in den Industrieländern überwiesen.

Im Widerspruch zu den offiziellen Reden bestehen wir auf der Notwendigkeit, die öffentlichen Auslandsschulden der Dritten Welt zu streichen. Diese Schulden wiegen nicht schwer, verglichen mit den historischen, ökologischen und sozialen Schulden, welche die reichen Länder des Nordens gegenüber der Dritten Welt haben. Würden die öffentlichen Auslandsschulden der Dritten Welt vollständig und ohne Entschädigung gestrichen, machte das weniger als fünf Prozent Verluste im Gesamthaushalt der Gläubigerländer aus. Umgekehrt wären für die dergestalt von dieser Last befreiten Bevölkerungen die Summen, die zur Verbesserung des Gesundheits- und Bildungswesens und zur Schaffung von Arbeitsplätzen genutzt werden könnten, beträchtlich. Manche Experten sagen voraus, dass, würden die Schulden gestrichen, die Entwicklungsländer den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten definitiv verlören. Diese Behauptung beruht keineswegs auf einem seriösen Studium der Geschichte der Schuldenkrisen.

Vom Ende des 18. Jahrhunderts, als die Vereinigten Staaten ihre Schulden bei der britischen Krone strichen, bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, als 1991 ein Teil der polnischen Schulden gestrichen wurde, sind zahlreiche Schuldenstreichungen durchgeführt worden, ohne dass die Hähne der privaten Finanzströme zugedreht worden wären. Im Gegenteil haben in den historischen Beispielen Schuldenstreichungen vorteilhaft gewirkt. Das gilt insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland, deren Kriegsschulden 1953 zu 51 Prozent gestrichen wurden, was stark zum deutschen Wirtschaftswunder beitrug. Andere Beispiele sind die Schulden des russischen Staates 1918, die Kriegsschulden Frankreichs und Großbritanniens, die lateinamerikanischen Schulden nach dem Börsenkrach von 1929 usw. All diese Länder haben nach den Schuldenstreichungen beträchtliche wirtschaftliche Entwicklungen erlebt.

Beispiele aus der Geschichte

Auch ist das Risiko, von den Kapitalmärkten ausgeschlossen zu werden, für die Mehrzahl der Dritte-Welt-Länder bedeutungslos, weil sie schon heute keinen Zugang mehr haben. Nach Angaben des UNDP haben nur 25 Entwicklungsländer Zugang zu den privaten Anleihemärkten, zu Krediten von Geschäftsbanken und zu Portfolio-Investitionen. Nach Angaben der UN sind in die 49 am wenigsten entwickelten Länder der Welt, die zusammen ca. 600 Millionen EinwohnerInnen haben, 1999 nur 0,5 Prozent der direkten Auslandsinvestitionen für Entwicklungsländer geflossen. Für die wenigen Länder der Dritten Welt, die Zugang zu internationalem Kapital haben (China, Brasilien, Mexico und Thailand haben 1998 mehr als 50% der direkten Auslandsinvestitionen erhalten) entsprechen 80 Prozent dieser Investitionen Aufkäufen von bereits existierenden Unternehmen, die dergestalt unter die Kontrolle von transnationalen Konzernen geraten. Das schafft keine Arbeitsplätze – im Gegenteil. Außerdem bedeuten diese Aufkäufe einen Verlust an nationaler Kontrolle über die produktiven Apparate. Ganz zu schweigen vom volatilen und spekulativen Charakter der übrigen Kapitalinvestitionen. Eine Beschränkung dieser Finanzströme wäre für die Volkswirtschaften in der Dritten Welt keineswegs schädlich.

Die Begriffe der „odious debts“ und der „höheren Gewalt“ geben der Schuldenstreichung solide juristische Grundlagen. Alexander Sack, Theoretiker der Doktrin von den „odious debts“, schrieb 1927: „Wenn eine despotische Macht Schulden nicht macht, um staatliche Interessen zu befriedigen, sondern um das eigene Regime zu stärken, um die widerständige Bevölkerung zu unterdrücken, dann sind diese Schulden für die Bevölkerung dieses Staates verhasst. Diese Schulden sind nicht verbindlich für die Nation. Es sind die Schulden des Regimes, die persönlichen Schulden der Macht, und deshalb sind sie mit dem Fall dieser Macht ebenfalls hinfällig.“ Als am Ende des 19.Jahrhunderts die Vereinigten Staaten nach einem Krieg gegen Spanien die Kontrolle über Cu-ba übernahmen, verlangte Spanien von den neuen Herren, nach geltendem internationalen Recht die cubanischen Schulden bei der spanischen Krone zu übernehmen. Die Verhandlungskommission der USA lehnte das mit der Begründung ab, diese Schulden seien eine „Last, die dem cubanischen Volk gegen seinen Willen aufgebürdet wurde“. Die Kommission argumentierte, dass „die Schulden von der Regierung Spaniens aus deren eigenem Interesse und von deren eigenen Vertretern gemacht worden sind. Cuba hatte dabei nichts zu sagen.“ Die Kommission fügte hinzu, dass „die Gläubiger das mit ihrer Investition verbundene Risiko akzeptiert haben“.

Später, in den dreißiger Jahren, erklärte ein internationales Schiedsgericht, dem Richter Taft, Präsident des Obersten Gerichtshofes der USA, angehörte, dass die Kredite, die eine in Kanada ansässige britische Bank dem Präsidenten Tinoco von Costa Rica gewährt hatte, null und nichtig wären, weil sie nicht den Interessen des Landes, sondern dem persönlichen Interesse einer undemokratischen Regierung gedient hätten. Richter Taft erklärte bei dieser Gelegenheit, dass „der Fall der königlichen Bank nicht nur von der Art des Geschäftes abhängt, sondern auch vom guten Glauben der Bank, als sie Kredite für den tatsächlichen Gebrauch durch die costaricanische Regierung unter Tinoco vergab. Die Bank muss nachweisen, dass das Geld an die Regierung für legitime Zwecke verliehen wurde. Das hat sie nicht gemacht.“

Die legalen Regierungen, die in den achtziger Jahren auf die Militärdiktaturen in Lateinamerika folgten, hätten sich auf das internationale Recht stützen sollen, um die Annullierung ihrer „deudas odiosas“ zu erreichen. Ein beträchtlicher Teil der Kredite für diese Länder wurde tatsächlich von den lokalen Eliten direkt umgeleitet – in vollkommener Komplizenschaft mit den Banken des Nordens, die ihre finanziellen Techniken für diese Betrugsmanöver zur Verfügung stellten. Dasselbe gilt für die Philippinen nach dem Sturz der Marcos-Diktatur im Jahre 1986, für Ruanda nach dem Massaker, das die Diktatur dort 1994 veranstaltete, für Südafrika nach dem Ende der Apartheid, für die Demokratische Republik Kongo nach dem Sturz von Mobutu im Jahre 1997 und für Indonesien nach dem Abgang von Suharto im Jahre 1998. Anstatt eine Weigerung, die Schulden zu bezahlen, auf das nationale und internationale Recht zu gründen, haben die jeweiligen Nachfolgeregierungen es vorgezogen, mit den Gläubigern Umschuldungen und kosmetische Erleichterungen auszuhandeln. So gerieten sie in den endlosen Kreislauf der Auslandsverschuldung, für die die Bevölkerungen die Rechnung bezahlen. Man muss mit dieser Logik der Abhängigkeit brechen. Man muss die sozialen und BürgerInnen-Bewegungen unterstützen, die in den Entwicklungsländern ihre Regierungen auffordern, die öffentliche Auslandsverschuldung nicht anzuerkennen und den Schuldendienst einzustellen.

Man kann ein Recht auf Schuldenstreichung auch mit dem Argument der höheren Gewalt begründen. Dieses Prinzip des internationalen Rechtes erkennt an, dass eine Veränderung der Bedingungen eines Vertrages diesen annullieren kann. Im Kern bedeutet das, dass die Verträge, die in der Zukunft eine fortgesetzte Verpflichtung erforderlich machen, der Bedingung unterliegen, dass sich die Umstände ab Vertragsunterzeichnung nicht verändern. Im Fall der Schuldenkrise der 80er Jahre kann man offensichtlich das Wirken höherer Gewalt feststellen. Tatsächlich lösten zwei exogene Faktoren die Schuldenkrise ab 1982 im Wesentlichen aus: die dramatische Erhöhung der Zinsen, die von der US-Regierung ab 1979 international durchgesetzt wurde und der Preisverfall wichtiger Exportprodukte der Länder in der Peripherie ab 1980. Diese beiden Faktoren wurden von den Gläubiger-Ländern ausgelöst. Dabei handelt es sich um höhere Gewalt, weil die Ausgangssituation damit wesentlich verändert und die Schuldner daran gehindert wurden, ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Damit eine Schuldenstreichung der menschlichen Entwicklung nützt, ist es offensichtlich notwendig, dass die bisher für den Schuldendienst aufgewendeten Summen in einen von den lokalen Bevölkerungen demokratisch kontrollierten Fonds fließen. Wenn aber dieser erste Schritt einmal getan ist, dann ist es unerlässlich, die derzeitige Wirtschaft der internationalen Verschuldung durch ein sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges Entwicklungsmodell zu ersetzen, das unabhängig ist von den Schwankungen auf den internationalen Finanzmärkten und von den Bedingungen für Kredite des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.


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